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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.04.2003
Aktenzeichen: 19 E 387/03
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 158 Abs. 2
VwGO § 161 Abs. 2
VwGO § 166
ZPO § 321 a
Für eine außerordentliche Beschwerde gegen eine unanfechtbare erstinstanzliche Kostenentscheidung fehlt wegen der Möglichkeit der Gegenvorstellung an das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis.
Tatbestand:

Die Klägerin erklärte in der wegen eines Zinsbescheides nach dem BAföG eingereichten Klageschrift, mit der sie zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragte, die Klageerhebung werde von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Nachdem die Beklagte die Zinsforderung geringfügig reduziert und die Beteiligten sodann den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt hatten, entschied das VG, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Deren hiergegen erhobene Beschwerde wurde vom OVG verworfen.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die vom VG auf der Grundlage von § 161 Abs. 2 VwGO getroffene Kostenentscheidung ist gemäß § 158 Abs. 2 VwGO nicht statthaft. Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung über die Kosten unanfechtbar, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist. § 158 Abs. 2 VwGO trägt dem Umstand Rechnung, dass eine allein aus der Kostenentscheidung des VG herrührende Beschwer nicht ausreicht, ein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzung des Verfahrens in einer höheren Instanz zu begründen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. 12. 1986 - 1 BvR 872/82 -, BVerfGE 74, 78, 89 f., und vom 9. 4. 1975 - 1 BvR 344/74 u. a. -, BVerfGE 39, 276, 292, m. w. N..

Die Voraussetzungen des § 158 Abs. 2 VwGO liegen vor, weil das VG, nachdem die Beteiligten das erstinstanzliche Verfahren "in der Hauptsache" für erledigt erklärt hatten, auf der Grundlage von § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten entschieden hat, ohne dass eine Entscheidung in der Hauptsache ergangen ist.

Dem steht nicht das Vorbringen der Klägerin entgegen, sie habe die Klageerhebung von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe abhängig gemacht, und mit dem Beschluss des VG über die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei eine Entscheidung in der Hauptsache ergangen, die ebenfalls mit der Beschwerde angefochten worden sei. Die ablehnende Prozesskostenhilfeentscheidung ist nämlich keine in der Hauptsache ergangene Entscheidung. Hauptsache ist - in Abgrenzung von der Kostenentscheidung und sonstigen Nebenentscheidungen - der durch die Sachanträge bestimmte sachliche Streitgegenstand.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. 5. 1995 - 4 B 247.94 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 108; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 161 Rdnr. 31.

Das Prozesskostenhilfeverfahren ist demgegenüber ein bloßes Nebenverfahren, das nicht als streitiges Antragsverfahren ausgestaltet ist, vielmehr ein gerichtsförmiges Verfahren auf Bewilligung einer staatlichen Sozialleistung ist, vgl. Neumann, a.a.O., § 166 VwGO Rdnrn. 15, 20, so dass die Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren nicht über den sachlichen Streitgegenstand ergeht. Zudem ist, wie der sachliche Zusammenhang von § 158 Abs. 1 und 2 VwGO zeigt, eine Entscheidung in der Hauptsache ihrer Art nach nur eine solche Entscheidung über den Streitgegenstand, die eine Entscheidung über die Kosten nach sich ziehen kann; denn nur dann macht es Sinn, die Zulässigkeit der Anfechtung der Kostenentscheidung an die Einlegung eines Rechtsmittels zu binden (Abs. 1) und zu bestimmen, dass, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist, die gleichwohl ergangene Kostenentscheidung unanfechtbar ist (Abs. 2). Das ist bei Entscheidungen über die Bewilligung oder Versagung von Prozesskostenhilfe nicht der Fall. Sie enthalten keine Kostenentscheidung, insbesondere sind bei Ablehnung des Antrags die außergerichtlichen Kosten des Gegners nicht erstattungsfähig (§ 166 VwGO, § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und sind bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers nicht dem Gegner aufzuerlegen, weil das Prozesskostenhilfeverfahren, wie ausgeführt, kein streitiges Verfahren ist und es daher einen obsiegenden und einen unterliegenden Teil im Sinne von §§ 154 f. VwGO nicht gibt.

Vgl. Neumann, a.a.O., § 166 VwGO, Rdnrn. 271 ff.

Die angefochtene Entscheidung des VG ist schließlich auch dann eine Entscheidung über die Kosten im Sinne von § 158 Abs. 2 VwGO, wenn die Voraussetzungen für eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht vorlagen. Zwar ist unter Berücksichtigung des Einwands der Klägerin, sie habe die Klageerhebung von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe abhängig gemacht, davon auszugehen, dass unter der Voraussetzung, dass lediglich ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung gemäß dem angeführten Klagebegehren gestellt, aber noch nicht wirksam die bezeichnete Klage erhoben worden ist, für eine Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache gemäß § 161 Abs. 2 VwGO kein Raum war, weil, wie ausgeführt, das Prozesskostenhilfeverfahren kein Verfahren zur Hauptsache ist. Dies ändert aber nichts daran, dass das VG, ohne dass eine Entscheidung in der Hauptsache ergangen ist, eine Entscheidung über die Kosten getroffen hat, die nach § 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbar ist.

Soweit im Hinblick auf das Vorstehende die Beschwerde der Klägerin als außerordentliche Beschwerde zu verstehen ist, ist sie unzulässig.

In Bezug auf eine von Gesetzes wegen - hier nach § 158 Abs. 2 VwGO - unanfechtbare gerichtliche Entscheidung war anerkannt, dass sie ausnahmsweise dann mit der Beschwerde angefochten werden konnte, wenn sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehrte und inhaltlich dem Gesetz fremd, also mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar war.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. 1. 1998 - 8 B 2/98 -, NVwZ-RR 1998, 685, m. w. N., sowie Beschluss vom 30. 10. 1996 - 11 B 76.96 -.

Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Klägerin fehlt - ungeachtet dessen, dass sie ihr mit der Beschwerde (vorrangig) verfolgtes Ziel der Belastung der Beklagten mit den Kosten "des Rechtsstreits" erster Instanz von vornherein nicht erreichen kann, weil im Prozesskostenhilfeverfahren eine Kostenentscheidung nicht ergeht und insbesondere dem Gegner Kosten nicht auferlegt werden können - für eine auch auf die Beseitigung der in der Kostenentscheidung des VG liegenden (formellen) Beschwer gerichtete außerordentliche Beschwerde an das Rechtsmittelgericht das Rechtsschutzbedürfnis; denn die Klägerin hatte die Möglichkeit, gegen die - unanfechtbare - Kostenentscheidung mit einer Gegenvorstellung an das VG vorzugehen. Mit einer Gegenvorstellung kann unter entsprechenden Voraussetzungen die Aufhebung einer unanfechtbaren Entscheidung durch das Gericht, das die angegriffene Entscheidung getroffen hat, im Wege der Selbstkontrolle zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes und eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens erreicht werden. Eine Gegenvorstellung eröffnet nämlich den Weg zur Aufhebung einer unanfechtbaren bzw. rechtskräftigen erstinstanzlichen Entscheidung durch das VG selbst, wenn die Entscheidung unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters zustandegekommen ist oder wenn sie jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt, in offensichtlichem Widerspruch zum Gesetz steht bzw. grobes prozessuales Unrecht darstellt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. 11. 2000 - 5 B 65.00 -; OVG NRW, Beschlüsse vom 26. 7. 2002 - 19 E 808/01 -, und vom 21. 12. 2001 - 19 A 3692/01 -; Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 124 Rdnr. 17 f., m. w. N.

Dieser Weg hat Vorrang vor einer außerordentlichen Beschwerde an das Rechtsmittelgericht. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001, BGBl I S. 1887, namentlich mit dem Rügeverfahren nach § 321 a ZPO, der Frage der "Selbstkontrolle" der Gerichte für diejenigen Fälle angenommen, die im Wesentlichen Anlass zur Entwicklung der außerordentlichen Beschwerde gegeben haben, und der einfacheren und ökonomischeren Abhilfe in der mit der Sache bereits befassten Instanz, der der geltend gemachte Fehler unterlaufen ist, den Vorrang vor der Erhebung einer außerordentlichen Beschwerde an das im Instanzenzug übergeordnete Gericht gegeben. Diesem Rechtsgedanken, dass eine erforderliche Selbstkorrektur, soweit sie nicht innerhalb des allgemeinen Rechtsmittelzugs geleistet werden kann, dem Gericht obliegt, dem der Rechtsverstoß zur Last fällt (iudex a quo), kann auch im Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. § 173 VwGO) durch die Anwendung des Rügeverfahrens nach § 173 VwGO, § 321 a ZPO, soweit es um eine Abhilfe bei einem Gehörsverstoß geht, und durch den Weg der Gegenvorstellung Rechnung getragen werden.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 12. 9. 2002 - 22 C 02.1513 - unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 16. 5. 2002 - 6 B 28.02 u.a. -, DÖV 2002, 954 f., und BGH, Beschluss vom 7. 3. 2002 - IX ZB 11/02 -, NJW 2002, 1577; ferner BVerwG, Beschluss vom 30. 10. 1996 - 11 B 76.96 - sowie OVG NRW, Beschluss vom 13. 11. 2002 - 19 E 1061/02 -.

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