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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.06.2007
Aktenzeichen: 19 B 675/07
Rechtsgebiete: BestG NRW


Vorschriften:

BestG NRW § 8 Abs. 1
BestG NRW § 12 Abs. 2
Streiten sich Hinterbliebene eines Verstorbenen über Art oder Ort der Bestattung einer Urne und damit über die Rangfolge des Rechts der Totenfürsorge, kann die örtliche Ordnungsbehörde nicht auf (vorläufige) Maßnahmen zur Sicherung des Bestimmungsrechts in Anspruch genommen werden; der Streit ist vielmehr zwischen den Hinterbliebenen vor dem Zivilgericht auszutragen.
Tatbestand:

Die Antragstellerin ist die in Scheidung lebende Ehefrau des Verstorbenen. Die Urnenbeisetzung hatte der Vater des Verstorbenen, der Beigeladene, in Auftrag gegeben. Die Antragstellerin beantragte am Tag vor dem Bestattungstermin beim VG, dem Antragsgegner, dem Oberbürgermeister der Stadt D., im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Urne in Gewahrsam zu nehmen. Sie machte geltend, der Verstorbene habe den Willen bekundet, "nicht unter der Erde" bestattet zu werden. Das VG gab dem Antrag statt. Auf die Beschwerde des Beigeladenen erklärten die Antragstellerin und der Antragsgegner den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt. Das OVG stellte das Verfahren ein und erlegte der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auf.

Gründe:

Maßgebend für die Kostenbelastung der Antragstellerin nach § 161 Abs. 2 VwGO ist, dass ihr gegen den Antragsgegner gerichteter Antrag voraussichtlich von vornherein unbegründet war. Ihr Ziel, die Herausgabe der Urne an den Beigeladenen zur von diesem veranlassten Bestattung zu verhindern, konnte sie nicht gegenüber dem Antragsgegner erreichen. Denn eine Rechtsgrundlage für einen dahin gehenden Anspruch gegen den Antragsgegner oder die von diesem vertretene Stadt ist nicht ersichtlich. Diese sind im vorliegenden öffentlich-rechtlichen Rechtsstreit (§ 40 Abs. 1 VwGO) nicht passivlegitimiert.

Ein Rechtsanspruch aus einem Anstaltsbenutzungsverhältnis gegen die Stadt als Trägerin des Friedhofs, auf dem die strittige Urne am Tag der Beschlussfassung des VG aufbewahrt wurde, bestand schon deshalb nicht, weil die Antragstellerin nicht an dem die Urne betreffenden Friedhofsbenutzungsverhältnis beteiligt war. Daran war nach Aktenlage auf Seiten der Hinterbliebenen des Verstorbenen allein der Beigeladene beteiligt; denn nur dieser hatte die Bestattung der Urne über das von ihm beauftragte Bestattungsunternehmen veranlasst.

Ein gegen den Antragsgegner als örtliche Ordnungsbehörde nach dem Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz - BestG NRW) vom 17. 6. 2003, GV. NRW. S. 313, gerichteter Rechtsanspruch der Antragstellerin aus - wie hier zu unterstellen ist - ihrer Bestattungspflicht oder ihrem Recht der Totenfürsorge, welche die Entscheidung über Art und Ort der Bestattung einschließen, wenn eine dahingehende Willensbekundung des Verstorbenen nicht bekannt ist, schied ebenfalls von vornherein aus. Es ist kein gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Rechtssatz ersichtlich, der die örtliche Ordnungsbehörde bei einem Streit zwischen zwei oder mehreren Hinterbliebenen über das Recht, Art und Ort der Bestattung zu bestimmen, . . . zu einem bestimmten Verwaltungshandeln, etwa zur Aufbewahrung und Herausgabe einer Urne . . . oder zur Entscheidung über die konkrete Rangfolge der Totenfürsorgeberechtigten ermächtigt oder verpflichtet.

Die in § 8 Abs. 1 Satz 1 BestG NRW in bestimmter Rangfolge normierte Bestattungspflicht der Hinterbliebenen dient dem ordnungsrechtlichen Zweck, zur Verhütung von Gefahren für die öffentliche Gesundheit, für das sittliche Empfinden in der Bevölkerung und für eine würdige Totenbestattung die ordnungsgemäße Durchführung der Bestattung zu gewährleisten. Der Bestattungspflicht der Angehörigen liegt letztlich das Recht der Totenfürsorge zugrunde, das als privatrechtliche Position Ausfluss bzw. Nachwirkung des familienrechtlichen Verhältnisses ist, das den Verstorbenen bei Lebzeiten mit den Hinterbliebenen verbunden hat und über den Tod hinaus fortdauert. Die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Bestattung überträgt und überlässt der Staat zunächst den Angehörigen, weil entsprechend den tradierten Anschauungen des ganz überwiegenden Teils der Bevölkerung und nach alltäglicher Praxis ohnedies davon auszugehen ist, dass diese ihrem verstorbenen Familienmitglied eine würdige Bestattung bereiten. Erst wenn keine Angehörigen vorhanden sind oder (rechtzeitig) für die Bestattung sorgen, greift er mit den Mitteln des Ordnungsrechts zum Zwecke der Gefahrenabwehr ein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. 10. 2001 - 19 A 571/00 -, NVwZ 2002, 996 ff. = juris Rdnr. 28 bis 33 zu § 2 Abs. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Leichenwesen 1980, m. w. N.

Dass das Bestattungsgesetz diese - im Grundsatz bundeseinheitlich hergebrachte und anerkannte - Rechtslage zur vorrangigen Zuweisung der Bestattungspflicht an die näheren Angehörigen oder Hinterbliebenen des Verstorbenen geändert hat, ist auszuschließen. § 8 Abs. 1 Satz 2 BestG NRW normiert, dass, soweit die der Rangfolge nach in Satz 1 bestimmten bestattungspflichtigen Hinterbliebenen ihrer Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen, die zuständige örtliche Ordnungsbehörde die Bestattung zu veranlassen hat; sie entscheidet dann über Art und Ort der Bestattung (§ 12 Abs. 2 Satz 2 BestG NRW). Dieser Fall tritt aber erst ein, wenn keiner der nach der abstrakt bestimmten Rangfolge bestattungspflichtigen Hinterbliebenen ("soweit diese") der Bestattungspflicht (rechtzeitig) nachkommt; denn nur dann ist einer ordnungsrechtlichen Gefahr durch die Ordnungsbehörde zu begegnen. Eine solche ist nicht schon dann gegeben, wenn bestattungswillige Hinterbliebene sich über Art und/oder Ort der Bestattung und als Vorfrage über die Rangfolge der Totenfürsorge im konkreten Fall streiten.

Nichts anderes folgt aus § 12 Abs. 2 Satz 1 BestG NRW. Danach entscheiden, wenn keine Willensbekundung des Verstorbenen zu Art und Ort der Bestattung bekannt ist, hierüber die Hinterbliebenen "in der Rangfolge des § 8 Abs. 1". Ob diese Bestimmung ihrer Rechtsnatur nach öffentlich-rechtlich oder - in Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Landes für das bürgerliche Recht aus Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG - privatrechtlich ist, kann hier dahin stehen. Sie räumt jedenfalls der Ordnungsbehörde nicht die Befugnis ein, im konkreten Fall eines Streits von Hinterbliebenen über Art und/oder Ort einer Urnenbestattung . . . das Recht und die Pflicht bestimmten Hinterbliebenen einer Rangstufe zuzuweisen und hierzu vorläufige sichernde Maßnahmen, etwa eine Anordnung zur Aufbewahrung einer Urne, zu treffen. Ein Einschreiten der Ordnungsbehörde nach § 14 OBG NRW wegen einer Störung der öffentlichen Sicherheit nur durch Verstoß gegen die in § 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m § 8 Abs. 1 Satz 1 BestG NRW - unterstellt ordnungsrechtlich - bestimmte Rangfolge erwiese sich jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art als unverhältnismäßig. Der Streit der Hinterbliebenen über die Rangfolge ist vielmehr privatrechtlicher Natur und vor dem zuständigen Zivilgericht auszutragen, vgl. BGH, Urteil vom 26. 2. 1992 - XII ZR 58/91 -, FamRZ 1992, 657 =juris Rdnr. 5; RG, Urteil vom 5. 4. 1937 - IV 18/37 -, RGZ 154, 269; Siegmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 2004, §1968, Rdnr. 7, das auch über vorläufige sichernde Maßnahmen zu entscheiden hat (§§ 935, 937 ZPO), die die Antragstellerin dort in einem Verfahren gegen den Beigeladenen beantragen konnte.

Auf die Frage, welche ordnungsrechtlichen Befugnisse die örtliche Ordnungsbehörde bei einem Streit bestattungswilliger Hinterbliebener, bei dem es - anders als im vorliegenden Fall - (auch) um eine Erdbestattung geht, zur Wahrung der für diese grundsätzlich zwingenden Bestattungsfrist von 8 Tagen (§ 13 Abs. 3 BestG NRW) hat, wenn absehbar ist, dass die Bestattungspflicht nicht rechtzeitig erfüllt wird, und ob ein Hinterbliebener ein Einschreiten der Ordnungsbehörde verlangen kann, ist hier aus Anlass des vorliegenden Falles nicht einzugehen.

Ebenfalls kam es hier nach dem Vorstehenden nicht darauf an, ob der grundsätzlich vorrangige Ehegatte (hier die Antragstellerin) wegen Getrenntlebens oder mit Blick auf ein anhängiges Scheidungsverfahren (zur einvernehmlichen Ehescheidung) vom Recht der Totenfürsorge etwa in analoger Anwendung des § 1933 BGB ausgeschlossen ist, vgl. hierzu verneinend LG Leipzig, Urteil vom 1. 12. 2004 - 1 S 3851/04 -, FamRZ 2005, 1124 = juris Rdnr. 16 ff.; ferner OLG Dresden, Beschluss vom 7. 5. 2002 - WF 0215/02 -, juris Rdnr. 2, und ob insofern § 12 Abs. 2 Satz 1 BestG NRW, falls es sich um eine privatrechtliche Norm handelt, hinsichtlich der Bestimmung der Rangfolge eine abschließende Regelung trifft, die eine Differenzierung nach den konkreten familiären Verhältnissen auf einer vorrangigen Rangstufe nicht zulässt und einer differenzierenden zivilgerichtlichen Rechtsprechung vorgeht. Schließlich kann und muss hier offen bleiben, ob § 12 Abs. 2 Satz 1 BestG NRW, wenn die vorstehende Rechtsfrage zu bejahen ist, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht der Totenfürsorge bewirkt, indem der Vorschrift zufolge ein vorrangiger Hinterbliebener mit nur noch formal oder schwach ausgeprägter familienrechtlicher Verbindung oder Nachwirkung, etwa der Ehegatte, nachrangige Hinterbliebene, etwa Kinder oder Eltern des Verstorbenen, ausnahmslos vom Recht der Totenfürsorge ausschließt, und ob dann die Vorschrift ggf. einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

Ende der Entscheidung

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