Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 18 B 1088/06
Rechtsgebiete: VwGO, FEVG, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1
FEVG § 3
FEVG § 12
FEVG § 10 Abs. 2
FEVG § 8 Abs. 1 Satz 3
AufenthG § 62
AufenthG § 62 Abs. 2
AufenthG § 106 Abs. 2 Satz 2
Die Entscheidung über ein auf die Entlassung aus der Abschiebungshaft gerichtetes Begehren ist nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) ausschließlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen.
Gründe:

Der sinngemäß letztlich auf die Entlassung aus der Abschiebungshaft gerichtete Antrag der Antragstellerin,

den Antragsgegner zu verpflichten, sie aus der Abschiebehaft zu entlassen bzw. den Antrag auf Verhängung von Abschiebehaft zurückzunehmen,

ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und des weiter mit ausländerrechtlichen Streitigkeiten befassten 17. Senats des beschließenden Gerichts nicht mit einem gegen die Ausländerbehörde gerichteten Antrag auf dem Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu verfolgen.

Vgl. OVG NRW Beschlüsse vom 12.2.1993 - 18 B 8/93 -, vom 28.1.2000 - 18 B 129/00 -, vom 15.10.2001 -17 B 1082/01 -, vom 4.4.2002 - 17 B 445/02 -, und vom 9.4.2003 - 18 B 266/03 -.

Es handelt sich zwar um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, doch ist diese im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch §§ 3, 12 FEVG der ordentlichen Gerichtsbarkeit, nämlich dem Amtsgericht, zugewiesen (vgl. auch § 106 Abs. 2 AufenthG).

So auch BVerwG, Urteil vom 23.6.1981 - 1 C 93.76 -, BVerwGE 62, 317; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 26.6.1988 - 11 B 346/87 -, NVwZ-RR 1989, 441, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung; Hailbronner, AuslR, April 2006, § 62 AufenthG Rn. 108; Melchior, Abschiebungshaft, 01/2001, Anlage: Rechtsprechungsübersicht - Haftgründe, Abgrenzungsfragen, www.abschiebungshaft.de.

Die gegenteilige Auffassung,

vgl. OVG Saarl., Beschluss vom 11.1.2001 - 9 V 52/00, 9 W 1/01 -, InfAuslR 2001, 172; VG Aachen, Beschluss vom 8.3.2000 - 8 L 101/00 -, InfAuslR 2000, 227; VG Berlin, Beschluss vom 4.11.1998 - VG 35 F 69/98 -, InfAuslR 1999, 80; Zeitler, HTK-AuslR / § 62 AufenthG, Anm.1; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 62 AufenthG Rn. 30,

vermag nicht zu überzeugen, weil damit eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Überschneidung der Rechtswege verbunden ist. Die eingeschränkte Prüfungszuständigkeit des Haftrichters in Bezug auf die Abschiebungsvoraussetzungen rechtfertigt es selbst mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht, partiell eine parallele Rechtswegzuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzuerkennen. Maßgeblich ist insoweit, dass der Haftantrag der Ausländerbehörde, seine Rücknahme und die Beantragung der Aufhebung der Freiheitsentziehung unselbständige Bestandteile eines einheitlichen Freiheitsentziehungsverfahrens sind, das durch das Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) den Amtsgerichten zugewiesen worden ist (§§ 3 S. 1, 9, 10 Abs. 2, 12 FEVG). Zwar vermittelt der für die Abschiebungshaft einschlägige § 62 Abs. 2 AufenthG dem Haftrichter grundsätzlich nur eine eingeschränkte Prüfungsmöglichkeit. Ihm steht keine Entscheidungskompetenz zu, soweit sie den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten von Gesetzes wegen zugewiesen worden ist. Eine Rechtsschutzlücke entsteht dadurch jedoch nicht. Insoweit wird der gebotene Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit gewährleistet. Außerdem ist der Haftrichter in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen (vgl. § 10 Abs. 1 FEVG) zur Prüfung verpflichtet ist, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung oder Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft (noch) vorliegen, insbesondere ob die Erforderlichkeit der Haft als Mittel der Sicherung der Abschiebung als "vorangestelltes Tatbestandsmerkmal",

vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.1994 - 2 BvL 12, 93, 45/93, DVBl. 1994, 1404,

noch gegeben ist. Die Effektivität des Rechtsschutzes wird ferner dadurch gesichert, dass der Haftrichter den Ausländer gegebenenfalls über die Möglichkeit zur Erlangung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes aufzuklären hat (vgl. §§ 5 Abs. 1, 12 FEVG) und durch eine entsprechende zeitliche Gestaltung des Verfahrens, bis hin zur vorübergehenden Aussetzung der Entscheidung über den Haftantrag, den (Grund-)Rechten des Betroffenen Geltung verschaffen kann.

Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 15.12.2000 - 2 BvR 347/00 -, InfAuslR 2001, 116; BGH, Beschluss vom 25.9.1980 - VII ZB 5/80 -, NJW 1981, 527; KG Berlin, Beschluss vom 5.9.1996 - 25 W 5316/96 -, NVwZ 1997, 516; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.7.1997 - 11 Wx 44/97 -, NVwZ 1998, 214; OLG Köln, Beschluss vom 16.3.2001 - 16 Wx 39/01 -, NVwZ-Beilage I 10/2001, 112 ; Hailbronner, a.a.O.; Beichel-Benedetti/Gutmann, Die Abschiebungshaft in der gerichtlichen Praxis, NJW 2004, 3015.

Zudem hat der inhaftierte Ausländer jederzeit die Möglichkeit, nach § 10 Abs. 2 FEVG das Amtsgericht zur Aufhebung der Freiheitsentziehung anzurufen.

Die Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 3 FEVG, nach der die eine Freiheitsentziehung anordnende Entscheidung von der zuständigen Verwaltungsbehörde vollzogen wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn in ihr auch die Verpflichtung der Ausländerbehörde zu sehen ist, ungeachtet ihrer diesbezüglichen Handlungspflichten gegenüber dem zuständigen Amtsgericht, und ohne dass dieses die Haftanordnung zuvor aufgehoben hat, eigenverantwortlich darüber zu befinden, ob, wann und wie lange eine Freiheitsentziehung innerhalb der vom Gericht angeordneten Geltungsdauer vollstreckt werden soll,

vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.5.1995 - 3 Wx 149/95 -, NVwZ-Beilage 1996, 8; Melchior, a.a.O., Nr. 402,

führt die Norm jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art nicht auf die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs. Sie betrifft den Vollzug einer amtsgerichtlichen Haftanordnung und nicht die hier in Rede stehende Entlassung aus der Abschiebungshaft, wie auch die Regelung in § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verdeutlicht. Insoweit bestimmt die Herkunft des Vollstreckungstitels die Rechtswegzuständigkeit.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21.1.1993 - 25 A 89/90 -, NWVBl. 1993, 358.



Ende der Entscheidung

Zurück