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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.11.2002
Aktenzeichen: 20 B 1832/02
Rechtsgebiete: WaffG


Vorschriften:

WaffG § 38 Abs. 2
Für Waffenbörsen mit unbeschränktem Besucherzugang haben Waffenhändler keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Waffenhandelsverbot (§ 38 Abs. 2 WaffG).
Tatbestand:

Die Antragstellerin, eine Waffenhändlerin, begehrte für die Teilnahme an einer näher bezeichneten Waffenbörse eine Ausnahmegenehmigung vom Handelsverbot für Schusswaffen oder Munition sowie Hieb- oder Stoßwaffen im Marktverkehr (§ 38 Abs. 1 Nr. 1 WaffG). Der Antragsgegner, der in der Vergangenheit für vergleichbare Veranstaltungen entsprechende Genehmigungen erteilt hatte, lehnte den Antrag ab. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hängt ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Waffenhandelsverbot gemäß § 38 Abs. 2 WaffG nicht vom Ergebnis einer Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Individualinteressen ab; vielmehr geht das VG zutreffend davon aus, dass eine entsprechende Ausnahmeerteilung voraussetzt, dass öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Das ist durch den Wortlaut der Vorschrift klar vorgegeben und entspricht auch der typischen Normstruktur eines repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt. Während ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt die aus den Grundrechten abzuleitende Verhaltensfreiheit unberührt lässt und das Handeln lediglich einer vorherigen Kontrolle der Gesetzmäßigkeit unterwirft, sieht der Gesetzgeber bei einem repressiven Verbot das betroffene Verhalten als in der Regel sozialschädlich an und belegt es mit einem generellen Verbot, sodass eine Befreiung nicht nur formelle, sondern materielle Voraussetzung für das Recht überhaupt ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 5.8.1966 - 1 BvF 1/61 -, BVerfGE 20, 150, 157.

Dieser Wertung entspricht es, die Durchbrechung des Verbots davon abhängig zu machen, dass die für das generelle Verbot sprechenden Gründe - die Beeinträchtigung öffentlicher Belange - im Einzelfall nicht eingreifen - vgl. Maunz-Dürig, GG, Stand: Juli 2001, Art. 11 Rdnr. 95 m.w.N. -, insofern also ein atypischer Fall, eine Ausnahmesituation vorliegt. § 38 Abs. 2 WaffG greift danach mit der Voraussetzung "wenn öffentliche Interessen nicht entgegenstehen" die Konstellation auf, dass die das generelle Verbot tragenden öffentlichen Interessen im Einzelfall nicht berührt werden. Gründe, das dem Wortlaut und der Systematik entsprechende Verständnis des § 38 WaffG als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt für Ausnahmefälle in Frage zu stellen, ergeben sich nicht. Bei der Auswahl zwischen den Regelungsformen eines präventiven und eines repressiven Verbots steht dem Gesetzgeber ein weites Ermessen zu, bei dem allerdings aus Gründen der Verhältnismäßigkeit das Einschränkungsverfahren der Gefahr angepasst sein muss.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.5.1953 - 1 BvL 104/52 -, BVerfGE 2, 266, 280, und Urteil vom 5.8.1966, a.a.O., S. 155.

Dass die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf § 38 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht gewahrt wäre und deshalb - etwa im Wege der verfassungskonformen Auslegung - die nach dem Wortlaut des § 38 Abs. 2 Satz 1 WaffG bestehende Ausnahmevoraussetzung zu einem bloßen Element der Ermessensausübung werden müsste, ist nicht, jedenfalls nicht mit der Eindeutigkeit, die im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit begehrter Vorwegnahme der Hauptsache zu fordern ist, festzustellen. Dabei ist nämlich zu beachten, dass auf Seiten der Waffenhändler nichts überragend Gewichtiges einzustellen ist, weil § 38 Abs. 1 Nr. 2 WaffG das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG erst auf der Stufe der Ausübungsregelung einschränkt, was bereits zulässig ist, wenn vernünftige Gründe des Gemeinwohls dies als zweckmäßig erscheinen lassen.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 11.6.1958 - 1 BvR 596/56 -, BVerfGE 7, 377 = NJW 1958, 1035.

Soweit nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG - vgl. BVerwG, Urteil vom 27.11.1997 - 1 C 16.97 -, NVwZ-RR 1998, 234 = DVBl. 1998, 834 m.w.N. - bei dem ebenfalls repressiven Verbot nach §§ 28, 30 Abs. 1 Nr. 3 WaffG - danach darf ein Schusswaffenerwerb und -besitz ohne Nachweis eines Bedürfnisses nicht gestattet werden - der Bedürfnisprüfung eine Abwägung zwischen dem jeweiligen persönlichen Interesse des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse, dass möglichst wenige Waffen "ins Volk" kommen, zugrunde zu legen ist, scheidet eine Übertragung auf § 38 WaffG aus. Denn im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WaffG ist das Fehlen eines Bedürfnisses Tatbestandsvoraussetzung für das Verbot, während das Waffenhandelsverbot nach § 38 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nach der gesetzlichen Regelung an keine weiteren, im Einzelfall zu prüfenden Voraussetzungen gebunden ist, sondern nur das Vorliegen eines hier vom VG festgestellten und von der Antragstellerin mit der Beschwerdebegründung nicht angegriffenen Marktverkehrs, der sich nicht als Mustermesse darstellt, voraussetzt.

Das Fehlen jeglicher entgegenstehender öffentlicher Interessen als Voraussetzung für eine Ausnahme vom Waffenhandelsverbot ist hinsichtlich der geplanten Waffenbörse nicht festzustellen. Wie oben bereits dargestellt handelt es sich bei § 38 WaffG um ein repressives Verbot, bei dem die einem Waffenhandel im Marktverkehr entgegenstehenden öffentlichen Belange vom Gesetzgeber anerkannt und gewichtet worden sind, sodass eine Ausnahme nur für Fallgestaltungen in Betracht kommt, auf die die gesetzliche Wertung nicht zutrifft. Daher bedarf es zur Versagung der Ausnahme nicht, jedenfalls nicht vorrangig der Feststellung und Gewichtung von konkret entgegenstehenden öffentlichen Interessen - diese sind schon vom Gesetzgeber herangezogen und zur Grundlage des Verbots gemacht worden -, vielmehr bedarf es zur Eröffnung des Ermessens über die Erteilung der Ausnahme der Feststellung eines Sachverhalts, auf den die gesetzliche Wertung - ausnahmsweise - nicht zutrifft, in dem mithin öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Das mag etwa für den im Runderlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9.9.2002 aufgegriffenen Fall zu bejahen sein, in dem der Markt nicht für jedermann, sondern nur für Inhaber von Waffenbesitzkarten, also für Personen zugänglich ist, deren waffenrechtliche Zuverlässigkeit geprüft worden ist und kontrolliert wird. Für die Waffenbörse, für die die Antragstellerin die Ausnahme erstrebt, aber ergeben sich die typischen Elemente eines freien Marktgeschehens, bei dem sich - abgesehen von dem dem Waffengesetz nicht gemäßen Eindruck, es handele sich bei Waffen um übliche Handelswaren - aufgrund der Vielzahl von Anbietern und der gegenüber einzelnen festen Verkaufsstellen entsprechend vergrößerten Anzahl unterschiedlicher Produkte eine wesentlich höhere Attraktivität entfaltet, die zudem auch auf Personen einwirkt, die mit diesem Warenangebot noch nicht in Berührung gekommen sind und über feste Verkaufsstellen auch nicht vergleichbar angesprochen werden, bei denen also ein Interesse erst geweckt werden kann. Eine Vergrößerung des Waffenbesitzes und des Kreises der Waffenbesitzer widerspricht jedoch dem - etwa auch im waffenrechtlichen Bedürfniserfordernis zum Ausdruck kommenden - grundlegenden Ziel des Waffengesetzes, die Zahl der Waffenbesitzer sowie die Art und die Zahl der in Privatbesitz befindlichen Schusswaffen auf das unbedingt Notwendige und mit Rücksicht auf die Interessen der öffentlichen Sicherheit vertretbare Maß zu beschränken.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.11.1997, a.a.O.

Eine Beschränkung des Marktgeschehens, zu dem nach den Teilnahmebedingungen der Veranstalterin als Besucher sogar Jugendliche - wenngleich nur in Begleitung Erwachsener - zugelassen sind, etwa entsprechend dem oben angesprochenen Runderlass, kann im vorliegenden Verfahren durch die Erteilung von Auflagen - wie von der Antragstellerin angeregt - nicht erreicht werden. Auf die Gestaltung der Verkaufsveranstaltung insgesamt kann der Senat im vorliegenden Verfahren keinen Einfluss nehmen.

Liegen aber die Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme vom Waffenhandelsverbot nicht vor, so fehlt es der Antragstellerin an jeder Grundlage, sich mit Rücksicht auf früher erteilte Ausnahmegenehmigungen auf Vertrauensschutz oder das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG zu berufen. Die Fortsetzung einer zumindest künftig als rechtswidrig erkannten Verwaltungspraxis kann nicht verlangt werden.

Ende der Entscheidung

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