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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.11.2007
Aktenzeichen: 19 E 788/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, APO-GOSt


Vorschriften:

VwGO § 68 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 68 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 166
ZPO § 114
APO-GOSt § 13 Abs. 6 a. F.
APO-GOSt § 34 a. F.
APO-GOSt § 34 Abs. 1 Satz 1
APO-GOSt § 34 Abs. 1 Satz 2
APO-GOSt § 34 Abs. 2
Eine Erst- und Zweitkorrektur liegt nicht vor, wenn die Korrektoren sich über die Bewertung ausgetauscht haben.

Die Zweckmäßigkeitskontrolle der Widerspruchsbehörde umfasst bei mündlichen Leistungen nicht die Befugnis, die Bewertung zu ändern; ob dies auch bei schriftlichen Leistungen gilt, bedarf der Klärung in einem Hauptsacheverfahren.


Tatbestand:

Der Kläger bestand im Schuljahr 2005/06 die Abiturprüfung. Seine Abiturklausur im Fach Biologie (3. Abiturfach) wurde zunächst mit mangelhaft (3 Punke) bewertet. Auf den Widerspruch des Klägers setzte der Widerspruchsausschuss bei der Bezirksregierung die Note ausreichend (4 Punke) fest. Das VG lehnte den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Besserbewertung der Klausur in der Sache ab. Das OVG wies die Beschwerde zurück, weil der Kläger nicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllte.

Gründe:

Mit Blick auf das laufende Klageverfahren weist der Senat darauf hin, dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Sache begründet wäre. Die Klage bietet die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn sie hängt von der Entscheidung schwieriger Rechtsfragen ab. Hierfür ist im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens kein Raum.

Die Bewertung der Biologieklausur durch die zwei Fachlehrerinnen ist entgegen den Ausführungen des VG nicht nur problematisch, sondern fehlerhaft. Die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 APO-GOSt in der hier für das Schuljahr 2005/06 maßgeblichen Fassung (APO-GOSt a. F.) vorgeschriebene Erst- und Zweitkorrektor der Klausur ist nicht erfolgt. Sie erfordern, dass der Erst- und Zweitkorrektor nacheinander und unabhängig voneinander bewerten.

OVG NRW, Urteil vom 26.9.1996 - 19 A 164/96 -, m. w. N.

Das ist hier nach der Stellungnahme von Frau T vom 9.1.2007 nicht der Fall. Danach hat zunächst Frau T als Erstkorrektorin die Klausur am 5.5.2006 bewertet und die Klausur an die Zweitkorrektorin Frau S weitergegeben. Bei Frau S verblieb die Klausur des Klägers mit vier weiteren Abiturklausuren im Fach Biologie bis zum 10.5.2005. Während der Zeit vom 5. bis zum 10.5. standen Frau T und Frau S "mehrfach in telefonischem Kontakt". Am 10. und 11.5.2006 nutzten sie "gemeinsame Freistunden und die Zeit nach dem Unterricht, um gemeinsam die Arbeiten und Gutachten zu überprüfen. Dabei wurden übersehene Fehler mit Korrekturzeichen versehen und über die Punktwertung und die damit verbundene Endbewertung ausführlich gesprochen." Eine solche Bewertung, mag sie auch in der schulischen Praxis verbreitet sein, genügt den Anforderungen an eine Erst- und Zweitkorrektur nicht. Frau T hat zwar nach ihrer Darstellung zunächst eine (selbstständige) Erstkorrektur erstellt. Im Nachhinein ist jedoch ein telefonischer Austausch mit Frau S erfolgt und gemeinsam über die Klausur und deren Bewertung gesprochen worden. Dabei ist dieses Gespräch auch im Sinne einer - gut gemeinten - gegenseitigen Richtigkeitskontrolle erfolgt, indem zunächst übersehene Fehler nachträglich in die Bewertung einbezogen worden sind. Ein solcher Austausch der Korrektorinnen ist unzulässig, weil er die Gefahr birgt, dass, wenn auch nur bei der Begründung der Benotung, die eine durch die andere Korrektorin beeinflusst worden ist. Da sich der Umfang der - häufig auch unbewussten - Beeinflussung regelmäßig nicht nachträglich verlässlich feststellen lässt, spricht auch Einiges dafür, dass die vom VG angesprochene Beweisaufnahme über die konkrete Art und Weise des Austausches zwischen Frau T und Frau S nicht in Betracht kommt. Schon die Gefahr der gegenseitigen Beeinflussung in Teilen der Bewertung schließt es aus, hier das Vorliegen einer Erst- und Zweitkorrektur anzunehmen.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob der Bewertungsfehler im Widerspruchsverfahren geheilt worden ist. Mit Blick auf die Ausführungen des VG ist insoweit zunächst festzuhalten, dass hier nicht allein die Heilung eines Verfahrensfehlers in Rede steht. Vielmehr hat das Fehlen einer Erst- und Zweitkorrektur zur Folge, dass ein materieller Bewertungsfehler vorliegt. Dieser kann im Widerspruchsverfahren nur dann geheilt werden, wenn die Widerspruchsbehörde befugt ist, die Klausur des Antragstellers selbst zu bewerten. Diese Befugnis hat der Widerspruchsausschuss der Bezirksregierung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 APO-GOSt a. F.) in Einklang mit Nr. 43. 3 Satz 2 der Richtlinien zu § 34 APO-GOSt a. F. für sich in Anspruch genommen, indem er die Bewertung der Fachlehrerinnen mit 3 Punkten auf 4 Punkte und damit auf ausreichend (-) angehoben hat. Es ist jedoch fraglich, ob der Widerspruchsausschuss diese Befugnis hat.

Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben die Bezirksregierung als obere Schulaufsichtsbehörde und der bei ihr eingerichtete Widerspruchsausschuss im Widerspruchsverfahren die Recht- und Zweckmäßigkeit der Bewertung zu überprüfen, da einer der in § 68 Abs. 1 Satz 2 genannten Ausnahmefälle für das nordrhein-westfälische Schulrecht nicht eingreift. Einigkeit besteht darüber, dass die Zweckmäßigkeitskontrolle ein eigenes Bewertungsrecht der Widerspruchsbehörde dann nicht umfasst, wenn sie die Leistung aus tatsächlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt bewerten kann.

Vgl. nur Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rdn. 437 und 441, m. w. N.

Letzteres ist regelmäßig bei mündlichen Leistungen der Fall, weil sie üblicherweise nicht in Anwesenheit von Mitarbeitern der Widerspruchsbehörde erbracht werden. Die Widerspruchsbehörde kann hier keine eigene Bewertung vornehmen, weil dies die volle Kenntnis der Leistung voraussetzt.

Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 1.12.1978 - 7 C 68.77 -, DÖV 1979, 413 (416).

Daraus folgt auch, dass die Bezirksregierungen als obere Schulaufsichtsbehörden auch dann nicht befugt sind, die Bewertung der Leistungen eines Schülers in einem Schulhalbjahr zu ändern, wenn der Fachlehrer etwa Klausuren des Schülers fehlerhaft bewertet hat. Denn die Leistungsbewertung umfasst auch die sonstigen Leistungen im Unterricht (§ 48 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW), also insbesondere die mündlichen Leistungen. Diese kann nur derjenige bewerten, der im Unterricht anwesend war.

Soweit es, wie hier, ausschließlich um die Bewertung schriftlicher (Abitur-) Leistungen geht, ist die Widerspruchsbehörde aus tatsächlichen Gründen nicht gehindert, die Bewertung voll zu überprüfen. Ob sie deshalb befugt ist, eine eigenständige Bewertung vorzunehmen, so OVG Bremen, Urteil vom 24.11.1999 - 1 A 254/99 -, NVwZ 2000, 944 (945); Zimmerling/Brehm, a. a. O., m. w. N., könnte mit Blick auf den Beurteilungsspielraum der Lehrer bei prüfungsspezifischen Wertungen zweifelhaft sein.

So VGH Bad.- Württ., Urteil vom 7.9.1981 - IX 2399/79 -, juris (nur Leitsatz); Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, Prüfungsrecht, 4. Aufl. 2004, Rd. 818, m. w. N.; vgl. auch zum jeweiligen Landesrecht: OVG Hamb., Urteil vom 26.11.1990 - Bf III 43/88 -, juris, Rdn. 57, OVG M.-V., Beschluss vom 20.12.2002 - 2 L 8/01 -, juris, Rdn. 17.

Prüfungsspezifische Wertungen, insbesondere die Zuordnung der Leistung zu einer bestimmten Note, sind von subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen des jeweiligen Fachlehrers geprägt. Sie lassen sich nicht regelhaft erfassen und sind der tragende Grund dafür, dass die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte im Prüfungsrechtsstreit bei prüfungsspezifischen Wertungen eingeschränkt ist.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 26.5.2006 - 19 A 677/06 -, m. w. N.

Im Übrigen spricht Einiges dafür, dass - eine Bewertungsbefugnis des Widerspruchsausschusses unterstellt - eine Heilung des Bewertungsfehlers im Widerspruchsverfahren nur dann in Betracht kommt, wenn die Bewertung des Widerspruchsausschusses fehlerfrei ist. Das ist hier nach Aktenlage nicht der Fall. Der Widerspruchsausschuss hat auf die Berücksichtigung der von den Fachlehrerinnen hinreichend deutlich gekennzeichneten sprachlichen Mängel der Klausur des Antragstellers bewusst verzichtet. Dies verstößt gegen § 34 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 13 Abs. 6 APO-GOSt a. F. Danach sind zwingend auch sprachliche Mängel bei Abiturklausuren angemessen zu berücksichtigen. Außerdem spricht Einiges dafür, dass die Nichtberücksichtigung der sprachlichen Mängel gegen den Grundsatz der Chancengleichheit aller Schüler (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt. Denn es ist anzunehmen, dass die Fachlehrerinnen bei den übrigen vier Abiturklausuren im Fach Biologie wie bei der Klausur des Antragstellers sprachliche Mängel bei der Bewertung berücksichtigt haben. Ein sachlicher Grund dafür, bei der Klausur des Klägers dieses Bewertungskriterium unberücksichtigt zu lassen, ist schon mit Blick auf § 34 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 13 Abs. 6 APO-GOSt a. F. nicht ersichtlich.

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