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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.07.2006
Aktenzeichen: 18 B 586/06
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVfG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG § 60a Abs. 2
AsylVfG § 24 Abs. 2
AsylVfG § 42
1. Ein inlandsbezogenes Ausreisehindernis in Form der Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Ausreise bzw. Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird.

2. Zur Vermeidung einer derartigen Reiseunfähigkeit kann es bei Bedarf erforderlich sein, den Übergang des Ausländers in eine Versorgung und Betreuung im Zielstaat zu gewährleisten, ohne dass dort zugleich seine dauerhafte Versorgung sichergestellt sein muss.

3. Insofern ist der Ausländer wie bei der allgemeinen medizinischen Versorgung (vgl. Senatsbeschluss vom 6.9.2004 - 18 B 2661/03 -) regelmäßig auf den allgemein üblichen Standard im Heimatland zu verweisen.


Gründe:

Die Beschwerde ist nicht begründet. Aus der von der Antragstellerin dargelegten, gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat nur zu prüfenden Gründen ergibt sich nicht, dass die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht erfolgt ist.

Die Beschwerde wird unter Berufung auf den Senatsbeschluss vom 2.7.2004 - 18 B 830/04 - im Wesentlichen darauf gestützt, das wegen der psychischen Erkrankungen der Antragstellerin nicht von deren Reisefähigkeit ausgegangen werden könne, weil der Antragsgegner keinerlei Vorkehrungen für eine diesbezügliche Behandlung der Antragstellerin nach ihrer Ankunft im Heimatland getroffen habe. Eine Fortsetzung der Behandlung sei aber nach den Feststellungen des Gesundheitsamtes des Antragsgegners erforderlich und werde auch vom VG seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

Insoweit ist zwar festzustellen, dass der Antragsgegner nach Aktenklage tatsächlich eine Fortsetzung der Behandlung im Heimatland nicht sicher gestellt hat. Darauf kommt es allerdings im Rahmen der hier nur in Rede stehenden und sich nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu beurteilenden Reisefähigkeit nicht an. Insofern missversteht die Antragstellerin den von ihr zitierten vorgenannten Senatsbeschluss. Nach diesem liegt ein inlandsbezogenes Ausreisehindernis in Form der Reiseunfähigkeit vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Ausreise bzw. Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird.

Vgl. OVG NRW Beschluss vom 24.2.2006 - 18 A 916/05 -

Dabei bestimmen sich die Anforderungen an die staatliche Schutzpflicht nach den Besonderheiten des Einzelfalls. Der Ausländerbehörde obliegt es, ggf. durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung, die notwendigen Vorkehrungen - etwa durch ärztliche Hilfen bis hin zur Flugbegleitung - zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 16.4.2002 - 2 BvR 553/02 -, InfAuslR 2002, 415.

Dazu gehört nach der Senatsrechtsprechung beispielsweise auch, dass bei Bedarf die Schutzpflicht nicht bereits mit der Ankunft des Ausländers im Zielstaat endet, sondern zeitlich bis zum Übergang in eine Versorgung und Betreuung im Zielstaat fortdauert.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.7.2004 - 18 B 830/04 -, vom 28.3.2003 - 18 B 35/03 - und vom 3.7.2006 - 18 E 702/06 -.

Das kann der Fall sein, wenn dem Ausländer unmittelbar nach seiner Ankunft im Zielstaat eine Gesundheitsgefährdung im vorgenannten Sinne droht, etwa weil er einer Betreuung - zu deren Bedeutung im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.5.2004 - 18 B 1242/03 - bzw. einer zwingenden medizinischen Behandlung (z.B. Dialyse) bedarf, - vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28.3.2003 - 18 B 35/03 - oder er einen ununterbrochenen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten haben muss. In derartigen Situationen ist sicher zu stellen, dass erforderliche Hilfen - wie hier durch die vom Antragsgegner beabsichtigte Mitgabe von Medikamenten für drei Monate - rechtzeitig nach der Ankunft im Heimatland zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer wie bei der allgemeinen medizinischen Versorgung - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.9.2004 - 18 B 2661/03 -, InfAuslR 2004, 438 = NVwZ-RR 2005, 359 = AuAS 2005, 31 = EZAR 043 Nr. 66 - auch in diesem Zusammenhang regelmäßig auf den allgemein üblichen Standard der Möglichkeiten in seinem Heimatland zu verweisen ist.

Davon zu unterscheiden ist die hier mit der Beschwerde sinngemäß geltend gemachte dauerhafte Versorgung im Zielstaat. Die damit angesprochene Weiterführung einer ärztlichen/psychologischen Versorgung ist grundsätzlich keine Voraussetzung der Reisefähigkeit als inlandsbezogenes Ausreisehindernis. Vielmehr handelt es sich dann, wenn es an einer ausreichenden Behandelbarkeit einer Erkrankung im Heimatland fehlen sollte, um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, - vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13.12.2005 - 18 B 2005/05 - das sich nach der insofern mit Ausländergesetz 1990 deckenden Gesetzessystematik des Aufenthaltsgesetzes - vgl. zum AuslG 1990 OVG NRW, Beschluss vom 27.11.2003 - 18 B 662/03 - nach dessen § 60 Abs. 7 beurteilt. Zudem hat hierüber wegen der strikten Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und der Ausländerbehörde gemäß §§ 24 Abs. 2, 42 AsylVfG das Bundesamt mit Bindungswirkung für die Ausländerbehörde zu befinden, - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.3.2006 - 18 B 266/06 - wenn - wie hier, zuletzt bezüglich eines Folgeschutzgesuchs nach § 53 AuslG durch Bescheid vom 22.6.2004 - zuvor ein Asylverfahren betrieben worden ist.

Von dem Vorstehenden ausgehend wäre das Beschwerdevorbringen nur entscheidungserheblich, wenn es auf eine Reiseunfähigkeit führte. Als Beurteilungsgrundlage kann insoweit - womit auch Wertungswidersprüche vermieden werden - auf den in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG normierten Maßstab zurückgegriffen werden: Eine durch die Ausreise eintretende Gesundheitsverschlechterung ist danach jedenfalls dann nicht mehr zumutbar, wenn dadurch erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben des Betreffenden einzutreten drohen. Soweit sich unterhalb dieser Schwelle durch die Ausreise bzw. Abschiebung eine Gesundheitsverschlechterung einstellen sollte, hat sie der Ausländer grundsätzlich hinzunehmen. Denn nicht jede mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr in das Heimatland einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt auf eine Reiseunfähigkeit. Indem das Aufenthaltsgesetz ebenso wie zuvor das Ausländergesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht (vgl. § 58 AufenthG), nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände als Duldungsgründe gelten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.2.2006 - 18 A 916/05 - m.w.N.

Von einer Reiseunfähigkeit im genannten Sinn kann bei einer - hier vornehmlich in Betracht kommenden - psychischen Erkrankungen nach der Senatsrechtsprechung im Wesentlichen dann ausgegangen werden, wenn im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht, der darüber hinaus auch nicht durch ärztliche Hilfen - vgl. erneut OVG NRW, Beschluss vom 24.2.2006 - 18 A 916/05 - oder in sonstiger Weise, etwa durch vorbeugende Maßnahmen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) - wie z.B. der vorübergehenden Unterbringung in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung - begegnet werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.2.2006 - 18 B 52/06 -.

Dafür bieten weder die Beschwerde noch die amtsärztliche Stellungnahme einen Anhalt. Dies gilt auch, soweit der Amtsarzt bei der darin vom ihm diagnostizierten Reisefähigkeit davon ausgeht, dass die in Deutschland begonnene Behandlung der Antragstellerin im Zielstaat fortgeführt wird. Hierbei handelt es sich um eine über die Frage nach der Reisefähigkeit hinausgehende zielstaatsbezogene Aussage, die für die Prüfung eines im vorliegenden Zusammenhangs unerheblichen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevant sein könnte, ohne dass mit ihr die Reisefähigkeit in Zweifel gezogen wird.

Sonstige aussagekräftige ärztlichen Unterlagen hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Dem von ihr eingereichte Entlassungsbericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist vielmehr sogar zu entnehmen, dass sich die Antragstellerin aufgrund der erfolgten Behandlung sicher von Suizidgedanken distanzieren konnte. Damit im Einklang steht es, dass die in diesem Zusammenhang vom VG zu Recht geforderte ärztliche Bescheinigung auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegt worden ist.

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