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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.10.2003
Aktenzeichen: 21 A 2602/02
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
Zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Falle einer Verpflichtungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gegen eine Verfassungsschutzbehörde auf Löschung gespeicherter Daten (Teilnahme an Demonstrationen) unter dem Gesichtspunkt einer fortwirkenden Grundrechtsbeeinträchtigung.
Tatbestand:

Der Kläger begehrte ursprünglich mit seiner gegen eine Verfassungsschutzbehörde gerichteten Klage u. a. die Löschung solcher über ihn gespeicherten Informationen, die seine bloße Teilnahme an öffentlichen und nicht gegen Inhalte der verfassungsmäßigen Ordnung gerichteten Versammlungen betreffen. Im Verlauf des erstinstanzlichen Klageverfahrens hielt die beklagte Behörde nach erneuter Sachprüfung eine weitere Speicherung der erfassten Daten für nicht mehr notwendig und erklärte sich zu deren Löschung bereit. Daraufhin stellte der Kläger seinen Antrag um und begehrte nunmehr die Feststellung, dass die ursprüngliche Ablehnung der Löschung rechtswidrig gewesen sei. Das VG wies die Klage wegen des Fehlens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses als unzulässig ab. Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Kläger wendet sich ohne Erfolg gegen die Feststellung des VG, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liege auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer fortwirkenden grundrechtlichen Beeinträchtigung vor.

Bei dieser Feststellung ist das VG auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG zutreffend davon ausgegangen, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse trotz fehlender tatsächlicher Fortwirkung des beanstandeten Hoheitsakts - ausnahmsweise - zu bejahen ist, wenn ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vorliegt und die direkte Belastung durch die Maßnahme sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene entgegen seinem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.4.1997 - 2 BvR 817/90 u.a. -, BVerfGE 96, 27 = NJW 1997, 2163, 2164, und vom 7.12.1998 - 1 BvR 831/89 -, NVwZ 1999, 290, 292; BVerwG, Urteile vom 29.4.1997 - 1 C 2.95 -, NJW 1997, 2534, und vom 23.3.1999 - 1 C 12.97 -, NVwZ 1999, 991; OVG NRW, Urteil vom 24.11.1998 - 5 A 1107/96 -, NJW 1999, 2202, 2203.

Diese Voraussetzungen hat das VG zu Recht mit der Begründung verneint, es liege kein Fall vor, in dem sich die direkte Belastung durch den eingreifenden Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf die Zeitspanne beschränke, in der der Kläger eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen könne. Die dagegen erhobenen Einwände des Klägers sind unbegründet.

Bei seinem Vorbringen verkennt der Kläger, dass die der Rechtsprechung des BVerfG zugrunde liegenden Fallgestaltungen (etwa Durchsuchungen, Wasserwerfereinsatz) in ihrem Ausnahmecharakter dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Betroffene gegen eine ihn belastende Maßnahme wendet, die sich nach dem typischen Geschehensablauf mit ihrer Durchführung tatsächlich erledigt. Im Gegensatz dazu lag dem ursprünglichen Klageantrag des Klägers eine Verpflichtungssituation zugrunde, da sein Begehren auf die Verpflichtung der Beklagten zur Löschung der gespeicherten Daten gerichtet war. Eine derartige Verpflichtungssituation ist aber nach ihrem typischen Verfahrensablauf gerade nicht dadurch gekennzeichnet, dass ein effektiver Rechtsschutz ohne Anerkennung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses deshalb nicht gewährleistet ist, weil vor Abschluss eines Klageverfahrens regelmäßig eine Erledigung eintritt. Der Betroffene kann vielmehr regelmäßig die ihm nach der Prozessordnung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Erhebung einer Verpflichtungsklage und - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Anspruch nehmen.

Zu Unrecht wendet der Kläger dagegen ein, insbesondere nachrichtendienstliche Erfassungen ließen sich typischerweise nicht gerichtlich angreifen, ohne dass die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlich wäre. Selbst wenn man annähme, dass aufgrund einer vom Kläger für notwendig erachteten entsprechenden Anwendung von § 12 a Abs. 3 Satz 2 VersammlG spätestens nach drei Jahren personenbezogene Daten über Demonstrationsteilnahmen daraufhin zu überprüfen sind, ob sie zu berichtigen oder zu löschen sind, vermag dies für sich allein nicht die Annahme zu rechtfertigen, es sei stets ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen. Auch eine solche Zeitspanne reicht - typischerweise, d. h. unabhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles - zur Erlangung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes aus.

Die weitere Annahme des Klägers, insbesondere bei Eingriffen in die Versammlungsfreiheit sei in aller Regel ein Interesse an einer nachwirkenden Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme zu bejahen, trifft nicht zu. Dem Kläger ist zwar zuzugestehen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Freiheitsverlust aufgrund Inhaftierung ein Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen indiziert, das ein von Art. 19 Abs. 4 GG umfasstes Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit auch dann begründet, wenn die Maßnahme erledigt ist; die Gewährung von Rechtsschutz kann in einer solchen Situation weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon abhängen, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden kann.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.12.2001 - 2 BvR 527/99 u.a. -, BVerfGE 104, 220 = NJW 2002, 2456.

Auf diese Fallgruppe kann der Kläger sich zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aber nicht berufen. Durch die vorliegend in Rede stehende Maßnahme wird - anders als in der der Rechtsprechung des BVerfG zugrunde liegenden Fallgestaltung - nicht das Grundrecht der Freiheit der Person berührt, auf dessen besonders hohen Rang das BVerfG seine Entscheidung maßgeblich gestützt hat. Ebenso ist weder nach dem Vortrag des Klägers noch ansonsten ersichtlich, dass die Ablehnung des Löschungsantrags den Kläger in einer vergleichbar gewichtigen Grundrechtsposition in auch nur annähernd vergleichbarer Intensität beeinträchtigt haben könnte.

Wenn sich ein Verpflichtungsbegehren wie das des Klägers aufgrund der Verfahrensdauer im Zusammenwirken mit einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse erledigt, mag im Einzelfall ein Feststellungsinteresse im Sinne des allgemeinen Rehabilitierungs- oder Genugtuungsinteresses vorliegen, die Rechtswidrigkeit behördlichen Handelns festzustellen. Hierbei sind - wie durch das VG geschehen - die besonderen Umstände des Einzelfalles einschließlich eventueller grundrechtlicher Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. Ausgehend davon ist es nicht zu beanstanden, dass das VG unter Hinweis darauf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (Rehabilitierungsinteresse) verneint hat, dass die Ablehnung des Löschungsantrags keinen diskriminierenden Charakter hat und dass die Beklagte dem Begehren des Klägers abgeholfen hat, die Teilnahme des Klägers an Demonstrationen nicht mehr beobachtet wird und insbesondere die letzte der in der erteilten Auskunft als datei- oder aktenmäßig erfasst genannten Demonstrationen mehr als zehn Jahre zurückliegt.

Ende der Entscheidung

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