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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 18 B 44/06
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 5
AufenthG § 60a
AufenthG § 81
EMRK § 8
VwGO § 123
1. Die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung kann jedenfalls für ausländische Kinder im Alter von bis zu 12 Jahren, die in Haushaltsgemeinschaft mit ihren in Deutschland geduldeten Eltern leben, nicht allein aus ihrem langjährigen Aufenthalt in Deutschland und ihrer Integration in die hiesigen Verhältnisse abgeleitet werden.

2. Es besteht aus gesetzessystematischen Gründen kein Duldungsanspruch für die Dauer eines auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gerichteten Verfahrens, wenn keine Fiktionswirkung eingetreten ist.


Tatbestand:

Bei den Antragstellern handelt es sich um aus Serbien-Montenegro stammende Roma. Zu der Familie gehören neben den Eltern, die 1992 nach Deutschland gekommen sind, drei Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren. Die Antragsteller leben nach erfolgloser Durchführung von Asylverfahren geduldet in Deutschland. Ihr auf Gewährung von Abschiebungsschutz gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Die Antragsteller haben (weiterhin) nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz vorliegen.

Die Antragsteller berufen sich mit der Beschwerde lediglich darauf (und erläutern dies näher), den Antragstellern zu 3. bis 5. sei ein Aufenthaltsrecht gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu gewähren, weil sie in Deutschland integriert seien; in der Folge könnten auch ihre Eltern, die Antragsteller zu 1. und 2., ein Aufenthaltsrecht beanspruchen, weil sie die Antragsteller zu 3. bis 5. betreuen müssten. Dabei versteht der Senat die Beschwerdebegründung - wenn sie auch vordergründig allein darauf abstellt, den Antragstellern stehe ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, der hier unmittelbar nicht streitgegenständlich ist - dahin, dass mit ihr implizit - auch - geltend gemacht werden soll, die Voraussetzungen für die Abschiebung lägen wegen rechtlicher Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG nicht vor.

Auch bei diesem Verständnis verhilft das Vorbringen der Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg. Insoweit führt der Senat in der Kürze der für die Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeit nur Folgendes aus: Die Abschiebung ist wegen der geltend gemachten Integration der Antragsteller zu 3. bis 5. nicht, wie § 60a Abs. 2 AufenthG voraussetzt, aus tatsächlichen oder - was mit der Beschwerde allein geltend gemacht wird - rechtlichen Gründen unmöglich. Ansatzpunkte für eine daraus folgende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung könnten allein Art. 8 EMRK - Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens - oder der aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, abzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bieten. Dabei ist das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 13.2.2003 - 42326/98 -, NJW 2003, 2145; OVG NRW, Beschluss vom 21.7.2005 - 19 B 939/05 -, und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen. In dieses Recht kann nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eingegriffen werden. Die danach (wiederum) gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung, vgl. hierzu und zu den nach der Rechtsprechung des EGMR beachtlichen Kriterien BVerfG, Beschluss vom 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, EuGRZ 2004, 317, 319 f. = InfAuslR 2004, 280, 282 f.; BVerwG, Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, ergibt jedoch nicht, dass die Abschiebung der Antragsteller unverhältnismäßig ist. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, dass die Antragsteller zu 3. bis 5. erst fünf bis zwölf Jahre alt sind. Jedenfalls für Kinder in diesem Alter kann die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung nicht allein aus ihrem langjährigen Aufenthalt in Deutschland und ihrer Integration in die hiesigen Verhältnisse abgeleitet werden. Ihr rechtliches und tatsächliches Schicksal ist rechtlich weitgehend an das ihrer Eltern und deren Entscheidungen angebunden: Ihre Eltern sind für minderjährige Kinder sorgeberechtigt und haben auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht inne. Kinder im Alter unter 16 Jahren sind gemäß § 80 Abs. 1 AufenthG auch ausländerrechtlich noch nicht handlungsfähig, und ihnen kann noch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht gemäß § 35 AufenthG gewährt werden.

Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 1.6.2005 - 18 B 677/05 - und vom 14.6.2005 - 18 B 963/05 -, jeweils mit weiteren Nachweisen; VG Lüneburg, Urteil vom 5.10.2005 - 4 A 131/04 -, juris.

Abgesehen davon kann aufgrund ihres geringen Lebensalters auch ihre Verwurzelung im bisherigen Aufenthaltsland nicht so tiefgehend sein wie bei jungen (erwachsenen) Menschen, die ihre gesamte Sozialisation dort verbracht haben.

Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2005 - 6 K 5/04 -, juris.

Angemerkt sei, dass auch die Entscheidung des VG Stuttgart, auf die sich die Beschwerde stützt, gemeint ist dabei vermutlich das Urteil vom 11.10.2005 - 11 K 5363/03 -, Asylmagazin 12/2005, 29, insoweit nichts für die Antragsteller hergibt. Denn in dieser Entscheidung, in der zudem - anders als hier - ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG inmitten stand, wird die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne dieser Bestimmung gerade aus Umständen hergeleitet, die bei den 15 und 17 Jahre alten Klägern gegeben waren, ausdrücklich nicht aber aus solchen, die bei dem erst achtjährigen Geschwisterkind - einer weiteren Klägerin - vorlagen. Inwieweit der Entscheidung ansonsten gefolgt werden könnte, muss anlässlich des vorliegenden Falls folglich nicht entschieden werden.

Kann eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung der Antragsteller zu 3. bis 5. aus den mit der Beschwerde vorgebrachten Gründen mithin nicht angenommen werden, gilt das Entsprechende für die Abschiebung der Antragsteller zu 1. und 2., denn die Beschwerde folgert die Unmöglichkeit der Abschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. allein daraus, dass die Antragsteller zu 3. bis 5. nicht abgeschoben werden dürften.

Ist eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG der Antragsteller nach Allem nicht anzunehmen, liegt aus denselben Erwägungen auch keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des mit jener Regelung korrespondierenden § 25 Abs. 5 AufenthG vor.

Ohne dass sich die Beschwerde darauf berufen hätte, sei ergänzend darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung bzw. auf Gewährung von Abschiebungsschutz den Antragstellern auch nicht allein im Hinblick darauf zusteht, dass sie am 3. Januar 2006 beim Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG beantragt haben. Da dieser Antrag mangels rechtmäßigen Aufenthalts der Antragsteller ein fiktives Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht auszulösen vermag, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung allein wegen des geltend gemachten Anspruchs aus § 25 AufenthG und für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich - und so auch hier - aus.

Vgl. näher OVG NRW, Beschlüsse vom 1.6.2005 - 18 B 677/05 - und vom 13.9.2005 - 18 B 1567/05 - mit Nachweisen auch hinsichtlich der entsprechenden Rechtslage zum Ausländergesetz 1990.

Ende der Entscheidung

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