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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 21 A 2435/02
Rechtsgebiete: BauGB, BImSchG, BGB, GG


Vorschriften:

BauGB § 30
BImSchG § 3 Abs. 1
BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 1
BImSchG § 22 Abs. 1
BGB § 906
BGB § 1004
GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 14 Abs. 1
Ein von Lärmimmissionen der nicht schulischen Nutzung eines städtischen Schulhofs als öffentliche Spielfläche betroffener Nachbar kann von der Stadt im Wege einer öffentlich-rechtlichen Unterlassungsklage aus Verhältnismäßigkeitsgrünen regelmäßig nicht die Unterbindung jeder außerschulischen Nutzung des Schulhofes verlangen, sondern allein die Durchführung geeigneter Lärmminderungsmaßnahmen.
Tatbestand:

Die Kläger wendeten sich gegen die Nutzung des an ihr Hausgrundstück grenzenden Schulhofs einer städtischen Schule als öffentliche Spielfläche in der unterrichtsfreien Zeit. Ihre mit unzumutbaren Lärmimmissionen der außerschulischen Nutzung begründete Klage wies das VG ab. Auch ihr Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Das Zulassungsvorbringen ist insgesamt nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu wecken, mit dem das VG die auf Unterlassung einer Nutzung des Schulhofs der I.-Schule für schulfremde Zwecke und außerhalb der Schulzeiten sowie auf Ergreifung von Maßnahmen zur Verhinderung solcher Benutzungen gerichtete Klage abgewiesen hat.

Das VG hat festgestellt, dass den Klägern der von ihnen - allein - verfolgte Anspruch gegen die Beklagte auf Untersagung und Verhinderung jeglicher außerschulischen Nutzung nicht zustehe, weil in Anbetracht der vielfältigen, auch baulichen Möglichkeiten für eine Minderung des von dem Spiel auf dem Schulhof ausgehenden Lärms nicht davon ausgegangen werden könne, dass allein eine Nutzungsuntersagung, die nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen sei, geeignet sei, die Kläger vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen zu schützen. Eine abweichende Bewertung ergebe sich auch nicht aus der bauplanerischen Festsetzung des von den Klägern bewohnten Grundstücks als reines Wohngebiet. Diese Argumentation wird durch das Zulassungsvorbringen nicht ernstlich in Frage gestellt.

1. Unbegründet sind zunächst die von den Klägern geäußerten Zweifel an der Existenz eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen schlicht hoheitlich verursachte Immissionen, den das VG als Anspruchsgrundlage für das von den Klägern verfolgte Begehren zugrunde gelegt hat. Dass es einen derartigen Anspruch gibt, der einem von Immissionen eines Hoheitsträgers betroffenen Nachbarn unmittelbar gegen den betreffenden Hoheitsträger zusteht und der auf Unterlassung dieser Immissionen gerichtet ist, soweit sie das Maß des im Einzelfall Zumutbaren überschreiten, entspricht der ständigen und seit langem gefestigten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.1.1989 - 7 C 77.87 -, BVerwGE 81, 197 (199 f.), und vom 29.4.1988 - 7 C 33.87 -, BVerwGE 79, 254 (257); OVG NRW, Beschluss vom 28.2.2001 - 21 B 1889/00 - NVwZ 2001, 1181; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.6.2002 - 10 S 1559/01 -, UPR 2003, 76, m.w.N.

Die von den Klägern für einschlägig gehaltenen Regelungen, hier § 22 ff. BImSchG, begründen demgegenüber keine Duldungspflichten und Abwehransprüche im Nachbarschaftsverhältnis zwischen Störer und Gestörtem, sondern entfalten unmittelbare Wirkung allein in deren jeweiligem Verhältnis zu der für die Anlagenüberwachung zuständigen Behörde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.1988, a.a.O., S. 257.

Zutreffend ist ferner die Feststellung des VG, dass dieser öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch darauf gerichtet ist, dass der Hoheitsträger Vorkehrungen gegen unzumutbare Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft trifft. Dabei zeigt der einleitende Hinweis des VG auf den Runderlass des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 11.10.1997 über die Messung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen, dass das VG - zutreffend - davon ausgegangen ist, dass auch im Rahmen der Prüfung eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs den immissionsschutzrechtlichen Regelungen der Maßstab für die Beurteilung der Frage zu entnehmen ist, welches Maß an hoheitlich verursachten Lärmimmissionen nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls als (noch) zumutbar hinzunehmen ist, weil sie sich (noch) nicht als erhebliche Belästigung und damit als schädliche Umwelteinwirkung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG darstellen. Zutreffend ist schließlich auch die Feststellung des VG, dass der Störungsbetroffene gegenüber dem störenden Hoheitsträger regelmäßig keinen Anspruch auf bestimmte Maßnahmen, sondern allein darauf hat, dass Lärmbelästigungen oberhalb der Zumutbarkeitsschwelle unterbleiben. Wie der unterlassungspflichtige Hoheitsträger dies erreicht, obliegt allein seiner Entscheidung.

BVerwG, Urteil vom 29.4.1988, a.a.O., S. 263.

2. Auch die Auffassung des VG, eine Nutzungsuntersagung komme erst dann in Betracht, wenn Maßnahmen zur Verminderung der Lärmimmissionen ohne Erfolg blieben oder keinen Erfolg versprächen, ist - entgegen der Kritik der Kläger - nicht zu beanstanden. Dieser Vorrang von immissionsmindernden Maßnahmen vor einer - gänzlichen - Untersagung der emittierenden Nutzung ergibt sich rechtlich zwingend aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Vgl. OVG Berlin, Urteil vom 22.4.1993 - 2 B 6.91 -, NVwZ-RR 1994, 141; Hess.VGH, Urteil vom 30.11.1999 - 2 UE 263/97 -, JURIS, Rdn. 44.

Hiermit ist der mit dem Fehlen eines solchen Vorrangs der Immissionsverminderung vor der Nutzungsuntersagung begründeten Kritik der Kläger am angefochtenen Urteil schon vom Ansatz die Grundlage entzogen. Im Übrigen ist diese Kritik auch in der Sache unbegründet: Für die Feststellung, dass der von den Klägern im vorliegenden Verfahren - ausschließlich - vertretenen "Maximalforderung" einer völligen Untersagung jeglicher außerschulischen Nutzung des Schulhofes wegen der Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten, die Lärmentfaltung spielerischer Aktivitäten auf dem Schulhof zu begrenzen - zu denken wäre etwa an lärmmindernde Maßnahmen an einzelnen Spielgeräten, an deren räumlich andere Anordnung, an Beschränkungen hinsichtlich der Art der Nutzung oder an Beschränkungen hinsichtlich der Nutzungszeiten, wie sie bereits im Eilverfahren VG Gelsenkirchen 8 L 869/01 angeordnet worden waren -, kein Erfolg beschieden ist, bedurfte es keiner näheren Feststellungen hinsichtlich des von dem außerschulischen Spiel auf dem Schulhof auf das von den Klägern bewohnte Grundstück konkret einwirkenden Lärms. Denn es fehlte - und fehlt - jeder Anhaltspunkt dafür, dass Bemühungen der Beklagten mit dem Ziel, diesen Lärm auf ein den Klägern immissionsschutzrechtlich zumutbares Maß zu reduzieren, von Anfang an zum Scheitern verurteilt wären; auch die Kläger nennen im Zulassungsantrag nichts, was solche Maßnahmen als fruchtlos erscheinen ließe. Damit aber war das konkrete Ausmaß des zum Zeitpunkt der Entscheidung des VG auf dem Schulhof tatsächlich verursachten Lärms, dessen Feststellung bei einem auf Lärmminderung gerichteten Begehren sinnvoll gewesen wäre, für das angefochtene Urteil ohne Bedeutung.

3. Auch die Ausführungen der Kläger zum ihnen ihrer Ansicht nach zustehenden "Gebietsgewährleistungsanspruch" wecken keine ernstlichen Zweifel an der Feststellung des VG, dass die bauplanungsrechtlichen Festsetzungen für das von ihnen bewohnte Grundstück ihnen keinen vom Umfang der tatsächlichen Beeinträchtigung unabhängigen Anspruch auf gänzliche Unterlassung der außerschulischen Nutzung des Schulhofs vermitteln. ...

Das VG hat seine Auffassung, die Kläger könnten den Klageanspruch nicht aus der bauplanungsrechtlichen Festsetzung des von ihnen bewohnten Grundstücks als reines Wohngebiet durch den Vorhaben- und Erschließungsplan Nr. 8 herleiten, nicht allein darauf gestützt, dass das Schulgrundstück im Plangebiet des Bebauungsplans Nr. 16 der Stadt N. liegt, sondern maßgeblich auch darauf, dass das Grundstück hierin als "Fläche für den Gemeinbedarf (Schule)" ausgewiesen ist, mithin auf die gegenüber der Festsetzung für das Wohngrundstück der Kläger abweichenden Nutzungsart (S. 7 f. des Urteilsabdrucks). Die Einwendungen, die die Kläger dieser die Ablehnung eines Gebietsgewährleistungsanspruchs selbständig tragenden Begründung des VG entgegenhalten, gehen fehl:

Die Behauptung der Kläger, dass "nach der Rechtsprechung des OVG NRW ... ein Anspruch auf Wahrung der für das eigene Grundstück festgesetzten Gebietsart auch gegenüber Verstößen gegen die Festsetzung einer anderen Gebietsart in einem benachbarten Baugebiet" besteht, ist unzutreffend: In dem Urteil vom 20.10.1997 - 10 A 4504/95 -, das die Kläger als Beleg für ihre Behauptung bemühen, hat der 10. Senat des beschließenden Gerichts die Frage, "ob in allen Fällen eine planungsrechtlich unzulässige Nutzung in dem einen Baugebiet einen nachbarlichen Abwehranspruch in Form des Gebietswahrungsanspruchs für jeden Eigentümer eines Grundstücks in dem benachbarten Baugebiet auslöst", ausdrücklich dahingestellt sein lassen; nur für eine eng begrenzte Ausnahmesituation, hat es einen solchen Anspruch bejaht.

OVG NRW, Urteil vom 20.10.1997, a.a.O., S. 14 des Urteilsabdrucks.

Eine solche Ausnahmesituation ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil keine Rede davon sein kann, dass die - im öffentlichen Interesse liegende - Nutzung eines Schulhofs außerhalb der Schulzeiten als Spielplatz,

vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 2.8.2001 - 21 B 402/01 -, Beschlussabdruck S. 7,

mit der Festsetzung als Fläche für den Gemeinbedarf (Schule) unverträglich ist, geschweige denn, dass sie den Charakter des Schulgrundstücks "unmittelbar verändern würde".

Im Übrigen hat derselbe Senat inzwischen - bezogen u.a. auf ein Grundstück mit einer Ausweisung als Fläche für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung "Kirche" - ausdrücklich festgestellt, dass Grundstücke, für die innerhalb eines Bebauungsplangebietes unterschiedliche Nutzungen festgelegt sind, nicht innerhalb eines Baugebiets, sondern in unterschiedlichen Baugebieten liegen, dass jedoch der sogenannte Gebietsgewährleistungsanspruch nur innerhalb desselben Baugebiets greift.

OVG NRW, Beschluss vom 28.11.2002 - 10 B 1618/02 -, JURIS, Rdn. 3 ff., S. 3 des Beschlussabdrucks.



Ende der Entscheidung

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