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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.08.2005
Aktenzeichen: 18 B 633/05
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2
AufenthG § 31 Abs. 2
AufenthG § 59
AuslG § 12 Abs. 2 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5
1. Eine Abschiebungsandrohung wird gegenstandslos, wenn eine solche erneut erlassen wird.

2. Das Rechtsschutzinteresse für eine Klage gegen eine Befristungsverfügung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG (vormals § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG) bleibt nach Ablauf der ursprünglich erteilten Aufenthaltserlaubnis bestehen, wenn zuvor ein Verlängerungsantrag gestellt worden ist.

3. Zur Frage der Beurteilung einer besonderen Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG, wenn der Ausländer zusammen mit seinen als Spätaussiedler anerkannten Familienangehörigen (Ehefrau und Kinder) nach Deutschland eingereist ist.


Tatbestand:

Der 1955 geborene und seit 1979 verheiratete Antragsteller kam im Oktober 2001 als miteinreisender ausländischer Ehegatte zusammen mit seiner Ehefrau und zwei 1980 und 1984 geborenen gemeinsamen Söhnen, die alle Aufnahme als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers fanden, nach Deutschland. Anlässlich einer Familienstreitigkeit wurde der Antragsteller durch Messerstiche seines jüngeren Sohnes in Gegenwart seiner Ehefrau schwer verletzt. Unmittelbar danach trennte sich im April 2003 seine Ehefrau von ihm und verließ zusammen mit dem noch in Hausgemeinschaft lebenden jüngeren Sohn den Antragsteller. Dieser bekundete mehrmals, an der ehelichen Lebensgemeinschaft festhalten zu wollen. Mit Befristungsverfügung vom 16.3.2004 erfolgte eine noch nicht vollziehbare zeitliche Beschränkung einer dem Antragsteller zum Ehegattennachzug bis zum 9.10.2004 erteilten Aufenthaltserlaubnis und der Erlass einer Abschiebungsandrohung. Ein danach gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde durch Bescheid vom 10.11.2004 abgelehnt und gleichzeitig erneut die Abschiebung angedroht. Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte beim VG vergeblich einstweiligen Rechtsschutz. Er ist der Ansicht, ihn beeinträchtige eine Rückkehr nach Kasachstan ungleich härter als die Rückkehr andere Ausländer, die wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach kurzer Zeit Deutschland wieder verlassen müssen. Auch sei ihm ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft nun nicht mehr zumutbar. Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.

Gründe:

Soweit sich der Aussetzungsantrag gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis richtet, ist er allerdings bereits unzulässig. Als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dieser nur auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnende Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 10.11.2004 gerichtet sein, soweit und sofern diese die Wirkungen eines belastenden Verwaltungsaktes hat, indem sie ein Bleiberecht des Antragstellers in Form einer aufgrund von § 69 Abs. 2 oder Abs. 3 AuslG entstandene Duldungs- oder Erlaubnisfiktion beendet. Derartige Wirkungen hat jedoch der auf Verlängerung der erteilten Aufenthaltserlaubnis gerichtete Aufenthaltsgenehmigungsantrag des Antragstellers nicht ausgelöst. Der Antrag war bisher bereits vom Ansatz her nicht in der Lage, den mit § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG bezweckten lückenlosen rechtmäßigen Aufenthalt für die hier allein in Betracht kommende Erlaubnisfiktion herbeizuführen.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13.2.2004 - 18 B 2422/03 -, m.w.N.

Dem Eintritt der Erlaubnisfiktion stand vielmehr entgegen, dass sich der Antragsteller bei Stellung des Verlängerungsantrags nicht mehr (wie es § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG verlangt) rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Seine ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis war nämlich aufgrund der Befristungsverfügung des Antragsgegners vom 16.3.2004 bei Stellung des Verlängerungsantrags bereits erloschen (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 2, § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Daran vermochte der dagegen erhobene Widerspruch in Verbindung mit dessen vom VG festgestellten aufschiebenden Wirkung nichts zu ändern; denn gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG lässt der Widerspruch unbeschadet seiner aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Befristungsverfügung unberührt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.4.2003 - 18 E 335/03 -.

Soweit der Aussetzungsantrag sich gegen die in der Ordnungsverfügung vom 10.11.2004 enthaltene Abschiebungsandrohung richtet, ist er demgegenüber zulässig. Diesbezüglich fällt auch die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus, weil die Ausreisepflicht gegenwärtig nicht vollziehbar ist und der Erfolg des von ihm gegen diesen Teil der Ordnungsverfügung erhobenen Widerspruchs und seiner gegen die Befristungsverfügung vom 16.3.2004 erhobenen Klage nach gegenwärtigem Sachstand zumindest offen ist.

Die in der Ordnungsverfügung vom 10.11.2004 enthaltene Abschiebungsandrohung dient rechtlich als Grundlage dafür, die hier bereits aufgrund der Befristungsverfügung vom 16.3.2004 entstandene Ausreisepflicht des Antragstellers gegebenenfalls durch eine Abschiebung vollstrecken zu können. Durch diese erneute Abschiebungsandrohung ist die in der Befristungsverfügung vom 16.3.2004 enthaltene Abschiebungsandrohung gegenstandlos geworden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.1.2001 - 18 B 656/00 -.

Die mit der erneuten Abschiebungsandrohung verfügte Ausreisefrist ist aber nach jetzigem Sachstand schon deshalb rechtswidrig, weil der Antragsteller aufgrund der Befristungsverfügung vom 16.3.2004 zwar ausreisepflichtig ist, die Ausreisepflicht aber wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegenwärtig nicht vollziehbar ist.

Darüber hinaus ist im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass mit Blick auf die bestehende rechtliche Verschränkung zwischen der Befristungsverfügung vom 16.3.2004 und der Ordnungsverfügung vom 10.11.2004 die gegen die Befristungsverfügung gerichtete Klage gegenwärtig nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig behandelt werden kann. Denn die aufschiebende Wirkung dieser Klage hemmt den Eintritt der Bestandskraft der Befristungsverfügung und sichert den Antragsteller deshalb dagegen ab, vor rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens Deutschland verlassen zu müssen. Von daher besteht auch ein rechtlich geschütztes Interesse des Antragstellers an einer Fortsetzung des Rechtsstreits mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit der Befristungsverfügung in der Hauptsache klären zu lassen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.4.2003 - 18 E 335/03 -.

Für den Fall einer Aufhebung der Befristungsverfügung - womit diese rechtlich mit Wirkung für die Vergangenheit ersatzlos entfiele - wäre der Antragsteller in Bezug auf die Ordnungsverfügung vom 10.11.2004 konstruktiv so zu stellen, dass ein Aussetzungsantrag der vorliegenden Art insgesamt zulässig wäre. Hinter allem steht jeweils die rechtlich entscheidende Frage eines eigenständigen Aufenthaltsrechts des Antragstellers.

Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheint es dem Senat offen, ob der Antragsteller einen darauf gerichteten Anspruch auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis hat. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG wird eine Aufenthaltserlaubnis unabhängig von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet verlängert, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, es sei denn für den Ausländer ist eine Verlängerung ausgeschlossen. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG liegt eine besondere Härte insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenen Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Hinsichtlich der 1. Alternative der Vorschrift geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei der Prüfung, ob eine besondere Härte vorliegt, alle - erheblichen - Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, die durch die Ausreise des Ausländers aus Deutschland infolge der Beendigung des ehebedingten Aufenthalts einzutreten drohen, soweit diese Beeinträchtigungen während der Gültigkeitsdauer der zu verlängernden Aufenthaltserlaubnis entstanden sind oder zumindest in dieser Zeit ihre wesentliche Prägung erhalten haben.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4.5.2001 - 18 B 1908/00 -, NVwZ-Beilage I 2001, 83, und vom 1.8.2002 - 18 B 1063/00 -, NWVBl. 2003, 33 (jeweils zur inhaltsgleichen Regelung des § 19 Abs. 1 AuslG).

Allerdings genügen weder die persönliche Betroffenheit eines Ausländers durch die Trennung von seinem Ehegatten noch die Aufgabe der wirtschaftlichen Existenzgrundlage im Heimatland oder das Fehlen einer solchen bei einer Rückkehr dorthin für sich genommen, um das Maß einer besonderen Härte im Sinne der ersten Alternative des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu erreichen, vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1.12.2000 - 18 B 1754/00 -, und vom 12.2.2004 - 18 B 849/03 -, m.w.N., weil derartige Umstände ihrem Gewicht nach vergleichbar sind mit den Umständen, die eine Vielzahl von Ausländern treffen, die mit dem Ziel eines langfristigen Aufenthalts in Deutschland aus ihrem Heimatland ausgereist sind, Deutschland aber schon nach kurzer Aufenthaltsdauer wieder verlassen müssen.

Hiervon ausgehend sind in der Person des Antragstellers jedoch besondere Umstände gegeben, die seine Situation deutlich von der anderer Ausländer unterscheiden könnten, die Deutschland nach einer kurzfristig gescheiterten Ehe wieder verlassen müssen. Der 1955 geborene Antragsteller, der mit seiner Ehefrau seit 1979 verheiratet ist, siedelte im Oktober 2001 aus Kasachstan nach Deutschland über. Seine Ehefrau und die beiden 1980 und 1984 geborenen Söhne fanden in Deutschland Aufnahme als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers, während der Antragsteller als miteinreisender ausländischer Ehegatte registriert wurde. Die Ehefrau und die beiden Söhne haben mit der Übersiedlung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Der Antragsteller ist somit als Teil einer seit langem bestehenden Familie nach Deutschland gekommen. Eine Rückkehr nach Kasachstan, von wo die Familie stammt, würde für den Antragsteller bedeuten, nunmehr allein und als einziges Mitglied der Familie dorthin zurückkehren zu müssen. Diese Situation ist deshalb nicht ohne weiteres vergleichbar mit der Situation eines Ausländers, der nach einer Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen oder einem aufenthaltsberechtigten Ausländer hierher kommt und nach dem kurzfristigen Scheitern der Beziehung Deutschland wieder verlassen und in sein Heimatland zurückkehren muss. Neben der Vereinzelungssituation, in die der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Kasachstan geraten würde, wäre zudem allein durch die räumliche Distanz der weitere Kontakt zu seinem in Deutschland lebenden älteren Sohn, mit dem nach wie vor eine persönliche familiäre Verbundenheit besteht, deutlich erschwert. Mit Blick auf das Alter des Antragstellers dürfte auch seine Reintegration in die Lebensverhältnisse vor Ort in Kasachstan nur unter erschwerteren Bedingungen möglich sein, als sie in ihr Heimatland zurückkehrende Ausländer im Regelfall antreffen. Schon diese Gesichtspunkte lassen es für sich genommen nicht als ausgeschlossen erscheinen, eine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG zu Gunsten des Antragstellers anzunehmen.

Zu diesen besonderen Umständen, die eine atypische Situation des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Kasachstan kennzeichnen, kommen noch die besonderen Umstände im Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Der Antragsteller ist Opfer eines in Gegenwart seiner Ehefrau seitens seines jüngeren Sohnes erfolgten tätlichen Angriffs geworden, durch den der Antragsteller in akute Lebensgefahr geraten ist. Diese Tat hat ausweislich der bislang dazu von dem Sohn, der Ehefrau und dem Antragsteller gemachten Angaben jedenfalls einen familiären Hintergrund. Von daher kann der Umstand, dass die Ehefrau kurz nach dem Angriff und zu einem Zeitpunkt, als der Antragsteller sich noch im Krankenhaus befand, die eheliche Lebensgemeinschaft von sich aus beendet hat, nicht für sich genommen und losgelöst von den vorangegangenen Ereignissen gesehen werden. Insoweit könnte hier möglicherweise eine besondere Härte im Sinne der 2. Alternative von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht schon allein mit der Begründung zu verneinen sein, dass die Ehefrau die eheliche Lebensgemeinschaft von sich aus aufgehoben habe und der Antragsteller seinerseits wiederholt erklärt habe, er wolle an der Beziehung zu seiner Ehefrau festhalten, auch wenn diese aus seiner Sicht eine Mitverantwortung für die Tat treffe. Nach dem derzeitigen Sachstand erscheint es offen, ob diese Haltung unter den hier gegebenen besonderen Umständen, insbesondere dem familiären Hintergrund der Tat, als tragfähiges Indiz zur Verneinung einer besonderem Härte ausreicht. Wie mit Blick darauf, dass der Antragsteller - worauf die bislang von dem Sohn und der Ehefrau zu der Tat gemachten Angaben hindeuten können - möglicherweise durch eigenes Verhalten wesentlich dazu beigetragen hat, dass die familiäre Situation eskaliert und es letztlich zu der Tat des Sohnes gekommen ist, bei der für die Beurteilung einer besonderen Härte notwendigen Gesamtbetrachtung das Verhalten der Ehefrau und die Haltung des Antragstellers letztlich zu würdigen sind, kann anhand der bislang vorliegenden Erkenntnisse und Aussagen nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden. Für eine abschließende Bewertung muss dafür unter anderem auch der Ausgang des gegen den Sohn eingeleiteten Strafverfahrens und die sich daraus gegebenenfalls ergebenden weiteren Erkenntnisse abgewartet werden.

Die sich aus dem Vorstehenden ergebenden tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen sind einer abschließenden Klärung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht zugänglich. Insoweit überwiegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt das private Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib in Deutschland bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Nennenswerte öffentliche Interessen stehen dem nicht entgegen. Vielmehr weist das Interesse des Antragstellers, als Opfer einer schwerwiegenden Straftat seine Rechte als Nebenkläger im Strafverfahren möglichst effektiv wahrnehmen zu können, unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes auch eine von einem öffentlichen Interesse getragene Dimension auf. Dadurch wird das Interesse des Antragstellers an einem zumindest vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet zusätzlich verstärkt.

Ende der Entscheidung

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