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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.05.2007
Aktenzeichen: 18 B 2389/06
Rechtsgebiete: Richtlinie 2004/38/EG, ARB 1/80, EG, Zusatzprotokoll EWG-Türkei, AufenthG, VwVfG NRW, VwGO
Vorschriften:
Richtlinie 2004/38/EG Art. 28 Abs. 2, 3 | |
ARB 1/80 Art. 7 | |
ARB 1/80 Art. 14 | |
EG Art. 39 | |
EG Art. 40 | |
EG Art. 41 | |
Zusatzprotokoll EWG-Türkei Art. 59 | |
AufenthG § 59 Abs. 1 | |
VwVfG NRW § 37 Abs. 1 | |
VwGO § 155 Abs. 1 Satz 3 |
2. Auch einem Inhaftierten kann in einer Abschiebungsandrohung eine Ausreisefrist gesetzt werden.
3. Wird die Aussetzung der Vollziehbarkeit einer Ausweisung nebst einer Abschiebungsandrohung begehrt und hat der Antrag nur hinsichtlich der Abschiebungsandrohung Erfolg, können dem Antragsteller die Verfahrenskosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO insgesamt auferlegt werden (nur Leitsatz).
Tatbestand:
Der am 22.1.1982 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und hat von Geburt an in Deutschland gelebt. Er wurde mit Urteil des AG I. vom 4.11.1999 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und gemeinschaftlichen Computerbetrugs in zwei Fällen zu Dauerarrest von zwei Wochen und mit Urteil des LG I. vom 8.3.2004 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit Verfügung vom 10.8.2005 wies der Antragsgegner den Antragsteller befristet bis zum 31.12.2010 aus Deutschland aus, forderte ihn mit weiterer Verfügung vom 7.8.2006 zur Ausreise auf, drohte ihm - widrigenfalls - seine Abschiebung an und ordnete nachträglich die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung an. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hatte lediglich in Bezug auf die Abschiebungsandrohung Erfolg.
Gründe:
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses nur, soweit es um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2. der Verfügung des Antragsgegners vom 7.8.2006 geht (dazu B.). In Bezug auf die Ausweisung unter Ziffer 1. der Verfügung des Antragsgegners vom 10.8.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.4.2006 bleibt die Beschwerde erfolglos (dazu A.) Die Kritik der Beschwerde gegen die Anwendung der vom VG insoweit zugrunde gelegten rechtlichen Maßgaben auf den Fall des Antragstellers greift nicht durch (1.) Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG kann der Antragsteller nicht beanspruchen, denn die Vorschrift ist auf ihn als Assoziationsberechtigten unanwendbar (2.).
A. 1. Mit der Beschwerde werden die vom VG herangezogenen rechtlichen Grundlagen - mit einer möglichen, nachfolgend unter 2. erörterten Ausnahme - ganz überwiegend nicht beanstandet; angegriffen wird deren Anwendung auf den Fall des Antragstellers. Im Wesentlichen macht der Antragsteller mit der Beschwerde geltend, seine Ausweisung sei ermessensfehlerhaft bzw. unverhältnismäßig bzw. im Lichte von Art. 3 Abs. 3 ENA i.V.m. § 56 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AufenthG angesichts seiner überwiegenden Interessen am Verbleib in Deutschland nicht zu rechtfertigen. Zur Begründung führt er aus, dass von ihm eine gegenwärtige (Wiederholungs-) Gefahr bzw. eine schwere gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht ausgehe. Allein aus der abgeurteilten Tat, wegen der er inhaftiert sei, könne das nicht abgeleitet werden. Außerdem habe er sich wiederholt - zuletzt mit Schreiben vom 20.10.2006 - um fachliche Hilfe in der Haft bemüht, die ihm aber verweigert werde.
(...)
Mit der Beschwerde werden die überzeugenden Feststellungen des VG, wonach im Fall des Antragstellers aufgrund seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, so dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Interesse am Verbleib in Deutschland deutlich überwiegt, auch im Übrigen nicht durchgreifend in Frage gestellt. (wird ausgeführt)
2. Auch der Verweis auf Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 35; ber. ABl. L 229 vom 29.6.2004, S. 35) über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten [...], (Unionsbürgerrichtlinie - im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) verhilft dem Antragsteller nicht zum Erfolg. Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG ist - wie das VG festgestellt hat - auf Berechtigte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) (im Folgenden: Assoziationsberechtigte[r/n]) nicht anwendbar, in diesem Sinne auch Nds. OVG, Beschlüsse vom 6.6.2005 - 11 ME 39/05 -, NVwZ-RR 2005, 654, und vom 5.10.2005 - 11 ME 247/05 -, DVBl. 2006, 64 (Ls.); VG Düsseldorf, etwa Beschluss vom 10.2.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 (269 ff.), sowie Urteile vom 27.4.2006 - 24 K 7588/04 -, www.nrwe.de, und vom 16.1.2007 - 27 K 4870/06 -; VG Arnsberg, Urteil vom 16.5.2006 - 8 K 2170705 -; Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, Band 4, D 5.2 Art. 14 Rn. 11 ff.; a.A. Hess. VGH, Beschluss vom 12.7.2006 - 12 TG 494/06 -, InfAuslR 2006, 393; OVG Rh.-Pf, Urteil vom 5.12.2006 - 7 A 10924/06 -, InfAuslR 2007, 148; VG Karlsruhe, Urteil vom 9.11.2006 - 2 K 1559/06 -, juris; Gutmann, InfAuslR 2005, 402 f., und InfAuslR 2006, 271, und damit auch nicht auf den Antragsteller, der sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen kann.
Nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG darf gegen Unionsbürger, die in den letzten zehn Jahren ihren Aufenthalt im Aufnahmestaat gehabt haben, eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt werden. Unmittelbar kann der Antragsteller daraus für sich nichts herleiten, weil er türkischer Staatsangehöriger und damit kein Unionsbürger ist. Über seine Ausweisung ist aber auch nicht entsprechend der Maßgaben nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG zu entscheiden.
Allerdings hat der EuGH wiederholt entschieden, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EGV (jetzt: Art. 39, 40 und 41 EG) geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf Assoziationsberechtigte übertragen werden sollen.
Vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 6.6.1995, Rs. C-434/93 (Bozkurt), InfAuslR 1995, 261; vom 10.2.2000, Rs. C-340/97 (Nazli), DVBl. 2000, 550 m.w.N., vom 11.11.2004, Rs. C-467/02 (Cetinkaya), DVBl. 2005, 11, und vom 2.6.2005, Rs. C-136/03 (Dörr und Ünal), InfAuslR 2005, 289.
Zur Begründung hat der EuGH auf die Übereinstimmung des Wortlauts von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit dem des Art. 48 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 39 Abs. 3 EG) und das Ziel der Assoziationsvereinbarung mit der Türkei sowie auf Art. 12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.9.1963 (BGBl. 1964 II S. 509) - Assoziierungsabkommen - verwiesen. Danach haben die Vertragsparteien vereinbart, sich von Art. 48, 49 und 50 EGV (jetzt: Art. 39, 40 und 41 EG) leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.
Davon ausgehend hat der EuGH insbesondere bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung der Assoziationsrechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung darauf abgestellt, wie die gleiche Beschränkung im Bereich der Freizügigkeit solcher Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird. Für diese waren bisher die konkreten Einzelheiten des Ausweisungsrechts in der Richtlinie 64/221/EWG festgelegt, die vom EuGH als Konkretisierung des Art. 39 Abs. 3 EG aufgefasst wurde.
Vgl. EuGH, Urteile vom 10.2.2000, Rs. C-347/97 (Nazli), a.a.O., vom 11.11.2004, Rs. C-467/02 (Cetinkaya), a.a.O., und vom 2.6.2005, Rs. C-136/03 (Dörr und Ünal), a.a.O.
Diese Maßgaben sind Grundlage der ständigen Senatsrechtsprechung.
Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 29.4.1993 - 18 B 4386/92 -, InfAuslR 1993, 288, vom 29.1.2001 - 18 B 116/01 -, AuAS 2001, 137, und vom 13.2.2004 - 17 B 1227/02 -, InfAuslR 2004, 224.
Ihnen hat sich das BVerwG angeschlossen; auch nach seiner Rechtsprechung liegt es nahe, den gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz für Assoziationsberechtigte in gleicher Weise materiellrechtlich zu begründen und auszugestalten wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger.
BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 (320 f.).
Im Anschluss daran wird die Auffassung vertreten, die Grundsätze des Ausweisungsschutzes nach der Richtlinie 2004/38/EG, die an die Stelle der Richtlinie 64/221/EWG getreten ist, gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie, die nach ihren Art. 40 Abs. 1, 41 am 30.4.2004 in Kraft getreten ist und bis zum 30.4.2006 in nationales Recht umzusetzen war, ist die Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben worden, seien als weitere und nunmehr geltende Konkretisierung und Ausgestaltung von Art. 39 Abs. 3 EG auf Assoziationsberechtigte anzuwenden. Anhaltspunkte, warum dies anders zu sehen sein könnte, sollen nicht gegeben sein.
So Hess. VGH, Beschluss vom 12.7.2006 - 12 TG 494/06 -; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5.12.2006 - 7 A 10924/06 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 9.11.2006 - 2 K 1559/06 -, jeweils a.a.O.
Dem ist nicht zu folgen. Die Auffassung lässt außer Acht, dass die Richtlinie 2004/38/EG insbesondere in ihrer hier in Rede stehenden Bestimmung Ausdruck der qualitativ über die Arbeitnehmerfreizügigkeit hinausgehenden Unionsbürgerschaft und des daraus fließenden Rechts allein der Unionsbürger auf Daueraufenthalt ist (a). Der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie auf Assoziationsberechtigte steht ferner Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.9.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation vom 23.11.1970 (BGBl. II 1972 S. 385 - im Folgenden: Zusatzprotokoll) entgegen (b).
a) Zwar hat der EuGH zu Art. 48 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 39 Abs. 3 EG) ausgeführt, dass dieser bereits die grundlegende Regelung zur Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft enthalte und im Verhältnis dazu die Richtlinie 64/221/EWG kein neues Recht schaffe, sondern lediglich die Einzelheiten der Ausübung der unmittelbar aus dem Vertrag fließenden Rechte regele.
Vgl. EuGH, Urteil vom 8.4.1976 - Rs. 48/75 -, NJW 1976, 2065.
Daraus folgt jedoch nicht, dass wegen der gleichlautenden Beschränkungsregelung in Art. 39 Abs. 3 EG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ("aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit") die für Unionsbürger geltenden Einschränkungen stets zugleich auf Assoziationsberechtigte anzuwenden sind. Aus dem vom EuGH aufgestellten Grundsatz, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39, 40 und 41 EG) geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger "soweit wie möglich" auf Assoziationsberechtigte übertragen werden sollen, folgt vielmehr die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Differenzierung. Entsprochen werden soll lediglich der Forderung aus Art. 36 des Zusatzprotokolls, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei schrittweise herzustellen. Das führte unter der Geltung der Richtlinie 64/221/EWG, die insofern keine Differenzierung vorsah, dazu, Assoziationsberechtigte hinsichtlich der Möglichkeiten einer Beschränkung ihrer Aufenthaltsrechte mit (arbeitnehmerfreizügigkeitsberechtigten) Unionsbürgern gleichzubehandeln. Nunmehr enthält die Richtlinie 2004/38/EG jedoch Sonderregelungen, die - wie Art. 16 und 28 Abs. 2 und 3 - ausschließlich Unionsbürgern zukommen.
Gegen die Übertragbarkeit des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf Assoziationsberechtigte spricht vor allem der qualitative Unterschied zwischen der durch den ARB 1/80 allein begründeten Arbeitnehmerfreizügigkeit und den Rechten der Unionsbürger, wie sie in der Richtlinie niedergelegt sind und den hier in Rede stehenden Bestimmungen zugrunde liegen. Diese Rechte gehen deutlich über die Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hinaus. Die Richtlinie ist insbesondere die Konsequenz aus der Einführung der allgemeinen Freizügigkeit für Unionsbürger (Art. 18 EG); mit ihr sind die bislang bereichsspezifischen und fragmentarischen Regelungen der Freizügigkeit für Arbeitnehmer, Selbstständige und Dienstleistende durch die Schaffung eines einheitlichen Rechtsaktes über die Freizügigkeit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen abgelöst worden. Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie, die - wie der besondere Ausweisungsschutz nach deren Art. 28 Abs. 2 und 3 - spezifisch auf dem Unionsbürgerstatus beruhen, können für die Auslegung des Art. 14 ARB 1/80 nicht herangezogen werden.
Das wesentliche mit der Richtlinie 2004/38/EG verfolgte Ziel ist es, die Bedeutung der Unionsbürgerschaft und der darauf beruhenden Rechte der Unionsbürger auf Freizügigkeit und Aufenthalt zu verstärken. Dies verdeutlichen bereits ihre Erwägungsgründe. Die Richtlinie ist gestützt auf Art. 12, 18, 40, 44 und 52 EG. Schon der erste Erwägungsgrund hebt maßgeblich auf die Unionsbürgerschaft und deren besonderen Charakter ab. Darin wird betont, die Unionsbürgerschaft verleihe jedem Unionsbürger das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten - vorbehaltlich vorgesehener Beschränkungen und Bedingungen - frei zu bewegen und aufzuhalten. Mit dem dritten Erwägungsgrund wird der Charakter der Unionsbürgerschaft als grundsätzlicher Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten hervorgehoben, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen. Weiter ist darin ausgeführt, die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente, die Arbeitnehmer und andere Personengruppen getrennt behandelten, müssten kodifiziert und überarbeitet werden, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken. Dazu heißt es im 17. Erwägungsgrund, ein Recht auf Daueraufenthalt für Unionsbürger, die beschlossen haben, sich dauerhaft in einem Mitgliedstaat niederzulassen, würde das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt - einem grundlegenden Ziel der Union - beitragen.
Entsprechendes ergibt sich aus den Stellungnahmen, auf die sich die Richtlinie ausdrücklich stützt, nämlich aus dem Vorschlag der Kommission vom 29.6.2001, ABl. C 270 E, S. 150, dessen Begründung mit der der Richtlinie weitgehend übereinstimmt, aus der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 24.4.2002, ABl. C 149, S. 46, sowie aus der Stellungnahme des Ausschusses der Regionen vom 13.3.2002, ABl. C 192, S. 17. In der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 24.4.2002 ist u.a. ausgeführt, die Vorlage sei ein neuer Schritt, um den Bürgern die Ausübung ihres gegenwärtig durch vielfältige Behinderungen eingeschränkten Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt in der ganzen Union zu erleichtern (dort 3.2). In der Stellungnahme des Ausschusses der Regionen vom 13.3.2002 heißt es beispielsweise einleitend unter 1.1., der Ausschuss begrüße den Richtlinienvorschlag, der das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, stärken solle.
Davon ausgehend regeln Kapitel 4 der Richtlinie ein Recht zum Daueraufenthalt und daran anschließend Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG einen besonderen Ausweisungsschutz für Daueraufenthaltsberechtigte bzw. Unionsbürger mit langem Aufenthalt. Durch Letzteres wird eine sich von allen Unionsbürgern durch qualifizierende Merkmale hervorhebende Gruppe von Unionsbürgern privilegiert. Dergleichen scheidet bei Assoziationsberechtigten bereits vom Ansatz her aus. Diese werden nicht zu Unionsbürgern, sondern haben lediglich partiell teil an deren Rechten. Die Befugnisse der Assoziationsberechtigten sind begrenzt auf den Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Zudem unterscheiden sich grundlegend Begründung und Verlust der Gemeinschaftsrechte bei einerseits Unionsbürgern und andererseits Assoziationsberechtigten. Mit der Einfügung des Art. 18 (seinerzeit als Art. 8a) durch den Maastrichter Unionsvertrag wurde das freie Aufenthaltsrecht allgemein und ohne ausdrücklichen Bezug zur wirtschaftlichen Betätigung als Recht aller Unionsbürger begründet. Es wird jedem Unionsbürger weitgehend ohne Rechtsbedingung zugestanden und ist dem unfreiwilligen Verlust nicht zugänglich.
Vgl. Kluth, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 3. Auflage 2007, Art. 18 Rn. 15, Art. 39 Rn. 4; Streinz, EUV/EGV, Kommentar, 2003, Art. 18 Rn. 1, 9; auch 11. Erwägungsgrund der RL.
Dagegen ist das Aufenthaltsrecht der Assoziationsberechtigten notwendige Folge ihrer Rechte als Arbeitnehmer. Ihr Status beruht auf der Erfüllung bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen nach ARB 1/80 und erlischt bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 14 ARB 1/80 bzw. bei Verlassen des aufnehmenden Mitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe.
Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 16.2.2006, Rs. C-502/04 (Torun); Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 11.1.2007, Rs. C-325/05 (Derin), und des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004, Rs. C-275/02 (Ayaz).
Gegen die Auffassung, dass die Regelungen der Richtlinie 2004/38/EG über den Ausweisungsschutz dem EG-Vertrag immanent seien, spricht auch, dass sie im Wege eines Kompromisses zustande gekommen sind. Der Europäische Rat hat dabei in wesentlichen Punkten und insbesondere im Hinblick auf den Schutz vor Ausweisung Änderungen gegenüber weitergehenden Vorschlägen der Kommission und des Europäischen Parlaments durchgesetzt. Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie in der Fassung des Vorschlags der Kommission vom 29.6.2001, ABl. C 270 E, S. 150 sah nämlich vor, dass gegen Unionsbürger und ihre Familiengehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt erlangt haben, eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit überhaupt nicht verfügt werden durfte. Vor diesem Hintergrund bedürfte es einer (überzeugenden) Begründung, wenn Art. 14 ARB 1/80 bzw. Art. 39 Abs. 3 EG zu entnehmen sein soll, dass nach präzise zehn Jahren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat und ohne Berücksichtigung weiterer Aspekte der besondere Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie einzugreifen hat. Eine solche ist nicht ersichtlich. Sie folgt insbesondere nicht zwingend aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Dieser ist bereits von der gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erforderlichen Prüfung der dort aufgeführten wesentlichen Umstände umfasst (vgl. auch 23. Erwägungsgrund), die den Stand des bislang gewährleisteten Ausweisungsschutzes wiedergibt.
Vgl. auch Hailbronner, a.a.O., Rn. 16.
Zu bedenken ist daneben, dass die Übertragung des weitgehenden Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 2, 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf Assoziationsberechtigte im Hinblick auf das Ziel der Stärkung des sozialen Zusammenhalts der Unionsbürger durch die Normierung eines abgesicherten Rechts auf Daueraufenthalt kontraproduktiv wirken könnte. Denn wie es im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG anklingt, wiederspiegelt die Gewährung eines solchen von der Arbeitnehmereigenschaft oder weiteren Voraussetzungen losgelösten Daueraufenthaltsrechts für Unionsbürger die Reichweite der Integration in einer für den einzelnen Unionsbürger konkret und alltäglich erfahrbaren Dimension.
Vgl. Kluth, in: Callies/Ruffert, a.a.O., Art. 18 Rn. 3.
Diese mit der Richtlinie beabsichtigte Wirkung könnte - umgekehrt - verwässert werden, wenn ein ebenso abgesichertes Recht auch Assoziationsberechtigten zugebilligt würde, bei denen dies nicht auf dem grundlegenden Status der Unionsbürgerschaft beruht, sondern in der Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt wurzelt.
Nicht zuletzt geht der Senat davon aus, dass sich das dargelegte Verständnis der Norm des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG im Übrigen schon aus dieser selbst ergibt. Es spricht - ohne dass dies anlässlich des vorliegenden Falls entschieden werden müsste - viel dafür, dass die Norm ebenso wie Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG das Bestehen des Rechts auf Daueraufenthalt voraussetzt. Damit wäre sie auf Assoziationsberechtigte schon deshalb unanwendbar, weil diese das Recht auf Daueraufenthalt nicht erwerben können. Zwar normiert Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG anders als Art. 28 Abs. 2 diese Voraussetzung nicht ausdrücklich. Für dieses Verständnis streitet aber, dass die Absätze 1 bis 3 des Art. 28 ein Stufenverhältnis von dem am wenigsten strikten Ausweisungsschutz in Art. 28 Abs. 1 hin zum weitestgehenden in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG bilden. Es wäre inkonsequent, wenn das Tatbestandsmerkmal "die das Recht auf Daueraufenthalt ... genießen", zwar zu den Anforderungen des schwächeren Schutzes nach Art. 28 Abs. 2, nicht aber zu denen des weitergehenden Schutzes nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG gehörte. Für dieses Verständnis streitet auch die Fassung der Richtlinie im Vorschlag der Kommission vom 29.6.2001, ABl. C 270 E, S. 150, in der (dort) Art. 26 Abs. 1 im Wesentlichen dem jetzigen Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG entsprach, die Absätze 2 und 3 jedoch in der Weise zusammengefasst waren, dass gegen Unionsbürger und ihre Familiengehörigen, letztere ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt erlangt haben, eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht verfügt werden durfte. Auch für einen danach absoluten Ausweisungsschutz sollte mithin das Recht auf Daueraufenthalt erforderlich sein.
Das Recht auf Daueraufenthalt können Assoziationsberechtigte nach dem Gemeinschaftsrecht nicht erwerben. Es ist mit der Richtlinie 2004/38/EG erstmals normiert worden (dort Kapitel 4) und beruht gerade auf der Unionsbürgerschaft. Das Assoziationsrecht sieht hingegen ein Daueraufenthaltsrecht unabhängig von der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt nicht vor.
Vgl. auch Hailbronner, a.a.O., Rn. 14.
Nach allem gibt es keinen Grund, gemeinschaftsrechtliche Regelungen, die für Unionsbürger mit dem Willen zur dauerhaften Niederlassung in einem Aufnahmemitgliedstaat geschaffen worden sind und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Unionsbürger verstärken sollen, auf Assoziationsberechtigte anzuwenden, für die das Assoziationsrecht kein Daueraufenthaltsrecht vorsieht.
b) Eine Auslegung des Art. 14 ARB 1/80 dahin, dass die Maßstäbe des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG auf Assoziationsberechtigte entsprechend angewendet würden, verstieße außerdem gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls.
Nach Art. 59 des Zusatzprotokolls darf der Türkei in den von dem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander auf Grund des Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft einräumen (Besserstellungsverbot). Das sekundäre Gemeinschaftsrecht, hier die Richtlinie 2004/38/EG, ist unter Beachtung des Art. 59 des Zusatzprotokolls auszulegen.
Eine nach Art. 59 des Zusatzprotokolls unzulässige Besserstellung von Assoziationsberechtigten bzw. Schlechterstellung von Unionsbürgern ergäbe sich im Falle der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie auf Assoziationsberechtigte im Hinblick auf drittstaatsangehörige Familienangehörige. Der europäische Gesetzgeber hat den über ein Daueraufenthaltsrecht verfügenden drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern zwar in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie erhöhten Ausweisungsschutz zugestanden, nicht aber den besonderen Schutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG. Würde diese Vorschrift auf durch Art. 7 ARB 1/80 geschützte Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer, seien sie türkische Staatsangehörige oder sonstige Drittstaatsangehörige, entsprechend angewandt, würden demgegenüber nicht nur die drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern unmittelbar ungünstiger behandelt, sondern mittelbar auch die mit diesen in familiärer Gemeinschaft lebenden Unionsbürger selbst, so dass Art. 59 des Zusatzprotokolls verletzt würde.
Vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 16.1.2007 - 27 K 4870/06 -, a.a.O.
B. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2. der Verfügung des Antragsgegners vom 7.8.2006 ist indessen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO anzuordnen. Das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung dieser Verfügung vorerst verschont zu bleiben, überwiegt gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil die Abschiebungsandrohung so, wie sie in der Verfügung vom 7.8.2006 gefasst ist, den Anforderungen des verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht genügt. (wird ausgeführt)
Nach allem kann anlässlich des vorliegenden Falles offen bleiben, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen von der Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist, die gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG erfolgen soll, in den Fällen der Inhaftierung des Ausländers abgesehen werden kann.
Vgl. dazu Hailbronner, a.a.O., § 59 Rn. 47; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 59 Rn. 14; Wenger, in: Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, § 59 Rn. 3.
Der Senat weist jedoch darauf hin, dass er es für unbedenklich hält, in solchen Fällen eine Frist zu setzen, die - ungeachtet des Umstands, dass der Betroffene infolge seiner Inhaftierung einer Aufforderung zur Ausreise nicht nachzukommen vermag - diesem die Möglichkeit eröffnet, sich auf die Ausreise vorzubereiten.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 11.3.2002 - 18 B 849/01 -.
Ferner sei klargestellt, dass es dem Antragsgegner unbenommen ist, die beanstandete Abschiebungsandrohung aufzuheben und eine den Anforderungen genügende Abschiebungsandrohung zu erlassen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.3.2005 - 18 B 419/05 -; auch BVerwG, Urteil vom 25.3.1981 - 8 C 69.80 -, BVerwGE 62, 80 (85).
Ende der Entscheidung
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