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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 13.11.2003
Aktenzeichen: 16 B 1945/03
Rechtsgebiete: VwGO, BSHG, SGB X


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt.
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
BSHG § 88
BSHG § 88 Abs. 3
BSHG § 88 Abs. 4
SGB X § 24
SGB X § 24 Abs. 1
SGB X § 24 Abs. 2 Nr. 1
SGB X § 45 Abs. 1
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 3
SGB X § 45 Abs. 3 Satz 1
1. Auch wenn der Bescheid über die Bewilligung des bewohnerorientierten Aufwendungszuschusses für Investitionskosten vollstationärer Pflegeeinrichtungen (Pflegewohngeld) nur an den Einrichtungsträger gerichtet worden ist, kann sich auch der Bewohner, für den das Pflegegeld gewährt wird, zulässigerweise mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehenen Rücknahme der Pflegewohngeldbewilligung wenden.

2. Dem Antrag des Bewohners auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann nicht allein mit der Erwägung entsprochen werden, der Bewilligungsbescheid sei nur an den Einrichtungsträger gerichtet gewesen, die (auch) an den Bewohner adressierte Rücknahmeentscheidung gehe daher ins Leere, belaste den Bewohner aber mit dem Rechtsschein einer ihn betreffenden Rücknahmeentscheidung.

3. Der Antrag des Bewohners auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn sich die angefochtene Rücknahmeentscheidung nur auf nachfolgende Bewilligungszeiträume bezieht und hinreichende Erkenntnisse darüber vorliegen, dass der Bewohner über einsetzbares Vermögen oberhalb des im Bewilligungszeitraum geltenden Schonbetrags verfügt.


Tatbestand:

Die antragstellende Bewohnerin eines Pflegeheims wandte sich gegen die angeordnete sofortige Vollziehung eines Bescheides, mit dem die an den Heimträger gerichtete Rücknahme der Pflegewohngeldbewilligung zurückgenommen worden ist. Das VG stellte die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Rücknahmebescheid wieder her. Die Beschwerde des Antragsgegners hatte Erfolg.

Gründe:

Die Beschwerde hat Erfolg. Das VG hat zu Unrecht dem Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs stattgegeben.

Das VG hat zunächst zutreffend den auf § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO gestützten Antrag - stillschweigend - für zulässig erachtet, obwohl sich der Rücknahmebescheid vom 26.5.2003 auf den Bewilligungsbescheid vom 10.2.2003 bezog, den der Antragsgegner lediglich an das K.-Stift, in welchem die Antragstellerin lebt, adressiert hat, während die Antragstellerin nur formlos über den Erlass des Bewilligungsbescheides informiert worden ist. Der Anspruch auf den bewohnerorientierten Aufwendungszuschuss für Investitionskosten (Pflegewohngeld) steht zwar nach § 14 Abs. 1 PfG NW nicht (primär) dem Heimbewohner, sondern der Pflegeeinrichtung zu; gleichwohl betraf die Bewilligung des Pflegewohngeldes auch den Rechtskreis der Antragstellerin, so dass ihr dieselben prozessrechtlichen Möglichkeiten wie dem Einrichtungsträger eingeräumt werden müssen, wenn diese Bewilligung versagt oder wie vorliegend zurückgenommen wird. Die öffentliche Förderung der Investitionskosten vollstationärer Pflegeeinrichtungen hat - neben dem öffentlichen Interesse an der Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur (vgl. § 9 Satz 1 SGB XI) - die Interessen sowohl der anspruchsberechtigten Pflegeeinrichtung als auch des jeweiligen Heimbewohners, für dessen Pflegeplatz der Zuschuss gewährt wird, im Blick. Die begriffliche und tatbestandsmäßige Orientierung dieses Zuschusses an einem konkreten Bewohner und dessen wirtschaftlichen Verhältnissen macht deutlich, dass es bei der Gewährung von Pflegewohngeld letztlich auch darum geht, den Pflegebedürftigen finanziell zu entlasten; diese Zielsetzung des Landespflegegesetzes kommt auch in dessen § 1 zum Ausdruck. Dem entspricht, dass dem Heimbewohner durch § 3 Abs. 1 Satz 4 PfGWGVO ein eigenes Antragsrecht eingeräumt ist; dies ist regelmäßig - und auch hier - ein gewichtiges Indiz für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts und der damit einhergehenden prozessualen Befugnisse.

Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003 - 16 A 2789/02 -, m.w.N.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist aber unbegründet.

Entgegen der Annahme des VG kann dem Antrag nicht schon deshalb stattgegeben werden, weil der angefochtene Rücknahmebescheid des Antragsgegners an die Antragstellerin mangels eines in Bezug genommenen korrespondierenden Bewilligungsbescheides "ins Leere" gegangen wäre, der Antragstellerin aber dagegen gleichwohl zur Klarstellung Eilrechtsschutz zugestanden werden müsse. Es trifft schon nicht zu, dass der Rücknahmebescheid an die Antragstellerin ins Leere gegangen ist. Da die Antragstellerin, wie soeben dargestellt, als pflegebedürftige Heimbewohnerin im Hinblick auf das Pflegewohngeld jedenfalls nachrangig antrags- und anspruchsberechtigt ist und aus diesem Grunde selbst gegen die Versagung oder die Rücknahme eines Bewilligungsbescheides an den Einrichtungsträger vorgehen kann, muss die leistungserbringende Behörde auf der anderen Seite auch die Möglichkeit besitzen, zulasten der sekundär berechtigten Heimbewohner bestandskraftfähige Rücknahmebescheide zu erlassen, sofern dies - wie hier - der Sache nach geboten ist.

Der Antrag hat nicht deshalb Erfolg, weil der Antragsgegner die mit dem Rücknahmebescheid verbundene Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht ausreichend begründet hätte. Der Antragsgegner hat insoweit ausgeführt, dass ein öffentliches Interesse an der Vermeidung weiterer rechtswidriger Zahlungen bis zur Entscheidung über mögliche Rechtsbehelfe bestehe; außerdem sei im Falle fortgesetzter Pflegewohngeldzahlungen während eines eventuellen, längere Zeit dauernden Widerspruchs- und Klageverfahrens die nachfolgende Rückabwicklung in Frage gestellt. Damit hat der Antragsgegner, gemessen an den wesentlichen Funktionen der Begründungspflicht - Selbstvergewisserung der Behörde über den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung und Information des Bürgers mit Blick auf seine Rechtsverteidigung -, in ausreichender Weise seine Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung offengelegt. Dass diese Gründe schon für die Rücknahmeentscheidung selbst bedeutsam waren, steht ihrer Eignung im rechtlichen Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht entgegen. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass schon die - im Ermessen der Behörde stehende - Rücknahmeentscheidung selbst einer eingehenden Abwägung der widerstreitenden Belange bedurfte; insoweit hat der Antragsgegner insbesondere seine angespannte Finanzlage ins Feld geführt. Unter solchen Voraussetzungen konnte ihm nicht angesonnen werden, bestimmte wertungsrelevante Umstände gleichsam für die Begründung i.S.v. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO aufzusparen, ohne Gefahr zu laufen, aus diesem Grunde schon wegen eines dann gegebenenfalls anzunehmenden Ermessensfehlers in nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen zu unterliegen. Ob die gegebene Begründung in der Sache überzeugen kann, ist im Zusammenhang mit dem formalen Erfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht relevant; dem ist erst im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung nachzugehen.

Diese vom Gericht zu treffende Entscheidung über die Wiederherstellung der im Grundsatz bestehenden (§ 80 Abs. 1 VwGO), aber im Einzelfall durch die im (besonderen) öffentlichen Interesse zugelassene behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4, 1. Fall VwGO) außer Kraft gesetzten aufschiebenden Wirkung erfordert eine Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte; dabei sind in erster Linie die dem Rechtsbehelf bei summarischer Prüfung zuzubilligenden Erfolgsaussichten von Bedeutung, darüber hinaus aber gegebenenfalls auch das Ergebnis einer allgemeinen und umfassenden Interessenabwägung im Sinne einer die möglichen Handlungsalternativen - sofortiger Vollzug oder Absehen hiervon - in den Blick nehmenden Folgenbetrachtung.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.3.1993 - 1 ER 301.92 -, NJW 1993, 3213; OVG NRW, Beschlüsse vom 22.6.1994 - 5 B 193/94 -, NJW 1994, 2909, vom 14.3.1995 - 25 B 98/95 -, NJW 1995, 2242, und vom 22.3.1999 - 16 B 115/99 -.

Ergibt danach die summarische Prüfung, dass dem eingelegten Widerspruch bzw. der erhobenen Anfechtungsklage offensichtlich Erfolg beschieden sein wird, ist die aufschiebende Wirkung des jeweiligen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Im entgegengesetzten Fall der offensichtlich fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs bleibt auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolglos, sofern sich die Behörde auf ein öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines (sonstigen) Beteiligten berufen kann (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 4.2.1999 - 8 B 2570/98 -.

Lässt sich der voraussichtliche Ausgang des Hauptsacheverfahrens noch nicht - in der einen oder anderen Richtung - in offensichtlicher, Zweifel weithin ausschließender Weise ermitteln, greift die allgemeine und umfassende Interessenabwägung Platz, wobei auch in deren Rahmen die aufgrund summarischer Prüfung anzunehmende Erfolgswahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren ein beachtlicher Gesichtspunkt ist.

Vgl. zum Ganzen auch Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage (1998), Rn. 855 bis 864.

Auf der Grundlage dieses Maßstabes ist der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs unbegründet. Denn es ist für den Senat offensichtlich, dass der angefochtene Rücknahmebescheid rechtmäßig ist und mithin der Widerspruch - bzw. eine sich gegebenenfalls anschließende Anfechtungsklage - erfolglos bleiben wird und dass ein öffentliches Interesse am Sofortvollzug besteht.

Dieser Annahme steht zunächst nicht als formeller Gesichtspunkt im Wege, dass der Antragsgegner vor dem Erlass des Rücknahmebescheides weder die Antragstellerin noch den Einrichtungsträger angehört hat. Von der nach § 24 Abs. 1 SGB X grundsätzlich gebotenen vorherigen Anhörung kann nämlich unter anderem dann abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Das Anliegen des Antragsgegners, in Zeiten knapp bemessener Haushaltsmittel und vielfältiger Sparzwänge als rechtswidrig erkannte Leistungen umgehend einstellen zu können, ohne durch fortbestehende Bewilligungsbescheide daran gehindert zu sein, wird von einem hinreichend gewichtigen öffentlichen Interesse getragen, zumal die zutagegetretene Rechtswidrigkeit der Weitergewährung des Pflegewohngeldes nicht etwa auf möglicherweise einstweilen vernachlässigenswerten formellen Gründen wie etwa Fehlern oder Fristversäumnissen bei der Antragstellung beruht, sondern darauf, dass die angesichts der Rückgriffsmöglichkeit des Einrichtungsträgers letztlich von der Leistung des Pflegewohngeldes begünstigten Heimbewohner nicht im Sinne des Gesetzes bedürftig sind. Auch die in § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X geforderte Eilbedürftigkeit liegt vor. Die Entscheidungen des Senats, in denen erstmals die Vermögensabhängigkeit des Pflegewohngeldanspruchs festgestellt worden ist, datieren vom 9.5.2003. Bis dem Antragsgegner die hierüber informierende Pressemitteilung bekannt wurde, dürften einige Tage vergangen sein. Nachfolgend ergab sich für den Antragsgegner die Notwendigkeit, unter Heranziehung der Hilfeakten die Feststellung zu treffen, welche der bislang Pflegewohngeld beziehenden Heimbewohner (vermutlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit) Vermögen oberhalb der Schongrenze von 2.301 Euro besaßen; es liegt angesichts der Fallzahlen auf der Hand, dass dies einen nicht unerheblichen Zeitaufwand forderte. Dass im Anschluss an diese Feststellungen die Zeit nicht mehr reichte, um zunächst die Betroffenen, also die jeweiligen Einrichtungsträger und die pflegebedürftigen Heimbewohner, in einer dem Sinn und Zweck des § 24 SGB X genügenden Weise anzuhören und dann noch rechtzeitig vor dem 1.6.2003 die Rücknahmebescheide zu erlassen, ist für den Senat nachvollziehbar, zumal der Monat Mai 2003 mit einem Feiertag (Christi Himmelfahrt, 29.5.), einem sog. Brückentag und schließlich einem Samstag zu Ende ging. Im Übrigen würde das laufende Widerspruchsverfahren Gelegenheit bieten, die Anhörung der Antragstellerin nachzuholen und einen etwa vorliegenden dahingehenden Verfahrensmangel gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X zu heilen; es spricht nichts gegen die Erwartung, dass die Widerspruchsbehörde die Einwendungen der Antragstellerin zur Kenntnis nehmen und bei der Widerspruchsentscheidung in Erwägung ziehen wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.8.1982 - 1 C 22.81 -, BVerwGE 66, 111 (114).

Der auf § 45 Abs. 1 SGB X gestützte Rücknahmebescheid ist auch in materieller Hinsicht offensichtlich rechtmäßig.

Ausgehend von der Senatsrechtsprechung, der zufolge der Anspruch auf Gewährung des bewohnerbezogenen Pflegewohngeldes auch vom Vermögen des jeweiligen Heimbewohners abhängt, vgl. Urteil vom 9.5.2003 - 16 A 2789/02 -, Juris; dieses Urteil ist - wie auch die Parallelentscheidungen vom selben Tage -, inzwischen rechtskräftig, nachdem das BVerwG mit Beschluss vom 5.9.2003 - 5 B 60.03 - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen und im Rahmen seines beschränkten Prüfungsrahmens keine Abweichung von bundesrechtlichen Vorgaben festgestellt hat, war der zuletzt (am 10.2.2003) mit Wirkung bis zum 29.2.2004 erlassene Bewilligungsbescheid mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil die Antragstellerin über Vermögen oberhalb der maßgeblichen Schongrenze von 2.301 Euro (vgl. § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der hierzu ergangenen Verordnung) verfügte. Noch im Januar 2003, d.h. wenige Wochen vor dem Erlass des Bewilligungsbescheides, hatte die Antragstellerin ihr Sparvermögen mit 11.041,25 Euro angegeben; im laufenden gerichtlichen Verfahren hat sie dies ausdrücklich bestätigt. Es kann mithin davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt des Erlasses sowohl des Bewilligungsbescheides als auch des Rücknahmebescheides ungeschütztes Vermögen besaß, aus dem sie bis auf Weiteres den auf die sog. Investitionskosten entfallenden Teil der Heimaufwendungen bestreiten konnte. Allein das vorgerückte Alter und die Pflegebedürftigkeit der Antragstellerin begründen auch keine der Vermögensanrechnung entgegenstehende Härte i.S.v. § 88 Abs. 3 BSHG. Das folgt schon daraus, dass diese Gesichtspunkte bereits in der nach Maßgabe des § 88 Abs. 4 BSHG erlassenen Verordnung zu § 88 BSHG berücksichtigt werden und zur Erhöhung des ansonsten auf 1.279 Euro bemessenen sozialhilferechtlichen Schonbetrages geführt haben; sonstige Härten sind weder geltend gemacht worden noch ersichtlich. Schließlich verhält es sich - entgegen dem in der Presseberichterstattung über die oben skizzierte Senatsrechtsprechung zur Vermögensabhängigkeit des Pflegewohngeldanspruches hervorgerufenen Eindruck - auch nicht etwa so, dass diese Entscheidungen noch einer wie auch immer gearteten "Umsetzung", etwa durch den (Landes-)Gesetzgeber, bedurft hätten, um für die Verwaltungspraxis maßgeblich zu sein; vielmehr haben die genannten Urteile gerade aufgezeigt, wie - bis zum 1.8.2003 - die Gesetzeslage war.

Der Antragsgegner hat des Weiteren im Hinblick auf den bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte anzustellenden Vertrauensschutz (§ 45 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB X) eine zutreffende Abwägung vorgenommen. Auch wenn in diese Abwägung die Belange beider Begünstigter, also der Antragstellerin und des Einrichtungsträgers, einzubeziehen waren, musste das öffentliche Interesse des Antragsgegners dahinter nicht zurückstehen; dieses öffentliche Interesse besteht darin, nicht weiterhin als rechtswidrig erkannte Leistungen erbringen zu müssen, wobei die vom Antragsgegner dargelegten und glaubhaften finanziellen Probleme zusätzlich zu Buche schlagen. Dem stehen keine gleichwertigen Schutzbedürfnisse des Einrichtungsträgers bzw. der Antragstellerin gegenüber.

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner die Pflegewohngeldbewilligung lediglich für die Zukunft, nicht etwa, wie grundsätzlich gleichfalls vom Gesetz eröffnet, auch für die Vergangenheit zurückgenommen hat. In einem solchen Falle stellt sich nicht das Problem, dass der Leistungsempfänger bereits im Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit der Bewilligungsbescheide über die ihm gewährten Leistungen verfügt hätte. Auch für konkrete Vermögensdispositionen, die in Erwartung der Weitergewährung von Pflegewohngeld getroffen worden sind, ist nichts ersichtlich. Ohnehin beschränkt sich die nachteilige Wirkung der Bewilligungsrücknahme bzw. der daraus resultierenden Leistungseinstellung für den Einrichtungsträger darauf, dass er darauf verwiesen wird, den auf die investiven Kosten entfallenden Teil des (im Ausgangspunkt) vom Heimbewohner zu bestreitenden Heim- und Pflegeentgelts nunmehr diesem in Rechnung zu stellen. Die Heimaufnahmeverträge sehen die Einstandspflicht der Bewohner für diese Kosten regelmäßig vor (vgl. auch die §§ 5 Abs. 5 und 7 Abs. 1 und 2 des Heimgesetzes). Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Geltendmachung der investiven Heimkosten bei der Antragstellerin auch nur zeitweilig Entgeltausfälle oder aber einen unzumutbaren Verwaltungsaufwand zur Folge hätte. Auch die Antragstellerin hat nicht dargelegt bzw. glaubhaft gemacht, dass die Aktivierung ihres Sparvermögens für die künftige Bestreitung des erhöhten Heimentgelts besondere Schwierigkeiten mit sich brächte. Dass sie aufgrund der jahrelangen Bewilligungspraxis des Antragsgegners in ihrer Erwartung, das ersparte Vermögen auch in Zukunft weithin ungeschmälert erhalten zu können, enttäuscht worden ist, steht außer Frage und wird auch vom Senat erkannt. Es darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass diese vielfach als hart empfundene Vermögensanrechnung ausdrücklich aus dem Gesetz hervorgeht und bei nicht wenigen pflegebedürftigen Heimbewohnern bereits seit geraumer Zeit praktiziert worden ist; die im Widerspruch zur Gesetzeslage stehende Weiterbewilligung des Pflegewohngeldes an vermögende Heimbewohner würde die faktische Ungleichbehandlung der regelungsbetroffenen Personen, von der die Antragstellerin bis einschließlich Mai 2003 mit der Folge eines entsprechend höheren Restvermögens profitiert hat, noch verstärken. Nach alledem kann zugunsten der Antragstellerin auch nicht berücksichtigt werden, dass die mehrjährige gesetzeswidrige Gewährung des Pflegewohngeldes - auch für frühere Bewilligungszeiträume war stets erhebliches Sparvermögen angegeben worden - und damit die Erwartung weiterer Leistungen dem Antragsgegner anzulasten ist, zumal die Rechtslage wegen der lediglich die Einkommensanrechnung aufgreifenden Pflegewohngeldverordnung unübersichtlich war und von zahlreichen Hilfeträgern fehlgedeutet worden ist. Abgesehen davon setzt § 45 SGB X allgemein voraus, dass eine fehlerhafte Leistungsbewilligung vorliegt; es ist nicht gerechtfertigt, außerhalb des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, wo spezielle Fälle der Fehlerverursachung durch den Begünstigten geregelt sind, die alleinige oder überwiegende Verantwortlichkeit der Behörde als entscheidenden Abwägungsfaktor zu berücksichtigen.

Vgl. BSG, Urteil vom 14.11.1985 - 7 RAr 123/84 -, BSGE 59, 157 (164).

Schließlich können die Antragstellerin und gegebenenfalls der Einrichtungsträger auch nicht unter Hinweis auf den langen Bewilligungszeitraum - der vorliegend im August 1999 begonnen hat - Vertrauensschutz beanspruchen. Insoweit wirkt sich aus, dass dieser Gedanke in § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X eine besondere Regelung erfahren hat, die Voraussetzungen dieser Vorschrift aber nicht vorliegen. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann. Ein derartiger Fall liegt hier selbst dann nicht vor, wenn die Vorschrift erweiternd auch auf Fälle angewandt wird, in denen vor mehr als zwei Jahren ein rechtswidriger Ausgangsbescheid und nachfolgend Anpassungsbescheide, die an demselben Fehler leiden, erlassen worden sind.

Vgl. BSG, Urteil vom 15.8.1996 - 9 RV 22/95 -, BSGE 79, 92 (94 ff.); Wiesner, in von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Auflage (2001), § 45 Rn. 28.

Denn vorliegend gelten die einzelnen Bewilligungsbescheide jeweils nur für begrenzte Zeiträume und beruhen jeweils auf eigenständigen, alle Berechnungsfaktoren aufgreifenden Neuberechnungen; sie lassen sich mithin gerade nicht in ein hierarchisches Schema mit einem die Grundlagen dauerhaft regelnden Bescheid zu Beginn und nachfolgenden bloßen Anpassungsbescheiden bringen. Liegen danach die Voraussetzungen des die Rücknahme untersagenden Tatbestandes gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X nicht vor, verbietet es sich, die längere Bewilligungsdauer auch über den Regelungsbereich des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X hinaus als vertrauensschutzbegründenden Umstand heranzuziehen.

Die mithin unter Vertrauensschutzgesichtspunkten unbedenkliche Rücknahme der Pflegewohngeldbewilligung ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner war sich, wie aus dem angefochtenen Rücknahmebescheid hervorgeht, seines Ermessensspielraums bewusst und hat seine diesbezüglichen Erwägungen - die sich nicht in eindeutiger Weise von den Erwägungen trennen lassen, die bereits im Rahmen des zu wahrenden Vertrauensschutzes anzustellen waren - offengelegt. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass dabei Umstände übersehen oder fehlerhaft gewichtet worden sind, die gegen die getroffene Rücknahmeentscheidung hätten sprechen können. Der Antragsgegner war insbesondere nicht gehalten, schon für die Bewilligungsmonate Juni und Juli 2003 die nachfolgend, seit August 2003, geltende günstigere Rechtslage hinsichtlich des Vermögenseinsatzes vorwirkend zu berücksichtigen. Wenngleich dies für Heimbewohner mit einem Vermögen zwischen dem bislang geltenden niedrigen Schonbetrag von 2.301 Euro und dem neuen Schonbetrag von 10.000 Euro (zuzüglich zweier Monatsbeträge des Pflegewohngeldes) bedeutete, dass sie für die genannten zwei Monate ganz oder zum Teil solches Vermögen für die nunmehr ihnen in Rechnung gestellten investiven Heimkosten aufwenden mussten, welches ihnen nach der Neuregelung in Zukunft anrechnungsfrei verbleiben würde, musste der Antragsgegner darin keinen ermessensrelevanten Tatbestand erblicken. Es kann schon nicht angenommen werden, dass zur Zeit des Erlasses des Rücknahmebescheides, also Ende Mai 2003, die Änderung des Vermögensschonbetrages auf 10.000 Euro mit Wirkung ab August 2003 hinreichend sicher feststand. Es lag seinerzeit der Gesetzentwurf der Landesregierung vom 3.2.2003 vor, dessen § 12 mit Wirkung vom 1.7.2003 den Einsatz von Vermögen oberhalb von 10.000 Euro vorsah. Nach einer öffentlichen Anhörung am 30.4.2003 und Ausschussberatungen, die sich bis zum 23.6.2003 erstreckten, wurde das Gesetz am 4.7.2003 vom Landtag verabschiedet, wobei es unter Zurückweisung der insoweit abweichenden Änderungsanträge der Fraktionen von CDU und FDP bei der Vermögensgrenze von 10.000 Euro blieb; als Tag des Inkrafttretens wurde abschließend der 1.8.2003 bestimmt. Der Antragsgegner dürfte mithin gewusst haben, dass im Parlament über eine Änderung des Landespflegegesetzes, auch hinsichtlich der Regelungen über die Vermögensanrechnung, beraten wurde und manches für eine bevorstehende Änderung auch der materiellen Anspruchsvoraussetzungen sprach; ein genaues Ergebnis war indessen noch nicht abzusehen, zumal nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die am 9.5.2003 und damit während des Gesetzgebungsverfahrens ergangenen Senatsurteile zum Pflegewohngeld neue Überlegungen des Gesetzgebers auslösen würden. Abgesehen davon sprachen keine durchgreifenden Gründe dafür, die sonach allenfalls in Umrissen absehbare Änderung der Vermögensschongrenze schon im Vorgriff auf das Inkrafttreten des Änderungsgesetzes ermessenssteuernd zu berücksichtigen. Das geltende Recht sah nun einmal für die Monate Juni und Juli 2003 noch die Geltung des niedrigeren Schonbetrages von 2.301 Euro vor. Es wäre auf eine Korrektur des Gesetzgebers hinausgelaufen, im Ermessenswege die erst ab August 2003 geänderte Anrechnungsregelung schon in den beiden vorangegangenen Monaten anzuwenden. Außerdem hätte ein solches Vorgehen in einem nicht hinnehmbaren Maße diejenigen pflegebedürftigen Heimbewohner in Nordrhein-Westfalen benachteiligt, auf deren Pflegewohngeldanspruch schon vor den klarstellenden Senatsentscheidungen in Übereinstimmung mit dem bereits damals geltenden Recht alles Vermögen oberhalb der Marke von 2.301 Euro angerechnet worden ist.

Erweist sich danach der Rücknahmebescheid als offensichtlich rechtmäßig, kann nicht allein wegen der rechtlichen Ausgestaltung der Rücknahme begünstigender Bescheide als Ermessensentscheidung in Frage gestellt werden, dass der Widerspruch der Antragstellerin dann auch offensichtlich erfolglos bleiben wird. Allein wegen der nur in Ausnahmefällen von vornherein auszuschließenden Möglichkeit, dass die Widerspruchsbehörde die tatbestandlichen Rücknahmevoraussetzungen bejaht und dennoch im Ermessenswege zu einer Abhilfeentscheidung gelangt, ist es nicht gerechtfertigt, in derartigen Fällen generell von der Feststellung einer offensichtlichen Erfolglosigkeit des Widerspruchs Abstand zu nehmen. Eine solche Herangehensweise würde letztlich den Behörden bei als eilbedürftig bewerteten Ermessensentscheidungen umfassend die Möglichkeit entziehen, in "gerichtsfester" Weise die rechtlichen Voraussetzungen des sofortigen Vollzuges herbeizuführen. Zutreffend ist es vielmehr, auch im Bereich von Ermessensentscheidungen jedenfalls dann von der Offensichtlichkeit einer rechtmäßigen Behördenentscheidung auf die offensichtliche Erfolglosigkeit des dagegen angestrengten Rechtsbehelfs zu schließen, wenn - wie vorliegend - keine hinreichend gewichtigen Ermessensgesichtspunkte für eine zusprechende Entscheidung im Widerspruchsverfahren zutagegetreten sind.

Der Antragsgegner kann sich schließlich auch auf ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Rücknahmebescheides vom 26.5.2003 stützen, ohne dass es dabei allein auf die gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gegebene schriftliche Begründung des Antragsgegners ankäme.

Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 5.7.1994 - 18 B 1171/94 -, NWVBl. 1994, 424 (425); Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rn. 855; Puttler, in: Sodan/ Ziekow, VwGO, Loseblatt-Kommentar (Stand: Januar 2003), § 80 Rn. 165; Redeker/von Oertzen, VwGO, Kommentar, 13. Aufl. (2000), § 80 Rn. 52; J.Schmidt, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 11. Aufl. (2000), § 80 Rn. 71; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblatt-Kommentar (Stand: Januar 2003), § 80 Rn. 265; anders Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Aufl. (2003), § 80 Rn. 149 und 153, und wohl auch OVG Schl.-H., Beschluss vom 19.6.1991 - 4 M 43/91 -, NVwZ 1992, 688 (690).

Der Senat hält, wie bereits im Zusammenhang mit dem Unterlassen einer Anhörung nach § 24 SGB X erörtert, die in Rede stehenden fiskalischen Interessen des Antragsgegners für ein den Sofortvollzug rechtfertigendes öffentliches Interesse, vor allem im Hinblick auf die bekanntermaßen angespannte Haushaltslage der Kommunen, die bereits zu umfangreichen Sparmaßnahmen, auch im sozialen Bereich, geführt hat. Die Frage, ob und inwieweit die spätere Rückforderung einstweilen weitergeleisteter Mittel gefährdet oder jedenfalls erschwert wäre, muss daneben nicht mehr erörtert werden.

Ende der Entscheidung

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