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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 23.04.2008
Aktenzeichen: 21 A 2699/05
Rechtsgebiete: VAHRG, BeamtVG, BGB


Vorschriften:

VAHRG § 5
BeamtVG § 57 Abs. 1
BGB § 1585 c
Die von § 5 Abs. 1 VAHRG vorausgesetzte Unterhaltspflicht liegt trotz des Verzichts des Unterhaltsberechtigten vor, wenn der Verzicht nur als Gegenleistung für eine Abfindung erklärt worden ist.

Die Abfindung kann aus der Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück bestehen.


Tatbestand:

Der Kläger wurde vorzeitig zur Ruhe gesetzt. Seine erste Ehe wurde geschieden, der Versorgungsausgleich durchgeführt und eine monatliche Unterhaltsrente gerichtlich festgesetzt. Wenige Jahre nach der Scheidung schlossen die geschiedenen Eheleute einen notariellen Vertrag. Darin übertrug der Kläger seiner geschiedenen Ehefrau unter anderem seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem mit einer Doppelhaushälfte bebauten Hausgrundstück in einer größeren niederrheinischen Stadt, das von den geschiedenen Eheleuten ehemals gemeinsam mit ihren Kindern bewohnt worden war. Der Kläger übernahm außerdem die Rückzahlung von rund der Hälfte der für den Hauskauf einst gemeinsam aufgenommenen Darlehen. Seine frühere Ehefrau übertrug ihm ihren hälftigen Anteil an einem unbebauten, rund doppelt so großen Grundstück in einem Eifeldorf. Das im Liegenschaftskataster zunächst als Grünland, danach als Freifläche geführte Grundstück war im Kaufvertrag von 1974 als Bauland bezeichnet.

In dem von den Geschiedenen geschlossenen notariellen Vertrag heißt es auszugsweise:

"Scheidung unserer Ehe

1. ... Dieser Vertrag wird geschlossen im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung nach der Scheidung. ...

Unterhaltsverzicht

18. Wir verzichten hiermit gegenseitig, ... auf sämtliche Unterhaltsansprüche aus jeglichem Grund, auch für den Fall der Not. ... Der Unterhaltsverzicht wird beiderseits ausgesprochen, da es sich hier jeweils um eine Gegenleistung für die in diesem Vertrag vereinbarten Übertragungen handelt."

Der Kläger beendete daraufhin seine Unterhaltszahlung.

Das Landesamt für Besoldung und Versorgung NRW - LBV - zog vom monatlichen Ruhegehalt des Klägers wegen des Versorgungsausgleichs einen Betrag von rund 1.000,- EUR ab. Der Kläger beantragte daraufhin die ungekürzte Auszahlung seines Ruhegehalts und verwies dazu auf § 5 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich - VAHRG -. Seine geschiedene Ehefrau habe nicht wieder geheiratet. Sie beziehe noch keine Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. An die Stelle des Anspruchs auf laufenden nachehelichen Unterhalt sei der übertragene Anteil am ehemals gemeinsamen Hausgrundstück getreten. Bis zum Bezug ihrer Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erzielte die geschiedene Ehefrau des Klägers Einkünfte von nicht mehr als 9.450,- EUR jährlich. Das LBV erkannte den notariellen Vertrag nicht als Kapitalabfindung des monatlichen Unterhaltsanspruchs an. Der Kläger erhob daraufhin Klage auf ungekürzte Auszahlung seines Ruhegehalts bis zum Beginn des Bezugs der Versichertenrente seiner geschiedenen Ehefrau. Das VG wies die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte Erfolg.

Gründe:

Die Berufung ist begründet, weil die zulässige Verpflichtungsklage, vgl. zur Klageart OVG NRW, Urteil vom 24.6.1998 - 12 A 7406/95 -, VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.10.2000 - 4 S 2659/98 -, NVwZ-RR 2001, 319; a.A. OVG Saarl., Urteil vom 24.05.2004 - 1 R 6/04 -, juris, begründet ist.

Der Kläger hat trotz des im Scheidungsverfahren durchgeführten Versorgungsausgleichs für die Zeit bis zum Beginn der Versichertenrente seiner geschiedenen Ehefrau aus § 5 Abs. 1 VAHRG Anspruch auf die von ihm gemäß § 9 Abs. 1 VAHRG beantragten ungekürzten Versorgungsbezüge. Die entgegenstehenden Bescheide sind rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Sind Anwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1587 b Abs. 2 BGB durch die Entscheidung des Familiengerichts begründet worden, werden nach Wirksamkeit dieser Entscheidung die Versorgungsbezüge des verpflichteten Ehegatten und seiner Hinterbliebenen gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG nach näheren Maßgaben gekürzt. § 57 Abs. 1 BeamtVG gilt, wie der umfassende Begriff der Versorgungsbezüge zeigt, auch für vorzeitig in den Ruhestand versetzte Beamte wie den Kläger.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1994 - 2 C 14.93 -, BVerwGE 97, 124.

Die Versorgungsbezüge werden nach § 5 Abs. 1 VAHRG jedoch unter anderem solange nicht gekürzt, wie der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat.

Nach übereinstimmender bundesgerichtlicher Rechtsprechung besteht ein Anspruch auf Unterhalt in diesem Sinne auch dann, wenn der Berechtigte im Wege einer Vereinbarung nach § 1585 c BGB auf - weitere - Unterhaltsleistungen des Verpflichteten gegen Zahlung einer Abfindung verzichtet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.7.1999 - 2 C 25.98 -, BVerwGE 109, 231; BSG, Urteil vom 8.12.1993 - 3 RKn 6/93 -, NJW 1994, 2374; BGH, Urteil vom 8.6.1994 - IV ZR 200/93 -, BGHZ 126, 202.

§ 5 VAHRG soll eine Doppelbelastung des Versorgungsempfängers durch die Unterhaltspflicht einerseits sowie die Kürzung der Versorgungsbezüge andererseits während eines Zeitraums vermeiden, innerhalb dessen der durch den Versorgungsausgleich Begünstige aus der Anwartschaft noch nicht leistungsberechtigt ist. Dabei werden der laufend Unterhalt Zahlende und derjenige, der einmalig eine Kapitalabfindung zur Ablösung des Unterhaltsanspruchs leistet, gleich behandelt. Verzichtet der Berechtigte indessen ohne Abfindung auf Unterhalt, entfällt die Unterhaltspflicht und § 5 Abs. 1 VAHRG greift nicht (mehr) ein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.7.1999, a. a. O., und Beschluss vom 15.4.2005 - 2 B 113.04 -, Buchholz 239.1 § 57 BeamtVG Nr. 13; Gräper, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 7, 4. Aufl. (2000), § 5 VAHRG Rn. 31; Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl. (2006), Anh zu § 1587b, § 5 VAHRG Rn. 3.

Der in dem beantragten Zeitraum versorgungsberechtigte Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 VAHRG. In der vom Klageantrag erfassten Zeit bezog seine geschiedene Ehefrau aus dem für sie durch den Versorgungsausgleich begründeten Anrecht noch keine Versichertenrente. Der Kläger war ihr von der Ehescheidung bis zum Beginn des Bezugs der Versichertenrente unterhaltspflichtig. Ihr Unterhaltsverzicht in der notariellen Vereinbarung steht dem nicht entgegen, weil die frühere Ehefrau ihn lediglich gegen Leistung einer Abfindung ausgesprochen hat.

Ob eine Unterhaltspflicht im Sinne von § 5 Abs. 1 VAHRG besteht, bestimmt sich nach materiellem Recht. Es kommt weder auf einen titulierten Anspruch noch die tatsächliche Erbringung von Unterhaltszahlungen an.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.7.1999, a. a. O.; BT-Drs. 9/2296, S. 14 und 9/34, S. 9.

Den Unterhaltsanspruch seiner geschiedenen Ehefrau zum Zeitpunkt der Scheidung hat der Kläger durch die Vorlage des rechtskräftigen Urteils des Oberlandesgerichts hinreichend dargetan.

Vgl. zur Beweiskraft eines titulierten Unterhaltsanspruchs in diesem Verfahren: Schmalhofer, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz (Stand: Januar 2008), § 5 VAHRG Erl. 3 Nr. 4 (S. EB III b 9).

Nach dem vom Beklagten nicht angegriffenen Vortrag des Klägers ist das Urteil weder abgeändert worden noch hat sich der Unterhaltsanspruch später durch Wiederheirat oder andere Umstände als die notarielle Vereinbarung verändert. Die Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehefrau haben sich nicht so verändert, dass ihr Unterhaltsanspruch (Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB) - ihren Verzicht hinweggedacht - entfallen wäre.

Die geschiedene Ehefrau hat auf ihren Unterhaltsanspruch nur gegen Abfindung verzichtet. Das ergibt sich aus dem notariellen Vertrag. Zwar haben beide Vertragsparteien wechselseitig umfassend auf Unterhaltsansprüche verzichtet. Aus dem letzten Satz der mit "Unterhaltsverzicht" überschriebenen Vertragsregelung (Nr. 18) ergibt sich aber, dass die frühere Ehefrau des Klägers nicht in erster Linie wegen dessen Verzichtserklärung ihrerseits auf Unterhalt verzichtete, sondern weil ihr im Gegenzug erhebliche Vermögensgegenstände zuwuchsen. Dieser Wille hat den bei formbedürftigen Rechtsgeschäften nötigen - wenigstens andeutungsweisen - Niederschlag in der Vertragsurkunde gefunden.

Vgl. BGH, Urteil vom 18.1.2008 - V ZR 174/06 -, juris, m. w. N.

Der die Abfindung ausmachende Vermögenszuwachs auf Seiten der früheren Ehefrau des Klägers liegt nach dem Vertrag ganz überwiegend in dem von ihm zugewandten Grundstücksanteil. Die Abfindung anstelle des laufenden Unterhalts muss nicht aus einem Barbetrag bestehen, sondern kann auch in Form anderer Vermögensgegenstände wie etwa Grundstücken geleistet werden.

Vgl. Schmalhofer, a. a. O., § 5 VAHRG Erl. 3 Nr. 2.4 (S. EB III b 7), m. w. N.

Aus den Verwaltungsakten und den im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätzen geht der genaue Wert der Grundstücke zwar nicht hervor. Darauf kommt es aber auch nicht entscheidend an. Die Angabe des Klägers, das von seiner früheren Ehefrau erhaltene Hausgrundstück am Niederrhein sei etwa zehnfach so wertvoll gewesen wie das auf ihn übergegangene unbebaute Grundstück in der Eifel, erscheint aber nachvollziehbar. Das beklagte Land ist dem Vortrag nicht unter Angabe anderer Werte entgegengetreten. Sein Einwand, der Wert der Grundstücke ergebe sich nicht aus der notariellen Urkunde, genügt bei dieser Sachlage nicht, um den Senat zu veranlassen, den insgesamt plausibel vorgetragenen Wertverhältnissen im Einzelnen nachzugehen.

Im Übrigen sprechen Gründe der wirtschaftlichen Vernunft für die annähernde Richtigkeit des klägerischen Vortrags. Die geschiedene Ehefrau des Klägers hatte nur dann Anlass, auf laufenden Unterhalt zu verzichten, wenn der von ihr erhaltene Anteil an dem in der Stadt belegenen Hausgrundstück deutlich mehr wert war als der von ihr abgetretene Anteil am Grundstück in der Eifel. Da der Unterhaltsverzicht der früheren Ehefrau des Klägers ausdrücklich im Gegenseitigkeitsverhältnis zu den Grundstücksübertragungen stand, erscheint er - mangels anderer Gründe - nur plausibel, wenn der Mehrwert des ihr übertragenen Grundstücksanteils einschließlich der vom Kläger übernommenen Darlehensrückzahlungen mindestens dem (abgezinsten) Wert der bis zum Beginn ihrer Rentenzahlung zu erwartenden Unterhaltszahlungen entsprach. Dass dies entgegen dem Klägervortrag und entgegen den offensichtlichen Unterschieden der Grundstücke in Beschaffenheit und räumlicher Lage nicht der Fall war, lässt sich den Einwänden des LBV nicht entnehmen.

Ende der Entscheidung

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