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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: 16 A 1158/05
Rechtsgebiete: AsylbLG, SGB I


Vorschriften:

AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 4
AsylbLG § 1a Nr. 2
AsylbLG § 2
AsylbLG § 3 Abs. 1 Satz 4
AsylbLG § 7 Abs. 4
SGB I § 66
Können aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus vom Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, hat er keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die über das nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotene Maß hinausgehen. Gehört ein Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (sog. Taschengeld) nicht zu den unabweisbar gebotenen Leistungen, bedarf es vor der Gewährung von das Taschengeld nicht umfassenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz regelmäßig keiner Aufforderung an den Leistungsberechtigten, an der Beseitigung der Hindernisse mitzuwirken, die seiner Ausreise entgegenstehen.

Ausreisepflichtige minderjährige Kinder müssen es sich zurechen lassen, wenn ihre Eltern nicht alle ihnen zumutbaren und erforderlichen Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Ausreisepflicht betreiben.


Gründe:

Mit Bescheid vom 6.8.1997 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag der Kläger ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG a.F. nicht gegeben seien und keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG a.F. bestünden. Es forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, und drohte ihre Abschiebung an.

Die Kläger erhalten seit 1997 vom Beklagten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Seit November 1998 leistete der Beklagte nicht den von den Grundleistungen im Sinne des § 3 AsylbLG gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG umfassten monatlichen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (im folgenden: Taschengeld). Die Kläger begehrten die Verpflichtung des Beklagten, für einzelne (im Klageantrag wiedergegebene) Monate der Jahre 2003 und 2004 (auch) das Taschengeld zu bewilligen.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Barbeträge gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG.

Die Kläger sind in den maßgebenden Monaten Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG gewesen, denn sie haben eine Duldung besessen. Aus der Leistungsberechtigung allein ergibt sich der Umfang des Leistungsanspruchs jedoch nicht, denn Leistungsberechtigte, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist (vgl. § 1a Nr. 2 AsylbLG). Diese Regelung beschränkt den Leistungsanspruch unmittelbar, ohne dass die Leistungsbeschränkung von einer vorangehenden Aufforderung an den Leistungsberechtigten abhängig wäre, an der Beseitigung der Hindernisse mitzuwirken, die seiner Ausreise entgegenstehen (1.). Die Kläger haben es zu vertreten, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (2.). Die vom Beklagten zur Verfügung gestellten Leistungen haben den unabweisbar gebotenen Bedarf der Kläger sichergestellt (3.).

1. Der Gesetzeswortlaut gibt keinen Anhaltspunkt, der nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 1a AsylbLG Leistungsberechtigte könne einen Anspruch auf Leistungen haben, die über den unabweisbar gebotenen Umfang hinausgehen. § 1 Abs. 1 AsylbLG bestimmt den Kreis der Leistungsberechtigten, besagt über den Leistungsumfang jedoch nichts. Aus dem Kreis der Leistungsberechtigten sind diejenigen hervorgehoben, die die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG erfüllen. Sie erhalten die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur, soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist. Damit setzt die Leistungsgewährung in den Fällen der §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 1a AsylbLG keine Kürzung eines an sich weitergehenden Anspruchs voraus. Eine Kürzungsnotwendigkeit ergibt sich auch nicht aus der von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angesprochenen Überschrift des § 1a AsylbLG. Denn auch diese spricht nicht von einer Anspruchskürzung, sondern von einer Anspruchseinschränkung, mit anderen Worten von einem sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden (eingeschränkten) Anspruch. Können bei einem Leistungsberechtigten - wie hier bei den Klägern - aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, bedarf es danach lediglich der Festlegung, was im jeweiligen Einzelfall der unabweisbar gebotene Leistungsumfang ist. Der unbestimmte Rechtsbegriff des unabweisbar gebotenen Bedarfs ist im Einzelfall zu bestimmen.

Von einer Kürzung im untechnischen Sinne könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn dem Leistungsberechtigten durch Verwaltungsakt ein Anspruch auf über das unabweisbar gebotene Maß hinausgehende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zugesprochen worden ist und für den vom Bescheid erfassten Leistungszeitraum nach Bescheiderteilung verringerte Leistungen zuerkannt werden sollen. Welche verfahrensrechtlichen Schritte in einem solchen Fall zu beachten wären, bedarf hier keiner Ausführungen, da den Klägern seit 1998 keine über das unabweisbar gebotene Maß hinausgehenden Leistungen zugesprochen worden sind.

Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich nicht, Leistungen könnten dem nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 1a AsylbLG Berechtigten über das unabweisbar gebotene Maß hinaus solange zustehen, wie der Leistungsverpflichtete nicht zu der ihm zumutbaren Mitwirkung an aufenthaltsbeendenden Maßnahmen unter konkreter Bezeichnung der Maßnahmen und unter Fristsetzung schriftlich (oder mündlich) aufgefordert wurde. Das VG hat sich auf § 7 Abs. 4 AsylbLG bezogen, wonach die §§ 60 bis 67 SGB I über die Mitwirkung des Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden sind. Ob dieser Bestimmung zu entnehmen ist, mit ihr solle die Anwendung der §§ 60 ff. SGB I (sowie § 99 SGB X) in allen die Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz betreffenden Fällen vorgegeben werden, vgl. so GK-AsylbLG, Stand Oktober 2006, § 7 Rn. 135, bedarf hier letztlich keiner Entscheidung. Soweit überhaupt eine entsprechende Anwendung nicht nur bei der Prüfung von Einkommen und Vermögen im Sinne des § 7 AsylbLG in Betracht zu ziehen ist, sind es doch solche Bereiche, in denen § 7 Abs. 4 AsylbLG dem Nachranggrundsatz Geltung verschaffen will. Infolge der Ausgliederung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Bundessozialhilfegesetz sind die Vorschriften des SGB I und des SGB X nicht unmittelbar anwendbar, was auf Grundlage der Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder dazu führen würde, dass die Mitwirkungspflichten der Beteiligten, insbesondere deren Verpflichtung, ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel anzugeben sowie Änderungen mitzuteilen, nicht, jedenfalls nicht sanktionsbewehrt begründet werden könnte. Aus diesem Grunde entschloss sich der Gesetzgeber, die genannten Vorschriften des SGB I in den § 7 Abs. 4 AsylbLG aufzunehmen.

Vgl. BT-Drucks. 13/2746 vom 24.10.1995, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze, S. 17.

Um einen vergleichbaren Fall, der die entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 4 AsylbLG i.V.m §§ 60 ff. SGB I fordern könnte, geht es hier jedoch nicht. Es geht hier nicht darum, die (Fort-)Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von Mitwirkungshandlungen des Leistungsberechtigten abhängig zu machen. Vielmehr steht dem Leistungsberechtigten der Leistungsanspruch von vornherein nur in der durch § 1a AsylbLG auf das unabweisbar gebotene Maß beschränkten Höhe zu (wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können). Angesichts dieser gesetzlichen Sanktion bedarf es keiner entsprechenden Anwendung solcher Verfahrensnormen, die ebenfalls einen (teilweisen) Leistungsausschluss begründen können.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger sieht, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen, einen systematischen Widerspruch zwischen der Schlussfolgerung, die sich nach Auffassung des Senats aus § 1a AsylbLG ergibt, und § 2 AsylbLG, denn unklar sei dann, ab wann dem nach § 1a AsylbLG Leistungsberechtigten Leistungen nach dem SGB XII zustünden. § 2 AsylbLG nennt jedoch als Voraussetzung des Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII u.a., dass der Leistungsberechtigte über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG (und nicht nur das unabweisbar Gebotene gem. § 1a AsylbLG) erhalten hat, was in Fällen wie dem vorliegenden gerade nicht der Fall ist.

Der Sinn des § 1a Nr. 2 AsylbLG spricht ebenfalls dagegen, den bereits durch ihn dem Grunde nach auf das unabweisbar gebotene Maß bestimmten Leistungsumfang als Kürzung zu verstehen, die davon abhängig ist, dass der Leistungsträger zunächst noch Mitwirkungshandlungen des Leistungsberechtigten unter Fristsetzung einfordert. Ziel des Asylbewerberleistungsgesetzes ist es, die missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Sozialhilfeleistungen zu verhindern und auf diese Weise den Einsatz öffentlicher Mittel für vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer zu begrenzen.

Vgl. Deibel, Die Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber und andere Ausländer, NWVBl. 1993, 441.

Der durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 31.8.1998, BGBl. I S. 2505, in das Gesetz eingefügte § 1a dient diesem Zweck, indem er Fälle rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme (wegen missbräuchlicher Ausreiseverweigerung) von der vollen Inanspruchnahme der Asylbewerberleistungen ausschließt.

Vgl. BT-Drucks. 13/10155 vom 20.3.1998, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, S. 5, 7; Deibel, Leistungsausschluss und Leistungseinschränkung im Asylbewerberleistungsrecht, ZfSH/SGB 1998, 707.

Vor diesem Hintergrund beantwortet sich auch die vom VG aufgeworfene Frage, ob das Sozialstaatsprinzip oder das Rechtsstaatsprinzip fordern, dass der "Kürzung" des Leistungsanspruchs eine vorherige schriftliche Aufforderung vorauszugehen habe, eine bestimmte Mitwirkungshandlung vorzunehmen. Es geht nicht um die Kürzung einer dem Leistungsberechtigten an sich zustehenden Leistung. Vielmehr ist er in den Fällen des § 1a Nr. 2 AsylbLG zur Ausreise verpflichtet und hat daher keinen über §§ 1, 1a AsylbLG hinausgehenden Hilfeanspruch, wenn er es zu vertreten hat, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.

Vgl. wie hier auch LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 25.8.2005 - L 7 Ay 3115/05 ER -B -, FEVS 57, 100.

2. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten in den im vorliegenden Verfahren maßgebenden Monaten aus von den Klägern zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden. Die Kläger sind zur Ausreise verpflichtet gewesen, denn sie wurden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland nur geduldet. Zu den Obliegenheiten des ausreisepflichtigen Ausländers gehört es jedoch grundsätzlich (ohne das es hierzu Belehrungen durch das Ausländeramt oder gerade durch das Sozialamt bedurft hätte), alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen und damit auch die Beschaffung eines gültigen Passes oder zumindest eines Passersatzpapiers unverzüglich einzuleiten und zu betreiben.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.2.1999 - 18 A 5156/96 -, DVBl. 1999, 1222; Beschluss vom 8.5.2000 - 16 B 2033/99 -, GK-AsylbLG VII zu § 1a (OVG Nr. 12); Beschluss vom 6.7.2006 - 18 A 1078/06 -.

Dessen ungeachtet sind die Kläger zu 1. und 2. (und das Verhalten ihrer Eltern müssen sich die Kläger zu 3. bis 9. zurechnen lassen, vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.1995 - 1 C 29.94 -, BVerwGE 99, 341; Beschluss vom 30.4.1997 - 1 B 74.97 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 8.5.2000 - 16 B 2033/99 - a.a.O.; Bay.LSG, Beschluss vom 19.6.2006 - L 11 B 94/06 Ay PKH -, FEVS 58, 189) mit Schreiben des Ausländeramtes auf ihre Ausreisepflicht und insbesondere auf ihre Verpflichtung hingewiesen worden, sich zur Rückkehr berechtigende Pass- oder Passersatzpapiere zu besorgen. Wie das Ausländeramt dem Beklagten mitgeteilt hat, wird die "Familie" ausschließlich wegen fehlender Identitätsnachweise bzw. fehlenden Nachweises der Staatsangehörigkeit geduldet. Es spricht nichts gegen die Annahme, dass es nicht die Kläger (bzw. vor ihrer Volljährigkeit ihre Eltern) zu vertreten haben, dass sie bislang nicht zumindest einen Identitätsnachweis oder eine Bestätigung ihrer angeblichen Staatenlosigkeit vorgelegt haben. (wird ausgeführt)

3. Die vom Beklagten gewährten Leistungen abzüglich des Taschengeldes stellen den unabweisbar gebotenen Lebensunterhalt sicher.

Vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 19.6.2006 - L 11 B 94/06 Ay PKH -, FEVS 58, 189; VG Osnabrück, Beschluss vom 5.11.1999 - 4 B 88/99 -, GK VII zu § 1a (VG Nr. 20); GK § 1a, Rdnr. 174.

Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Kläger auf die Frage, wie das Existenzminimum gesichert werden könne, wenn das Taschengeld dem Leistungsberechtigten (zum Teil über Jahre) vorenthalten werde, geht daran vorbei, dass mit den Leistungen gemäß § 1a AsylbLG gerade kein Daueraufenthalt ermöglicht werden soll und auch nicht vorauszusetzen ist.

Eine Anhörung der Kläger war vor Leistungsbewilligung nicht erforderlich, da mit der Leistungsbewilligung nicht in eine bestehende Rechtsposition der Kläger eingegriffen worden ist, sondern ihnen auf ihren Antrag die Leistungen in dem ihnen zustehenden Umfang bewilligt worden sind.

Ende der Entscheidung

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