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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: 19 A 2896/07
Rechtsgebiete: Friedhofssatzung, BestG NRW


Vorschriften:

Friedhofssatzung § 13 Abs. 2 Satz 1
Friedhofssatzung § 13 Abs. 2 Satz 2
BestG NRW § 7 Abs. 1
Ein Umzug aufgrund veränderter Lebensumstände wie altersbedingter Gesundheitsverschlechterungen oder des Wunsches, den Lebensabend bei den Kindern zu verbringen, stellt für sich genommen regelmäßig keinen wichtigen Grund für eine Umbettung des verstorbenen Ehepartners dar.
Tatbestand:

Der Kläger beantragte die Umbettung seiner verstorbenen Ehefrau, die er auf einem Friedhof seines seinerzeitigen Wohnortes hatte bestatten lassen. Er machte geltend, nach seinem alters- und gesundheitsbedingten Umzug zu seiner in einem anderen Bundesland lebenden Tochter könne er das Grab seiner verstorbenen Frau nicht mehr regelmäßig besuchen und pflegen. Dies aber sei unverzichtbarer Bestandteil seines Lebens. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, der das VG stattgab. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Zustimmung zur Umbettung seiner verstorbenen Ehegattin vom Hauptfriedhof der Stadt N. zum Friedhof C- erteilt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser Anspruch ergibt sich nicht aus § 13 Abs. 2 Satz 2 der Friedhofssatzung der Stadt N. (nachfolgend: FS). Danach kann der Friedhofsträger die nach § 13 Abs. 2 Satz 1 FS erforderliche Zustimmung zur Umbettung von Leichen nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erteilen. Zu Unrecht hat das VG einen solchen wichtigen Grund aus einem unterstellten Einverständnis der Verstorbenen abgeleitet.

Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das Interesse an der Umbettung ausnahmsweise die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Totenruhe überwiegt. Die unantastbare Würde des Menschen wirkt über dessen Tod hinaus und gebietet eine würdige Bestattung und den Schutz der Totenruhe. Dieser Schutz genießt angesichts des Art. 79 Abs. 3 GG nicht nur höchsten Verfassungsrang, sondern entspricht darüber hinaus allgemeinem Sittlichkeits- und Pietätsempfinden und den Interessen des öffentlichen Gesundheitsschutzes. In § 7 Abs. 1 BestG NRW, wonach jeder die Ehrfurcht vor den Toten zu wahren und die Totenwürde zu achten hat, hat er zudem seine einfachgesetzliche Ausprägung im Landesrecht erfahren. Gerät er in Konflikt mit dem Recht der Angehörigen des Verstorbenen auf Totenfürsorge, so genießt er regelmäßig den Vorrang.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.1974 - VII C 36.72 -, juris, Rdnr. 19; Beschluss vom 20.12.1977 - VII B 188.76 -, juris, Rdnr. 8; OVG NRW, Beschlüsse vom 10.11.1998 - 19 A 1320/98 -, juris, Rdnrn. 13 und 33, und 28.11.1991 - 19 A 1925/90 -, juris, Rdnr. 19 und 21; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.1.1979 - I 370/78 -, juris, Rdnr. 12.

Aufgrund dieses grundsätzlichen Rangverhältnisses zwischen dem Schutz der Totenruhe und dem Recht zur Totenfürsorge kann die Umbettung einer einmal beigesetzten Leiche nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung grundsätzlich nur aus ganz besonderen Gründen beansprucht werden.

OVG NRW, Beschluss vom 28.11.1991 - 19 A 1925/90 -, juris, Rdnr. 23, m. w. N. (zur Rechtsprechung des RG und BVerwG in Rdnr. 24.

Hiervon ausgehend können wichtige Gründe, die der Totenruhe vorgehen, insbesondere dann gegeben sein, wenn die Umbettung die Würde des Verstorbenen besser wahrt und seinem Willen besser Rechnung trägt (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 BestG NRW).

OVG NRW, Beschluss vom 28.11.1991 - 19 A 1925/90 -, a.a.O., Rdnr. 25.

Danach kann die mit der Umbettung verbundene Störung der Totenruhe gerechtfertigt sein, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten sein ausdrückliches Einverständnis mit der Umbettung erklärt hat. Fehlt ein solches, kann auch ein entsprechender mutmaßlicher Wille beachtlich sein. Dieser setzt voraus, dass zumindest Tatsachen und Umstände gegeben sind, aus denen der diesbezügliche Wille des Verstorbenen mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann. Davon kann auszugehen sein, wenn nur die Umbettung die von Ehegatten erkennbar gewünschte gemeinsame Bestattung ermöglicht oder wenn der Verstorbene beispielsweise aufgrund eines tödlichen Unfalls nicht an dem Ort beigesetzt wurde, der seinem erkennbaren Willen entsprach.

OVG Bbg., Beschluss vom 25.9.2002 - 1 A 196/00.Z -, juris, Rdnr. 4; vgl. BGH, Urteil vom 26.2.1992 - XII ZR 58/91 -, juris, Rdnr. 9.

Lässt sich ein Einverständnis des Verstorbenen mit der Umbettung nicht feststellen, kommt es unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalls darauf an, ob das Interesse des Totenfürsorgeberechtigten an der Umbettung nach allgemeiner Verkehrsauffassung schutzwürdig ist und seine Gründe so gewichtig sind, dass die Achtung der Totenruhe zurücktreten muss. Ein wichtiger Grund kann demnach im Einzelfall auch dann vorliegen, wenn das Recht auf Totenfürsorge in unzumutbarer Weise erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Denn dann kann auch die Würde des Verstorbenen, die sich auch auf die Totenfürsorge wie Grabpflege und Totengedenken bezieht, nicht hinreichend zur Geltung kommen. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob der geltend gemachte Anspruch der herrschenden sittlichen Auffassung entspricht und ob der Wunsch des Angehörigen auf andere Weise nicht erfüllt werden kann.

OVG NRW, Beschluss vom 10.11.1998 - 19 A 1320/98 -, juris, Rdnr. 17; Gaedke/Diefen-bach, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 9. Aufl. 2004, S. 196.

In Anwendung dieser Grundsätze ist ein wichtiger Grund für das Umbettungsbegehren des Klägers, welcher der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Totenruhe seiner verstorbenen Ehefrau vorgehen würde, nicht gegeben. Weder liegt deren Einverständnis mit einer Umbettung vor (1.), noch ist es dem Kläger unzumutbar, sein Recht zur Totenfürsorge am Grab seiner verstorbenen Ehefrau in N. wahrzunehmen (2.).

1. Es kann zunächst nicht davon ausgegangen werden, dass die verstorbene Ehefrau des Klägers mit der Umbettung ihrer sterblichen Überreste einverstanden wäre und die Umbettung ihre Würde deshalb besser wahren würde. Dass sie sich zu Lebzeiten in diesem Sinne ausdrücklich geäußert hat, hat der Kläger nicht vorgetragen und ist auch aus dem Zusammenhang seines Vorbringens nicht ersichtlich. Im Gegenteil spricht Überwiegendes dafür, dass sie sich zu der Frage, ob im Fall eines Umzugs ihres Ehemanns eine Umbettung ihrer sterblichen Überreste in Betracht kommt, keinen Willen gebildet hat. Nach seinem Vortrag hat er im Zeitpunkt der Bestattung seiner verstorbenen Ehefrau noch nicht an einen Umzug gedacht; in der Vorstellung der Eheleute war selbstverständlicher Bestattungsort N., wo die Verstorbene geboren wurde und die Eheleute in einem eigenen Haus gewohnt haben. Dem entsprechend hat der Kläger nach dem Todesfall im Juni 2002 dort eine (zweiteilige) Wahlgrabstätte erworben. Über den Umzug des jeweils Überlebenden und eine etwaige Umbettung des Vorverstorbenen haben sich die Eheleute offensichtlich keine Gedanken gemacht. Ob hierzu, wie die Beklagte vorgetragen hat, seinerzeit schon Veranlassung bestanden hat, weil ein alters- und/oder gesundheitsbedingter Umzug des Überlebenden sich zumindest als möglich darstellte, bedarf insoweit keiner näheren Erörterung.

Anders als das VG vermag der Senat auch das mutmaßliche Einverständnis der Verstorbenen mit einer Umbettung ihrer sterblichen Überreste im Fall des Umzugs des Klägers nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Welche Einstellung die Verstorbene zu der Frage einer Umbettung hatte, lässt sich aus den vom Kläger angeführten Umständen nicht verlässlich ableiten. Tatsachen und Umstände, aus denen der diesbezügliche Wille der Verstorbenen mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann, hat er nicht aufgezeigt. Allein der Umstand, dass die Eheleute nach den - glaubhaften - Angaben des Klägers 60 Jahre zusammen gelebt haben und davon ausgegangen sind, dass der Überlebende das Grab des Vorverstorbenen pflegen und regelmäßig besuchen werde, lässt nicht den Schluss zu, dass im Fall eines - nicht vorhergesehenen - Umzugs auch das Einverständnis mit einer Umbettung bestehen würde. Denn eine solche Absprache steht, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, nach allgemeiner Lebenserfahrung unter dem Vorbehalt einer alters- oder gesundheitsbedingten Einschränkung des Überlebenden. Hiervon ausgehend kann wegen des Fehlens von gegenteiligen Anhaltspunkten auch nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Eheleute mit dieser wechselseitigen Zusage und der Erwartung, der Überlebende werde sich um das Grab des Vorverstorbenen kümmern, die Umbettung ihrer sterblichen Überreste in Kauf genommen haben.

Gegen einen mutmaßlichen Umbettungswillen der Ehefrau nach C. spricht vor allem die eigene Bestattungsentscheidung des Klägers. Er hat entschieden, seine verstorbene Ehefrau in N. bestatten zu lassen. Mit dieser Entscheidung hat er ganz offensichtlich dem gemeinsamen Wunsch der Eheleute Rechnung tragen wollen, die letzte Ruhe in einer gemeinsamen Grabstätte zu finden. Seine damalige Entscheidung, N. als den Ort dieser gemeinsamen Grabstätte zu bestimmen, legt die Annahme nahe, dass gerade dies auch dem mutmaßlichen Willen seiner Ehefrau entsprach. Dafür spricht auch, dass sie in N. geboren wurde und die Eheleute dort in einem eigenen Haus gewohnt haben.

2. Auch der vom Kläger geltend gemachte Umstand, sein Recht auf Totenfürsorge sei durch seinen Umzug zu seiner Tochter in das ca. 250 km entfernte C. erheblich eingeschränkt, führt nicht auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 2 FS. Dass der Kläger aufgrund seines Umzugs das Grab seiner verstorbenen Ehefrau nicht in einer seinen Bedürfnissen und Wünschen entsprechenden Weise besuchen und pflegen kann, stellt einen für ihn gewichtigen und grundsätzlich anerkennenswerten Aspekt dar, der sich gegenüber dem Schutz der Totenruhe aus Art. 1 Abs. 1 GG hier jedoch nicht durchsetzen kann.

Ein Umzug aufgrund veränderter Lebensumstände wie altersbedingter Gesundheitsverschlechterungen oder des - verständlichen - Wunsches, den Lebensabend bei den Kindern zu verbringen, stellt für sich genommen regelmäßig keinen wichtigen Grund für eine Umbettung des verstorbenen Ehepartners dar. Anderenfalls würde der grundsätzlich und im Regelfall gebotene Schutz der Totenruhe weitgehend leer laufen. Denn es stellt sich nicht etwa als Ausnahmefall, sondern als gleichsam typisches Phänomen dar, dass ältere Menschen, die nicht mehr alleine zu leben imstande sind, ihren bisherigen Wohnsitz aufgeben und entweder zu ihren Kindern oder sonstigen nahen Verwandten ziehen oder sich in eine (vom bisherigen Wohnort ggf. weit entfernt liegende) Seniorenunterkunft begeben (müssen). Dies ist in vielen Fällen beim - zumal plötzlichen und unerwarteten - Ableben eines Ehegatten und bei der Entscheidung für einen bestimmten Bestattungsort, wie auch hier, nicht absehbar. Die Frage eines Umzugs stellt sich vielmehr erst dann, wenn es dem Hinterbliebenen nicht gelingt, sich mit dem Verlust seines Ehepartners abzufinden und in der veränderten Lebenssituation alleine zurecht zu kommen. Angesichts der Veränderungen in der demografischen Struktur der Bevölkerung bestünde bei genereller Annahme eines wichtigen Grundes im Fall eines Umzugs die Gefahr einer mit dem Recht auf Totenruhe nicht in Einklang zu bringenden erheblichen Zunahme an Umbettungen. Überdies kann es in Anbetracht der in vielen Berufen geforderten Flexibilität im Einzelfall zu mehreren Wohnsitzwechseln und entsprechenden Nachzügen während der Mindestruhezeit kommen; würde dem damit einher gehenden Verlangen auf Umbettung allein wegen des Umzugs entsprochen, wäre die Totenruhe sogar auf Dauer in Frage gestellt.

OVG NRW, Urteil vom 5.12.1984 - 2 A 799/84 -, S. 3 des Urteilsabdrucks; vgl. BayVGH, Beschluss vom 27.7.2005 - 4 ZB 04.2986 -, juris, Rdnr. 9.

Auch hier begründet der Umzug des Klägers keinen wichtigen Grund im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 2 FS. Denn sein Recht auf Totenfürsorge wird ohne Umbettung nur in einem Maße eingeschränkt, welches ihm noch zumutbar ist. Dass die Entfernung zwischen seinem jetzigen Wohnort und dem Grab seiner Ehefrau die Grabbesuche und die Grabpflege gänzlich ausschließt, hat er weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass der Kläger das Grab seiner Ehefrau auch von C. aus in regelmäßigen zeitlichen Abständen besuchen kann. Er hat auch im Berufungsverfahren nicht nachgewiesen, dass er altersbedingt oder aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, eine solche Reise von wenigen Stunden Dauer zu bewältigen. Selbst wenn er entgegen dieser Annahme nicht mehr in der Lage sein sollte, allein nach N. zu reisen, ist ihm zumutbar, den Grabbesuch in Begleitung eines seiner beiden Kinder durchzuführen, denen die Totenfürsorge für ihre Mutter in ähnlicher Weise zusteht wie ihm selbst. Entsprechendes gilt für die Grabpflege, für die der Kläger ebenfalls auf die Mithilfe seiner beiden Kinder zurückgreifen kann, wenn er hierzu selbst nicht mehr in der Lage sein sollte. Schließlich ist ihm mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch zumutbar, hierfür Dritte (etwa eine Friedhofsgärtnerei) zu beauftragen.

Auch im Übrigen ist nicht feststellbar, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Umbettung an seinen jetzigen Wohnort erfordert. Insbesondere hat er nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass er infolge des Todes seiner Ehefrau an einer Depression erkrankt ist und sich diese Krankheit zu verschlimmern droht, wenn er ihr Grab nicht mehr so häufig besuchen und pflegen kann wie von N. aus. Er hat keine ärztliche Stellungnahme vorgelegt, die diese Behauptung bestätigt und konkretisiert. Auch seine eigenen Ausführungen legen eher nahe, dass er den Tod seiner Ehefrau auch nach Jahren nur sehr schwer verkraftet hat, nicht aber, dass dieser fortdauernde Trauerzustand bei ihm ausnahmsweise sogar Krankheitswert besitzt und durch Erschwerungen beim Grabbesuch und bei der Grabpflege vertieft würde. Sollte diese Befürchtung überhaupt jemals eine realistische Grundlage gehabt haben, so ist sie jedenfalls durch den zwischenzeitlichen Umzug nach C. widerlegt. Dieser Umzug liegt inzwischen zweieinhalb Jahre zurück, ohne dass der Kläger seitdem eine Verschlimmerung des zuvor behaupteten Krankheitsbildes auch nur behauptet hätte.

Schließlich berücksichtigt der Senat bei seinen Zumutbarkeitserwägungen auch, dass der Kläger in Kenntnis des Standpunktes des Beklagten, einer Umbettung nicht zuzustimmen, und damit unter Inkaufnahme der räumlichen Trennung von Wohn- und Bestattungsort nach C. umgezogen ist.

Ende der Entscheidung

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