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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 03.12.2008
Aktenzeichen: 19 B 444/08
Rechtsgebiete: AufenthG
Vorschriften:
AufenthG § 32 Abs. 1 Nr. 2 |
2. Das minderjährige Kind verlegt im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG seinen Lebensmittelpunkt auch dann "zusammen" mit dem allein sorgeberechtigten Elternteil ins Bundesgebiet, wenn es nicht gleichzeitig mit diesem umzieht, der Umzug aber noch im zeitlichen Zusammenhang mit demjenigen des Elternteils erfolgt.
Tatbestand:
Die Mutter des Antragstellers reiste am 18.10.2006 ins Bundesgebiet ein, heiratete am 7.12.2006 einen deutschen Staatsangehörigen und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis. Der am 27.6.1989 geborene Antragsteller reiste am 11.2.2007 ins Bundesgebiet ein und beantragte am 26.2.2007 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dies lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 14.12.2007 ab. Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage ab. Das OVG gab seiner Beschwerde statt.
Gründe:
Nach summarischer Prüfung spricht auch Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller seinen Lebensmittelpunkt zusammen mit seiner Mutter ins Bundesgebiet verlegte. Das minderjährige Kind verlegt seinen Lebensmittelpunkt auch dann zusammen mit dem allein sorgeberechtigten Elternteil ins Bundesgebiet, wenn es seinen Lebensmittelpunkt nicht gleichzeitig, aber noch im zeitlichen Zusammenhang mit der Verlegung des Lebensmittelpunktes des allein personensorgeberechtigten Elternteils ins Bundesgebiet verlegt. Wann ein solcher zeitlicher Zusammenhang (noch) vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Entscheidend ist, dass das Gesamtbild eines Umzugs der gesamten Familie vom Ausland ins Bundesgebiet gewahrt bleibt.
Vgl. auch Ziffer 32.1.3.7 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern.
Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Demnach ist es, wenn die gesamte Familie zusammen zuwandert und damit der Lebensmittelpunkt der Kinder gemeinsam mit den Eltern oder im zeitlichen Zusammenhang mit der Zuwanderung der Eltern ins Bundesgebiet verlagert wird, gerechtfertigt, den Nachzugsanspruch allen minderjährigen Kindern einzuräumen. Für einen Umzug der ganzen Familie bedürfe es oft weitreichender Vorbereitungen (Wohnungssuche, Suche eines Kindergarten oder Schulplatzes, Auswahl von Betreuungspersonen, etc.). Es könne sachgerecht sein, dem Kind vor dem Umzug die Beendigung des laufenden Schuljahres zu ermöglichen. Die gemeinsame Verlagerung des Lebensmittelpunktes sei daher nicht mit einer gleichzeitigen Einreise aller Familienangehörigen gleichzusetzen, sondern bezeichne einen Vorgang, dessen Dauer sich nach den Umständen des Einzelfalles richte.
Hieraus ergibt sich, dass der Lebensmittelpunkt der Eltern und des minderjährigen Kindes nicht gleichzeitig ins Bundesgebiet verlagert werden muss, sondern dass es ausreicht, wenn der Lebensmittelpunkt des minderjährigen Kindes im zeitlichen Zusammenhang mit dem der Eltern in Bundesgebiet verlagert wird, dass aber das Gesamtbild eines gemeinsamen Umzugs nach den Umständen des Einzelfalles noch gewahrt sein muss ("ein Vorgang").
Gemessen an diesem Maßstab ist nach Aktenlage das Gesamtbild eines gemeinsamen Umzugs des Antragstellers und seiner Mutter von Brasilien nach Deutschland noch gewahrt. Die Mutter des Antragstellers verlegte ihren Lebensmittelpunkt durch ihre Heirat mit Herrn L. am 7.12.2006 von Brasilien nach Deutschland und betrieb unmittelbar anschließend den Nachzug des Antragstellers, der sich ohne nennenswerte Verzögerungen durch seine Einreise am 11.2.2007 vollzog. Seinen Lebensmittelpunkt hat jemand dort, wo sich der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen befindet.
Vgl. Marx, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Juni 2008, § 32, Rdn. 45; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand April 2008, § 32 AufenthG, Rdn. 10; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 32 AufenthG, Rdn. 9.
Demnach verlegte die Mutter des Antragstellers ihren Lebensmittelpunkt nicht schon mit ihrer Einreise am 18.10.2006, sondern erst durch ihre Heirat mit Herrn L. am 7.12.2006 ins Bundesgebiet, weil sie erst hierdurch eine rechtlich gesicherte und damit dauerhafte Beziehung zu Herrn L. und damit zum Bundesgebiet begründete und einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erwarb. Unmittelbar im Anschluss hieran betrieb sie die Verlegung des Lebensmittelpunktes des Antragstellers ins Bundesgebiet, welche sich ohne nennenswerte Verzögerungen vollzogen hat. Am 19.12.2006 bevollmächtigte der Vater des Antragstellers Herrn B. G., die erforderlichen Unterlagen für die Genehmigung und die Einziehung des Reisepasses des Antragstellers zu besorgen. Anfang 2007 beantragte Herr G. dann eine richterliche Verfügung, damit der Antragsteller seinen Reisepass einziehen und unbegleitet nach Deutschland reisen konnte, die ihm am 23.1.2007 erteilt wurde. Am 11.2.2007 reiste der Antragsteller sodann ins Bundesgebiet ein.
Ende der Entscheidung
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