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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 13.07.2001
Aktenzeichen: 19 B 763/01
Rechtsgebiete: ASchO NRW, VO-SF, SchVG NRW, SchMG NRW, VwGO


Vorschriften:

ASchO NRW § 17 Abs. 1
ASchO NRW § 19 Abs. 2
ASchO NRW § 15
ASchO NRW § 17
VO-SF § 10 Abs. 1 b
VO-SF § 1
VO-SF § 10
VO-SF § 11
VO-SF § 12
SchVG NRW § 26 a
SchMG NRW § 19 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 3 Satz 1
1. Über eine Schulordnungsmaßnahme und die Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs kann gleichzeitig entschieden werden.

2. Ein fehlerhaftes oder unvollständiges Protokoll über eine Lehrerkonferenz begründet nicht die Rechtswidrigkeit der von der Lehrerkonferenz beschlossenen Maßnahmen.

3. Die Schule muss bei Kenntnis der eine Schulordnungsmaßnahme erfordernden Sachlage unverzüglich tätig werden.

4. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Schulordnungsmaßnahme kann auf Gründe gestützt werden, die die Schulordnungsmaßnahme rechtfertigen.


Tatbestand:

Die Lehrerkonferenz beschloss aufgrund eines Fehlverhaltens des Schülers, ihn in die Parallelklasse zu überweisen, die Entlassung von der Schule anzudrohen und einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs zu stellen. In dem Protokoll über die Lehrerkonferenz hieß es, die Beschlüsse seien mehrheitlich gefasst worden. Das VG lehnte den Antrag des Schülers auf Aussetzung der Vollziehung ab. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Gründe:

Ungeachtet der vom Antragsteller nicht aufgeworfenen Frage, ob die gemäß § 17 Abs. 1 ASchO NRW für die Überweisung in eine parallele Klasse und gemäß § 19 Abs. 2 ASchO NRW für die Androhung der Entlassung zuständige Lehrerkonferenz (schulintern) auch zuständig ist, die Schulleitung zu beauftragen, die Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs zu beantragen, ist jedenfalls die (allgemeine) Schule neben den Erziehungsberechtigten (§ 10 Abs. 1 a der Verordnung über die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und die Entscheidung über den schulischen Förderort - VO-SF) berechtigt, einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs zu stellen (§ 10 Abs. 1 b VO-SF). Ein Verbot, über eine Schulordnungsmaßnahme und einen Antrag nach § 10 Abs. 1 b VO-SF gleichzeitig zu entscheiden, ergibt sich nicht aus den einschlägigen schulrechtlichen Vorschriften, insbesondere nicht aus § 26 a SchVG NRW, §§ 15, 17 ASchO NRW, § 19 Abs. 2 SchMG NRW i.V.m. Nr. 6 der Rahmengeschäftsordnung für die im Schulmitwirkungsgesetz vorgesehenen Organe (RGOzSchMG), Runderlass des Kultusministeriums NRW vom 11.5.1979, GABl. NRW S. 260, sowie §§ 1, 10, 11, 12 VO-SF. Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der es verbieten würde, über beide Maßnahmen gleichzeitig zu entscheiden. Die Maßnahmen dienen zwar, worauf der Antragsteller zutreffend hinweist, unterschiedlichen Zwecken. Daraus allein lässt sich aber insbesondere in den Fällen, in denen - wie hier - das (Fehl-)Verhalten des Schülers Anlass sowohl für Schulordnungsmaßnahmen als auch für einen Antrag nach § 10 Abs. 1 b VO-SF ist, nicht die Notwendigkeit herleiten, dass die (allgemeine) Schule über beide Maßnahmen getrennt entscheidet. Die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs erfordert zwar entsprechend dem Vortrag des Antragstellers ggf. auch die Abwägung "familiärer, medizinischer und psychologischer" Belange des Schülers. Nichts Anderes gilt aber auch für die Schulordnungsmaßnahme. Ihr Zweck und der bei ihrem Erlass zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordern, dass das zuständige Organ der Schule - hier die Lehrerkonferenz - seine Entscheidung über den Erlass von Schulordnungsmaßnahmen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Schülers und seines Fehlverhaltens trifft. Je nach Lage des Einzelfalls sind damit auch etwaige besondere "familiäre, medizinische und psychologische" Belange des Schülers in die Entscheidungsfindung einzustellen.

Einer wirksamen Anordnung der sofortigen Vollziehung steht nicht entgegen, dass in dem Protokoll über die Lehrerkonferenz das genaue Stimmenverhältnis bei der Abstimmung über diese Anordnung nicht angegeben wird. In dem Protokoll wird insofern lediglich mitgeteilt, dass der diesbezügliche Antrag des Schulleiters "mehrheitlich" angenommen worden sei.

Es kann dahinstehen, ob das Protokoll mit diesem Inhalt den Anforderungen der Nr. 6.1.9 RGOzSchMG genügt. Danach muss das Protokoll das Stimmenverhältnis bei Abstimmungen wiedergeben.

Ein etwaiger Verstoß gegen Nr. 6.1.9 RGOzSchMG führt jedoch nicht zur formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das Protokoll dient dem Zweck, den der Schule obliegenden Nachweis über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass der Schulordnungsmaßnahmen und der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu führen. Dem Interesse des betroffenen Schülers und seiner Eltern an der Mitteilung über das Abstimmungsergebnis und einer effektiven gerichtlichen Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 GG) ist dadurch Genüge getan, dass im Falle der Unvollständigkeit des Protokolls mit den prozessual zur Verfügung stehenden Mitteln Beweis erhoben werden kann.

OVG NRW, Beschluss vom 5.9.2000 - 19 B 1244/00 -.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre deshalb nur dann rechtswidrig, wenn sie in der Lehrerkonferenz nicht mehrheitlich beschlossen worden wäre. Das lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen. Der Antragsteller hat keine konkreten Anhaltspunkte aufgezeigt, aus denen hervorginge, dass der in der Lehrerkonferenz gestellte Antrag des Schulleiters auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht mehrheitlich angenommen worden ist.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses begründet auch nicht der Vortrag des Antragstellers, es fehle die für eine Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderliche Eilbedürftigkeit. Die Schule habe mehr als dreieinhalb Monate mit dem Erlass der Schulordnungsmaßnahme gewartet. Diese Zeitverzögerung könne nicht damit gerechtfertigt werden, dass sein Vater einen Gesprächstermin am 8.2.2001 nicht habe wahrnehmen können. Der zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung angeführte Schutz anderer Schüler erfordere die sofortige Vollziehung der Schulordnungsmaßnahme nicht, weil er, der Antragsteller, seit dem Vorfall am 30.1.2001 kein "vergleichbares" Fehlverhalten gezeigt habe.

Der Vortrag des Antragstellers ist bereits im Ausgangspunkt unzutreffend. Zwischen dem Vorfall am 30.1.2001, der Anlass für die hier strittige Schulordnungsmaßnahme ist, und der Lehrerkonferenz am 6.4.2001 liegen nicht dreieinhalb, sondern nur etwa zwei Monate, innerhalb derer die Schule, die bei Kenntnis der eine Schulordnungsmaßnahme erfordernden Sachlage unverzüglich tätig werden muss,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.12.1999 - 19 B 2086/99 -,

auch nicht untätig geblieben ist. Bereits am Nachmittag des 30.1.2001 fand ein erstes Gespräch zwischen dem Schulleiter, der Klassenlehrerin sowie dem Antragsteller und seiner Mutter statt. Den vereinbarten weiteren Gesprächstermin am 8.2.2001 konnte der Vater des Antragstellers nicht einhalten. Mit Rücksicht auf die Karnevalstage, an denen schulfrei war, und die Belastungen des Schulleiters auf Grund der Neuanmeldung von Schülern konnte nach der Darstellung der Schule das vereinbarte weitere Gespräch erst am 6.3.2001 erfolgen. Im Anschluss daran wurden für den 26.3.2001 eine Klassenkonferenz und für den 6.4.2001 die Lehrerkonferenz einberufen. Dieser Verfahrensablauf lässt eine der Schule vorwerfbare verzögerliche Bearbeitung nicht erkennen. Der Antragsteller hat auch nicht ansatzweise Gesichtspunkte aufgezeigt, aus denen hervorginge, dass der vereinbarte weitere Gesprächstermin bereits vor dem 6.3.2001 hätte stattfinden können und dass die Klassen- und die Lehrerkonferenz zu einem früheren Termin hätten einberufen werden können. Gegen eine frühzeitigere Durchführung dieser Konferenzen spricht immerhin, dass die Mitglieder der Klassen- und Lehrerkonferenz nach Nr. 2.1 ROGzSchMG zu laden sind und dass nach Nr. 2.1 ROGzSchMG bei der Ladung darauf zu achten ist, dass den Mitgliedern der Konferenzen eine entsprechende Vorbereitung möglich ist.

Allerdings wäre die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht (mehr) gerechtfertigt, wenn der in der Begründung dieser Anordnung angeführte sofortige Schutz anderer Schüler nicht mehr erforderlich wäre. Dafür bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der bloße Hinweis des Antragstellers darauf, dass er seit dem 30.1.2001 kein "vergleichbares" Fehlverhalten gezeigt habe, schließt ein zukünftiges gewalttätiges Auftreten oder sonstiges die Sicherheit anderer Schüler gefährdendes Fehlverhalten des Antragstellers nicht hinreichend aus. Abgesehen davon, dass der Vortrag, er habe kein "vergleichbares" Fehlverhalten gezeigt, die Annahme nahe legt, dass der Antragsteller doch ein, wenn auch anderes, Fehlverhalten gezeigt hat, ist es auch in der Zeit zwischen dem schriftlichen Verweis vom 26.9.2000 bis zu dem Vorfall am 30.1.2001 über einen längeren Zeitraum zunächst nicht zu einem gewalttätigen Auftreten des Antragstellers gekommen. Vor diesem Hintergrund hätte der Antragsteller darlegen müssen, dass er etwa durch Inanspruchnahme der Hilfe von Dritten Anstrengungen unternommen hat, die verlässlich ein weiteres Fehlverhalten ausschließen. Dahingehende Anhaltspunkte sind jedoch nicht vorgetragen. Da der Antragsteller trotz des schriftlichen Verweises vom 26.9.2000 am 30.1.2001 erneut auffällig geworden ist, kann im Übrigen entgegen seiner Auffassung auch nicht davon ausgegangen werden, dass allein der Druck eines Hauptsacheverfahrens ein weiteres Fehlverhalten hinreichend ausschließt.

Fehl geht die Auffassung des Antragstellers, die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil der zu ihrer Begründung angeführte sofortige Schutz anderer Schüler bereits zur Begründung der Schulordnungsmaßnahme herangezogen worden sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann - selbstverständlich - auch auf Gründe, die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigen, gestützt werden, sofern sich aus diesen Gründen auch eine besondere Dringlichkeit ergibt. In diesen Fällen genügt die Behörde den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schon dadurch, dass sie unter Hinweis darauf, dass die Gründe für den Erlass des Verwaltungsaktes auch eine besondere Dringlichkeit begründen, auf die zur Begründung des Erlasses des Verwaltungsaktes angeführten Gründe Bezug nimmt.

Vgl. Kopp, VwGO, 12. Aufl., 2000, § 80 Rdn 86, m. w. N.

Erst recht kann die Behörde in diesen Fällen - wie hier - bei der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nochmals die Gründe für den Erlass des Verwaltungsaktes wiederholen, wenn sie hieraus auch die besondere Dringlichkeit herleitet.



Ende der Entscheidung

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