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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 07.02.2006
Aktenzeichen: 18 E 1534/05
Rechtsgebiete: GG, EMRK, AufenthG
Vorschriften:
GG Art. 1 Abs. 1 | |
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2 | |
GG Art. 6 | |
GG Art. 20 Abs. 3 | |
EMRK Art. 8 Abs. 1 | |
AufenthG § 25 Abs. 3 | |
AufenthG § 25 Abs. 5 | |
AufenthG § 60 Abs. 7 | |
AufenthG § 60a Abs. 2 |
2. Demzufolge kann sich die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise insbesondere ergeben aus Abschiebungsverboten und vorrangigem Recht, namentlich Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 6 GG, dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sowie Art. 8 EMRK.
3. Der Umstand, dass wegen fehlender Zustimmung der UNMIK eine Abschiebung in den Kosovo unmöglich ist, führt für sich genommen nicht auf die rechtliche Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise dorthin.
Gründe:
Die Beschwerde der Kläger ist nicht begründet.
Dem Beschwerdevorbringen sind keine Umstände zu entnehmen, aus denen die Kläger einen Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben könnten. Die Kläger berufen sich ausschließlich darauf, ihnen sei eine freiwillige Rückkehr in den Kosovo nicht zuzumuten, weil UNMIK sich nicht in der Lage sehe, zwangsweise Rückführungen von Angehörigen der Roma zu akzeptieren, wobei erschwerend hinzukomme, dass zum Familienverband vier minderjährige Kinder gehörten, von denen drei erkrankt seien.
Damit werden bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Es ist nicht zu erkennen, dass den Klägern die freiwillige Ausreise aus dort vorausgesetzten rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.
Zur inhaltlichen Bestimmung der hier nur in Betracht kommenden rechtlichen Unmöglichkeit, die schon wegen der gleichlautenden Formulierungen in den §§ 25 Abs. 5 und 60a Abs. 2 AufenthG in gleicher Weise sowohl für die freiwillige Ausreise als auch für die zwangsweise Rückführung zu erfolgen hat, kann prinzipiell auf die Rechtsprechung zum Ausländergesetz 1990 zurückgegriffen werden, weil diesem gegenüber das Aufenthaltsgesetz insoweit keine grundlegende konzeptionelle Änderung gebracht hat. Das Kriterium der Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen (oder tatsächlichen) Gründen als Voraussetzung für die Erteilung einer Duldung findet sich in § 60 a Abs. 2 AufenthG ebenso wie zuvor in § 55 Abs. 2 AuslG. Auch die Systematik der Rechtsgrundlagen im Aufenthaltsgesetz für die Erteilung von Aufenthaltstiteln in derartigen Fällen entspricht insoweit der Systematik des Ausländergesetzes 1990. Die bislang in § 30 Abs. 3 AuslG geregelten Fälle einer Aufenthaltsgewährung, die ebenfalls auf die freiwillige Ausreisemöglichkeit abstellten, sind zusammen mit denjenigen des § 30 Abs. 4 AuslG nunmehr in § 25 Abs. 5 AufenthG geregelt.
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 1.6.2006 - 18 B 677/05 -.
Danach kann sich die rechtliche Unmöglichkeit insbesondere aus Abschiebungsverboten und vorrangigem Recht, namentlich Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 6 GG, vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, InfAuslR 1997, 193, vom 4.6.1997 - 1 C 9.95 -, InfAuslR 1997, 355, und vom 9.12.1997 - 1 C 19.96 -, InfAuslR 1998, 213, dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Art. 8 EMRK ergeben. Dabei ist das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 13.2.2003 - 42326/98 -, NJW 2003, 2145; OVG NRW, Beschluss vom 21.7.2005 - 19 B 939/05 -, und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.1.2006 - 18 B 44/06 -.
Die Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK darf allerdings nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat.
Vgl. EGMR (III. Sektion), Entscheidung vom 16.9.2004 - 11103/03 -, NVwZ 2005, 1046.
Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt.
EGMR, Urteil vom 16.6.2005 - 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349.
Dem entsprechend ist maßgeblich in diesem Zusammenhang nicht die tatsächliche Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise, sondern - wie schon das VG herausgestellt hat - ob es dem Ausländer aus Rechtsgründen zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen.
Vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 80; BVerwG, a.a.O., zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach dem AuslG 1990; im Ergebnis ebenfalls Zeitler, HTK-AuslR / § 25 AufenthG / zu Abs. 5 11/2005 Nr. 2.4; Göbel-Zimmermann, Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG, ZAR 2005, 275, 278.
Davon ausgehend lassen sich die von den Klägern vorgetragenen zielstaatsbezogenen Umstände zwar grundsätzlich dem § 25 Abs. 5 AufenthG zuordnen, weil dieser seinem Wortlaut nach ebenso wie vormals § 30 Abs. 3 und 4 AuslG 1990 nicht zwischen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten und inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen unterscheidet. Vorliegend ist es jedoch - ungeachtet sonstiger rechtlicher Bedenken - dem Beklagten bereits wegen fehlender Passivlegitimation verwehrt, die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise unter den von den Klägern geltend gemachten Aspekten zu überprüfen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in den Asylverfahren aller Familienmitglieder mit bindender Wirkung für den Beklagten das Vorliegen des hier allein in Betracht kommenden Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint hat. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass in derartigen Fällen wegen der sich aus § 42 Satz 1 AsylVfG für die Ausländerbehörde ergebenden Bindungswirkung allein aus demselben Sachverhalt auch kein Ausreisehindernis im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG abgeleitet werden kann.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse 14.3.2005 - 18 E 195/05 -, InfAuslR 2005, 263, und vom 15.2.2005 - 18 A 4080/03 -, zur insofern vergleichbaren Regelung in § 30 Abs. 3 und 4 AuslG.
Dies zugrunde gelegt kann weiterhin offen bleiben, ob wegen der für zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG geltenden Spezialregelung in § 25 Abs. 3 AufenthG durch dessen Absatz 5 nur inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse oder ob darüber hinaus jedenfalls unterhalb der Schwelle des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegende Umstände erfasst werden.
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 5.7.2005 - 18 B 2210/04 -.
Dessen ungeachtet dürfte zudem aus gesetzessystematischen Gründen § 25 Abs. 5 AufenthG unanwendbar sein, wenn sich ein Ausländer auf Umstände beruft, die eine ganze Bevölkerungsgruppe - wie hier die Roma aus dem Kosovo - betreffen. In derartigen Fällen liegt ein berücksichtigungsfähiges Abschiebungsverbot (aus zielstaatsbezogenen Gründen) nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur unter den Voraussetzungen des § 60a Abs. 1 AufenthG vor, dem im Rahmen der Aufenthaltsrechte § 23 AufenthG entspricht.
Im Übrigen verkennen die Kläger, dass die Unmöglichkeit, sie in den Kosovo abzuschieben, bereits vom Ansatz her nicht auf eine rechtliche Unmöglichkeit ihrer freiwilligen Ausreise führt. Zwar ist jene gegeben, wenn der Ausreise dieselben rechtlichen Gründe entgegen stehen, die bereits zur Aussetzung der Abschiebung geführt haben. So ist es hier jedoch nicht. Die Abschiebung der Kläger ist angesichts des von ihnen reklamierten Verhaltens der UNMIK, die eine freiwillige Einreise in den Kosovo ohne weiteres hinnimmt, lediglich aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Sie scheitert - wie schon das VG zutreffend festgestellt hat - ausschließlich an deren Haltung, nämlich an der fehlenden Bereitschaft, Volkszugehörige der Roma im Rahmen von Abschiebungen in den Kosovo einreisen zu lassen.
Soweit die Kläger sich auf eine unzureichende medizinische Versorgung für drei ihrer Kinder in ihrem Heimatland berufen, sei ergänzend noch angemerkt, dass nach ständiger Senatsrechtsprechung ein Ausländer grundsätzlich auf den in medizinischer und therapeutischer Hinsicht allgemein üblichen Standard in seinem Heimatland zu verweisen ist und deshalb eine wünschenswerte, aber nicht zur Vermeidung einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben erforderliche Weiterführbarkeit einer im Bundesgebiet aufgenommenen medikamentösen Therapie im Heimatland grundsätzlich nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt.
Vgl. hierzu nur OVG NRW, Beschluss vom 13.12.2005 - 18 B 2005/05 - m.w.N.
Ende der Entscheidung
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