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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.09.2009
Aktenzeichen: 17 A 2609/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 85/73/EWG i. d. F. der Richtlinie 93/118/EG


Vorschriften:

Richtlinie 85/73/EWG i. d. F. der Richtlinie 93/118/EG Nr. 4 lit. b des Kapitels I des Anhangs
Richtlinie 85/73/EWG i. d. F. der Richtlinie 96/43/EG Nr. 4 lit. b des Kapitels I des Anhangs A
Für eine auf Nr. 4 lit. b des Kapitels I des Anhangs der Richtlinie 85/73/EWG i. d. F. der Richtlinie 93/118/EG bzw. Nr. 4 lit. b des Kapitels I des Anhangs A der Richtlinie 85/73/EWG i. d. F. der Richtlinie 96/43/EG gestützte Gebührenfestsetzung ist ausreichend, dass ihr eine Gebührenbedarfsberechnung zugrunde liegt, die auf einer verursachungsgerechten Zuordnung der Kosten zu dem einzelnen Schlachtbetrieb auf der Grundlage sorgfältig ermittelter prognostischer Werte basiert.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtsmäßigkeit von Gebühren für fleischhygienerechtliche Untersuchungen in den Jahren 1991 bis 1999. Der Kläger hat geltend gemacht, die Erhebung höherer als der EG-Pauschalgebühren sei aus gemeinschafts-, bundes- und landesrechtlichen Gründen unzulässig. Es wird insbesondere gerügt, dass die Gebührensatzfestsetzung nicht auf eine Gebührenbedarfsberechnung gestützt werden dürfe, die auf prognostischen Werten beruht.

Gründe:

Soweit die Gebührenbescheide Untersuchungshandlungen in dem Zeitraum vom 1.1.1991 bis 31.12.1993 betreffen, sind die diesbezüglichen Gebührenfestsetzungen rechtswidrig. Dies ergibt sich aus der Unvereinbarkeit der ihnen zugrunde liegenden Satzung des Kreises A vom 10.6.1999 (GS) mit den in § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FlGFlHKostG NRW in Bezug genommenen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. (wird ausgeführt)

Soweit die Gebührenbescheide Untersuchungshandlungen ab dem 1.1.1994 betreffen, ist die Gebührenfestsetzung für die Durchführung der Schlachttier- und Fleischuntersuchung nicht zu beanstanden. § 15 Absätze 4, 5, 6 und 7 jeweils in Verbindung mit Unterabsatz zu § 3 Absätze 1 lit. c und 3 GS "Gebühren in gewerblichen Betrieben" findet eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 2 FlGFlHKostG NRW. (wird ausgeführt)

Die geltend gemachten Einwendungen gegen die der Gebührensatzung zugrundeliegende Gebührenkalkulation führen ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des Gebührentarifs.

Es trifft nicht zu, dass die auf Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge gestützten Gebührensätze für die Jahre 1994 bis 1999 mit den Anforderungen der Urteile des EuGH vom 19.3.2009 - C-309/07 - und - C-270/07 -, jeweils juris in den Rechtssachen "Baumann" und "Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland" unvereinbar sind.

Der Kläger leitet aus den vorgenannten Urteilen ab, dass bei einer Gebühr nach Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge nur die realen Kosten erfasst werden dürften (Realkostengebot) und Pauschalierungen nicht zulässig seien (Pauschalierungsverbot). Der Senat folgt diesem rechtlichen Ansatz nicht. Für eine auf Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge gestützte Gebührensatzfestsetzung ist ausreichend, dass ihr eine Gebührenbedarfsberechnung zugrunde liegt, die auf einer verursachungsgerechten Zuordnung der Kosten zu dem einzelnen Schlachtbetrieb auf der Grundlage sorgfältig ermittelter prognostischer Werte basiert.

Der EuGH hat in der Rechtssache "Baumann", a. a. O., Rdn. 20 und 21, sowie in der Rechtssache "Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland", a. a. O., Rdn. 32, an die Ausgestaltung einer Gebühr auf der Grundlage von Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge zwei Anforderungen gestellt: Von ihr kann zum einen allgemein nach Ermessen unter der einzigen Voraussetzung Gebrauch gemacht werden, dass die Gebühr die tatsächlichen Kosten nicht überschreitet. Sie darf zum anderen nicht die Form eines Pauschalbetrages annehmen.

Eine an prognostischen Werten orientierte Gebührenfestsetzung verstößt nicht gegen diese Prinzipien. Diese erfordern lediglich eine verursachungsgerechte Zuordnung aller Kosten der Untersuchungshandlungen zu einem bestimmten Schlachtbetrieb.

In der Rechtssache "Baumann", Rdn. 21, 34, verweist der EuGH zur Begründung des Pauschalierungsverbots auf seine Ausführungen in der Rechtssache "Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland" in Rdn. 32. Diese Ausführungen ("Daraus folgt ...") knüpfen ihrerseits an die Rdn. 31 an, die Bezug nimmt auf die grundlegenden Ausführungen des EuGH im zweiten Teil der Rdn. 56 seines Urteils vom 30.5.2002 in der Rechtssache "Stratmann u. a.", C-284, 288/00, Slg. 2002, I-4611 = DVBl. 2002, 1108. Dort hat er ausgesprochen, dass das Gebrauchmachen von Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge von der Voraussetzung abhängig ist, dass die entsprechende Gebühr sämtliche tatsächlich entstandenen Kosten abdeckt. Daraus folgert er in Rdn. 32 des Urteils "Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland", dass die entsprechende Gebühr zum einen nicht den Betrag der tatsächlichen Kosten überschreiten darf und dass sie zum anderen sämtliche Kosten umfassen muss, ohne dass bestimmte Kosten unberücksichtigt bleiben könnten. Wenn indes sämtliche Kosten für einen bestimmten Betrieb für die Gebührenbemessung relevant sind, variiert im Falle einer - wie hier - zeitvergüteten Untersuchungstätigkeit notwendigerweise die Gebühr von Betrieb zu Betrieb, da in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Bedingungen in den Schlachtbetrieben und der Art der durchzuführenden Untersuchungen unterschiedliche Kosten zu berücksichtigen sind. Für die Abgrenzung der Pauschalgebühr von einer (spezifischen) Gebühr knüpft der EuGH damit an das Kriterium der verursachungsgerechten Zuordnung der Kosten zu dem jeweiligen Schlachtbetrieb an, die es aufgrund dieser Gebührenbemessungsmethode ausschließt, dass die Gebühr in "bestimmten Fällen die tatsächlichen Kosten für die Maßnahmen, die mit ihr finanziert werden sollen, übersteigt und in anderen Fällen niedriger ist" ("Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland", Rdn. 32 a. E.). Eine verursachungsgerechte Zuordnung der "tatsächlichen Kosten" - diese spielen auch für die Gebührenbemessung nach Nr. 4 lit. a der genannten Anhänge, vgl. Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 93/118/EG bzw. Art. 5 Abs. 3 des Anhangs der Richtlinie 96/43/EG eine Rolle, ohne dass hier eine Gebührenkalkulation unter Zugrundelegung prognostischer Werte ausgeschlossen würde - kann sowohl auf der Basis prognostischer Werte als auch auf der Basis (nachträglich) ermittelter realer Werte vorgenommen werden.

Die Erwägungen des EuGH in der Rechtssache "Baumann" zum Pauschalierungsverbot bei einer Gebührenbemessung nach Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge führen zu keiner anderen Beurteilung. Hier steht die Abgrenzung zwischen einer Pauschalgebühr im Sinne der Nr. 4 lit. a der genannten Anhänge von einer (spezifischen) Gebühr im Sinne der Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge im Blickpunkt, nicht hingegen die Frage, ob eine Gebührenkalkulation unter Rückgriff auf prognostische oder auf reale Werte zu erfolgen hat. Denn auch hier hebt der EuGH in Rdn. 34 als Abgrenzungskriterium zur Pauschalgebühr die verursachungsgerechte Zuordnung der tatsächlichen Kosten zu einem bestimmten Betrieb hervor und zieht in Rdn. 35 hieraus die Konsequenz, "dass der von den einzelnen Betrieben zu zahlende Gesamtbetrag der Gebühr von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen kann." Demgegenüber können bei einer Pauschalgebühr, die den einzelnen Betrieb nicht in den Blick nimmt, einem Betrieb auch nicht von ihm verursachte Kosten für einzelne Untersuchungshandlungen zugerechnet werden. Als Beispiele werden in den Schlussanträgen des Generalanwalts Léger vom 21.3.2002 in den Rechtssachen C-284/00 und C-288/00 "Stratmann u. a." in Rdn. 58, auf die der EuGH in dem hierauf ergangenen Urteil in Rdn. 52 zur Bestimmung des Wesens einer Pauschalgebühr rekurriert, Kosten für die Trichinenuntersuchung und die bakteriologischen Untersuchungen genannt, mit denen bei einer Pauschalgebühr auch Betriebe belastet werden können, obwohl sie solche Kontrollmaßnahmen nicht veranlasst haben.

Aus der Formulierung in Rdn. 34 des Urteils des EuGH in der Rechtssache "Baumann" "...welche Kosten die veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen in einem bestimmten Betrieb der zuständigen Behörde tatsächlich verursacht haben .." lassen sich keine weitergehenden Schlüsse dergestalt ziehen, dass lediglich reale Werte Grundlage einer Gebührenbemessung nach Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge sein können. Zwar wird das Perfekt ("Kosten ... tatsächlich verursacht haben") verwandt, das auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt abstellt. Dem kann indes kein ausschlaggebendes Gewicht zukommen. Denn zum einen ist Schwerpunkt der Argumentation des EuGH der Gedanke, dass die Gebühren in Abhängigkeit von der kostenverursachenden Zuordnung von Untersuchungshandlungen zu einem bestimmten Betrieb von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen können. Zum anderen ist in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Rechtssachen "Stratmann u.a.", "Feyrer"), an die seine Urteile vom 19.3.2009 bruchlos anknüpfen, eine Gebührenkalkulation auf der Basis prognostischer Werte nicht in Frage gestellt worden. Im Übrigen gehört es zum Wesen einer Gebühr, dass sie im voraus auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Kalkulation, der prognostische Werte zugrunde liegen, ermittelt wird.

Dass anschließend die einem bestimmten Schlachtbetrieb konkret zugeordneten Kosten pauschalierend (nach Mindestuntersuchungszeiten - Personalkosten - bzw. nach Schlachtgewichten - Verwaltungskosten - ) verteilt worden sind, verletzt das Pauschalierungsverbot nicht. Denn von der Befugnis nach Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge kann nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache "Feyrer", Slg. 1999, I-5153, Rdn. 27, allgemein nach Ermessen unter der einzigen Voraussetzung Gebrauch gemacht werden, dass die Gebühr die tatsächlichen Kosten nicht überschreitet. Die pauschale Zuordnung zu den einzelnen im jeweiligen Schlachtbetrieb untersuchten Tierarten führt zu keiner Änderung der von dem bestimmten Schlachtbetrieb durch die fleischhygienerechtlichen Untersuchungen insgesamt verursachten Kosten.

Auch aus dem zweiten Erfordernis, dass die Gebühr die tatsächlichen Kosten nicht überschreiten darf, folgt kein Verbot einer Gebührenkalkulation auf der Grundlage prognostischer Werte. Im Urteil des EuGH in der Rechtssache "Baumann", a. a. O., wird in Rdn. 36 für eine Gebühr nach Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge die Nachprüfung verlangt, dass die erhobene Gesamtgebühr den tatsächlichen Kosten entspricht. Mit dieser Aussage knüpft der EuGH an den Wortlaut von Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge an, der ebenfalls die tatsächlichen Kosten in Bezug nimmt, die die spezifische Gebühr zu decken hat.

Mit dem Adjektiv "tatsächlich" werden die Kosten als Summe des gesamten Verbrauchs von Gütern und Dienstleistungen zur Erbringung der wirtschaftlichen Leistung (hier: der fleischhygienerechtlichen Untersuchungen) näher konkretisiert. Damit werden - wie zuvor ausgeführt - zum einen der Umfang der Kosten (sämtliche) und der Bezugspunkt im Sinne ihrer verursachungsgerechten Zuordnung zu einem bestimmten Betrieb festgeschrieben. So leitet der EuGH in der Rechtssache "Baumann", a. a. O., Rdn. 34 und 35 aus dem Erfordernis der tatsächlichen Verursachung der Kosten ab, dass diese einzelbetrieblich festzustellen sind, obwohl sich Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge nicht wie Nr. 4 lit. a auf "bestimmte Betriebe" bezieht. Zum anderen kommt darin das Verbot einer Kostenüberdeckung zum Ausdruck. Es lässt sich indes auch anhand einer ordnungsgemäßen Kalkulation auf der Basis prognostischer Werte feststellen, ob eine Gebührenbemessung auf Gewinnerzielung angelegt ist.

Für die hier vertretene Auslegung der Nr. 4 lit. b der genannten Anhänge sprechen weitere Erwägungen:

Durch den Erlass harmonisierter Normen im Bereich der Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch wird eine Gebührentransparenz angestrebt (vgl. Urteil des EuGH in der Rechtssache "Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland", a. a. O., Rdn. 40, 41). Dem Gebührentransparenzgebot lässt sich in der erforderlichen Weise nur genügen, wenn der Gebührenschuldner im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Veterinärbehörden die (endgültige) Gesamtgebühr für die von ihm veranlasste gebührenpflichtige Tätigkeit kennt. Nur in diesem Fall wird er in die Lage versetzt, die Organisation seiner Tätigkeit zu ändern und seine Kosten mit denen anderer Wirtschaftsteilnehmer zu vergleichen. Um die Gebühren vor dem Tätigwerden der Veterinärbehörden zu bestimmen, kommt grundsätzlich nur eine Kalkulation in Betracht, die vor der Gebührenperiode erfolgt. Diese kann allein auf der Grundlage sorgfältiger prognostischer Annahmen vorgenommen werden. Denn nur diese und nicht die realen Daten stehen zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung. Die Notwendigkeit einer vorausschauenden Kalkulation wird ferner mit Blick auf den Gebührenabwälzungsmechanismus deutlich. Nach Art. 4 der Richtlinie 93/118/EG bzw. Nr. 6 des Kapitels I des Anhangs A zur Richtlinie 96/43/EG können die Inhaber oder Eigentümer der Betriebe, in denen die Arbeitsvorgänge durchgeführt werden, die für den betreffenden Arbeitsvorgang erhobene Gebühr auf die natürliche und juristische Person abwälzen, für deren Rechnung die genannten Arbeitsvorgänge durchgeführt werden. Die Gebührenabwälzung würde erheblich beeinträchtigt, wenn erst am Ende der Gebührenperiode - Kalenderjahr - und damit lange nach den die Gebühr auslösenden Arbeitsvorgängen im Schlachtbetrieb die Höhe der Gebühren (endgültig) feststehen würde. Schließlich ist eine Festsetzung der Gebühr aufgrund einer vor der Amtshandlung erfolgenden Kalkulation aus Gründen der Rechtssicherheit geboten. Die Richtlinie geht erkennbar davon aus, dass die Gebühr bei Durchführung der Untersuchungshandlung erhoben wird. Dies kann - wie zuvor ausgeführt - regelmäßig nur gewährleistet werden, wenn die Höhe der Gebühr aufgrund einer Kalkulation mit prognostischen Werten festgelegt worden ist. Hinge die endgültige Wirksamkeit dieses Gebührensatzes aber von einer Rechtfertigung an Hand von nach Ablauf der Gebührenperiode erst feststehender realer Aufwendungen und realer Gebühreneinnahmen ab, schwebte über der Gebührensatzfestsetzung das Damoklesschwert der Nichtigkeit der Gebührensätze mit der Folge einer Rückabwicklung aller Gebührenvorfälle.

Ausgehend von Vorstehendem sind die Gebührensätze nicht zu beanstanden. (wird ausgeführt) ...

Ende der Entscheidung

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