Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 02.12.2003
Aktenzeichen: 19 A 997/02
Rechtsgebiete: GG, WRV, LV NRW


Vorschriften:

GG Art. 7 Abs. 3, 140
WRV Art. 137
LV NRW Art. 14
1. Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach nach Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 14 LV NRW kann nur eingeführt werden, wenn es eine Religionsgemeinschaft gibt, die als verantwortliche Instanz die Übereinstimmung des Religionsunterrichts mit ihren Grundsätzen feststellt.

2. Eine Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 14 LV NRW setzt einen Zusammenschluss natürlicher Personen zur Verwirklichung eines gemeinsamen religiösen Zwecks voraus; ein Zusammenschluss nur von Vereinen oder Verbänden (Dachverband) ist keine Religionsgemeinschaft.

3. Eine Religionsgemeinschaft ist ferner nur ein Zusammenschluss von Religionsangehörigen, der der allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben dient. Diese Voraussetzung erfüllt nicht ein Dachverband, der sich ausschließlich die Aufgaben der Interessenvertretung, des Dialogs und der Aufklärung gegenüber dem Staat und der Gesellschaft gestellt hat.

4. Ob im Bereich des Islams Religionsgemeinschaften nach Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 14 LV NRW auf örtlicher Ebene (z.B. der Moscheevereine) anzunehmen sind, bleibt offen.


Tatbestand:

Die Kläger, zwei in Deutschland bestehende islamische Dachverbände, beantragten 1994 und 1996 die Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach an den öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen. Diesen Antrag lehnte das nordrhein-westfälische Schulministerium ab: Voraussetzung für die Einführung von Religionsunterricht sei, dass die Religionsgemeinschaft in der Lage sei, durch eine autorisierte Stelle die Grundsätze des Glaubens zu bestimmen, die Inhalte des Religionsunterricht festzulegen, die Lehrkräfte zu bevollmächtigen und die Fachaufsicht zu führen; die Kläger besäßen aber nicht die verfassungsrechtlich vorausgesetzte religiöse Autorität, die Grundsätze des Glaubens zu bestimmen, und verträten nur einen Teil der Muslime in Deutschland. Die daraufhin von den Klägern erhobene Klage mit dem Hauptantrag, das beklagte Land zu verurteilen, mit den Vorbereitungen für in Übereinstimmung mit den von ihnen aufgestellten Grundsätzen zu erteilenden islamischen Religionsunterricht zu beginnen, wies das VG ab (NWVBl 2002, 196). Das OVG wies die zugelassene Berufung zurück.

Gründe:

Die Kläger haben keinen Rechtsanspruch darauf, dass das beklagte Land mit den Vorbereitungen für islamischen Religionsunterricht beginnt, der in Übereinstimmung mit den von ihnen aufgestellten Grundsätzen erteilt werden soll. Ein solcher Anspruch ergibt sich - was mangels einer einschlägigen einfachgesetzlichen Anspruchsnorm allein in Betracht kommt - weder aus den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs (Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 14 Abs. 1 bis 3 LV NRW) noch aus dem Gebot religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates (Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 140 GG, Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV).

Die Kläger können den geltend gemachten Anspruch nicht auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs (Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 14 Abs. 1 bis 3 LV NRW) stützen. Gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach; nach Satz 2 wird er unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Nach der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung, deren Verhältnis zu Art. 7 Abs. 3 GG durch Art. 142 GG bestimmt wird, ist gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 LV NRW der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an allen Schulen mit Ausnahme der Weltanschauungsschulen (bekenntnisfreien Schulen) und bedarf nach Satz 2 der Lehrer der Bevollmächtigung durch die Kirche oder die Religionsgemeinschaft. Nach Art. 14 Abs. 2 LV NRW sind Lehrpläne und Lehrbücher für den Religionsunterricht im Einvernehmen mit der Kirche oder Religionsgemeinschaft zu bestimmen. Gemäß Art. 14 Abs. 3 LV NRW haben die Kirchen oder die Religionsgemeinschaften unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts das Recht, nach einem mit der Unterrichtsverwaltung vereinbarten Verfahren sich durch Einsichtnahme zu vergewissern, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit ihren Lehren und Anforderungen erteilt wird.

Der Senat lässt offen, ob diese verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage ihrer abstrakten Rechtsnatur nach Religionsgemeinschaften ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einführung von Religionsunterricht vermittelt, so Link, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKR), 2. Aufl., 2. Bd, S. 441; JeandŽHeur/Korioth, Staatskirchenrecht, Rdn. 311; Hemmrich, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 5. Aufl., Art. 7 Rdn. 23; Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 7 Rdn. 83; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 7 Rdn. 122 f.; de Wall, Das Grundrecht auf Religionsunterricht: Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden gegen das Brandenburgische Schulgesetz, NVwZ 1997, 465 f.; Langenfeld, Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten: Eine Herausforderung für das deutsche Schulwesen - Einführung in einige grundrechtliche Fragestellungen, AöR 123 (1998), 375 (386 f.); Mückl, Staatskirchenrechtliche Regelungen zum Religionsunterricht, AöR 122, 514 (520 f.); Heimann, Alternative Organisationsformen islamischen Religionsunterrichts, DÖV 2003, 238 (239); Heckel, Religionsunterricht für Muslime?, JZ 1999, 741 (749 f.); Rohe, Rechtliche Perspektiven eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland, ZRP 2000, 207 (208); Jochum, Islam in der staatlichen Schule, in: Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, 2001, 100 (108 f.); Cavdar, Islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen, RdJB 1993, 265 (266); ferner dazu, dass Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG den Religionsgemeinschaften das Selbstbestimmungsrecht über Ziel und Inhalt des Religionsunterrichts gewährleistet, BVerfG, Beschluss vom 25. 2. 1987 - 1 BvR 47/84 -, BVerfGE 74, 244 (254), und dazu, dass Religionsgemeinschaften nur ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt ist, Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl., Art. 7 Rdn. 44; Hollerbach, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 140 Rdn. 34; Bock, Verfassungsrechtliche Probleme der Einführung islamischen Religionsunterrichts, RdJB 2001, 330 (334 f.), oder ob sie lediglich objektiv eine verfassungsrechtliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Einführung begründet oder nur als institutionelle Garantie zu verstehen ist.

Vgl. Renck, Institutionell garantierter Bekenntnisunterricht?, ZRP 2003, 137 (138); Die unvollkommene Parität, DÖV 2002, 56 (65); Islamischer Religionsunterricht - wann endlich?, NWVBl 2001, 425 f.; Der Streit um den Bekenntnis- und Ethikunterricht in Brandenburg und Berlin, NJ 2000, 393 (394); Die grundrechtliche Bedeutung von Art. 7 III GG, NVwZ 1992, 1171 f.; Korioth, Islamischer Religionsunterricht und Art. 7 III GG, NVwZ 1997, 1041 (1043 f.); Goerlich, Distanz und Neutralität im Lehrberuf - zum Kopftuch und anderen religiösen Symbolen, NJW 1999, 2929 (2930); Hillgruber, Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften, NVwZ 2001, 1347 (1353).

Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil der von den Klägern geltend gemachte Anspruch jedenfalls daran scheitert, dass sie nicht Religionsgemeinschaften sind.

Ein Anspruch auf Einführung von Religionsunterricht als einem ordentlichen Lehrfach kann nur einer Vereinigung zustehen, die Religionsgemeinschaft im Sinne der Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 14 LV NRW ist. Diese Anspruchsvoraussetzung ergibt sich aus dem Übereinstimmungsgebot in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 14 Abs. 2 und 3 LV NRW als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Gebots der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. Das Übereinstimmungsgebot besagt, dass der Religionsunterricht unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts als ordentliches Lehrfach in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Der Religionsunterricht gehört nach den genannten verfassungsrechtlichen Normen zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Religionsgemeinschaften, bei denen deren Verantwortungsbereiche eng miteinander verknüpft und in Kooperation und Rücksichtnahme wahrzunehmen sind. Als ordentliches Lehrfach ist seine Erteilung staatliche Aufgabe und Angelegenheit; er ist staatlichem Schulrecht und staatlicher Schulaufsicht unterworfen. Das Übereinstimmungsgebot ist ferner dahin zu verstehen, dass der Religionsunterricht "in konfessioneller Positivität und Gebundenheit" zu erteilen ist. Sein Gegenstand ist der Bekenntnisinhalt, sind also die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft; diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe. Maßgebend dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Religionsgemeinschaft über Inhalt und Ziel des Religionsunterrichts.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 2. 1987, a.a.O., S. 251 f.

Der Staat in Gestalt der staatlichen Schulaufsicht ist aufgrund des in Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1, Art. 33 Abs. 3 sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4 und 137 Abs. 1 WRV begründeten Gebots der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates gehindert, religiöse Lehren und Glaubenssätze festzulegen, zu ordnen und zu bewerten.

BVerfG, Beschluss vom 16. 5. 1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1 (17); Urteil vom 14. 12. 1965 - 1 BvR 413, 416/60 -, BVerfGE 19, 207 (216).

Deshalb ist er bei Ein- und Durchführung des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs auf die Kooperation mit einem in Fragen der betreffenden Religion kompetenten Partner angewiesen, der die Grundlagen des Bekenntnisses, die zentralen Lehren und Glaubenssätze formuliert und definiert und als maßgeblich für den Religionsunterricht bestimmt, bei der Gestaltung der Lehrpläne im Rahmen der staatlichen Unterrichts- und Erziehungsziele mitwirkt, das Lehrpersonal bevollmächtigt und die Übereinstimmung des durchgeführten Religionsunterrichts mit den bestimmten Grundsätzen überprüfen und feststellen kann.

Vgl. nur Heckel, a.a.O., S. 744 f.; Mückl, a.a.O., S. 519, 528 f.; Heimann, a.a.O., S. 239 f.

Nur eine Religionsgemeinschaft kann als verantwortliche Instanz die Übereinstimmung des einzuführenden und durchgeführten Religionsunterrichts mit den jeweils maßgebenden Glaubensgrundsätzen feststellen. Vorbehaltlich einer anderen landesrechtlichen Rechtslage auf der Grundlage des Art. 141 GG hängt die inhaltliche Ausgestaltung eines vom Staat veranstalteten Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG von einer Mitwirkung der betreffenden Religionsgemeinschaft ab. Insofern bestimmen die verfassungsrechtlichen Normen eindeutig, dass beim Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach mitverantwortliche Kooperationspartner (neben den Kirchen, vgl. Art. 14 LV NRW) die Religionsgemeinschaften sind.

BVerwG, Urteil vom 23. 2. 2000 - 6 C 5.99 -, BVerwGE 110, 326 (340); Rüfner, Erwiderung auf Renck, Islamischer Religionsunterricht - wann endlich?, NWVBl 2001, 426.

Religiösen Vereinigungen oder sonstigen Formen religiöser Vergemeinschaftung, die sich in Wahrnehmung der in Art. 4 GG verbürgten Freiheit gebildet haben, sich aus gemeinsamem Glauben zur Verwirklichung eines gemeinsamen religiösen Zwecks zu einer religiösen Vereinigung zusammenzuschließen, kommt diese Rechtsstellung nicht zu.

Die Kläger sind keine Religionsgemeinschaften. Eine Religionsgemeinschaft im Sinn der Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 14 Abs. 2 LV NRW setzt mindestens voraus, dass es sich um einen Zusammenschluss natürlicher Personen handelt, die demselben Glaubensbekenntnis oder mehreren verwandten Glaubensbekenntnissen angehören, und dieser Zusammenschluss sich für ein bestimmtes Gebiet die allseitige Erfüllung derjenigen Aufgaben zum Ziel gesetzt hat, die ihm durch das gemeinsame Bekenntnis gestellt sind.

Bei dem Begriff der Religionsgemeinschaft handelt es sich um die moderne Form des überkommenen verfassungsrechtlichen Begriffs der Religionsgesellschaft, der in Art. 136 Abs. 3 Satz 2, Art. 137 Abs. 2 - 7, 138, 141 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG sowie in Art. 14 Abs. 2 LV NRW verwendet wird und der mit jenem inhaltlich übereinstimmt.

BVerwG, Urteil vom 23. 2. 2000, a.a.O., S. 342; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140/ Art. 137 WRV, Rdn. 13; Schmitt/Kammler, a.a.O., Rdn. 41; Robbers, a.a.O., Rdn. 149; Heimann, a.a.O., S. 240; Pieroth/Görisch, Was ist eine "Religionsgemeinschaft"?, JuS 2002, 237; Häußler, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die Einrichtung islamischen Religionsunterrichts, ZAR 2000, 255 (262).

Die Regelungen in der durch Art. 140 GG inkorporierten Religionsverfassung der Weimarer Rechtsverfassung können und müssen bei der Auslegung des Art. 7 Abs. 3 GG einbezogen werden, weil die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes vornehmstes Interpretationsprinzip des Grundgesetzes insbesondere im Bereich der grundrechtlichen Werteordnung ist. Die geschichtliche Kontinuität, in der Art. 140 GG steht, ist für das Verständnis dieser Vorschrift und der inkorporierten Artikel der Weimarer Rechtsverfassung zu berücksichtigen.

BVerfG, Urteil vom 14. 12. 1965, a.a.O., 219 f.; Beschluss vom 21. 9. 1976 - 2 BvR 350/75 -, BVerfGE 42, 312 (330 f.).

Ob die oben genannten Mindestmerkmale einer Religionsgemeinschaft vorliegen, beurteilt sich nach objektiven Kriterien. Allein die Behauptung und das Selbstverständnis eines religiösen Verbandes, er sei eine Religionsgemeinschaft, reicht nicht aus. Es muss sich vielmehr auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religionsgemeinschaft handeln. Dies zu prüfen und zu entscheiden, obliegt als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung, den staatlichen Organen und damit im Streitfall auch den Gerichten, die dabei die verfassungsrechtlichen Verbürgungen zugrunde zu legen haben. Bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften ist allerdings das Eigenverständnis der Gemeinschaft im Bereich der grundrechtlich verbürgten Religionsfreiheit besonders zu berücksichtigen.

So zum Begriff der Religionsgesellschaft: BVerfG, Beschluss vom 5. 2. 1991 - 2 BvR 263/86 -, BVerfGE 83, 341 (353).

Hingegen dürfen nicht Umstände in die Beurteilung einfließen, deren Bewertung dem religiös und weltanschaulich neutralen Staat verwehrt sind.

BVerfG, Urteil vom 19. 12. 2000 - 2 BvR 1500/97 -, BVerfGE 102, 370 (385).

Ob und in welchen Normmerkmalen Art. 7 Abs. 3 GG einen Anspruch auf Einführung von Religionsunterricht über die vorstehend genannten Mindestmerkmale hinaus von weiteren Voraussetzungen abhängig macht, vgl. Pieroth/Görisch, a.a.O., S. 940; Häußler, a.a.O., S. 262; Bock, a.a.O., S. 338; Fechner, Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, NVwZ 1999, 735 (736),

bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Entscheidung. Schon diese Merkmale erfüllen die beiden klagenden Verbände nämlich nicht: Weder sind sie Zusammenschlüsse natürlicher Personen noch dienen sie der allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame religiöse Bekenntnis gestellten Aufgaben.

Der Begriff der Religionsgemeinschaft verlangt einen Zusammenschluss von natürlichen Personen, die demselben Glaubensbekenntnis oder mehreren verwandten Glaubensbekenntnissen angehören und die das personale Substrat der Religionsgemeinschaft bilden. Keine Religionsgemeinschaften sind daher die Dachverbände, also Zusammenschlüsse oder Vereinigungen, die keine natürlichen Personen als Mitglieder oder Angehörige haben, sondern lediglich ihrerseits wieder Verbände oder Vereinigungen.

Ebenso Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, 311 (312) und ders., Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde an öffentlichen Schulen in Deutschland, JZ 2001, 58 (60); Fechner, a.a.O., S. 736; im Ergebnis a. A. Poscher, Totalität - Homogenität - Zentralität - Konsistenz in: Der Staat Bd. 39 (2000), 49 (62); Heckel, a.a.O., S. 752 f.; Häußler, a.a.O., S. 261, 263; Bock, a.a.O., S. 340; Jochum, a.a.O., S. 114; Cavdar, a.a.O., S. 269; vgl. ferner OVG Berlin, Urteil vom 4. 11. 1998 - 7 B 4.98 -, DVBl. 1999, 554 (556 f.).

Das ergibt sich sowohl aus der historisch-systematischen Entwicklung der verfassungsrechtlichen Begriffe der Religionsgemeinschaft und der Religionsgesellschaft als auch aus deren Wortsinn sowie aus dem Sinn und Zweck der in Art. 137 Abs. 2 Satz 1 WRV gewährleisteten Freiheit, sich zu Religionsgesellschaften zu vereinigen.

Für die Begrenzung des verfassungsrechtlichen Begriffs der Religionsgemeinschaft auf Zusammenschlüsse natürlicher Personen spricht bereits die historisch-systematische Entwicklung dieses Begriffs. Das Verständnis des Begriffs der Religionsgesellschaft in Art. 136 Abs. 3 Satz 2, 137 Abs. 2 - 7, 138, 141 WRV als eines Zusammenschlusses natürlicher Personen geht zurück auf das preußische Allgemeine Landrecht, das in § 10 des 11. Titels des II. Teils unter Religionsgesellschaft eine Verbindung mehrerer Einwohner des Staates zum Zwecke der Religionsausübung verstand. Von diesem historischen Ausgangspunkt her meint auch Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV die Mitgliedschaft natürlicher Personen, wenn diese Bestimmung die Anerkennung von Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts daran knüpft, dass "sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten."

Vgl. Muckel, JZ 2001, 58 (60) und DÖV 1995, 311 (312); Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 538 (545).

Vom Wortsinn her verknüpft der im Grundgesetz nicht definierte Begriff der Religionsgemeinschaft die Merkmale Religion und Gemeinschaft zu einem Verfassungsrechtsbegriff, der sich auf einen Zusammenschluss nicht nur im Bereich der Religion bezieht, sondern auf eine Vereinigung auf dem Boden der staatlichen Rechtsordnung.

BVerfG, Beschluss vom 5. 2. 1991, a.a.O., S. 355 zum Begriff Religionsgesellschaft.

Dass eine Religionsgemeinschaft im Sinne des verfassungsrechtlichen Begriffs einen Zusammenschluss natürlicher Personen voraussetzt, ergibt sich schließlich bei teleologischer Auslegung daraus, dass sie Ausdruck der durch Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 2 Satz 1 WRV gewährleisteten, von dem Grundrecht der Religionsfreiheit in Art. 4 GG umfassten religiösen Vereinigungsfreiheit ist, die die Freiheit einschließt, sich aus gemeinsamem Glauben auf dem Boden der staatlichen Rechtsordnung zu einer Religionsgemeinschaft (Religionsgesellschaft) zusammenzuschließen. Die Möglichkeit der Bildung einer Religionsgemeinschaft soll den Weg eröffnen, sich als "Vereinigung von Menschen" zur Verwirklichung des gemeinsamen religiösen Zwecks zu organisieren.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. 2. 1991, a.a.O., S. 355.

Eine Religionsgemeinschaft ist danach als eine "Vereinigung von Menschen" zu verstehen, die sich zur Verwirklichung eines gemeinsamen religiösen Zwecks zusammengeschlossen haben. Der gemeinsame Zweck, der die Religion als eine mit der Person des Menschen verbundene, auf eine transzendente Wirklichkeit bezogene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und Ziel des menschlichen Lebens sowie die (umfassende) Glaubensbetätigung zum Gegenstand hat, hat unmittelbaren Bezug zur Person des Menschen und wird auch in Gemeinschaft mit anderen letztlich vom einzelnen Menschen verfolgt.

Vgl. Pieroth/Görisch, a.a.O., S. 938, 941.

Der Konsequenz daraus, dass nämlich Dachverbände keine Religionsgemeinschaften sind, kann nicht durchgreifend entgegen gehalten werden, der Ausschluss von Dach- oder Vereinsverbänden von den Religionsgemeinschaften verletze die (religiösen) Zusammenschlüsse in ihrem durch Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV geschützten Selbstverwaltungsrecht, das in Form der internen Organisationsgewalt die Freiheit der Aufgliederung in eine hierarchisch oder auf andere Weise gestufte Ordnung einschließe.

Vgl. Pieroth/Görisch, a.a.O., S. 941; Eiselt, Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in der Bundesrepublik, DÖV 1981, 205 (206).

Dass ein aus Mitgliedsvereinen bestehender Dachverband sich für eine Aufgliederung in eine gestufte Ordnung (von oben nach unten) auf das Selbstverwaltungsrecht im Sinne von Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV berufen kann, setzt voraus, dass er eine Religionsgesellschaft (Religionsgemeinschaft) ist; es kann aber nicht aus dem entsprechend verstandenen Selbstverwaltungsrecht auf das Vorliegen einer Religionsgemeinschaft geschlossen werden. Die Behauptung oder das Selbstverständnis, Religionsgemeinschaft zu sein, allein ist nicht ausschlaggebend. Handelt es sich bei den Mitgliedsverbänden oder -vereinen eines Dachverbandes um Religionsgemeinschaften, so schließt das hier zugrundegelegte Verständnis von einer Religionsgemeinschaft es nicht aus, dass diese sich in Wahrnehmung der geschützten Freiheit, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten, zur Verfolgung gemeinsamer (religiöser) Zwecke zu einer religiösen Vereinigung oder einem Verband zusammenschließen. Ein Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften zu einem rechtlich selbständigen Dachverband ist ebenso wie eine Einrichtung oder Vereinigung einer Religionsgemeinschaft, die der partiellen Pflege des religiösen Lebens oder der Förderung des religiösen Bekenntnisses dient, bei hinreichender organisatorischer und institutioneller oder zweckbezogener Verbindung mit der Religionsgemeinschaft oder den Religionsgemeinschaften deren "Teil"; sie handeln aber nicht in Ausübung eines eigenen Selbstverwaltungsrechts und können das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV nicht selbst aus eigenem Recht für sich in Anspruch nehmen; dieses steht vielmehr der bzw. den Religionsgemeinschaft(en) zu.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. 6. 1985 - 2 BvR 1703/83 u.a. -, BVerfGE 70, 138 (162 ff.), vom 25. 3. 1980 - 2 BvR 208/76 -, BVerfGE 53, 366 (391 f.) und vom 11. 10. 1977 - 2 BvR 209/76 -, BVerfGE 46, 73 (86); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl., S. 194 f.; Isensee, in: Listl/Pirson, HdbStKR II, a.a.O., S. 727 f.; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, a.a.O., Rdn. 19.

Ein Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften zu einem Dachverband muss nicht von Verfassungs wegen selbst eine Religionsgemeinschaft sein; das wird auch nicht von Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 Satz 3 WRV vorausgesetzt. Wenn danach der Verband, zu dem sich öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften (Körperschaften des öffentlichen Rechts) zusammengeschlossen haben, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ist, folgt daraus nicht, dass auch er selbst eine Religionsgemeinschaft ist. Dem Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereinigungen zu einem Dachverband fehlt grundsätzlich vielmehr das Essenzielle einer Religionsgemeinschaft, nämlich der Zusammenschluss von natürlichen Personen als Angehörigen eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses oder verwandter Glaubensbekenntnisse.

Gemessen daran sind die Kläger als Dachverbände keine Religionsgemeinschaften. Wie das VG - allerdings zu dem im vorliegenden Zusammenhang nicht erheblichen Erfordernis einer Legitimationskette - in der Sache zutreffend ausgeführt hat, haben die Kläger nach ihren Satzungen (im Wesentlichen) keine natürlichen Personen als unmittelbare (ordentliche) Mitglieder. Ihre mitgliedschaftliche Organisation ist weitestgehend von natürlichen Personen abgelöst. Mitglieder des Klägers zu 1. sind nach § 4 Abs. 1 seiner Satzung die an deren Schluss aufgeführten Gründungsmitglieder; das sind 19 islamische Organisationen, und zwar überwiegend in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisierte Dachverbände, Zentren und Einzelgemeinden (vgl. § 6 Abs. 10 der Satzung), sowie 2 (lebende) natürliche Personen; Mitglieder können darüber hinaus nach § 4 Abs. 2 der Satzung nur im Einzelnen qualifizierte Dachorganisationen sein. Auch die assoziierende Mitgliedschaft nach § 4 Abs. 3.1 der Satzung, die sich auf islamische Organisationen beschränkt, und die assoziierte Mitgliedschaft einzelner Moscheevereine nach § 4 Abs. 3.2 sind natürlichen Personen islamischen Glaubens vorenthalten. Der Umstand, dass 2 natürliche Personen als Gründungsmitglieder Vereinsmitglieder sind, hat für die hier entscheidende Frage, ob der Kläger zu 1. ein Zusammenschluss natürlicher Personen zur Pflege des gemeinsamen religiösen Bekenntnisses des Islams ist, kein entscheidendes Gewicht. Die ganz maßgebliche Prägung erfährt der Kläger zu 1. nämlich ausschließlich durch die ordentliche Mitgliedschaft von islamischen Organisationen. Nur diese haben nach § 6 Abs. 9 der Satzung ein Teilnahmerecht an der Vertreterversammlung. Auch bei Wahlen und Satzungsänderungen haben die angeführten 2 natürlichen Personen in der Vertreterversammlung des Vereins nach § 6 Abs. 10 der Satzung kein Teilnahmerecht und keine "Vertretungsstimme". Die maßgebliche Prägung erschließt sich auch aus dem in § 2 der Satzung festgelegten Zweck des Vereins; danach ist er Handlungsorgan der dem Verein angehörenden Organisationen. Anhaltspunkte dafür, dass der Verein über die satzungsrechtlichen Regelungen der Mitgliedschaft hinaus in sonstiger Form nach religiösem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild einen Zusammenschluss von natürlichen Personen auf der Grundlage gemeinsamer religiöser Überzeugungen darstellt, lassen sich nicht feststellen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Gutachterrat von islamischen Gelehrten und der aus Ehrenmitgliedern bestehende Beirat zur Unterstützung und Beratung herangezogen wird (§§ 8, 8a der Satzung); auch die Mitwirkung dieser aus natürlichen Personen gebildeten Räte bei der Verfolgung der Zwecke des Vereins prägt diesen nicht als Zusammenschluss natürlicher Personen, durch die auf der Ebene des Dachverbands die gemeinsamen religiösen Überzeugungen erfahren und gelebt werden. Dass entsprechend dem klägerseitigen Vortrag hinter den Dachverbänden in den örtlichen Vereinen und Gemeinden natürliche Personen stehen, weist nicht auf einen personalen Zusammenschluss auf der Ebene des Dachverbandes, sondern lediglich darauf hin, dass es personale Vereinigungen nur auf örtlicher Ebene gibt.

Entsprechendes gilt für den Kläger zu 2. Auch dessen mitgliedschaftliche Organisation ist entscheidend durch die (unmittelbare) Mitgliedschaft von juristischen Personen geprägt, die sich auf der Grundlage des Islam gebildet haben (vgl. § 3 der Satzung); bei ihnen handelt es sich um Bundes- und Landesverbände sowie regionale und lokale Vereinigungen. Der Umstand, dass nach § 3 Abs. 4 der Satzung auch die Mitglieder der Mitgliedsvereine automatisch "mittelbare" Mitglieder des Dachverbands werden, führt nicht dazu, dass der Kläger zu 2. (auch) als Zusammenschluss natürlicher Personen anzusehen ist. Die mittelbaren Mitglieder haben kein Teilnahmerecht an den Vertreterversammlungen, sind vielmehr ansonsten der Vereinssatzung "unterworfen"; sie sind durch die genannte Satzungsvorschrift lediglich formal in den Dachverband einbezogen; dass sie satzungsgemäße Mitwirkungs- oder Gestaltungsmöglichkeiten im Dachverband haben, ist nicht ersichtlich. Auch außerhalb des Satzungsrechts ist nicht festzustellen, dass die mittelbaren Mitglieder den Kläger zu 2. als Zusammenschluss natürlicher Personen prägen. Dass diese sich über das formale Band hinaus freiwillig auf der Grundlage gemeinsamer religiöser Überzeugungen vom Islam in bewusster Entscheidung für die gemeinsame Religion und Religionsausübung untereinander, also auch mit Mitgliedern der anderen Mitgliedsvereine, zusammengeschlossen hätten, macht der Kläger zu 2. nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.

Die Kläger sind, wie das VG mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt hat, auch nicht im Hinblick auf die in großer Zahl vorgelegten Erklärungen des Einverständnisses natürlicher Personen mit der Vertretung durch die Kläger in Angelegenheiten des islamischen Religionsunterrichtes personale Zusammenschlüsse. Die Erklärungen zielen nicht über den punktuellen Gegenstand hinaus auf einen Zusammenschluss der erklärenden Personen in einem der Dachverbände und sind letztlich unverbindlich.

Unabhängig vom Fehlen natürlicher Personen sind die Kläger auch deshalb keine Religionsgemeinschaften in dem ausgeführten verfassungsrechtlichen Sinne, weil sie die ihnen durch das gemeinsame Bekenntnis zum Islam gestellten Aufgaben nach satzungsrechtlicher Zielsetzung und tatsächlicher Praxis nicht in dem vorausgesetzten allseitigen Sinn erfüllen. Dieses Merkmal der umfassenden Glaubensverwirklichung als Grundlage und Ziel des Zusammenschlusses von Religionsangehörigen hat eigenständige Bedeutung für den Begriff der Religionsgemeinschaft.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. 6. 1995 - 3 C 31.93 -, BVerwGE 99, 1 (3) und vom 14. 11. 1980 - 8 C 12.79 -, BVerwGE 61, 152 (154); Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 1930, Art. 137 Anm. 2; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, a.a.O., Rdn. 14; Muckel, a.a.O.; Pieroth/Görisch, a.a.O., S. 938; Häußler, a.a.O., S. 263; Poscher, a.a.O., S. 58; ferner OVG Berlin, a.a.O., S. 555.

Es ist normativ zurückzuführen auf die Unterscheidung von Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen in Art. 140 GG, Art. 138 Abs. 2 WRV und dient mit dem Erfordernis der Universalität oder Totalität des Wirkungskreises der Abgrenzung der Religionsgemeinschaften von religiösen Vereinen, die nur einzelne religiöse Zwecke verfolgen oder eine nur auf die Erfüllung einzelner religionsbezogener Aufgaben (z.B. sozialer oder karitativer Art) begrenzte Zielsetzung haben, die sich also nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 11. 10. 1977, a.a.O., 86, und vom 16. 10. 1968 - 1 BvR 241/66 -, BVerfGE 24, 236 (246 f.); Anschütz, a.a.O., Fußnote 2); Pieroth/Görisch, a.a.O., S. 939; Poscher, a.a.O., S. 59; Heckel, a.a.O., S. 752; a.A. Heimann, a.a.O., S. 242.

Unter Hinweis auf diese begriffliche Differenzierung haben das BVerfG und das BVerwG auch in ihrer jüngeren Rechtsprechung zum Schächten ausdrücklich entschieden, dass der verfassungsrechtliche Begriff der Religionsgemeinschaft mehr verlangt als nur eine Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbindet.

BVerfG, Urteil vom 15. 1. 2002 - 1 BvR 1783/99 -, BVerfGE 104, 337 (354); BVerwG, Urteil vom 23. 11. 2000 - 3 C 40.99 -, BVerwGE, 112, 227 (237 f.),

Eine Religionsgemeinschaft muss sich demnach der Pflege, der Vermittlung und Ausübung der Religion im Sinne umfassender Glaubensverwirklichung widmen und den Anspruch haben und zu verwirklichen suchen, die Gesamtheit der den Religionsangehörigen gestellten Aufgaben der Religion oder der Glaubensrichtung in der Gemeinschaft zu erfüllen. Dadurch erreicht und erhält sich die Religionsgemeinschaft eine Nähe zu ihren - durch gemeinsame Glaubensüberzeugungen, einen religiösen Konsens jedenfalls in den Grundaussagen des Bekenntnisses verbundenen - Angehörigen.

Vgl. Poscher, a.a.O., S. 59 f.

Eine Religionsgemeinschaft gewährleistet so - mit Blick auf Art. 7 Abs. 3 GG - eine Grundbedingung für die Herausbildung und Vertretung der Grundsätze für den Religionsunterricht auf der Grundlage der über Teilaspekte hinausgehenden umfassenden Religionsausübung und des religiösen Konsenses und für die sonstige Kooperation bei der Durchführung des staatlichen Religionsunterrichts, was der Schaffung und Förderung der Akzeptanz bei den Angehörigen der Religionsgemeinschaft dienlich ist.

Ob ein religiöser Verband, der sich selbst als Religionsgemeinschaft versteht, die Voraussetzung der allseitigen Pflege der Religion im Sinne umfassender Glaubensverwirklichung im Rahmen oder auf der Ebene der von ihm gebildeten Gemeinschaft erfüllt, lässt sich nicht ohne Betrachtung des Hintergrundes der tatsächlichen Situation der Religionsangehörigen in der heutigen Gesellschaft unter Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses beurteilen. Die islamische Religion prägt das Leben des einzelnen Muslim, die muslimische Familie und die muslimische Gemeinschaft. Kern der Religionsausübung sind die 5 Hauptpflichten, nämlich das Glaubensbekenntnis, das rituelle, 5 mal täglich zu sprechende Pflichtgebet, das Fasten im Monat Ramadan, die Sozialabgabe und die Wallfahrt; insbesondere das rituelle Pflichtgebet ist für die Gemeinschaft konstitutiv.

Vgl. Khoury, in: Khoury/Heine/Oebbecke, Handbuch Recht und Kultur des Islams in der Deutschen Gesellschaft, 2000, S. 16, 75.

Da für den Islam aus Glaubensgründen nur die alle Muslime umfassende islamische Gemeinschaft, die "umma", wesentlich ist, kennt er religionsbedingt grundsätzlich keine Organisationsstrukturen und keinen amtlich verfassten hierarchischen Aufbau. Mit der Immigration zahlreicher Muslime in säkulare, nicht islamisch geprägte Gesellschaften und Länder ergab sich das Erfordernis, Organisationsstrukturen in Form von islamischen Gemeinden und Vereinigungen zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen herauszubilden. Die formale Mitgliedschaft in Gemeinden und sonstigen islamischen Organisationen ist für Muslime aufgrund ihres Glaubens von geringer Bedeutung.

Vgl. LT-Drs. 13/1397, Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage "Zur Lage der Muslime in NRW" vom 9. 7. 2001, S. 6, 10; BT-Drs. 14/4530, Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage "Islam in Deutschland", vom 8. 11. 2000, S. 8, 12.

Für das religiöse Leben in der Gemeinschaft und die gemeinsame Religionsausübung und rituelle Praxis sind die Gebetsräume und Moscheen als Gebets- und Versammlungsstätten von zentraler Bedeutung, insbesondere für das vom Vorbeter geleitete rituelle Freitagsgebet.

Vgl. Spuler-Stegemann, Muslime in Deutschland, 2002, S. 142, 163; Albrecht, Religionspolitische Aufgaben angesichts der Präsenz des Islam in der Bundesrepublik Deutschland, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 20 (1986), 82 (93 f).

Zu ihrer Einrichtung und Unterhaltung haben sich auf lokaler Ebene zahlreiche Moscheevereine und auch sonstige islamische Kulturvereine gebildet, die überwiegend überörtlichen Verbänden angeschlossen sind, welche die Moscheen finanziell (mit-)tragen und (ausgebildete) Vorbeter stellen. In örtlichen Gemeinden oder Vereinigungen erfolgt im Zusammenhang mit Moscheen und Zentren weiter die Unterweisung in der Glaubenslehre und -praxis und die religiöse Erziehung in Koranschulen sowie die Pflege religiöser, sozialer und kultureller Aufgaben.

Vgl. Spuler-Stegemann, a.a.O., S. 94, 100 f., 158, 163; Albrecht, a.a.O., S. 94; LT-Drs. 13/1397, S. 11, 16.

Weiterer Ausdruck gemeinsamer Religionsausübung sind etwa religiöse Feste sowie die Bestattung Verstorbener und das Schächten nach religiösen Vorschriften.

Vgl. Spuler-Stegemann, a.a.O., S. 163 ff., 171 ff., 174 ff.; LT-Drs. 13/1397, S. 18 ff.; BT-Drs. 14/4530, S. 16 ff.

Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger nach religiösem Charakter und äußerem Erscheinungsbild sowie unter Berücksichtigung ihres Selbstverständnisses der umfassenden Glaubensverwirklichung der ihnen nach ihrer Betrachtung zugeordneten Muslime dienen.

Der Kläger zu 1. ist nach seinem satzungsgemäßen Zweck und den selbstgestellten Aufgaben entsprechend seiner Selbstdarstellung ein Handlungsorgan und eine Diskussions- und Handlungsebene der ihm angehörenden Organisationen und eine gemeinsame und ständige Informations- und Gesprächsebene für das öffentliche Interesse der Muslime (§ 2 Abs. 1 der Satzung). Hierbei soll er die Tätigkeiten seiner Mitglieder koordinieren, gemeinsame Aktivitäten organisieren, gemeinsame Interessen seiner Mitgliedsgemeinden und einzelner Personen gegenüber zuständigen staatlichen und gesellschaftlichen Stellen vertreten und die Anliegen und Standpunkte der Muslime in der Öffentlichkeit bekannt machen (§ 2 Abs. 2 der Satzung). Er nimmt die Aufgabe eines Dialogs- und Ansprechpartners für den Staat, die Verwaltung und Gruppen der Gesellschaft wahr. Er ist Partner im gesellschaftlichen Leben und der Politik, geht den Weg des Miteinanders mit anderen Gruppen und Personen der Gesellschaft und ist für islamische Belange Gesprächspartner, Anlaufstelle und "einheitlicher Ansprechpartner" in Deutschland; er nimmt Stellung zu den wesentlichen Fragen der Gesellschaft im Allgemeinen und der Muslime im Besonderen. Er hat sich die Aufgabe gestellt, die gemeinsamen Interessen der Moscheegemeinden, islamischen Vereine, Verbände und Dachorganisationen als Gesellschaftsgruppen vor den Behörden zu vertreten und die ihnen zustehenden Rechte in ihrem Namen zu verlangen, sowie Aufklärungsarbeit über den Islam und die Muslime in der Öffentlichkeit sowie im Innenverhältnis gegenüber den Mitgliedern zu leisten, um die erforderliche Basis gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses und Achtung für ein Zusammenwirken mit anderen Gruppen und Institutionen der Gesellschaft zu schaffen und um Feindbilder abzubauen. Er verfolgt im Sinne der Präambel der Satzung die Absicht, den islamischen Gemeinschaften in Deutschland zu dienen, den kulturellen und interreligiösen Dialog zu pflegen und sich für eine konstruktive Kooperation zum Wohl der islamischen Gemeinschaft und der ganzen Gesellschaft einzusetzen. Der Kläger zu 1. bezieht damit die ihm selbst zugeschriebenen Funktionen eines Handlungsorgans, einer Diskussions- und Handlungsebene bzw. Informations- und Gesprächsebene, eines Dialog- und Ansprechpartners und eines Partners im gesellschaftlichen Leben und in der Politik im Kern auf das Tätigkeitsfeld der Interessenvertretung nach außen - nämlich auf die Vertretung "öffentlicher Interessen" der Muslime, der gemeinsamen Interessen der Mitgliedsgemeinden und einzelner Personen gegenüber zuständigen staatlichen und gesellschaftlichen Stellen und der gemeinsamen Interessen von Moscheegemeinden und islamischen Vereinen und Organisationen vor den Behörden -, ferner auf die Tätigkeitsfelder des Dialogs mit Staat, Verwaltung und gesellschaftlichen Gruppen sowie des interreligiösen Dialogs, der öffentlichen Meinungsbildung und der Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Auch wenn insofern eine Beschränkung auf gesellschaftliche, kulturelle und (integrations-)politische Themen und Gegenstände nicht anzunehmen sein mag, vielmehr vielfältige religionsbezogene Belange zur Sprache kommen und seine Funktionen den islamischen Gemeinden dienen mögen, erschließt sich daraus nicht, dass der Kläger zu 1. selbst, in eigener Verantwortung und mit eigenem Wirken, die allseitige Pflege des religiösen Lebens der Religionsangehörigen verfolgt und die Gesamtheit der den Religionsangehörigen aus Gründen des religiösen Glaubens gestellten Aufgaben erfüllt. Die Funktionsbereiche und Tätigkeitsfelder sind überwiegend nach außen gewandt, nämlich auf staatliche Stellen, gesellschaftliche Gruppen oder die Gesellschaft bzw. die Öffentlichkeit gerichtet. Sie lassen nicht erkennen, dass sich der Kläger zu 1. selbst oder durch von ihm bestellte Funktionsträger dem religiösen Leben und der Religionsausübung der Religionsangehörigen, die er sich über Untergliederungen zugeordnet sieht, widmet, insbesondere selbst die Lehre des islamischen Glaubens und die Religionsausübung in den Moscheen, die als Stätten des gemeinsamen Gebets und als Versammlungsräume von zentraler Bedeutung sind, organisiert, trägt, unterstützt, anleitet oder mitgestaltet, selbst die religiöse Erziehung und Unterweisung in den örtlichen Gemeinden organisiert oder durchführt und die Gläubigen bei religiösen Festen und sonstigen für das religiöse Leben wesentlichen Riten (Schächten, Bestattungen) unterstützt. Soweit der Kläger zu 1. im Verhältnis zu den Mitgliedern Aufklärungsarbeit leistet und der von ihm eingerichtete islamische Gutachterrat aktuelle ortsbezogene Probleme im Bereich einzelner Mitglieder und der islamischen Gemeinden begutachtet, aus theologischer Sicht Richtlinien für den islamischen Religionsunterricht begutachtet und die Anfänge der Mondmonate und die Zeiten der islamischen Feste bestimmt, nimmt er lediglich partielle Aufgaben wahr, ohne damit - unbeschadet der Bedeutung dieser Aufgaben für die Muslime - eine allseitige Pflege des religiösen Lebens zu fördern oder auszuüben. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu 1. über das vorstehend zu den selbstgestellten Aufgaben Ausgeführte hinaus tatsächlich weitergehende Zwecke verfolgt oder Aufgabenbereiche wahrnimmt, sind nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich.

Auch in Bezug auf den Kläger zu 2. lässt sich nicht feststellen, dass er der umfassenden Glaubensverwirklichung der Religionsangehörigen dient. Seine Zwecke und seine Aufgabenerfüllung sind - ungeachtet der als solcher unbeachtlichen Eigenbewertung als islamische Religionsgemeinschaft (vgl. § 2 Abs. 1 der Satzung) - im Ergebnis nicht anders zu beurteilen. Nach seinem in der Satzung und in der vorgelegten Selbstdarstellung zum Ausdruck gebrachten Selbstverständnis wurde er als Koordinierungsinstanz und gemeinsames Beschlussorgan "islamischer Religionsgemeinschaften" gegründet und betrachtete sich als Brücke zwischen Deutschland und der islamischen Welt. Er hat als Aufgabe die Vertretung der Interessen der Muslime in Deutschland in der Ausübung ihrer Religion und in der Bekenntnis- und Glaubensvermittlung. Insofern und im Hinblick auf die in § 2 Abs. 5 und 6 der Satzung bestimmten Aufgaben des Aufbaus einer "zukunftsorientierten Infrastruktur" für die Integration der Muslime, der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Institutionen, der Förderung der Zusammenarbeit und Solidarität unter den Muslimen, der Wahrung der islamischen Interessen in der Öffentlichkeit, der Aufklärung der Öffentlichkeit über die religiös-kulturellen Gepflogenheiten und Lehren des Islams gilt das zum Kläger zu 1. Gesagte entsprechend. Es geht um Funktionszuschreibungen und Aufgaben- und Tätigkeitsfelder, die integrationspolitische Anliegen, die Interessenvertretung, die Kooperation und die Öffentlichkeitsarbeit zum Gegenstand haben, nicht aber um Pflege des religiösen Lebens in den islamischen (Moschee-)Gemeinden. Soweit sich der Kläger zu 2. die Durchführung von Glaubensseminaren und -lehrgängen, die nicht kommerzielle Verbreitung von islamischer Literatur, die Beratung von Muslimen in sozialen und karitativen Fragen und das Eintreten für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts und eines akademischen Lehrfachs an deutschen Hochschulen zur Ausbildung von islamischen Gelehrten und Religionslehrern zur Aufgabe gestellt hat, handelt es sich um die partielle Wahrnehmung von Anliegen im Bereich der Religion, nicht aber um umfassende Glaubensverwirklichung und Pflege des religiösen Lebens der Religionsangehörigen. Mit den in § 2 Abs. 5 der Satzung gestellten Aufgaben der Lehre des islamischen Glaubens und Wahrung der islamischen Werte, der Erteilung von Glaubensunterweisungen und Bekenntnisvermittlung an muslimische Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie der Durchführung von Gebets- und Predigtgottesdiensten, Bestattungsgottesdiensten, Veranstaltung von religiösen Festen und Feierlichkeiten sind zwar - in Verbindung mit den vorstehenden partiellen Aspekten und vor dem Hintergrund der oben allgemein aufgezeigten Gegebenheiten des islamischen religiösen Lebens - die allseitige Pflege des religiösen Lebens der Glaubensangehörigen und die umfassende Glaubensverwirklichung angesprochen. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass der Kläger zu 2. in eigener Verantwortung und Regie die Lehre und Verkündigung des Glaubens und der islamischen Werte, Glaubensunterweisungen und Gottesdienste durchführt und islamische Feste gestaltet. Hiergegen spricht der selbstgesetzte Gründungszweck als bundesweite Koordinierungsinstanz und gemeinsames Beschlussorgan "islamischer Religionsgesellschaften" und damit das auch im gerichtlichen Verfahren betonte Selbstverständnis als Dachverband. Es ist auch nicht geltend gemacht oder ersichtlich, dass der Kläger zu 2. selbst anstelle seiner Untergliederungen oder örtlicher Moscheevereine Moscheen und sonstige Versammlungsstätten in den örtlichen Gemeinden unterhält, das dortige religiöse Leben eigenständig prägt und Funktionsträger zur Durchführung von Gottesdiensten sowie der Glaubensverkündigung und -unterweisung auf der örtlichen Ebene eingesetzt hat.

Im Gegenteil lässt das Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren erkennen, dass der Kläger zu 2. - wie auch der Kläger zu 1. - nicht selbst auf der Ebene der ihnen zugeordneten örtlichen Gemeinden, Moscheevereine oder Kulturzentren Versammlungsräume und Moscheen als Stätten, die für das religiöse Leben der Religionsangehörigen von zentraler Bedeutung sind, unterhält und nicht selbst Vorbeter oder Lehrer einsetzt. Nach dem klägerseitigen Vorbringen wird - mit Blick auf die strukturellen Bedingungen der Vergemeinschaftung, Aufgabenerfüllung und Organisationsbildung im Islam nachvollziehbar - auf den verschiedenen Ebenen eine (vertikale) Arbeitsteilung dahin praktiziert, dass in den örtlichen Gemeinden die Unterhaltung von Gebetsräumen und Moscheen, der religiöse Unterricht für die Kinder und soziale und kulturelle Angebote wahrgenommen werden, spezialisierte Angebote etwa der religiösen Bildung und Hilfen beim Bau von Moscheen die Sache überörtlicher Verbände sind und die Dachverbände selbst religiösen Sachverstand vorhalten etwa zur Bestimmung der Festtage nach dem Mondkalender, spezialisierte Auskünfte in religiösen Fragen anbieten, die Interessen der Muslime gegenüber staatlichen Stellen etwa zur Frage des Schächtens wahrnehmen, Internetangebote vorhalten, Publikationen herausgeben und sich an Dialogen mit gesellschaftlichen Gruppen und anderen Religionsgemeinschaften beteiligen. Daraus geht hervor, dass beide Kläger auf der örtlichen Ebene in unmittelbarem Kontakt mit den Religionsangehörigen nicht durch eigene Sachwalter für das religiöse Leben zentrale Aufgaben wahrnehmen und die umfassende Glaubensverwirklichung leisten. Dass die arbeitsteilige Pflege der islamischen Religion einleuchtende Gründe für sich hat oder gar zwingender Notwendigkeit folgt, ändert nichts daran, dass auf der Ebene der Dachverbände nicht religiöse oder nur partiell religiöse Zwecke verfolgt werden. Rechtlich kann die Pflege der Religion in der beschriebenen Weise auf der Grundlage der religiösen Vereinigungsfreiheit arbeitsteilig erfolgen. Daraus und aus den für die Arbeitsteilung sprechenden Gründen oder Erfordernissen folgt aber verfassungsrechtlich nicht, dass auf das für eine Religionsgemeinschaft konstitutive Merkmal der allseitigen Aufgabenerfüllung verzichtet werden müsste, um den Besonderheiten des Islams und der islamischen Religionsausübung Rechnung zu tragen. Es ist schon in tatsächlicher Hinsicht nicht festzustellen, dass eine allseitige Pflege des religiösen Lebens der Muslime jedenfalls auf der örtlichen Ebene oder in örtlichen Gemeinschaften mit Blick auf das islamische Selbstverständnis nicht geleistet werden oder sich nicht entwickeln könnte. Dafür sprechende Gründe oder dahin gehende Anhaltspunkte haben die Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht substanziiert aufgezeigt. Dass, wie oben ausgeführt, auf der örtlichen Ebene für die gemeinsame Religionsausübung und -vermittlung wesentliche Aufgaben der Glaubensverwirklichung wahrgenommen werden, weist vielmehr darauf hin, dass die allseitige Aufgabenerfüllung - gegebenenfalls mit Unterstützung überörtlicher Verbände - erfolgt und erfolgen kann. Eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung zu diesem Merkmal ist daher schon aus diesem Grunde nicht veranlasst.

Auch aus rechtlichen Gründen ist nicht von dem Erfordernis umfassender Glaubensverwirklichung abzusehen; auch sonst kann nach Überzeugung des Senats ein anderer als der im Vorstehenden als maßgebend angesehene Inhalt des Verfassungsbegriffs Religionsgemeinschaft, der es erlaubte, die klagenden Dachverbände als Religionsgemeinschaften anzusehen, nicht im Hinblick darauf zugrundegelegt werden, dass sich im Bereich der islamischen Religion und der muslimischen Gemeinschaft andere als im herkömmlichen Sinne verstandene Organisationsstrukturen herausgebildet haben. Im weltanschaulich und religiös neutralen Staat sind grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht religiös oder konfessionell geprägten Gesichtspunkten zu interpretieren. Mag auch der Begriff Religionsgemeinschaft - wie der des Religionsunterrichts - nicht in jeder Hinsicht auf Dauer festgelegt, vielmehr wie der übrige Inhalt der Verfassung "in die Zeit hinein offen" sein, um der Veränderung der gesellschaftlichen oder Lebenswirklichkeit Rechnung tragen zu können, so findet eine Anpassung des Verständnisses von Religionsgemeinschaft doch ihre Grenze in dem verfassungsrechtlich bestimmten Kern des Begriffs Religionsgemeinschaft.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 2. 1987, a.a.O., S. 252 f., 254.

Dieser wird durch die hier entscheidenden Merkmale des Zusammenschlusses natürlicher Personen und der Universalität des Wirkungskreises bestimmt. Schon weil diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das mit dem Hauptantrag verfolgte Begehren der Kläger keinen Erfolg. Es kann hier daher dahin gestellt bleiben, ob unter Berücksichtigung der (Organisations-) Strukturen im Bereich des Islam - wenn islamische Religionsgemeinschaften etwa auf örtlicher Ebene anzunehmen sind - hinsichtlich sonstiger bei teleologischer Auslegung des Begriffs Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach und des Übereinstimmungsgebots des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG anzunehmender, spezifischer Tatbestandsvoraussetzungen - etwa der Voraussetzung einer mitgliedschaftlichen Verfasstheit der Gemeinschaft zur Zuordnung bekenntnisangehöriger Schüler oder des Erfordernisses einer vertretungsberechtigten, die Grundsätze der Religionsgemeinschaft(en) für den Religionsunterricht verbindlich festlegenden Instanz - von den herkömmlich gestellten Anforderungen zur Anpassung an die gewandelten Verhältnisse abgewichen werden kann.

Vgl. hierzu Link, Konfessioneller Religionsunterricht in einer gewandelten sozialen Wirklichkeit ?, ZevKR 46 (2001), 257 (268 f., 280 ff.) und ders., Religionsunterricht in Deutschland, ZevKR 47 (2002), 449 (461); Poscher, a.a.O., S. 71 f.; Jochum, a.a.O., S. 112 ff.

Die Kläger haben schließlich auch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates (Art. 4 Abs. 1, 33 Abs. 3 GG sowie Art. 140 GG, Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV) keinen Anspruch auf Einführung islamischen Religionsunterrichts. Denn auch ein aus diesem Gebot folgender Anspruch auf Gleichbehandlung wegen eines Paritätsverstoßes könnte von vornherein nur Religionsgemeinschaften zustehen. Die Kläger sind aber, wie ausgeführt, keine Religionsgemeinschaften. Es sind darüber hinaus keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt worden oder ersichtlich, dass das beklagte Land Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen ohne Vorliegen einer entsprechenden Religionsgemeinschaft eingeführt hätte.

Vgl. im Übrigen dazu, ob ein (derivatives) Leistungsrecht aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG anzuerkennen ist, BVerwG, Beschluss vom 14. 8. 1997 - 6 B 34.97 -, Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 123 (verneinend zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG); BVerfG, Beschluss vom 8. 10. 1997 - 1 BvR 9/97 -, NJW 1998, 131 (132) (offengelassen zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG); ferner Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), GG, a.a.O., Art. 3 Rdn. 53 ff..

Ende der Entscheidung

Zurück