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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 13.03.2009
Aktenzeichen: 18 B 1065/08
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVfG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1
AsylVfG § 42 Satz 1
1. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist für eine Entscheidung über ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch dann weiterhin allein zuständig, wenn die Ausländerbehörde in der von ihr zu erlassenden Abschiebungsandrohung einen Zielstaat bezeichnet, hinsichtlich dessen das Bundesamt Abschiebungsverbote nicht geprüft hat.

2. In einem solchen Fall kann der Ausländer eine entsprechende Klärung nur durch ein Folgeschutzgesuch beim Bundesamt herbeiführen.


Tatbestand:

Die Antragsteller reisten 1999 unter falschen Namen in das Bundesgebiet ein. In ihrem Asylverfahren gaben sie an, albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo zu sein. Mit Bescheid vom 25.6.1999 stellte das frühere Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) nach entsprechender verwaltungsgerichtlicher Verpflichtung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 AuslG zu Gunsten der Antragsteller fest. Daraufhin erteilte der Antragsgegner den Antragstellern Aufenthaltsbefugnisse, die nach dem 1.1.2005 als Aufenthaltserlaubnisse fortgalten. Mit Bescheid vom 13.5.2004 widerrief das Bundesamt die Feststellungen zu § 51 AuslG und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG hinsichtlich des Kosovo. Nachdem sich später herausstellte, dass die Antragsteller tatsächlich aus Albanien stammten, lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragsteller auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse ab und drohte ihnen die Abschiebung nach Albanien an. Das hiergegen gerichtete Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos. Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter und berufen sich im Wesentlichen auf eine besondere Härte, die sie bei einer Rückkehr nach Albanien erwarte.

Gründe:

Die Antragsteller berufen sich mit der Beschwerde auf eine besondere Härte, die die Antragstellerin zu 1. wegen ihres früheren Ehemannes bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Albanien zu erwarten habe; sie gerate aufgrund der Ehescheidung in eine lebensbedrohliche Situation, da zum einen "durch das patriarchalisch-islamistische System Leib und Leben durch den Ex-Ehemann gefährdet wäre" und sie zum anderen keine Möglichkeit der Integration in die Gesellschaft hätten. Damit machen die Antragsteller ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer im Zielstaat einer Abschiebung ("dort") drohenden erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben geltend. Sinngemäß berufen sie sich damit auf ein Aufenthaltsrecht aus § 25 Abs. 3, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 AufenthG und stellen zugleich die Rechtmäßigkeit der mit der Ordnungsverfügung verbundenen Abschiebungsandrohung in Bezug auf Albanien in Frage, §§ 59 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 AufenthG.

Mit diesem Vorbringen hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg, weil sich die Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner nicht auf das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen können. Das folgt für beide Antragsteller daraus, dass sie ehemalige Asylbewerber sind und das Bundesamt im Verfahren um den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung mit Bescheid vom 13.5.2004 das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) verneint hat. Wegen der strikten Aufteilung der Zuständigkeiten (§§ 5 Abs. 1 Satz 2, 24 Abs. 2, 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG) und der nach § 42 Satz 1 AsylVfG bestehenden Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes entfällt damit prinzipiell die Befugnis der Ausländerbehörde zur Entscheidung.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16.7.2008 - 18 A 1489/08 -, AuAS 2008, 233, und vom 3.9.2007 - 18 B 558/07 -.

Die Zuständigkeit des Bundesamtes endet, wie §§ 42 Satz 2, 73 Abs. 3 AsylVfG zeigen, nicht mit dem Abschluss des Asylverfahrens, sondern wirkt auch bei einer späteren Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten oder zu Lasten des Antragstellers fort. Solange die negative oder positive Feststellung des Bundesamtes Bestand hat, ist die Ausländerbehörde hieran gebunden. Zu einer eigenen inhaltlichen Prüfung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist in derartigen Fällen die Ausländerbehörde ebenso wie die Gerichte im Aufenthaltserlaubnisverfahren weder berechtigt noch verpflichtet. Eine eigene Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde kommt daher grundsätzlich nur bei Ausländern in Betracht, die zuvor kein Asylverfahren betrieben haben.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 = NVwZ 2006, 1509, und vom 22.11.2005 - 1 C 18.04 -, BVerwGE 124, 326 = DVBl. 2006, 517.

Die Bindungswirkung hängt nicht davon ab, mit welchen Umständen das Bundesamt sich im einzelnen befasst hat, so dass die Ausländerbehörde auch dann an die (negative) Entscheidung des Bundesamtes über das Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbots gebunden ist, wenn im behördlichen und dem sich anschließenden gerichtlichen Asylverfahren eine Gefahr mangels Vortrages nicht geprüft wurde. Folglich geht auch in einem solchen Fall die Prüfungskompetenz nicht auf die Ausländerbehörde über.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7.9.1999 - 1 C 6.99 -, InfAuslR 2000, 16 = NVwZ 2000, 204.

Die nach § 24 Abs. 2 AsylVfG gegebene Zuständigkeit zur Feststellung eines Abschiebungsverbots und die Bindungswirkungen einer bereits vorliegenden Entscheidung über das Vorliegen eines solchen Verbots entfällt daher nicht, wenn der Ausländer - wie hier - im Asylverfahren über seine Herkunft getäuscht hat und dementsprechend diesbezügliche Abschiebungsverbote im vorangegangenen Asylverfahren nicht geprüft werden konnten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.7.2000 - 9 C 42.99 -, BVerwG 111, 343 = AuAS 2001, 3, für den Fall einer späteren Konkretisierung des Zielstaates der Abschiebung.

Die Annahme einer Zuständigkeit der Ausländerbehörde zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO ist auch hier nicht ausnahmsweise deshalb erforderlich, weil das Bundesamt im Widerrufsverfahren mangels einer in § 73 AsylVfG vorhandenen Rechtsgrundlage und der wegen des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht kommenden analogen Anwendbarkeit des § 34 AsylVfG gehindert war, die Abschiebungsandrohung zu erlassen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.3.2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77 = NVwZ 2000, 940, und vom 23.11.1999 - 9 C 16.99 -, BVerwGE 110, 111 = InfAuslR 2000, 125; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 73 AsylVfG Rdnr. 27, 31.

Damit verblieb es insoweit zwar bei der allgemeinen Zuständigkeit der Ausländerbehörde mit der Folge, dass diese in Anwendung des § 59 Abs. 2 AufenthG berechtigt war, den Zielstaat der Abschiebung zu bestimmen. Eine Befugnis der Ausländerbehörde zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedingt dies aber nicht. Sie ist auch nicht geboten. Dies wäre möglicherweise dann der Fall, wenn das Bundesamt an einer Prüfung eines Abschiebungsverbots im Hinblick auf den von der Ausländerbehörde benannten Zielstaat gehindert wäre.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 -, a. a. O., für den Fall, dass das Bundesamt wegen eines Abschiebestopp-Erlasses eine entsprechende Feststellung nicht treffen kann.

Ein solches Hindernis liegt hier nicht vor. Es ergibt sich insbesondere nicht aus dem Auseinanderfallen der Zuständigkeiten einerseits des Bundesamtes und andererseits der Ausländerbehörde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.2000 - 9 C 41.99 -, a. a. O.

Ob hinsichtlich des in der Abschiebungsandrohung benannten Zielstaats ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, lässt sich getrennt von der Abschiebungsandrohung feststellen. Dies zeigen bereits die Fälle des Widerrufs und der Rücknahme der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung (§ 73 AsylVfG). Hier ist das Bundesamt, wie dargelegt, zwar nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung berechtigt, gleichwohl aber zu einer Feststellung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten verpflichtet, da ein Fall des § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, in dem ausnahmsweise von einer entsprechenden Feststellung abgesehen werden kann, nicht (mehr) vorliegt.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.6.2006 - A 2 S 571/05 -, AuAS 2006, 175. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach in der von der Ausländerbehörde zu erlassenden Abschiebungsandrohung der Staat zu bezeichnen ist, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf, steht einer isolierten Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ebenfalls nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn der Zielstaat erstmals in der von der Ausländerbehörde zu erlassenden Abschiebungsandrohung benannt und diesbezügliche Abschiebungshindernisse nicht bereits zuvor vom Bundesamt geprüft wurden. In einem solchen Fall kann eine entsprechende Klärung regelmäßig durch einen beim Bundesamt zu stellenden Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. § 51 Abs. 5 VwVfG herbeigeführt werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.3.2000 - 9 C 41.99 -, a. a. O., und vom 25.7.2000 - 9 C 42.99 -, a. a. O.; OVG NRW, Beschluss vom 16.7.2008 - 18 A 1489/08 -.

An die erneute positive oder negative Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylVfG gebunden, sodass gegebenenfalls eine entsprechende Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung benannten Zielstaat zu unterbleiben hat. Ein Rechtsschutzvakuum, das eine Entscheidungsbefugnis der Ausländerbehörde bedingen könnte, besteht daher auch in diesem Fall nicht.

Aus § 72 Abs. 2 AufenthG, der allgemein die Ausländerbehörde verpflichtet, vor einer Entscheidung über das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse das Bundesamt zu beteiligen, um dessen besondere Sachkunde hinsichtlich der Verhältnisse im Herkunftsland des Ausländers nutzbar zu machen, ergibt sich nichts anderes. § 72 Abs. 2 AufenthG setzt ebenso wie § 79 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde voraus, begründet eine solche aber nicht. Eine eigene Zuständigkeit der Ausländerbehörde besteht vorliegend - wie dargelegt - indes wegen des von den Antragstellern betriebenen Asylverfahrens nicht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 -, a. a. O.

Die Verneinung einer Prüfungszuständigkeit der Ausländerbehörde führt nicht zu einer Schlechterstellung des Ausländers, denn die Ausländerbehörde ist aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gehalten, den Zielstaat vor der Abschiebung so rechtzeitig bekannt zu geben, dass dem Ausländer die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, der mit Blick auf das Folgeschutzersuchen ausschließlich gegenüber dem Bundesamt in Betracht kommt, möglich ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.7.2000 - 9 C 42.99 -, a. a. O.; OVG NRW, Beschluss vom 14.9.2005 - 18 B 1424/05 - .

Ende der Entscheidung

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