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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.06.2008
Aktenzeichen: 19 B 609/08
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Der Umfang des Anspruchs des Schülers und seiner Eltern auf Begründung der Noten für das Arbeits- und Sozialverhalten (sog. Kopfnoten) hängt davon ab, ob sie eine Begründung verlangen, wann sie dies tun, welches Begehren sie damit verfolgen und mit welcher Begründung dies geschieht.

Die Frage, ob Kopfnoten Verwaltungsakte sind, hat keine Relevanz für die statthafte Antragsart im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Ein Rechtsschutzinteresse für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Kopfnoten besteht, weil nicht auszuschließen ist, dass die Noten für den weiteren Werdegang des Schülers von Bedeutung sind.


Tatbestand:

Der Antragsteller besuchte im Schuljahr 2007/08 die Klasse 4 der Grundschule. Er erhob Widerspruch gegen die ihm im Halbjahreszeugnis vom 18.1.2008 erteilten Noten für sein Arbeits- und Sozialverhalten (sog. Kopfnoten). Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers ab, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Neubewertung zu verpflichten. Die Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos.

Gründe:

Es kann dahinstehen, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) entsprechend der Auffassung des VG unzulässig ist. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet, weil der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Neubewertung seiner für die Kompetenzbereiche Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Sorgfalt, Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit relevanten Leistungen besteht nicht. Er hat die Bewertungen im Zeugnis vom 18.1.2008 nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.

Unerheblich ist der Vortrag des Antragstellers, er habe die im Bericht des Schulleiters vom 29.2.2008 angeführten Vorfälle im Einzelnen korrigiert und widerlegt. Der Bericht des Schulleiters enthält keine Begründung der angefochtenen Kopfnoten. Die Begründung der Kopfnoten hat der Antragsgegner erstmals im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 19.5.2008 vorgelegt.

Die Einwände des Antragstellers gegen die mit Schriftsatz des Antragsgegners vom 19.5.2008 vorgelegte Bewertungsbegründung sind unsubstantiiert.

Soweit die Note befriedigend für den Kompetenzbereich Zuverlässigkeit und Sorgfalt damit begründet wird, dass der Antragsteller zur ersten Stunde und vor allem aus den Pausen in der Regel unpünktlich gekommen sei, ist dies nicht zu beanstanden. In dem Bericht des Schulleiters vom 29.2.2008 heißt es nicht ausdrücklich, dass der Antragsteller nur in den Wochen bis Weihnachten 2007 zu spät aus der Pause gekommen sei. Dies lässt sich, wie der Antragsteller offenbar meint, auch nicht daraus schließen, dass in dem Bericht des Schulleiters für die Zeit nach Weihnachten 2007 kein weiteres Fehlverhalten des Antragstellers aufgeführt wird. Zum einen enthält der Bericht keine abschließende Dokumentation des Fehlverhaltens des Antragstellers im ersten Halbjahr des Schuljahres 2007/08. Denn in dem Bericht des Schulleiters heißt es, er habe das Verhalten des Antragstellers chronologisch aufgelistet, soweit es von den Lehrerinnen der Klasse "festgehalten" worden sei. Bei summarischer Prüfung bringt die Formulierung "festgehalten" zum Ausdruck, dass der Schulleiter lediglich (schriftlich) dokumentierte Vorfälle anführt. Damit ist nicht auszuschließen, dass es über den Bericht des Schulleiters hinaus weitere Vorfälle, insbesondere Unpünktlichkeiten, gegeben hat. Zum anderen umfasst der Zeitraum vom Beginn des Schuljahres 2007/08 bis Weihnachten 2007 in zeitlicher Hinsicht den wesentlichen Teil des ersten Halbjahres des Schuljahres 2007/08. Vor diesem Hintergrund spricht bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass die Bewertungsbegründung, der Antragsteller sei "in der Regel" unpünktlich gewesen, auch dann zutrifft, wenn es in der (kurzen) Zeit nach Ende der Weihnachtsferien bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres keine weiteren Unpünktlichkeiten gegeben haben sollte.

Die Begründung der Note befriedigend für den Kompetenzbereich Verantwortungsbereitschaft ist ebenfalls nicht zu beanstanden. In der Begründung heißt es unter anderem:

"Bei Konflikten während der Pausenzeiten und im Unterricht bei Gruppenarbeiten gelang es ihm über einen langen Zeitraum des ersten Halbjahres noch nicht seinen Anteil einzusehen und dafür auch gerade zu stehen. Bei Streitfällen wurde die Schuld immer zuerst bei anderen gesucht. Wenn es zu Stellungnahmen anderer Kinder kam, die den Streit mitverfolgt hatten, ließ er deren Meinung nicht zu und entzog sich dem klärenden Gespräch. Erst mit zeitlicher Verzögerung und in einem ,vier Augengespräch' war ein Überdenken mit Jan möglich. Leider hielt die Einsicht nicht lange an."

Die Auffassung des Antragstellers, diese Begründung betreffe das Konfliktverhalten, nicht aber die Verantwortungsbereitschaft, trifft nicht zu. Nach den Vorgaben in der Handreichung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen "Dokumentation des Arbeits- und Sozialverhaltens, Würdigung außerunterrichtlichen und außerschulischen Engagements", S. 12, sind für den Kompetenzbereich Verantwortungsbereitschaft unter anderem folgende Indikatoren maßgeblich: Die Schülerinnen und Schüler "sind bereit für das eigene Handeln und die Arbeitsergebnisse einzustehen", "erkennen unterschiedliche Ideen an; tragen dazu bei, eine gemeinsam getragene Lösung zu finden", "übernehmen Verantwortung für eigene Misserfolge und suchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, nach Bewältigungsstrategien", und "vertreten die Interessen anderer, auch wenn sie sich nicht vorrangig mit den eigenen Bedürfnissen decken". Es liegt auf der Hand, dass das in der Begründung der Bewertung des Kompetenzbereichs Verantwortungsbereitschaft in Bezug genommene Verhalten des Antragstellers diesen Indikatoren zuzurechnen ist. Es liegt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch keine "doppelte negative" Berücksichtigung seines Verhaltens vor. Die Begründung der Note unbefriedigend für den Kompetenzbereich Konfliktverhalten knüpft an andere Aspekte an als diejenigen, die bei dem Kompetenzbereich Verantwortungsbereitschaft zugrunde gelegt worden sind. Abgesehen davon ist die "doppelt negative" (oder auch positive) Berücksichtigung eines Verhaltens nicht von vornherein unzulässig. Es kann bei mehreren Kopfnoten berücksichtigt werden, soweit sich aus dem Verhalten Rückschlüsse auf mehrere Kompetenzbereiche ziehen lassen. Das ist in Bezug auf das im Bericht des Schulleiters vom 29.2.2008 abgeführte Fehlverhalten des Antragstellers der Fall.

Der Antragsteller macht darüber hinaus ohne Erfolg geltend, die zugrunde gelegten Vorfälle seien nur pauschal angeführt und nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Darin liegt kein Begründungmangel. Der Umfang des Anspruchs des Schülers und seiner Eltern auf Begründung einer Leistungsbewertung hängt davon ab, ob sie eine Begründung verlangen, wann sie dies tun, welches Begehren sie damit verfolgen und mit welcher Begründung dies geschieht. Erst durch eine solche Spezifizierung wird aus dem allgemeinen Anspruch des Schülers und seiner Eltern auf Begründung der Bewertung schulischer Leistungen ein konkreter Anspruch.

Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 22.4. 2002 - 19 B 575/02 -, m. w. N.

Für die Begründung der sog. Kopfnoten gilt nichts anders. Die Schule ist nicht verpflichtet, in jedem Fall eine schriftliche oder auch nur mündliche Begründung der Bewertung der einzelnen Kompetenzbereichen ohne Rücksicht darauf zu geben, ob Einwände erhoben werden. Es ist vielmehr Sache des Schülers und seiner Eltern, eine dahingehende Begründung oder die Ergänzung einer bereits vorliegenden Begründung zu verlangen. Für das Verlangen auf Ergänzung einer bereits erfolgten Begründung genügt es regelmäßig nicht, diese als zu pauschal zu kritisieren. Der Schüler und seine Eltern müssen vielmehr darlegen, in welchen konkreten Punkten sie eine weitergehende Begründung begehren. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Antragstellers nicht. Er hat sein Verlangen nach weitergehender Begründung nicht näher spezifiziert.

Der Senat weist darauf hin, dass das VG beachtliche Gründe für die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses angeführt hat. Die Auffassung des VG dürfte jedoch nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerwG stehen. Dieses hat zur Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Nichtversetzung eines Schülers ausgeführt, im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts könne typischerweise nicht abgesehen werden, ob die Nichtversetzung Auswirkungen auf den weiteren schulischen und sonstigen Lebensweg des Schülers habe. Es reiche deshalb regelmäßig aus, dass nachteilige Auswirkungen nach dem Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht auszuschließen seien.

BVerwG, Beschluss vom 24.10.2006 - 6 B 61.06 -, juris, Rdn. 5.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze spricht Überwiegendes für ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers, weil nicht auszuschließen ist, dass die im 4. Schuljahr erteilten Kopfnoten für seinen weiteren Werdegang von Bedeutung sind. Im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG kann niemand derzeit die Relevanz der Kopfnoten für den weiteren Werdegang verlässlich ausschließen. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Kopfnoten teilweise an (erhebliches) schulisches Fehlverhalten des Antragstellers anknüpfen. Dieses Fehlverhalten kann Bedeutung haben etwa für erzieherische Maßnahmen der jetzt besuchten Realschule oder auch in einem sonderpädagogischen Förderverfahren, wenn der Antragsteller sein von dem Antragsgegner angeführtes Fehlverhalten fortsetzen sollte. Denn bei erzieherischen Maßnahmen und in einem sonderpädagogischen Förderverfahren ist regelmäßig auch früheres schulisches (Fehl-) Verhalten in den Blick zu nehmen.

Ende der Entscheidung

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