Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.12.2003
Aktenzeichen: 19 B 2526/03
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
Die Fahrerlaubnisbehörde ist nicht verpflichtet, die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG erneut zu ergreifen, wenn sie diese Maßnahmen bei Erreichen von acht, aber nicht mehr als 13 Punkten durchgeführt hat und der Fahrerlaubnisinhaber danach eine weitere Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13 Punkte nicht überschritten werden. (Ergänzung zu OVG NRW, Beschluss vom 21.3.2003 - 19 B 337/03 -, NVwZ-RR 2003, 681 ff. = NWVBl. 2003, 354 ff.)
Tatbestand:

Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit Ordnungsverfügung vom 12.9.2003 die Fahrerlaubnis, weil der Antragsteller mit 18 Punkten im Verkehrszentralregister eingetragen war. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass sein Punktestand zu reduzieren sei, weil er vor der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht hinreichend verwarnt worden sei. Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung vom 12.9.2003 ab. Die Beschwerde des Antragstellers wies das OVG zurück.

Gründe:

Der Antragsgegner verwarnte den Antragsteller unter dem 25.5.2000 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Punktestand des Antragstellers 8 Punkte. Mit der weiteren Ordnungswidrigkeit vom 26.9.2000 stieg der Punktestand auf 11 Punkte. Dieser weitere Anstieg des Punktestandes erforderte keine erneute Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG. Die Fahrerlaubnisbehörde ist nicht verpflichtet, die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG erneut zu ergreifen, wenn sie diese Maßnahmen bei Erreichen von 8, aber nicht mehr als 13 Punkten durchgeführt hat und der Fahrerlaubnisinhaber danach eine weitere Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13 Punkte nicht überschritten werden.

Die gegenteilige Auffassung des Antragstellers lässt sich aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht herleiten. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die in dieser Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen, wenn "sich acht, aber nicht mehr als 13 Punkte ergeben". Diese Formulierung lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob die Vorschrift nur solche Fälle erfasst, in denen der Fahrerlaubnisinhaber den in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG genannten Punktebereich erstmals oder wiederholt, d. h. nach einer Reduzierung des Punktestandes auf weniger als 8 Punkte etwa infolge der Tilgung von Ordnungswidrigkeiten, vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 21.3.2003 - 19 B 337/03 -, NVwZ-RR 2003, 681 (682 f.), 8, aber nicht mehr als 13 Punkte erreicht, oder ob die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG auch dann (erneut) durchzuführen sind, wenn der bereits verwarnte Fahrerlaubnisinhaber, wie hier, bei einem erreichten Punktestand von 8, aber nicht mehr als 13 Punkten eine weitere Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13 Punkte nicht überschritten werden. In den letztgenannten Fällen spricht gegen die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG, dass die Vorschrift ihrem Wortlaut nach ein Sich-Ergeben von 8 Punkten voraussetzt, sich für den bereits verwarnten Fahrerlaubnisinhaber dagegen mit der weiteren, bei einem Punktestand zwischen 8, aber nicht mehr als 13 Punkten begangenen Verkehrszuwiderhandlung die bereits erreichten 8 Punkte nicht (erneut) ergeben.

Aus der amtlichen Begründung des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998, VkBl. S. 731 ff., geht entgegen der Auffassung des Antragstellers zweifelsfrei der Wille des Gesetzgebers hervor, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der bereits verwarnt worden ist und bei einem Punktestand von 8, aber nicht mehr als 13 Punkten eine weitere Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13 Punkte nicht überschritten werden, die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG vorgesehenen Maßnahmen nicht erneut ergreifen muss. In der amtlichen Begründung, VkBl. 1998, S. 794, heißt es nämlich zu § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG, "die Information über den Punktestand wird dem Betroffenen nach dieser Bestimmung nur einmal gegeben, auch wenn sich anschließend sein Punktestand weiter erhöht hat". Da die Information über den Punktestand (nur) mit der Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG erfolgt, spricht damit die Gesetzesbegründung dafür, dass - abgesehen von den bereits angeführten (Ausnahme-) Fällen, in denen der Punktestand des Fahrerlaubnisinhabers sich etwa auf Grund der Tilgung von Ordnungswidrigkeiten reduziert hat und nach der Reduzierung erneut ein Punktestand von 8, aber nicht mehr als 13 Punkten erreicht wird - nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Verwarnung selbst nur einmal erfolgt.

Für eine dahingehende Auslegung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG sprechen auch Sinn und Zweck des Punktsystems. Die durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998 erfolgte neue Konzeption des Maßnahmenkatalogs zielt nach der Gesetzesbegründung stärker als der bisherige in § 3 der Verwaltungsvorschrift zu § 15 b StVZO a. F. enthaltene Maßnahmenkatalog auf Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von fahreignungsrelevanten Defiziten bei den so genannten Mehrfachtätern. Mit der Zielrichtung, dem Mehrfachtäter stärker als bisher Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von Defiziten zu geben, ist der geänderte Maßnahmenkatalog ein verhältnismäßiger Ausgleich dafür, dass nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG anders als nach dem bisherigen Maßnahmenkatalog bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten generell die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird. Ein solcher Punktestand rechtfertigt die gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung nur deshalb, weil es sich nach der Wertung des Gesetzgebers um einen uneinsichtigen Mehrfachtäter handelt, der sämtliche Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von vorhandenen Defiziten und auch die Möglichkeiten, durch freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar und einer verkehrspsychologischen Beratung "Bonus-Gutschriften" zu erhalten (§ 4 Abs. 4 StVG), nicht oder nicht hinreichend genutzt hat. Angesichts dieser Wertung des Gesetzgebers greift die Ungeeignetheitsvermutung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG nur dann ein, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Möglichkeit hatte, zumindest diejenigen Angebote und Hilfestellungen des neuen Maßnahmenkatalogs wahrzunehmen, die auf der jeweils vorhergehenden Schwelle vorgesehen sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.3.2003 - 19 B 337/03 -, a. a. O., 683, unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998; vgl. ferner OVG NRW, Beschlüsse vom 25.6.2002 - 19 B 1545/01 -, und 2.2.2000 - 19 B 1886/99 -, NZV 2000, 219 (220 f.); Thür. OVG, Beschluss vom 12.3.2003 - 2 EO 688/02 -, NJW 2003, 2770.

Nach diesem Sinn und Zweck war eine erneute Verwarnung des Antragstellers nach Begehung der Ordnungswidrigkeit vom 26.9.2000 nicht erforderlich. Mit der Verwarnung vom 25.5.2000 ist der Antragsteller "eindringlich ermahnt" worden, sich "auch im eigenen Interesse" künftig verkehrsgerecht zu verhalten, um eine bei weiteren Verkehrszuwiderhandlungen drohende Entziehung der Fahrerlaubnis zu verhindern. Zugleich ist ihm sein damaliger Punktestand (8 Punkte) mitgeteilt und der Hinweis erteilt worden, dass ihm bei einer freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar ein Punkterabatt von 4 Punkten gewährt werden kann. Damit ist der Antragsteller entsprechend dem Sinn und Zweck des Punktsystems angehalten worden, sein bisheriges Verkehrsverhalten zu ändern sowie möglichst frühzeitig durch freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar vorhandene Defizite und den damaligen Punktestand abzubauen. Dass er die mit der Verwarnung aufgezeigten Hilfestellungen und Angebote nicht frühzeitig wahrgenommen hat, fällt in seinen Risikobereich. Die hier streitgegenständliche Entziehung der Fahrerlaubnis ist insoweit die mit dem Sinn und Zweck des Punktsystems in Einklang stehende Konsequenz daraus, dass er trotz der ihm aufgezeigten Hilfestellungen und Möglichkeiten zum Punkteabbau weitere Verkehrszuwiderhandlungen begangen und insgesamt 18 Punkte erreicht hat.

Ende der Entscheidung

Zurück