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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.03.2003
Aktenzeichen: 19 B 337/03
Rechtsgebiete: StVG
Vorschriften:
StVG § 4 |
2. Die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG genannten Maßnahmen (Punktsystem) sind auch dann (erneut) zu ergreifen, wenn sich die in diesen Vorschriften genannten Punktestände zum wiederholten Mal ergeben haben.
3. Erreicht der Punktestand des Fahrerlaubnisinhabers auf Grund erneuter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten den Bereich von 14 bis 17 Punkten zum wiederholten Mal, bleiben früher etwa ergriffene Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG bei der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG außer Betracht.
Tatbestand:
Der Antragsteller beantragte beim VG die Aussetzung der Vollziehung der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7. November 2002. Mit der Ordnungsverfügung wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis sofort vollziehbar entzogen und für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht. Das VG lehnte den Aussetzungsantrag ab. Das OVG gab dem Antrag statt.
Gründe:
Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Bei summarischer Prüfung ist die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7.11.2002 offensichtlich rechtswidrig.
Rechtsgrundlage der Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt der Betroffene als ungeeignet, wenn sich 18 oder mehr Punkte ergeben; die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG sind nicht erfüllt. Der Antragsteller ist zwar nach der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 10.10.2002 zurzeit mit 19 Punkten im Verkehrszentralregister eingetragen. Sein Punktestand ist aber gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 zu reduzieren.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG wird der Punktestand des Betroffenen auf 17 reduziert, wenn er 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen hat. Das ist hier der Fall. Der Antragsteller hat 18 Punkte überschritten, ohne dass der Antragsgegner ihn zuvor gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG verwarnt und im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG belehrt hat, obwohl der Antragsgegner dazu objektiv verpflichtet war, weil sich in Bezug auf den Antragsteller (erneut) ein Punktestand von 14 bis 17 Punkten ergeben hatte.
Ergeben sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte, so hat die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 4 Abs. 8 StVG anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG). Hat der Betroffene innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem solchen Seminar teilgenommen, so ist er schriftlich zu verwarnen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG). Unabhängig davon hat die Fahrerlaubnisbehörde den Betroffenen schriftlich auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung nach § 4 Abs. 9 StVG hinzuweisen und ihn darüber zu unterrichten, dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen wird (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG). Nach diesen Vorschriften war der Antragsgegner objektiv verpflichtet, den Antragsteller mit Blick auf die Ordnungswidrigkeit vom 5.5.2002 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG zu verwarnen und im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG zu belehren.
Der Antragsteller ist nach Erreichen von 9 Punkten vom Antragsgegner unter dem 13.10.1998 gemäß § 3 Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 15 b StVZO a. F. (im Folgenden: VwV) verwarnt worden. Diese Verwarnung ist gemäß § 65 Abs. 4 Satz 2 StVG den in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG vorgesehenen Maßnahmen gleichgestellt. Nachdem der Antragsteller 16 Punkte erreicht hatte, ordnete der Antragsgegner mit Bescheid vom 5.4.2000 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG die Teilnahme an einem Aufbauseminar an und belehrte er den Antragsteller über die Möglichkeit der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung, wobei dahinstehen kann, ob die Belehrung den Anforderungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG genügt. Auf Grund der Anordnung des Antragsgegners nahm der Antragsteller in der Zeit vom 30.6. bis 8.7.2000 an einem Aufbauseminar teil. Nach der Teilnahme an dem Aufbauseminar, die, weil sie nicht freiwillig erfolgte, nicht zu einem Punkteabzug gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 StVG führte, reduzierte sich der Punktestand des Antragstellers auf 13 Punkte, weil die mit am 8.10.1996 rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid des früheren Oberkreisdirektors des Kreises Kleve geahndete und mit drei Punkten in das Verkehrszentralregister eingetragene Ordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung) vom 3.8.1996 gemäß § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG im Oktober 2001 getilgt worden ist. Nach der Tilgung der Ordnungswidrigkeit vom 3.8.1996 ist der Antragsteller mit 2 Punkten wegen der Ordnungswidrigkeit vom 5.5.2002 (Verkehrsunfall infolge Missachtung des Vorrangs eines entgegenkommenden Fahrzeugs, geahndet durch im Juni 2002 rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid des Antragsgegners vom 24.5.2002) und mit 4 Punkten wegen der Ordnungswidrigkeit vom 30.4.2002 (Nichteinhaltung des erforderlichen Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug, geahndet durch am 31.8.2002 rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt C. vom 9.8.2002) in das Verkehrszentralregister eingetragen worden. Dabei geht der Senat angesichts der zeitlich früheren Rechtskraft des Bußgeldbescheides des Antragsgegners vom 24.5.2002 davon aus, dass die Ordnungswidrigkeit vom 5.5.2002 vor der Ordnungswidrigkeit vom 30.4.2002 in das Verkehrszentralregister eingetragen worden ist. Die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes an den Antragsgegner vom 10.10.2002 enthält hierüber keine konkreten Angaben.
Auf Grund der Ordnungswidrigkeit vom 5.5.2002 ist der Punktestand des Antragstellers von 13 auf 15 Punkte gestiegen und haben sich damit im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG (erneut) 14, aber nicht mehr als 17 Punkte "ergeben". Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner durch das Kraftfahrt-Bundesamt entgegen § 4 Abs. 6 StVG nicht unmittelbar nach Erreichen von 15 Punkten unterrichtet worden ist, sondern ihn das Kraftfahrt-Bundesamt mit Schreiben vom 10.10.2002 gleichzeitig über die Eintragung der Ordnungswidrigkeiten vom 5.5.2002 und vom 30.4.2002 und den auf Grund der Eintragung beider Ordnungswidrigkeiten erreichten (Gesamt-) Punktestand von 19, also das Erreichen des nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG maßgeblichen Punktestandes, informiert hat. Für das "Sich-Ergeben" von 14, aber nicht mehr als 17 Punkten im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG ist es unerheblich, wann die zuständige Fahrerlaubnisbehörde vom Kraftfahrt-Bundesamt unterrichtet worden ist und ob die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes rechtzeitig "bei Erreichen der betreffenden Punktestände (Absätze 3 und 4)" im Sinne des § 4 Abs. 6 StVG erfolgte. Die Vorschrift setzt, indem sie an das "Erreichen der betreffenden Punktestände" anknüpft, voraus, dass die betreffenden Punktestände erreicht worden sind, also sich etwa im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG 14, aber nicht mehr als 17 Punkte "ergeben" haben. Damit ist die nach § 4 Abs. 6 StVG vorgesehene Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Folge des Erreichens des "betreffenden" Punktestandes, aber keine Voraussetzung dafür, dass sich einer der in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 3 StVG genannten Punktestände "ergeben" hat. Ob das "Sich-Ergeben" mit Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheides vom 24.5.2002 oder erst mit Eintragung der Ordnungswidrigkeit in das Verkehrszentralregister vorlag, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner näheren Erörterung.
Der Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragsteller auf Grund des (erneuten) Erreichens von 14, aber nicht mehr als 17 Punkten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG zu verwarnen - die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar kam nicht in Betracht, weil der Antragsteller in den letzten fünf Jahren bereits an einem solchen Seminar teilgenommen hatte - und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG zu belehren, steht nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 StVG auch nicht entgegen, dass der Antragsteller bereits 1999 16 Punkte erreicht und der Antragsgegner daraufhin die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Sätze 1 und 3 StVG vorgesehenen Maßnahmen ergriffen hatte. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG kommt es nämlich nur darauf an, dass sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte "ergeben" haben. Ob dies bereits früher einmal - oder auch mehrmals - der Fall war, ist unerheblich. Die Fahrerlaubnisbehörde muss deshalb nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG die dort vorgesehenen Maßnahmen nicht nur bei einem erstmaligen Erreichen oder Überschreiten von 14 Punkten ergreifen, sondern auch dann, wenn sich der Punktestand in der Folgezeit etwa auf Grund der Tilgung von Eintragungen auf unter 14 Punkten reduziert und sich nach der Reduzierung bei dem Betroffenen erneut 14 Punkte "ergeben".
Dafür spricht auch der Wortlaut des § 4 Abs. 6 StVG. Danach hat das Kraftfahrt-Bundesamt zur Vorbereitung der Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 StVG bei "Erreichen der betreffenden Punktestände (Absätze 3 und 4)" den Fahrerlaubnisbehörden die vorhandenen Eintragungen aus dem Verkehrszentralregister zu übermitteln. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 6 StVG besteht die Übermittlungspflicht des Kraftfahrt-Bundesamtes damit nicht nur beim erstmaligen Erreichen der in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 StVG genannten Punktestände, sondern auch dann, wenn sich der Punktestand des Fahrerlaubnisinhabers etwa - wie hier - auf Grund der Tilgung einer Ordnungswidrigkeit reduziert hat und sich in der Folgezeit auf Grund weiterer Zuwiderhandlungen wieder erhöht. Dementsprechend hätte das Kraftfahrt-Bundesamt den Antragsgegner über den aktuellen Punktestand des Antragstellers unterrichten müssen, nachdem die weitere Ordnungswidrigkeit vom 5.5.2002 in das Verkehrszentralregister eingetragen worden war und er auf Grund dieser Eintragung erneut 14 Punkte überschritten hatte. Eine solche Unterrichtung des Antragsgegners ist jedoch nicht erfolgt. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat ihn erst mit Schreiben vom 10.10.2002, nachdem die weitere Ordnungswidrigkeit vom 30.4.2002 in das Verkehrszentralregister eingetragen worden war, über den nach dieser Eintragung erreichten (Gesamt-) Punktestand von 19 Punkten unterrichtet.
Sinn und Zweck der Regelungen in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 5 StVG sprechen ebenfalls dafür, die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG bei wiederholtem "Sich-Ergeben" von 14, aber nicht mehr als 17 Punkten ebenso anzuwenden wie bei erstmaligem "Sich-Ergeben" eines solchen Punktestandes, mithin der Antragsteller nach dem erneuten Überschreiten von 14 Punkten und vor Überschreiten von 18 Punkten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG zu verwarnen und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG zu belehren war. Die genannten Regelungen sind Teil des durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998, VkBl. 1998 S. 731 ff., geänderten Maßnahmenkatalogs des so genannten Punktsystems. Die neue Konzeption des Maßnahmenkatalogs zielt nach der Gesetzesbegründung stärker als der bisherige in § 3 VwV enthaltene Maßnahmenkatalog auf Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von fahreignungsrelevanten Defiziten bei den so genannten Mehrfachtätern.
Vgl. Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998, VkBl. 1998 S. 772 bis 774 und S. 793 f.
Mit der Zielrichtung, dem Mehrfachtäter stärker als bisher Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von Defiziten zu geben, ist der geänderte Maßnahmenkatalog ein verhältnismäßiger Ausgleich dafür, dass nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG anders als nach dem bisherigen Maßnahmenkatalog des § 3 VwV bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten generell die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.6.2002 - 19 B 1545/01 -, und 2.2.2000 - 19 B 1886/99 -, NZV 2000, 219 (220 f.).
Ein solcher Punktestand rechtfertigt die gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung nur deshalb, weil es sich nach der Wertung des Gesetzgebers um einen uneinsichtigen Mehrfachtäter handelt, der sämtliche Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von vorhandenen Defiziten und auch die Möglichkeiten, durch freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar und einer verkehrspsychologischen Beratung "Bonus-Gutschriften" zu erhalten (§ 4 Abs. 4 StVG), nicht oder nicht hinreichend genutzt hat.
Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998, a. a. O., S. 774.
Angesichts dieser Wertung des Gesetzgebers greift die Ungeeignetheitsvermutung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG nur dann ein, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Möglichkeit hatte, zumindest diejenigen Angebote und Hilfestellungen des neuen Maßnahmenkatalogs wahrzunehmen, die auf der jeweils vorhergehenden Schwelle vorgesehen sind.
OVG NRW, Beschlüsse vom 25.6.2002 - 19 B 1545/01 -, und 2.2.2000 - 19 B 1886/99 -, a.a.O., 221.
Das ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung in § 4 Abs. 5 StVG. Mit der in dieser Vorschrift vorgesehenen Reduzierung des Punktestandes ist für die Fälle, in denen der Fahrerlaubnisinhaber auf atypische Weise, d. h. "auf einen Schlag", 14 oder 18 Punkte erreicht oder überschreitet, sichergestellt, dass er Gelegenheit erhält, das Bonus-System und die Möglichkeiten des Aufbauseminars und der verkehrspsychologischen Beratung zu nutzen.
Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998, a. a. O., S. 774 und 795; vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 25.6.2002 - 19 B 1545/01 -, und 2.2.2000 - 19 B 1886/99 -, a.a.O., 220 f.
Diesem Sinn und Zweck der Regelungen in § 4 Abs. 3 und Abs. 5 StVG widerspricht die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers. Er würde im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis - im Ergebnis - einem Fahrerlaubnisinhaber gleichstehen, der "auf einen Schlag" 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne zuvor die Möglichkeit eines Punkteabbaus durch Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung ausgeschöpft zu haben. Er konnte nämlich vor dem durch die Eintragung der mit vier Punkten bewerteten Ordnungswidrigkeit vom 30.4.2002 bedingten Überschreiten von 18 Punkten nicht die Möglichkeit nutzen, nach Eintragung der mit 2 Punkten bewerteten Ordnungswidrigkeit vom 5.5.2002 und dem dadurch bedingten erneuten Überschreiten von 14 Punkten durch freiwillige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung (§ 4 Abs. 4 Satz 2 StVG) seinen damaligen Punktestand (15 Punkte) um zwei und damit auf 13 Punkte zu reduzieren. Eine derartige Reduzierung des Punktestandes kam und kommt für den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 4 Satz 3 StVG in Betracht, weil er innerhalb der letzten fünf Jahre noch nicht an einer verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen hat. Die Reduzierung hätte dazu geführt, dass er 18 Punkte weder erreicht noch überschritten hätte. Die Eintragung der mit vier Punkten bewerteten Ordnungswidrigkeit vom 30.4.2002 hätte nur zu einem Punkteanstieg auf 17 geführt.
Dem Antragsteller kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Antragsgegner ihn bereits nach Erreichen von 16 Punkten mit Bescheid vom 5.4.2000 auf die Möglichkeit eines Punkteabzugs durch freiwillige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung hingewiesen und er von dieser Möglichkeit nicht schon nach dem erstmaligen Überschreiten von 14 Punkten Gebrauch gemacht hat. Den Regelungen in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 4 StVG lässt sich nicht entnehmen, dass der Fahrerlaubnisinhaber verpflichtet ist, frühzeitig, d. h. bereits nach dem erstmaligen Erreichen von 14 bis 17 Punkten, von dem Punkteabbau durch freiwillige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung Gebrauch zu machen. Vielmehr steht es ihm nach den gesetzlichen Regelungen frei, ob und wann er diese Hilfestellung nutzt. Die Möglichkeit eines Punkteabbaus durch freiwillige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung wird nur dadurch eingeschränkt, dass der Abzug von zwei Punkten die Vorlage der Bescheinigung über die Teilnahme innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Beratung voraussetzt (§ 4 Abs. 4 Satz 2 StVG), die Teilnahme nur einmal innerhalb von fünf Jahren zu einem Punkteabzug führt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 StVG) und ein Punkteabzug nur bis zum Erreichen von null Punkten zulässig ist (§ 4 Abs. 4 Satz 5 StVG).
Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers widerspricht auch deshalb dem Sinn und Zweck des geänderten Maßnahmenkatalogs, weil er hierdurch schlechter gestellt wird, als er bei Anwendung des früheren Maßnahmenkatalogs des § 3 VwV gestanden hätte. Nach § 3 Nr. 3 VwV war nur bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten innerhalb von zwei Jahren die Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu entziehen, aber auch dann zunächst die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn auf Grund besonderer Umstände Zweifel an der mangelnden Eignung des Betroffenen verblieben. Ergaben sich innerhalb von mehr als zwei Jahren 18 oder mehr Punkte, so war nach § 3 Nr. 4 VwV die Fahrerlaubnis nicht sofort zu entziehen, sondern stets zunächst die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Letzteres trifft auf den Antragsteller zu. Sein derzeitiger eingetragener Punktestand (19) beruht auf Ordnungswidrigkeiten, die er in der Zeit vom 26.3.1998 (erste, noch nicht getilgte Ordnungswidrigkeit) und dem 5.5.2002 (letzte eingetragene Ordnungswidrigkeit), also über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren begangen hat. Der dargelegte Zweck des neuen Maßnahmenkatalogs, als verhältnismäßiger Ausgleich dafür zu dienen, dass anders als nach dem bisherigen Maßnahmenkatalog bei Erreichen oder Überschreiten von 18 Punkten die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen generell gesetzlich vermutet wird, lässt demgegenüber erkennen, dass mit dem neuen Maßnahmenkatalog keine Verschärfung des bisherigen Maßnahmenkatalogs in dem Sinne gewollt ist, dass bei Mehrfachtätern eher als nach bisherigem Recht die Fahrerlaubnis bei Erreichen oder Überschreiten von 18 Punkten entzogen wird. Für eine derartige Verschärfung enthält auch die Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998, a. a. O., keine greifbaren Anhaltspunkte.
Schließlich lässt sich entgegen der Auffassung des VG dem § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG nicht entnehmen, dass die Vorschrift nur solche Fälle meint, in denen bereits vor Erreichen von 14 Punkten (freiwillig) ein Aufbauseminar absolviert worden ist, und damit nicht Fälle erfasst, in denen der Fahrerlaubnisinhaber mehrmals Punktestände zwischen 14 und 17 Punkten erreicht.
Gegen diese Auslegung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG spricht bereits der Wortlaut dieser Vorschrift. Danach kommt es für die Anwendbarkeit der Vorschrift nicht darauf an, ob der Fahrerlaubnisinhaber das Aufbauseminar freiwillig oder auf Grund einer Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 StVG besucht hat.
Auch der sich aus der Amtlichen Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998, a. a. O., ergebende Sinn und Zweck der Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG spricht gegen eine der Auffassung des VG entsprechende Auslegung dieser Vorschrift. Nach der Gesetzesbegründung liegt § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG die Wertung zu Grunde, dass es dem Fahrerlaubnisinhaber, der bereits einmal innerhalb der letzten fünf Jahre an einem Aufbauseminar teilgenommen, in der Folgezeit aber weitere Verstöße gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen begangen hat, an der für den Besuch des pädagogisch orientierten Aufbauseminars erforderlichen Lern- und Anpassungsbereitschaft fehlt. Die erneute Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar würde deshalb den mit dieser Hilfestellung verfolgten Zweck nicht erreichen, so dass der Gesetzgeber eine Verwarnung des Fahrerlaubnisinhabers verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung und dem Hinweis auf die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen oder Überschreiten von 18 Punkten für ausreichend, aber auch für erforderlich hält.
Vgl. Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998, a. a. O., S. 794.
Dieser Zweck erfasst nicht nur, wie das VG meint, die Fälle, in denen der Fahrerlaubnisinhaber vor Erreichen von 14 Punkten freiwillig an einem Aufbauseminar teilgenommen hat, sondern in gleicher Weise die Fälle, in denen der Fahrerlaubnisinhaber nach Erreichen eines Punktestandes zwischen 14 und 17 Punkten auf Grund der Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde an einem Aufbauseminar teilgenommen, sich sein Punktestand in der Folgezeit etwa wegen der Tilgung von Ordnungswidrigkeiten unter 14 Punkte reduziert hat und sodann auf Grund weiterer Zuwiderhandlungen erneut 14 Punkte erreicht oder überschritten worden sind.
Die Androhung unmittelbaren Zwangs in der Ordnungsverfügung vom 7.11.2002 ist offensichtlich rechtswidrig, weil es auf Grund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis an einem im Sinne des § 55 Abs. 1 VwVG vollstreckbaren Verwaltungsakt fehlt. Deshalb bedarf es keiner näheren Erörterung, ob allein die Androhung eines Zwangsgeldes als milderes Mittel in Betracht kommt.
Vgl. hierzu etwa OVG NRW, Beschluss vom 2.12.1994 - 19 B 2756/94 -.
Ende der Entscheidung
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