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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.01.2005
Aktenzeichen: 21 A 3093/04.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG, AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AuslG § 53 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
VwGO § 138 Nr. 3
Zur Beweiswürdigung bei geltend gemachter posttraumatischer Belastungsstörung.
Gründe:

Die Klägerin ist srilankische Staatsangehörige tamilischer Volkszugehörigkeit. Ihren auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung gestützten Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 53 AuslG (§ 60 AufenthG) lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab. Klage und Antrag auf Zulassung der Berufung blieben ohne Erfolg.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO - Versagung rechtlichen Gehörs - ist nicht gegeben.

Die Klägerin trägt hierzu vor, die Argumentation des VG sei nicht nachvollziehbar. Das Gericht ergehe sich bei Verneinung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG (§ 60 Abs. 7 AufenthG) allein in Vermutungen; eine Auseinandersetzung mit den vorgelegten fachärztlichen Bescheinigungen, denen das Verwaltungsgericht keine eigene medizinische Sachkenntnis entgegensetzen könne, fehle.

Damit ist eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht dargetan. Die Klägerin kritisiert die richterliche Überzeugungsbildung, die indessen einer Gehörsrüge regelmäßig entzogen ist, sofern sie nicht unter jedem Gesichtspunkt schlechthin unvertretbar und damit objektiv willkürlich erscheint. Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 2.11.1995 - 9 B 710.94 -, NVwZ-RR 1996, 359.

Der Vorwurf, die richterliche Überzeugungsbildung sei schlechthin unvertretbar und damit objektiv willkürlich, lässt sich jedoch gegenüber der Entscheidung des VG nicht erheben. Es obliegt grundsätzlich den Gerichten, zu beurteilen, ob das von einem Asylbewerber behauptete Geschehen sich tatsächlich zugetragen hat, was vorliegend die Frage beinhaltet, ob das erforderliche A-Kriterium nach der ICD-10 (der Umstand, dass der oder die Betreffende einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt war, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweifelung auslösen würde) für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt ist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung gehört. Auch in schwierigen Fällen sind die Tatsachengerichte daher berechtigt und verpflichtet, in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber glaubwürdig und seine Darlegungen glaubhaft sind. Ob sich die Gerichte dabei der sachverständigen Hilfe insbesondere eines in Bezug auf die Aussagepsychologie Fachkundigen bedienen wollen, haben sie nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. In aller Regel wird kein Ermessensfehler vorliegen, wenn die Tatsachengerichte sich die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung notwendige Sachkunde selbst zutrauen und auf die Hinzuziehung eines Fachpsychologen verzichten.

Zu den vorstehenden Grundsätzen vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.7.2001 - 1 B 118.01 -, DVBl. 2002, 53; OVG NRW, Beschluss vom 30.3.2001 - 8 A 5585/99.A -, NVwZ 2001, Beilage Nr. I 9, 109, m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.12.1994 - A 13 S 2638/94 -, InfAuslR 1995, 84 (85 f.).

Werden von dem Ausländer konkrete Anhaltspunkte vorgebracht oder sind solche sonst erkennbar, die eine Beeinflussung seines Aussageverhaltens durch eine erlittene Traumatisierung jedenfalls ernsthaft möglich erscheinen lassen, muss sich das Gericht damit auseinander setzen und mit besonderer Sorgfalt prüfen, ob es die zur Beurteilung des Sachvortrags erforderliche Sachkunde selbst besitzt oder sachverständiger Hilfe bedarf, also entweder ein Gutachten einholen oder in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darlegen, weshalb es sich dennoch in der Lage sieht, ohne Zuhilfenahme eines Sachverständigen die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit des Ausländers insgesamt zu beurteilen.

Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18.7.2001 - 1 B 118.01 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 30.3.2001, a.a.O.

Diesen Anforderungen hat das VG genügt. Besondere Überzeugungskraft kommt dabei der selbständig tragenden Erwägung des VG zu, dass sich die von der Klägerin nunmehr behauptete Verhaftung, die im Mai 1996 in K. erfolgt sein soll, nicht nur mit ihren eigenen Angaben und denen ihres Ehemanns nicht in Einklang steht, sondern sich zudem aufgrund der seinerzeit gegebenen, vom VG im Einzelnen geschilderten Verhältnisse in Sri Lanka nicht wie behauptet zugetragen haben kann. Dabei erscheint es in hohem Maß unwahrscheinlich, dass diese demnach unzutreffenden Angaben mit auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgehenden Erinnerungsschwächen - Dr. X. nennt in seiner Bescheinigung vom 13.11.2003 die "Fragmentierung des Gedächtnisses" - begründet werden könnten. Denn offensichtlich ist die Klägerin nunmehr einerseits in der Lage, überhaupt über das Geschehen zu sprechen; andererseits verlegt sie die Festnahme nicht nur in eine Zeit, sondern auch in eine Gegend, in der sie sich so nicht ereignet haben kann, wobei nicht nur eine Abweichung in geringem Maß in Rede steht. Dabei greift auch die Erwägung nicht, in der zeitlichen Einordnung sei die Klägerin eben aufgrund ihrer Erkrankung beeinträchtigt. Denn die behauptete Inhaftierung steht in zeitlichem Zusammenhang mit anderen Geschehnissen; insbesondere einer "Verlegung" nach hinten setzt jedenfalls der feststehende Zeitpunkt der Asylantragstellung im Oktober 1996 enge Grenzen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin bedurfte es zur Bewertung der vorgelegten Bescheinigungen auch keiner besonderen ärztlichen Sachkunde, die das VG darzulegen gehabt hätte. Denn im Vordergrund steht vorliegend die Würdigung des Vorbringens der Klägerin. Diese schließt aufgrund der Eigenart der posttraumatischen Belastungsstörung im Ergebnis das Gegebensein der behaupteten Erkrankung deshalb aus, weil es sich bei der posttraumatischen Belastungsstörung um ein innerpsychisches Erleben handelt, das sich einer Erhebung äußerlich-objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, so dass es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebens und der zu Grunde liegenden äußeren Erlebnistatsachen ankommt.

Vgl. etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 8.10.2003 - A 7 K 12635/02 -, Asylmagazin 2004, 38.

Im Übrigen sind Bedenken hinsichtlich des angegriffenen Urteils auch nicht gerechtfertigt, soweit das VG implizit die vorgelegten psychologischen Stellungnahmen bewertet hat, indem es für unglaubhaft erachtet hat, dass sich das von der Klägerin behauptete traumatisierende Geschehen zugetragen hat. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geltend gemacht, ist es Aufgabe des Gerichts, sachverständige Äußerungen nicht einfach zu übernehmen, sondern die darin getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung selbstverantwortlich auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen und nachzuvollziehen. Die Würdigung ärztlicher Atteste insbesondere zum Vorliegen psychischer Erkrankungen von Asylbewerbern ist dabei eine sich in der verwaltungsgerichtlichen Praxis immer wieder stellende Aufgabe. Gerade aufgrund der dadurch gewonnenen Erfahrung ist das Gericht regelmäßig befähigt, ärztliche Bescheinigungen jedenfalls - wie hier - in methodischer Hinsicht zu hinterfragen und daraufhin zu überprüfen, ob sie anerkannten wissenschaftlichen Standards genügen.

Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 9.6.2004 - 21 A 2588/03.A -; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 14.10.2002 - 4 L 200/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 10, 86.

Eine besondere medizinische Sachkunde ist dafür regelmäßig nicht erforderlich.

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