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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 08.03.2006
Aktenzeichen: 18 B 130/06
Rechtsgebiete: AufenthG, ARB 1/80, Richtlinie 2004/38/EG
Vorschriften:
AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 | |
ARB 1/80 Art. 7 | |
Richtlinie 2004/38/EG § 11 Abs. 2 | |
Richtlinie 2004/38/EG § 16 Abs. 3 |
2. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erlischt unter anderem, wenn der betreffende Familienangehörige das Gebiet des ihn aufnehmenden Mitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt (im Anschluss an EuGH, u. a. Urteil vom 7.6.2005 - Rs. C-373/03 [Aydinli], NVwZ 2005, 1292).
3. Für die Frage, wann ein erheblicher Zeitraum im oben genannten Sinne vorliegt, kann als Richtschnur der Zeitraum von sechs Monaten herangezogen werden (im Anschluss an OVG NRW, Beschluss vom 9.12.2002 - 18 B 840/02 -, AuAS 2003, 74).
Gründe:
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.
Der Antragsteller macht zur Begründung der Beschwerde zunächst geltend, er lebe seit Jahren in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, mit der er auch verlobt sei. Ob das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht zutrifft, kann dahinstehen. Denn jedenfalls führt es entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht auf die Annahme besonderen Ausweisungsschutzes nach der allein in Betracht kommenden Bestimmung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Eine Verlobte ist keine Familienangehörige,
OVG NRW, Beschlüsse vom 12.2.1991 - 18 B 84/91 -, InfAuslR 1991, 187, und vom 9.8.2002 - 18 B 864/01 -; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 56 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 1, § 56 Rn. 8, § 55 Rn. 114, m.w.N., und eine nichteheliche Lebensgefährtin keine Lebenspartnerin im Sinne dieser Bestimmung; weder ein Verlöbnis noch eine nichteheliche Lebensgemeinschaft stellt ferner eine familiäre oder lebenspartnerschaftliche Lebensgemeinschaft in ihrem Sinne dar, denn unter den Begriff des Lebenspartners bzw. der lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG fallen nur (gleichgeschlechtliche) Lebensgemeinschaften im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 16.2.2001 (BGBl. I S. 266) bzw. die daran beteiligten Partner.
Vgl. auch 56.1.3. i.V.m. 27.2.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG; Hailbronner, a.a.O., m.w.N.
Aufgrund welcher "jüngsten gesetzlichen Änderungen" der Antragsteller sich "eindrucksvoll" für seine abweichende Auffassung bestätigt sieht, ist nicht dargetan und nicht erkennbar. Abgesehen davon geht sein Vorbringen an der angegriffenen Entscheidung und dem darin zutreffend zugrunde gelegten rechtlichen Ansatzpunkt vorbei, wenn er argumentiert, wegen des Bestehens der Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner Verlobten seien die Ausführungen des VG zumindest unter Ermessensgesichtspunkten nicht haltbar; denn erst, wenn - was hier indessen gerade zu klären ist - besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG eingriffe und zudem eine Ausnahme von der dann einschlägigen Regelausweisung (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) vorläge, wäre über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden.
Das VG hat auch zu Recht festgestellt, dass dem Antragsteller eine Assoziationsberechtigung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) nicht zukommt. Zur - kursorisch behaupteten - Assoziationsberechtigung des Antragstellers nach Art. 6 ARB 1/80 fehlt jede weitere Darlegung in der Beschwerdeschrift. Auch an der Richtigkeit der Ausführungen des VG zur Assoziationsberechtigung des Antragstellers nach Art. 7 Sätze 1 und 2 ARB 1/80 vermag die Beschwerde keine durchgreifenden Zweifel zu wecken. Das VG hat zutreffend angenommen, dass der Antragsteller - soweit ihm, was demnach offen bleiben kann, ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 zu diesem Zeitpunkt noch zukam - dieses Recht spätestens durch seine Ausreise in die Türkei im Jahre 1988 verloren hat. Dort hat er sich für 15 Monate aufgehalten, um ein der Familie gehörendes Wohn- und Geschäftshaus fertig zu stellen; ferner hat er in dieser Zeit eine deutsche Staatsangehörige geheiratet.
Nach der Rechtsprechung des EuGH verliert ein Familienangehöriger seine Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 unter anderem dann, wenn er das Gebiet des ihn aufnehmenden Mitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt.
Vgl. Urteile vom 16.3.2000 - Rs. C-329/97 - (Ergat), InfAuslR 2000, 217, vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - (Cetinkaya), InfAuslR 2005, 13, und vom 7.6.2005 - Rs. C-373/03 - (Aydinli), NVwZ 2005, 1292.
In diesem Sinne ist auch die Rechtsprechung des Senats zu verstehen, wonach es zum Erlöschen eines Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 führt, wenn der Integrationszusammenhang durch Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet verloren geht, wovon regelmäßig bereits nach sechsmonatiger Abwesenheit von Deutschland auszugehen ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.12.2002 - 18 B 840/02 - m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 9.6.2000 - 10 ZS 00.1366 -, InfAuslR 2000, 424; Armbruster, HTK-AuslR / Art. 7 ARB 1/80, Anm. 5.
Dass die Dauer von sechs Monaten jedenfalls als Richtschnur für die Frage nach dem (un-)erheblichen Zeitraum weiterhin herangezogen werden kann, folgt nunmehr aus §§ 11 Abs. 2 und 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.4.2004), wonach im Hinblick auf die Kontinuität des Aufenthalts im Rahmen des Rechts auf Daueraufenthalt und die Gültigkeit der Aufenthaltskarte vorübergehende Abwesenheiten von bis zu sechs Monaten unschädlich sind.
Vgl. auch EuGH, Urteil vom 17.4.1997 - Rs. C-351/95 - (Kadiman), InfAuslR 1997, 281; Armbruster, a.a.O.
Aus dem Verweis der Beschwerde auf die Entscheidung des EuGH vom 16.2.20004 - Rs. C-502/04 - (Torun), www.curia.eu.int, die auf das Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG an den Gerichtshof vom 3.8.2004 - 1 C 27/02 -, Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 41, ergangen ist, ergibt sich nichts anderes. Im Gegenteil hat der EuGH darin seine oben genannte Rechtsprechung ausdrücklich in Bezug genommen und wiederholt (vgl. Rn. 21, 25).
Hiervon ausgehend ist indessen vorliegend von einem Erlöschen einer etwa noch innegehaltenen Rechtsstellung des Antragstellers aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 auszugehen. Der Antragsteller hat das Bundesgebiet im Jahre 1988 für 15 Monate und damit für einen erheblichen Zeitraum verlassen. Den oben als Anhaltspunkt herangezogenen Zeitraum von sechs Monaten hat er damit um das 2 1/2fache überschritten. Bei einer Ausreise von solcher Dauer wird in aller Regel von der Aufgabe des Lebensmittelpunkts im Aufnahmestaat auszugehen sein. Berechtigte Gründe, die es rechtfertigten, vorliegend trotz dieses erheblichen Zeitablaufs vom Fortbestand des Integrationszusammenhangs in Deutschland auszugehen, sind nicht ersichtlich; das Gegenteil ist der Fall. Diente der 15-monatige Aufenthalt des Antragstellers in der Türkei nämlich - wie es hier vorgetragen wird - der Fertigstellung eines Wohn- und Geschäftshauses, drängt sich gerade die Annahme auf, dass dieser seinen Lebensmittelpunkt in die Türkei verlagert hatte, zumal allein für die Beaufsichtigung des Baufortschritts kaum ein durchgängiger Aufenthalt in der Türkei von solcher Dauer erforderlich gewesen sein dürfte. Der Umstand, dass der Antragsteller schließlich auch in der Türkei geheiratet hat - wenn auch eine deutsche Staatsangehörige -, bestätigt das noch. Den Verwaltungsvorgängen ist ferner zu entnehmen, dass nach dem Antragsteller, der schon damals mehrfach straffällig geworden war, zum Zeitpunkt der Ausreise aus Deutschland gefahndet wurde; die Annahme, dass in der Absicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen - zu jenem Zeitpunkt wegen schweren Raubes und räuberischer Erpressung -, zumindest auch ein Grund für die Ausreise gelegen hat, liegt nahe; es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass dieser Grund allerdings nicht berechtigt gewesen wäre. Dafür, dass und aufgrund welcher Zusammenhänge vorliegend gleichwohl ein Fortbestehen des Integrationszusammenhangs in Deutschland anzunehmen sein soll, ist weder etwas vorgetragen noch sonst erkennbar.
Die zutreffenden Ausführungen des VG dazu, dass und warum der Antragsteller durch seine erneute Einreise nach Deutschland im Jahre 1990 keine neuen Rechte aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 erworben hat, zieht der Antragsteller nicht durch weitere substantiierte Einwände in Zweifel.
Ende der Entscheidung
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