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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 17.01.2006
Aktenzeichen: 20 B 1252/05
Rechtsgebiete: WHG Fassung 2002


Vorschriften:

WHG Fassung 2002 § 32 Abs. 2
WHG Fassung 2005 § 31b Abs. 6
Das Gebot, Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten, schließt die Erhöhung vorhandener Schutzdeiche nicht zwingend aus.
Tatbestand:

Der Antragsteller wohnt in einem durch Rheinhochwasser gefährdeten Gebiet. Der Hochwasserschutz für dieses Gebiet wurde im Zuge von Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes im gesamten Stadtgebiet auf den Pegelstand eines 100-jährlichen Hochwassers ausgerichtet. Die Hochwasserschutzplanungen der Beigeladenen für stromaufwärts gelegene Siedlungsbereiche sahen u. a. den Bau eines neuen Schutzdeiches mit einer die frühere Deichhöhe übersteigenden Höhe vor. Gegen den Planfeststellungsbeschluss für dieses Vorhaben beantragte der Antragsteller die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Sein Begehren blieb auch im Beschwerdeverfahren ohne Erfolg.

Gründe:

Die Beschwerdebegründung verdeutlicht keine Gesichtspunkte, die bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage einen Erfolg des mit der Klage (auch) verfolgten Anfechtungsbegehrens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Insbesondere sind Rechtsmängel, die zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder zu dem Ausspruch führen, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig ist und nicht vollzogen werden darf, nicht offensichtlich.

Der vom Antragsteller gesehene Verstoß gegen § 32 Abs. 2 WHG in der bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses geltenden Fassung (WHG a. F.) - nunmehr § 31b Abs. 6 WHG n. F. - ist nicht wahrscheinlich; die Frage der drittbegünstigenden Wirkung dieser Vorschrift kann daher dahinstehen. Die Antragsgegnerin hat das Vorhaben im Planfeststellungsbeschluss an den Anforderungen nach § 32 Abs. 2 Satz 2 WHG a. F. gemessen; dem liegt die Vorstellung der Herstellung von Retentionsraum zugrunde. Dieser Ausgangspunkt trifft nach derzeitigem Erkenntnisstand zu, sodass das Vorbringen des Antragstellers, er werde durch den Verlust von zu erhaltendem Retentionsraum nach der Wertung des § 32 Abs. 2 WHG zusätzlichen Hochwassergefahren ausgesetzt, im Ansatz fehl geht. § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG a. F., wonach Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als natürliche Rückhalteflächen zu erhalten und ggf. die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu treffen sind, dürfte für die Beurteilung des Vorhabens nicht einschlägig sein. Überschwemmungsgebiete sind u. a. als diejenigen Gebiete definiert, die bei Hochwasser überschwemmt oder durchflossen oder die für Hochwasserentlastung oder Rückhaltung beansprucht werden (§ 32 Abs. 1 Satz 1 WHG a. F.). Die Begrenzung des festgelegten Überschwemmungsgebietes durch die Trasse des bestehenden Deiches hindert eine darüber räumlich hinausgreifende Anwendung des § 32 Abs. 2 Satz 1 WHG a. F. allerdings nicht zwingend. Denn das landseitig des bestehenden Deiches gelegene Gelände wird bei Hochwasser, das den Deich übersteigt oder dessen Versagen herbeiführt, in den Grenzen der natürlichen Höhenlagen tatsächlich überschwemmt. Welche Gebiete von Hochwasser überschwemmt werden, bemisst sich nach dessen Höhe, bei verwirklichten Hochwasserschutzvorkehrungen mithin auch nach deren Schutzwirkung. Die planerische Bemessung von Hochwasserschutzeinrichtungen nach bestimmter statistischer Häufigkeit - § 32 WHG a. F. gab insofern anders als § 31b Abs. 2 Satz 3 WHG n. F., § 112 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 LWG das 100-jährliche Hochwasser nicht vor -, führt aber dazu, dass Gebiete, deren Überschwemmung durch entsprechend ausgerichtete Hochwasserschutzeinrichtungen verhindert wird, schon nicht zu den Überschwemmungsgebieten gehören, folglich auch nicht mehr die Funktion als Rückhalteflächen haben und dementsprechend in dieser Funktion nicht mehr erhalten werden können, sondern nur nach Maßgabe von § 32 Abs. 2 Satz 2 WHG als Rückhalteflächen in einem früheren Überschwemmungsgebiet wiederhergestellt werden sollen. Denn der Deich ist gerade dazu bestimmt, diese Flächen vor einer Überschwemmung bei Hochwasser zu bewahren. Er ist in der Erfüllung dieser Aufgabe lediglich durch seine Auslegung auf ein bestimmtes Hochwasserereignis und damit auf eine bestimmte Belastungssituation begrenzt. Rückhalteflächen sind aber dadurch gekennzeichnet, dass sie den Abfluss von Hochwasser verlangsamen, vor allem Abflussspitzen reduzieren.

Die bei der Bemessung von Schutzeinrichtungen anhand des Bemessungshochwassers inmitten stehende statistische Berechnung der Häufigkeit sehr hoher Hochwasserstände geht als Folge der in jüngerer Vergangenheit zunehmend aufgetretenen hohen Hochwasserereignisse einher mit Veränderungen bei der Beurteilung der Hochwassersicherheit deichgeschützter Flächen. Nicht zuletzt am Rhein im Raum K. und stromabwärts hat sich durch die hohen Hochwasserstände vor allem der Jahre 1993 und 1995 der Wasserstand, der statistisch als 100-jährliches Hochwasser gilt, erhöht. Hinzu kommen unterschiedliche Faktoren für eine fortschreitende Verschärfung der Hochwassergefahr. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 32 Abs. 2 WHG a. F. ist aber zu entnehmen, dass die von der hieran angepassten Fortschreibung der Maßstäbe und des Hochwasserschutzes betroffenen Flächen, die in der Vergangenheit nach dem seinerzeit anzulegenden Sicherheitsstandard als hochwassersicher zu betrachten waren, mit der Funktion von Rückhalteflächen belegen werden sollen. Sollte der vom Antragsteller herangezogenen Entscheidung des Bay.VGH - Beschluss vom 29.9.2004 - 15 ZB 02.2958 -, NVwZ-RR 2005, 171 - eine hiervon abweichende Rechtsauffassung zu entnehmen sein, teilt der Senat diese nicht.

Hiernach hat das Gebiet landseitig des vorhandenen Deiches nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht die Funktion eines Rückhalteraums im vorstehenden Sinne. Der Deich ist seiner Höhe nach ausgelegt auf den extremen Hochwasserstand des Jahres 1926 (10,69 m am Bezugspunkt KP) zuzüglich eines Zuschlages von ca. 0,80 m. Das entspricht dem früher üblichen Ausbaustandard im Gebiet K. außerhalb einiger hiervon ausgenommener Stadtteile. Bis zu den Hochwasserereignissen in den letzten Jahren bot der Deich danach statistisch gesehen Sicherheit gegen ein (mehr als) 100-jährliches Hochwasser; er übersteigt selbst die Höhe des neu berechneten 100-jährlichen Hochwassers von 11,30 m KP. Aus dem Fehlen eines nach aktuellem Stand einem solchen Hochwasserstand angemessenen Freibordes und den Zweifeln des Antragstellers an der Standsicherheit des Deiches lassen sich Umstände, die für eine Funktion des deichgeschützten Gebietes als Rückhalteraum sprechen könnten, nicht ableiten. Beide Aspekte betreffen lediglich Versagensrisiken des Deiches, die für seine tatsächliche Schutzwirkung wesentlich sind, aber das geschützte Gebiet nicht dazu bestimmen, Hochwasser zurückzuhalten (vgl. auch § 31c Abs. 1 Satz 1 letzter Hs. WHG n. F.). Auch die Deichkrone hindert, wenngleich ihrer baulichen Beschaffenheit nach ggf. unzulänglich, vor einem Überschwemmen der landseitigen Flächen; Voraussetzung für die Zugehörigkeit eines Grundstücks zum Überschwemmungsgebiet ist aber nach dem Vorstehenden, soweit hier entscheidungserheblich, dass es tatsächlich überschwemmt wird. Bauliche Mängel des Deiches sind im Rahmen seiner Unterhaltung zu beheben (§ 108 Abs. 2 LWG); daneben besteht die Wiederherstellungslast (§ 108 Abs. 3 LWG).

Ein für das Anfechtungsbegehren im Hinblick auf die allein für sofort vollziehbar erklärte Errichtung des neuen Deiches entscheidungserheblicher Fehler bei der Anwendung des § 32 Abs. 2 Satz 2 WHG a. F. scheidet von vornherein aus. Die durch diese Vorschrift geforderte Wiederherstellung früherer Überschwemmungsgebiete als Rückhalteflächen kann für den Antragsteller ausschließlich unter dem Blickwinkel einer Verbesserung der Hochwassersituation seines stromabwärts des Rheinbogens gelegenen Wohneigentums von Bedeutung sein. Das auf die Abwehr nachteiliger Folgen des Vorhabens gerichtete Anfechtungsbegehren kommt nicht in Betracht, um eine solche Verbesserung zu erlangen.

Eine Umdeutung des ausdrücklich auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO bezogenen Antrags des Antragstellers in einen solchen nach § 123 VwGO mit dem Ziel der Verpflichtung zur Vergrößerung des Retentionsraumes verbietet sich. Es fehlt schon an einem entsprechenden Begehren in der Hauptsache. Der Antragsteller macht auch nicht geltend, Inhaber eines durchsetzbaren Anspruchs auf Hochwasserschutz durch die Herstellung von Rückhalteraum zu sein. Er sieht die durch den neuen Deich bewirkte Begrenzung einer etwaigen Überschwemmung des Gebietes im Rheinbogen als abzuwehrende Verschlechterung des Hochwasserschutzes seines Wohneigentums.

Diese Sichtweise trifft jedoch nicht zu. Der neue Deich belässt und verstärkt den Hochwasserschutz für eine Teilfläche des bislang schon durch den alten Deich hochwassergeschützten Gebietes. Im Falle eines den alten Deich mit dem Schutzniveau von ca. 11,50 m KP überflutenden Hochwassers kann das für stromabwärts befindliche Flächen im Bereich des Antragstellers Erhöhungen von potentiell schädlichen Überschwemmungen verursachen. Der Antragsteller beziffert das Verminderungspotential des Retentionsraumes bei der Wahl der "maximalen" Variante auf 0,10 m, sodass unter Einbeziehung der planfestgestellten Lösung eine Wasserstandserhöhung von noch bis zu etwa 0,05 m in Rede steht. Es ist aber aufgrund der konkreten örtlichen Verhältnisse erheblich zweifelhaft, ob der Antragsteller, dessen Wohneigentum in einem wegen seiner niedrigen Höhenlage seit Alters her besonders hochwassergefährdeten Gebiet liegt, über einen insofern im Rahmen der Planfeststellung des Vorhabens abwägungserheblichen, notwendig individuellen, Belang verfügt. Unabhängig hiervon liegt aller Voraussicht nach jedenfalls kein nach § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG NRW erheblicher Abwägungsmangel zu Lasten des Antragstellers vor. Denn ein etwaiger Abwägungsmangel muss, soll er zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen, von Einfluss gewesen sein auf das Abwägungsergebnis. Es bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die zu erwägende Veränderung des Hochwasserstandes im Bereich der Wohnung des Antragstellers nicht erkannt und mit dem Ergebnis abgewogen hat, sie könne und müsse in Kauf genommen werden. (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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