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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.04.2004
Aktenzeichen: 19 A 2265/02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 10
AuslG § 16 Abs. 5
AuslG § 44 Abs. 1
AuslG § 44 Abs. 1 a
Der von § 16 Abs. 5 AuslG zugrunde gelegte Regelfall eines Rentenbezuges ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Ausländer, der einen nicht unerheblichen Teil seines Erwerbslebens in der Bundesrepublik Deutschland verbracht hat, in den Ruhestand tritt, also sein Erwerbsleben dauerhaft beendet, so dass er seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen nicht mehr aus Erwerbseinkünften bestreitet, sondern aus dem erworbenen Rentenanspruch.
Tatbestand:

Die 1948 geborene Klägerin ist bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige. Sie reiste im Januar 1971 im Rahmen des Ehegattennachzuges in die Bundesrepublik Deutschland ein. Vom 26.7.1971 bis zum 30.11.1982 besaß sie eine Aufenthaltserlaubnis. Im März 1983 stellte der Beklagte fest, dass sie das Bundesgebiet verlassen hatte. Am 25.7.1992 erhielt die Klägerin ein Ausnahmevisum auf Grund der Bürgerkriegsereignisse in Bosnien und reiste mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter erneut in das Bundesgebiet ein. Am 13.6.1993 verstarb der Ehemann der Klägerin. Die Landesversicherungsanstalt bewilligte ihr eine sog. "Große Witwenrente" aus den Rentenanwartschaften ihres Ehemannes, die dieser während seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet erworben hatte. Vom 11.11.1992 bis zum 30.9.1995 erhielt die Klägerin Aufenthaltsbefugnisse. Am 15.12.1995 beantragte sie die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die ihr jedoch versagt wurde. Ihre Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die hier für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allein in Frage kommende Anspruchsgrundlage ist § 16 Abs. 5 AuslG. Nach dieser Vorschrift wird einem Ausländer, der von einem Träger im Bundesgebiet Rente bezieht, in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich vor seiner Ausreise mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Es kann dahin stehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage im vorliegenden Fall erfüllt sind. Keiner Entscheidung durch den Senat bedarf insbesondere die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob Rente im Sinne des § 16 Abs. 5 AuslG auch eine sog. abgeleitete Rente ist, also eine Rente, die - wie die Witwenrente der Klägerin - nicht auf einer selbst erworbenen Rentenanwartschaft beruht. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, ob der Rentenanspruch zu einem Zeitpunkt entstanden sein muss, in dem sich der Rentenberechtigte im Ausland aufgehalten hat. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Aufenthaltserlaubnis aus dem Ausland beantragt werden muss.

Denn selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 5 AuslG im vorliegenden Fall erfüllt wären, gewährt die Vorschrift dem Ausländer lediglich einen Regelanspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Danach ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn kein Ausnahmefall vorliegt. Der wiederkehrende Ausländer muss dazu nach seinen individuellen Verhältnissen dem vom Gesetz zugrunde gelegten Regelfall eines ausländischen Rentners entsprechen.

Engels, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Stand: Dez. 2003, § 16 Rn. 136; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Dez. 2003, § 16 Rn. 36; Wegner, Ältere Ausländer - Zwischen Wiederkehr und Einbürgerung, sozialer Not und Aufenthaltsbeendigung, ZAR 1994, 118; vgl. auch OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 29.11.1992 - 13 B 11583/92 -, InfAuslR 1993, 124 (125).

Diesem Regelfall entspricht die Klägerin nicht.

Der von § 16 Abs. 5 AuslG zugrunde gelegte Regelfall eines Rentenbezuges ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Ausländer, der einen nicht unerheblichen Teil seines Erwerbslebens in der Bundesrepublik Deutschland verbracht hat, in den Ruhestand tritt, also sein Erwerbsleben dauerhaft beendet, so dass er seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen nicht mehr aus Erwerbseinkünften bestreitet, sondern aus dem erworbenen Rentenanspruch.

Diese Maßgabe leitet sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ab. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen durch die Vorschrift Ausländer, die im Bundesgebiet Rentenansprüche erworben haben, begünstigt werden; sie sollen sich frei entscheiden können, wo sie die Zeit ihres Ruhestandes verbringen wollen und eine einmal getroffene Entscheidung auch wieder revidieren können.

Vgl. BT-Drs.11/6321, S. 59 f.

Die Vorschrift ermöglicht dem Ausländer, sich nach dem Eintritt des Rentenbezuges nicht endgültig entscheiden zu müssen, ob er seine Rentnerzeit im Heimat- oder im Gastland verbringen will; er kann sich auch später noch ggf. umentscheiden. Unbeschadet der Regelung des § 44 Abs. 1 a AuslG, der die beliebig häufige Ein- und Ausreise des Rentenbeziehers erleichtern soll (BT-Drs. 13/4948, S. 8), wäre er für den Fall, dass er sich zunächst entschieden hätte, seinen Ruhestand im Heimatland zu verbringen, wegen des Erlöschens seiner Aufenthaltsgenehmigung nach § 44 Abs. 1 AuslG ohne die Wiederkehrregelung regelmäßig an der dauerhaften Rückkehr nach Deutschland gehindert.

Dieser Vorstellung vom "Ruhestand" entspricht es nicht, dass ein Rentner noch in erheblichem Umfange erwerbstätig ist. Denn der Ruhestand ist nach allgemeinem Verständnis die Lebensphase, die auf das aktive Erwerbsleben folgt und regelmäßig mit dem Anspruch auf ein Ruhestandsgehalt oder eine Rente einhergeht. Zwar dürfte sich eine zeitlich eingeschränkte bezahlte Beschäftigung wie eine sozialversicherungsfreie Tätigkeit mit dem Ruhestand noch vereinbaren lassen, gleich, ob die Tätigkeit aus materiellen Gründen aufgenommen wird, etwa um einen knappen Rentenbezug aufzubessern, oder ob sie aus anderen - beispielsweise sozialen - Motiven ausgeübt wird. Der Rahmen der Vereinbarkeit wird aber zunehmend verlassen, wenn die Erwerbstätigkeit den Ruhestand zu beherrschen beginnt. Unabhängig von der Frage, ob § 10 AuslG als maßgebliche Vorschrift über den Erwerbszuzug im Rahmen des § 16 Abs. 5 AuslG anwendbar ist, vgl. Hailbronner, a.a.O., Rn. 37; Kloesel/Christ/ Häußer, Deutsches Ausländerrecht, Loseblattkommentar, Stand: Juli 2003, § 16 AuslG, Rn. 66; Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 7. Aufl., 1999, § 16 Rn. 29; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 72; Ziff. 16.5.4. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländerrecht (AuslG-VwV) vom 28.6.2000 (GMBl 616), muss daher eine vom ausländischen Rentner ausgeübte Erwerbstätigkeit bei der Feststellung des Regelfalles im Sinne von § 16 Abs. 5 AuslG berücksichtigt werden. Der Regelfall eines Ruhestandsaufenthaltes liegt nicht vor, wenn der ausländische Rentner weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgeht, mit der er seinen Lebensunterhalt überwiegend bestreiten will. Denn in diesem Falle begehrt er das Aufenthaltsrecht gerade nicht, um seinen Ruhestand im Bundesgebiet zu verbringen, sondern um hier erwerbstätig zu sein. Damit erfolgt jedoch statt einer durch das Wiederkehrrecht allein zu ermöglichenden Ruhestandseinwanderung eine Erwerbseinwanderung.

Hiervon ausgehend liegt im Falle der Klägerin kein Regelfall gemäß § 16 Abs. 5 AuslG vor. Sie ist nicht in den Ruhestand getreten. Dieser Annahme steht der Umfang ihrer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet entgegen. Zwar bezieht sie die sog. "große Witwenrente" von der Landesversicherungsanstalt und ist insoweit auch "Rentnerin". Sie begehrt die Aufenthaltserlaubnis aber nicht, um ihren Ruhestand im Bundesgebiet zu verbringen, sondern um im Bundesgebiet neben dem Rentenbezug vollzeitlich erwerbstätig zu sein und ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Schon aus ihrem Aufenthaltsgenehmigungsantrag vom 15.12.1995 ergibt sich, dass sie ihren Lebensunterhalt von "eigenem Einkommen und Rente" zu bestreiten beabsichtigt. Dabei übersteigt nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ihr Erwerbseinkommen ihr maximal mögliches Renteneinkommen aus der großen Witwenrente erheblich. Die Zahlenverhältnisse zwischen der Rente der Klägerin und ihrem Erwerbseinkommen machen den erstrangigen Charakter ihres derzeitigen und künftigen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthalt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit deutlich. Nach den Angaben in dem Rentenbescheid vom 20.5.2000 erzielte die Klägerin 1999 ein Gesamtarbeitsentgelt in Höhe von 42.399,00 DM. Die Anrechnung dieses Erwerbseinkommens auf den Rentenbezug führte bereits dazu, dass die tatsächliche Höhe ihrer monatlichen Rente auf 302,37 DM gemindert wurde. Nach ihren Verdienstabrechnungen vom Oktober 2003 bis Januar 2004 verdiente sie in diesem Zeitraum mit Vollzeittätigkeit zwischen 1475,34 € und 1823,84 € brutto monatlich. Ihre Hinterbliebenenrente beträgt nach dem Bescheid vom 3.6.2003 266,62 €. Von einem Aufenthalt zum Zwecke des Ruhestandes kann schon angesichts des klaren Übergewichts ihres Erwerbseinkommens gegenüber der Rentenhöhe nicht die Rede sein. Die Erwerbstätigkeit der Klägerin wird in diesem Umfang von der Zweckbestimmung des § 16 Abs. 5 AuslG nicht (mit-) gedeckt. Sie hat in diesem Verfahren auch nicht erkennen lassen, dass ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet nicht weiterhin der Ausübung ihrer seit 1993 vollzeitmäßig ausgeübten Erwerbstätigkeit dienen, sondern im Ruhestand verbracht werden soll.

Ein etwaiger zugleich als Minus in dem vorliegenden Verpflichtungsantrag enthaltener Antrag der Klägerin auf Neubescheidung ihres Aufenthaltserlaubnisantrages bleibt ebenfalls erfolglos, weil dem Beklagten kein Ermessen zur Bescheidung ihres Aufenthaltserlaubnisantrages eröffnet ist. Liegt ein Regelfall im Sinne des § 16 Abs. 5 AuslG vor, so hat der Ausländer einen Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis; anderenfalls ist sie - wie hier - zu versagen. Ein Ermessen steht der Ausländerbehörde in keinem der Fälle zu.

Vgl. Engels, a.a.O., Rn. 142.

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