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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.11.2003
Aktenzeichen: 21 A 1075/01
Rechtsgebiete: GSG, 2. GSGV


Vorschriften:

GSG § 2 Abs. 2 Nr. 4
GSG § 3 Abs. 1
GSG § 5 Abs. 1
GSG § 5 Abs. 4
GSG § 6 Abs. 1
2. GSGV § 1 Abs. 1 Satz 2
2. GSGV § 1 Abs. 2
1. Funktionsidentische Nachbauten (Replikate) von alten Blechspielzeugen, die aufgrund ihrer Gestaltung geeignet sind, die Aufmerksamkeit von Kindern im Alter bis 14 Jahren zu wecken und den Wunsch hervorzurufen, mit ihnen zu spielen, sind auch dann Spielzeug im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug - 2. GSGV -, wenn der Importeur auf für Kinder bestehende Gefahren durch einen Warnhinweis auf der Verpackung hinweist.

2. Spielzeug im Sinne des Gerätesicherheitsrechts sind nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. GSGV gleichermaßen Erzeugnisse, die zur Verwendung zum Spielen gestaltet sind wie solche, die zu diesem Zweck offensichtlich bestimmt sind. Diese Tatbestandsmerkmale stehen selbständig und gleichwertig nebeneinander.

3. Ein Importeur von Replikaten von altem Blechspielzeug kann sich der Einhaltung der für Spielzeug geltenden Sicherheitsvorschriften nicht unter Hinweis darauf entziehen, bei seinen Produkten handele es sich um "1:1-Modelle" alter "Originale" und auf Grund dessen um "natur- und maßstabsgetreue Kleinmodelle für erwachsene Sammler" im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. GSGV i.V.m. Anhang I Nr. 2 der Richtlinie 88/378/EWG des Rates vom 3.5.1988 (Spielzeug-RL).


Tatbestand:

Das beklagte staatliche Amt für Arbeitsschutz untersagte der Klägerin, die als Importeurin und Großhändlerin von Spielwaren einen großen Teil ihres Umsatzes mit dem Import und Vertrieb von preisgünstigen, in Fernost hergestellten funktionsidentischen Nachbauten alter Blechspielzeuge erzielt, das Ausstellen und Inverkehrbringen einer durch umgekantete Blechlaschen zusammengehaltenen und mit einem Aufzugsmotor versehenen etwa 10 cm langen Blechente ("swimming duck") sowie anderer Blechspielzeuge aus ihrem Sortiment, die nach demselben erjjf Herstellungsverfahren produziert sind und damit dieselben Verletzungsgefahren für Kinder bergen. Die gegen diese Ordnungsverfügung gerichtete Klage wies das VG ab. Auch der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

1. Die von der Klägerin im Zulassungsverfahren geltend gemachten Gesichtspunkte sind insgesamt nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der (Ergebnis-)Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO a.F.) zu wecken. Im Einzelnen ist hierzu auszuführen:

a. Das VG hat sich zur Begründung seiner Auffassung, die Ordnungsverfügung des Beklagten sei materiell rechtmäßig, in erster Linie auf die Gründe des Widerspruchsbescheides bezogen, denen es mit der Maßgabe gefolgt ist, dass die von der Klägerin importierten und vertriebenen Produkte nicht nur gegen die dort bezeichneten Anforderungen in Abschnitt II Nr. 1 Buchstabe b) des Anhangs II der Richtlinie 88/378/EWG, sondern auch gegen diejenigen in Abschnitt II Nr. 1 Buchstabe a) des Anhangs II der Richtlinie verstoßen. Damit hat es sich unter anderem die Auffassung der Widerspruchsbehörde zu Eigen gemacht, die von der Klägerin vertriebenen Blechartikel seien - bereits - deshalb als Spielzeug im Sinne des § 1 der Zweiten Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug - 2. GSGV) anzusehen, weil sie dazu gestaltet seien, von Kindern im Alter bis zu 14 Jahren zum Spielen verwendet zu werden. Die historischen Originale, denen diese Blechwaren nach Angaben der Klägerin maßstabs- und originalgetreu nachgebildet worden seien, seien ihrerseits dazu gestaltet gewesen, von Kindern zum Spielen verwendet zu werden. Die Blechgegenstände hätten ihren "Reiz zum Spielen auf Kinder" nicht nur zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgeübt; durch ihre einfache Gestaltung ließen sie der Phantasie freien Raum und dienten somit der Befriedigung des kindlichen Spieltriebes.

Diese Bewertung wird durch das Zulassungsvorbringen nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Die umfangreichen Ausführungen der Klägerin zu Zweck und Erfolg der von ihr auf den Umverpackungen ihrer Artikel angebrachten Warnhinweise beziehen sich ebenso wie die - in keinem Stadium des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens in irgendeiner Weise belegten - Angaben zu ihrem Abnehmerkreis, die Erwägungen zu dem auf Weihnachtsmärkten anzutreffenden Anbieter- und Kundenkreis und die Betrachtungen zu eventuellen Überlegungen und Verantwortlichkeiten möglicher erwachsener Käufer ausschließlich auf die Frage, ob ihre Produkte - von ihr - für eine Verwendung als Kinderspielzeug "offensichtlich bestimmt" sind. Wie bereits der Wortlaut des § 1 der 2. GSGV zeigt ("oder"), handelt es sich bei der Gestaltung zu Spielzwecken jedoch um ein selbständiges, neben der "offensichtlichen Bestimmung" zu diesen Zwecken stehendes Merkmal, das alternativ die Eigenschaft als Spielzeug im Sinne dieser Verordnung begründet und für das die oben genannten Erwägungen ohne jede Aussagekraft sind. Sofern die Klägerin in diesem Zusammenhang behauptet, nach der Richtlinie 88/378/EWG sei der (objektiv) voraussehbare Gebrauch gegenüber der - vom Hersteller festgelegten - offensichtlichen Bestimmung als Spielzeug "nur nachrangig", findet diese Annahme in der hierfür herangezogenen Präambel der Richtlinie keine Bestätigung. Vielmehr ist - auch - dort von einer "gleichzeitige[n] Berücksichtigung des voraussehbaren Gebrauchs in Anbetracht des üblichen Verhaltens von Kindern" die Rede (vgl. den 6. Erwägungsgrund der Richtlinie 88/378/EWG).

Auch die Erwägungen der Klägerin darüber, dass und aus welchen Gründen kein Kind des hiesigen Kulturkreises in der heutigen Zeit mehr Interesse an den von ihr vertriebenen Blechprodukten, die sie in der Klageschrift selbst noch unbefangen als "Spielzeug aus Blech" bezeichnet hat, entwickeln könnte, vermögen diese Argumentation nicht ernstlich zu erschüttern. Die Bewertung, dass die in Ziffer 1. der angefochtenen Ordnungsverfügung bezeichnete "Blechente" dazu gestaltet ist, von Kindern bis 14 Jahren zum Spielen verwendet zu werden, liegt auch nach Ansicht des Senats in Würdigung von Kriterien, die die Mitglieder des Spruchkörpers aus eigener Anschauung und Erfahrung mit Spielzeug und spielenden Kindern beurteilen können, auf der Hand. Hierfür spricht schon die - augenscheinlich nicht in der Natur vorkommenden Enten nachempfundene - bunte Farbgebung dieses Produkts (hellvioletter Körper, gelbes und hellblaues Gefieder, hellblauer Kopf), die ersichtlich die (klein-)kindliche Aufmerksamkeit auf das Produkt ziehen soll. Es spricht - entgegen der Einlassung der Klägerin - aus Sicht des Senats nichts dafür, dass diese Farbgebung in der heutigen Zeit ihr Ziel verfehlen könnte. Allein dem Umstand, dass heutzutage auch Spielzeug aus anderen Materialien, mit anderer Farbgebung und anderer oder weitergehender Funktionalität verfügbar ist, ist dies jedenfalls nicht zu entnehmen; es erscheint nicht fern liegend, dass gerade diese "Andersartigkeit" sogar geeignet ist, ein gesteigertes Interesse bei Kindern zu wecken. Der in der streitgegenständlichen "Blechente" installierte Aufzugsmechanismus, der die Ente befähigt, sich mit angedeuteten Paddelbewegungen fortzubewegen, ist schließlich in besonderem Maße geeignet, Kinder für das Produkt und den spielerischen Umgang hiermit zu begeistern. Dass diese Beweglichkeit nicht durch elektrische oder elektronische Bauteile erreicht, sondern durch einen einfachen und auch von kleineren Kindern unschwer zu erfassenden und zu bedienenden Mechanismus bewirkt wird, dürfte der Attraktivität des Spielzeugs für diesen Personenkreis eher förderlich sein. Es liegt fern, dass dabei der von der Klägerin geltend gemachten "Zerbrechlichkeit" der Ente von den betreffenden Kindern gesteigerte Bedeutung beigemessen werden könnte. Im Übrigen dürfte auch das Gewicht, das eventuell anwesende Erwachsene der Gefahr einer Beschädigung der Ente und/oder ihres Aufzugsmechanismus beim kindlichen Spiel beimessen, angesichts des geringen Ein- und Verkaufpreises des Produkts von wenigen EUR - anders als bei historischen Blechspielzeugen mit hohem (Sammler-)Wert - eher gering zu veranschlagen sein.

b. Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Klägerin gegen die Annahme des VG, bei der streitgegenständlichen "Blechente" handele es sich nicht um ein "maßstabs- und originalgetreues Kleinmodell für erwachsene Sammler" im Sinne der Nummer 2 des Anhangs I der Richtlinie 88/378/EWG, auf die § 1 Abs. 2 der 2.GSGV Bezug nimmt. Es kann dahinstehen, ob die Erwägungen des VG dazu, warum die "Blechente" kein originalgetreues Kleinmodell einer "in Ostasien" in der Natur vorkommenden Ente darstellt (keine Blechlaschen, kein Hut - den auch die streitgegenständliche Ente nicht aufweist -), angemessen sind und in jeder Hinsicht überzeugen. Denn die Klägerin hat sich zu keinem Zeitpunkt darauf berufen, sie vertreibe originalgetreue Kleinmodelle von in der Natur vorkommenden Enten. Sie macht dies auch mit ihrem Zulassungsantrag nicht geltend; schon die Farbgebung des Produkts lässt die Annahme, es solle eine Ente originalgetreu dargestellt werden, als fern liegend erscheinen.

Die streitgegenständliche Ente kann jedoch auch nicht als "maßstabs- und originalgetreues Kleinmodell" eines in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Japan hergestellten Blechspielzeugs qualifiziert werden, wie dies die Klägerin reklamiert.

Nach ihren Angaben handelt es sich bei der Ente um eine "1:1 Reproduktion" bzw. eine hinsichtlich Form, Größe und Qualität originalgetreue Nachbildung eines in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hergestellten Baumusters. Es kann offen bleiben, ob und inwieweit diese Darstellung zutreffend ist. Bedenken in dieser Hinsicht weckt schon, dass die Klägerin die Anfrage des VG nach dem - genauen - Hersteller der "Originalente" unbeantwortet gelassen und hinsichtlich des Herstellungszeitraums lediglich Vermutungen geäußert und diese Angaben auch im Zulassungsantrag nicht weiter konkretisiert hat; auch ist dem Senat von einem anderen Anbieter von Blechspielzeug eine Abbildung einer in Japan hergestellten alten "Blechente" (Kaufpreis: 65,-- EUR) bekannt, die dem streitgegenständlichen Produkt zwar in der Form ähnelt, aber eine in der Gesamtgestaltung abweichende, eher dem Vorbild der Natur entsprechende Farbgebung aufweist; das der streitgegenständlichen "Blechente" aufgedruckte Gefieder und ihr Uhrwerkschlüssel stimmen ersichtlich auch nicht mit der Abbildung auf der von der Klägerin zu den Akten gereichten Kopie aus dem Katalog eines anderen Blechspielzeugversandes überein, die eine aus Japan stammende Blechente (zum Preis von 65,-- DM) darstellt. Dem muss hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden.

Ungeachtet der Frage ihrer - für den Sammler entscheidenden - Originaltreue dürfte die Ente schon nicht als "Modell" anzusehen sein. Während es nämlich Aufgabe eines Modells ist, "Form, Beschaffenheit, Maßverhältnisse ... eines vorhandenen od. noch zu schaffenden Gegenstandes in bestimmtem (insbes. verkleinerndem Maßstab" zu veranschaulichen - vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 6, 1978, Artikel: "Modell" -, steht bei einem originalgetreuen und funktionsidentischen Nachbau eines Gegenstandes der Zweck im Vordergrund, das Original nicht (nur) zu veranschaulichen, sondern in seiner Nutzung - hier: als Spielzeug - zu ersetzen. Es spricht nichts dafür, dass es Sinn und Regelungsinhalt der Ausnahmeregelung in Nr. 2 des Anhangs I der Richtlinie 88/378/EWG ist, das Inverkehrbringen funktionsidentischer Kopien gefährlicher Spielzeuge zu ermöglichen, deren Originale in der EU nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen.

Letztlich kommt es jedoch auch hierauf nicht an: Bei dem von der Klägerin bemühten "1:1-Modell" handelt es sich jedenfalls nicht um ein "Kleinmodell" im Sinne der genannten Ausnahmeregelung. Wie dem oben genannten Zitat zu entnehmen ist, ist für ein "Modell" der Maßstab der Abbildung des Originals von erheblicher Bedeutung. Auf diesen Zusammenhang hebt ersichtlich Nr. 2 des Anhangs I der Richtlinie 88/378/EWG mit der Anforderung ab, es müsse sich (nicht nur um ein "Modell", sondern) um ein maßstabsgetreues Kleinmodell des jeweils dargestellten Gegenstandes handeln. Jedenfalls diese Anforderung erfüllt ein Gegenstand in derselben Größe wie das "Original" ersichtlich nicht. Hierauf hat zutreffend bereits das VG hingewiesen. Die Argumentation der Klägerin, ein "sklavisches Festhalten an der Begrifflichkeit des Wortes 'Kleinmodell'" könne "nicht überzeugen" und werde "dem Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift nicht gerecht", bietet keine Handhabe, sich über den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift hinwegzusetzen. Auch der von der Klägerin unterstellte Wunsch Erwachsener, derartige - als Spielzeug gestaltete, aber den nach den geltenden EU-Richtlinien für Spielzeug geltenden Anforderungen nicht genügende - Produkte für sich als Sammler erwerben zu können, rechtfertigt eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift über ihren - eindeutigen - Wortlaut hinaus nicht. Auf die von der Klägerin im hier gegebenen Zusammenhang noch angestellten Erwägungen kommt es demzufolge aus Rechtsgründen nicht mehr an. Insofern sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt, dass auch der Senat der Auffassung ist, dass die der "Blechente" von der Klägerin verliehene Bezeichnung als "Sammlermodell" nur vorgeschoben ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass sich die Produktion und der Handel mit diesem Artikel - nach eigener Einschätzung der Klägerin ein "Massenprodukt" - angesichts des geringen Ein- und Verkaufspreises für die Klägerin betriebswirtschaftlich "rechnen" könnte, wenn hiermit lediglich das schmale Marktsegment der erwachsenen Sammler von Blechspielzeugen - einschließlich "Anfängern" in diesem Metier ohne ausreichende finanzielle Mittel - "bedient" werden würde, zumal auch auf diesem Markt mutmaßlich ein eher geringes Interesse an billigen Nachbauten der "an sich" gesuchten alten Originalprodukte bestehen dürfte. ...

Ende der Entscheidung

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