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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.02.2008
Aktenzeichen: 21d A 956/07.BDG
Rechtsgebiete: BDG


Vorschriften:

BDG § 64
1. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist dahingehend auszulegen, dass die Begründung der Berufung jedenfalls dann auch beim Oberverwaltungsgericht eingereicht werden kann, wenn ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt worden ist.

2.Gegen einen Postzusteller, der trotz disziplinarischer Vorbelastung wiederholt Postsendungen in erheblichem Umfang eigenmächtig von der Zustellung zurückstellt, Weisungen seiner Vorgesetzten nicht beachtet, durch beleidigende Äußerungen den Betriebsfrieden stört und versucht, sich mit einer falschen Reisekostenabrechnung auf Kosten des Dienstherrn zu bereichern, kann die Höchstmaßnahme verhängt werden, auch wenn der Beamte vermindert schuldfähig und zudem unerkannt dienstunfähig war.


Tatbestand:

Der Beklagte stand als Posthauptschaffner im Dienst der Klägerin und war als Postzusteller tätig, bis er wegen verschiedener Pflichtverletzungen vom Dienst suspendiert und später wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde. Auf eine entsprechende Disziplinarklage hin erkannte ihm das VG das Ruhegehalt ab. Der Beklagte legte gegen das am 27. 02. 2007 zugestellte Urteil am 22. 03. 2007 beim VG Berufung ein. Der Vorsitzende des Disziplinarsenats beim OVG verlängerte die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 27. 04. 2007. Die Begründung der Berufung wurde am 27. 04. 2007 beim OVG eingereicht. Das OVG wies die Berufung als unbegründet zurück.

Gründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist die Berufungsbegründungsfrist eingehalten worden.

Nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist die Berufung bei dem VG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Das vollständige erstinstanzliche Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 27. 02. 2007 zugestellt worden. Die Berufung ist innerhalb der Monatsfrist am 22. 03. 2007 beim VG eingelegt worden. Der Vorsitzende des erkennenden Senats hat die Frist zur Vorlage der Berufungsbegründung bis zum 27. 04. 2007 verlängert.

Die Berufung ist nicht deshalb unzulässig, weil die Berufungsbegründung innerhalb dieser Frist nicht beim VG eingegangen ist.

Nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist die Berufung zwingend beim VG einzulegen. Eine Einlegung beim Berufungsgericht reicht nicht. Es fehlt eine Regelung wie in § 81 Satz 2 BDO oder § 139 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Einlegung der Berufung bzw. der Revision beim Rechtsmittelgericht fristwahrend ist.

Vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Rdnr.3 zu § 64 BDG; Köhler/Ratz, BDG, Rdnr. 2 zu § 64 BDG; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 3. 07. 1997 - 16 A 1968/97 -, NWVBl 1998, 75 zu § 124 a Abs. 1 Satz 2 VwGO in der bis zum 31. 12. 2001 geltenden Fassung.

§ 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist jedoch dahingehend auszulegen, dass die Begründung der Berufung auch beim OVG eingereicht werden kann, jedenfalls wenn - wie hier - ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründung gestellt worden ist. Der Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist nicht eindeutig. Nach ihm spricht zwar einerseits einiges dafür, dass die Begründung der Berufung ebenfalls "bei dem Verwaltungsgericht" eingereicht werden muss. Es fehlt eine Regelung wie in § 124 a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 5 VwGO, wonach die Begründung der Berufung bzw. des Zulassungsantrages beim OVG einzureichen ist, wenn sie nicht mit der Einlegung des Rechtsmittels verbunden ist. Andererseits wäre eine solche Regelung aber vor allem dann sinnvoll, wenn ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründung gestellt worden ist. Über diesen Antrag hat der Vorsitzende des Disziplinarsenats zu entscheiden. Das OVG ist deshalb mit der Sache bereits befasst. Das VG hat keinerlei Befugnis außer der Weiterleitung der Begründung. Es gibt deshalb auch aus Gründen der Prozessökonomie in diesem Fall keinen vernünftigen Grund, warum die Berufungsbegründung zwingend beim VG einzureichen ist. Die Entstehungsgeschichte des § 64 Abs. 1 BDG spricht nicht dafür, dass der Gesetzgeber davon ausging, die Berufungsbegründung müsse in jedem Fall bei dem VG abgegeben werden. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 14/4659 S. 50) heißt es zu § 64 BDG u.a.: "Satz 1 regelt die Frist und Form der Berufung, die innerhalb eines Monats bei dem Verwaltungsgericht eingelegt werden muss." Davon, dass auch die Begründung beim VG erfolgen muss, ist nicht ausdrücklich die Rede. Im Weiteren wird darauf verwiesen, die Regelungen zum Begründungszwang in den Sätzen 3 bis 5 seien in Anlehnung an § 124 Abs. 3 VwGO (gemeint: 124 a Abs. 3 VwGO) konzipiert. § 124 a Abs. 3 VwGO in der bis zum 31. 12. 2001 geltenden Fassung, die der Gesetzgeber allein im Blick haben konnte, sah aber gerade vor, dass die Begründung der Berufung (nach ihrer Zulassung durch das OVG) bei dem OVG einzureichen war. Der Umstand, dass im neuen BDG die Regelung aus § 81 Satz 2 BDO fehlt, wonach die Berufungsfrist auch gewahrt wurde, wenn während ihres Laufes die Berufung beim BVerwG einging, lässt keine Rückschlüsse für die hier streitige Frage zu. Dieser Umstand lässt nur darauf schließen, dass die Berufung zwingend bei dem VG einzulegen ist. Wo die Begründung einzureichen ist, ergibt sich daraus nicht. Denn nach altem Recht musste bereits die Berufungsschrift selbst die Begründung enthalten. Ein Auseinanderfallen von Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist gab es nicht.

§ 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist deshalb nach alledem so zu verstehen, dass sich die Formulierung "bei dem Verwaltungsgericht" nur auf die Einlegung der Berufung bezieht, nicht auch auf die Vorlage der Begründung. Eine ähnliche Auslegung hat das BVerwG (Beschluss vom 30. 09. 1961 - V C 60.61 -, Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 5) zu § 139 Abs. 1 VwGO in der bis zum 31. 12. 1990 geltenden Ursprungsfassung, die mit § 64 BDG in etwa vergleichbar ist, gefunden. Das BVerwG beruft sich zur Begründung seiner Auslegung u.a. auf die Regelung in § 139 Abs. 1 Satz 2 VwGO a.F., wonach die Frist für die Revisionsbegründung auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden (des Revisionssenats) verlängert werden kann. Diese Argumentation passt auch zu § 64 BDG, der eine vergleichbare Regelung enthält.

...

Die nach alledem zulässige Berufung ist nicht begründet.

....

Das vorsätzlich begangene Dienstvergehen rechtfertigt die Aberkennung des Ruhegehalts, weil der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen, wenn er sich noch als Beamter im Dienst befände (§§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 2 Satz 2 BDG).

Die Auswahl der Disziplinarmaßnahme richtet sich nach der Schwere des nachgewiesenen Dienstvergehens, nach dem Umfang, in dem das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in den Beamten beeinträchtigt ist, und nach dem Persönlichkeitsbild des Beamten.

Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten und Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn die Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände ergibt, dass der Beamte auch künftig seinen Dienstpflichten nicht nachkommen wird oder die Ansehensschädigung nicht wieder gutzumachen ist.

BVerwG, Urteile vom 20. 10. 2005 - 2 C 12.04 -, NVwZ 2006, 469, 471, und vom 22. 06. 2006 -2 C 11.05 -, ZBR 2006, 385.

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Fehlverhalten der Beklagten als ein schweres Dienstvergehen im Kernbereich der Aufgaben eines Postzustellers zu bewerten.

Der Beklagte hat zum einen dadurch, dass er in acht Fällen verschiedene Postsendungen von der Zustellung ausnahm oder zurückstellte, ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen. Die Pflicht zur gewissenhaften Behandlung und Beförderung der der Post anvertrauten Sendungen gehört zu den wesentlichen Pflichten eines Zustellbeamten. Die Allgemeinheit hat einen Anspruch darauf, dass die Post ihren Aufgaben in diesem sowohl postrechtlich als auch strafrechtlich geschützten Bereich in sorgfältiger und zuverlässiger Weise nachkommt. Die Post muss sich deshalb uneingeschränkt auf die Zuverlässigkeit und Pflichttreue, namentlich auf die gewissenhafte Behandlung und Beförderung der Postsendungen durch ihre Bediensteten verlassen können. Dies ist für jeden Postbeamten leicht einsehbar. Wer sich als beamteter Postzusteller gleichwohl über diese leicht verständliche Pflicht hinwegsetzt, versagt damit im Kernbereich seiner Tätigkeit.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. 05. 2001 - 1 D 20.00 -, BVerwGE 114, 212 m.w.N.

Die nicht eigennützige Postunterdrückung, wie sie im vorliegenden Fall gegeben ist, ist allerdings nicht stets als ein die Höchstmaßnahme erforderndes Dienstvergehen anzusehen. Anders als etwa bei der Unterschlagung und bei einem Beförderungsdiebstahl umfasst die Unterdrückung von Postsendungen eine erheblich größere Spannweite denkbarer Verhaltensweisen, die im Einzelnen von sehr unterschiedlichem Gewicht sein können. Bei nicht eigennütziger Unterdrückung von Postsendungen wird deshalb je nach den Umständen des Einzelfalles auf Gehaltskürzung oder Dienstgradherabsetzung erkannt und nur in besonders schweren Fällen die Entfernung aus dem Dienst ausgesprochen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. 05. 2001, a.a.O.

Vorliegend handelt es sich um einen besonders schweren Fall. Hierfür sprechen zunächst die große Anzahl der unterdrückten Postsendungen und der Umstand, dass sich die Verfehlungen wiederholten und über einen längeren Zeitraum von Januar 2002 bis Oktober 2004 hinzogen. Trotz mehrfacher Ermahnungen und der Einleitung des Disziplinarverfahrens hat der Beklagte immer wieder Postsendungen eigenmächtig von der Zustellung zurückgestellt. Der Beklagte hat einmal 100, einmal 250, einmal ca. 600 und einmal 781 Postwurfsendungen nicht weisungsgemäß zugestellt, sondern an seinem Arbeitsplatz zurückgelassen (Vorwürfe Nr. 1, 2, 16 und 20). .... Erschwerend wirkt, dass der Beklagte im erstgenannten Fall die 100 Postwurfsendungen der Vernichtung zuführen wollte. Andererseits ist zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass es sich nicht um individuell adressierte Sendungen handelte und dass sich - abgesehen von dem ersten Fall - keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass der Beklagte die Sendungen auf Dauer von der Zustellung ausnehmen wollte. Darüber hinaus hat der Beklagte einmal zwei Infopostsendungen und vier Büchersendungen, einmal 18 Briefsendungen, einmal 25 Briefsendungen und einmal 34 Infopostsendungen von der Zustellung zurückgestellt (Vorwürfe Nr. 8, 10, 12 und13). Die Zurückstellung dieser Sendungen wiegt schwerer, weil es sich um individuell adressierte Sendungen handelte, andererseits besteht auch hier kein Anhaltspunkt für die Annahme, der Beklagte habe die Sendungen auf Dauer dem Postbetrieb entziehen wollen. Es spricht vielmehr alles dafür, dass der Beklagte die Sendungen am Folgetag zustellen wollte.

Erschwerend wirkt sich weiter aus, dass der Beklagte neben den Fällen der Postunterdrückung weitere Pflichtverletzungen begangen hat. Er hat gegen seine Gehorsamspflicht verstoßen, indem er in einem Fall Postwurfsendungen verfrüht zugestellt hat (Vorwurf Nr. 1), in einem Fall eine nicht ausgeführte Zahlungsanweisung nicht taggleich abgerechnet und den Bargeldbetrag nicht am selben Tag zurückgegeben hat (Vorwurf Nr. 9) und in einem Fall die Weisung, beim Leiter des Zustellstützpunktes vorzusprechen, ignoriert hat (Vorwurf Nr. 17). Außerdem hat der Beklagte mehrfach durch sein Verhalten, insbesondere durch beleidigende Äußerungen, den Betriebsfrieden gestört (Vorwürfe Nr. 11 und 19). Schließlich hat der Beklagte versucht, sich auf Kosten seines Dienstherrn um 23,20 Euro zu bereichern, indem er eine falsche Reisekostenabrechnung abgegeben hat (Vorwurf Nr.14).

Durch dieses schwere Dienstvergehen ist das Vertrauen des Dienstherrn in den Beklagten in einem solchen Maße beeinträchtigt worden, dass von einer endgültigen und nicht rückgängig zu machenden Zerstörung des Vertrauens gesprochen werden muss.

Zu Lasten des Beklagten wirkt sich dabei besonders seine disziplinarrechtliche einschlägige Vorbelastung aus. Obwohl ihm durch den Disziplinargerichtsbescheid vom 30. 03. 2001 und die darauf beruhenden fortlaufenden Kürzungen der Dienstbezüge eindrücklich vor Augen geführt wurde, dass er den Betriebsfrieden nicht durch beleidigende Äußerungen stören und Postsendungen nicht eigenmächtig von der Zustellung zurückstellen darf, hat er weiterhin immer wieder ähnliche Pflichtverletzungen begangen. In dem Disziplinargerichtsbescheid ist der Beklagte sogar ausdrücklich davor gewarnt worden, dass er seine Stellung als Beamter aufs Spiel setze, wenn sich das Fehlverhalten oder ähnliches Fehlverhalten wiederholen sollte. Von weiteren Verfehlungen hat sich der Beklagte auch nicht durch die Einleitung des neuen Disziplinarverfahrens und durch wiederholte Ausdehnungen des Verfahrens auf weitere Vorwürfe abhalten lassen. Dies zeigt, dass der Beklagte in hohem Grade unbelehrbar und in keiner Weise bereit ist, seine eigenen Interessen gegenüber den dienstlichen Pflichten zurückzustellen. Bei dieser Sachlage kann der Dienstherr nicht mehr darauf vertrauen, dass der Beamte künftig seine Dienstpflichten ordnungsgemäß erfüllen würde, wenn er noch im aktiven Dienst wäre.

Auch im Rahmen der Gesamtwürdigung der Persönlichkeit ist die in der Vergangenheit gezeigte Unbelehrbarkeit des Beklagten zu dessen Lasten zu berücksichtigen.

Zu Gunsten des Beklagten ist jedoch zu berücksichtigen, dass er nach dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten des Dr. G. an einer organischen Persönlichkeitsstörung bei epileptischer Disposition leidet, die als "krankhafte seelische Störung" im Sinne von § 20 StGB angesehen werden kann. Nach dem Gutachten ist davon auszugehen, dass der Beklagte zwar in der Lage war, das Unrecht seiner Taten einzusehen. Auch hat seine Fähigkeit zu einem steuernden und planenden Handeln nicht vollständig versagt. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen seine Fähigkeit zu einem einsichtsmäßigen Handeln beeinträchtigt war. (wird ausgeführt)

Der Postbetriebsarzt Dr. E3. hat dem Beklagten in seinem Gutachten zur Dienstfähigkeit aufgrund einer Untersuchung am 15. 05. 2006 ebenfalls eine frühkindliche Hirnschädigung mit erhöhter Anfallsbereitschaft bescheinigt; diese organische Persönlichkeitsstörung gehe beim Beklagten neben einer Schwäche seines Selbstwertgefühls und Störung der Affektregulation mit einer starken Einengung seiner Lebensführung einher. Die Schuld- und Dienstfähigkeit sei deutlich eingeschränkt.

Diese ärztlichen Gutachten belegen, dass durchaus ein Zusammenhang zwischen den Verfehlungen des Beklagten und seiner Krankheit zu sehen ist. Dies entlastet den Beklagten in gewissem Umfang, rechtfertigt jedoch nicht ein Absehen von der Höchstmaßnahme. Bei der Gesamtwürdigung aller Umstände gelangt der Senat nämlich nicht zu der Einschätzung, dass sich der Beklagte krankheitsbedingt in einer so außergewöhnlichen Situation befand, dass von ihm ein an normalen Maßstäben orientiertes dienstpflichtgemäßes Verhalten nach den Umständen des Einzelfalls nicht erwartet werden konnte. Zwar fiel es dem Beklagten schwerer als anderen, gesunden Beamten, den Anforderungen des Dienstes zu entsprechen. Aus den Gutachten ergibt sich jedoch auch, dass es dem Beklagten nicht unmöglich war, sich pflichtgemäß zu verhalten. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit war nicht völlig aufgehoben. Es kann lediglich nicht ausgeschlossen werden, dass seine Steuerungsfähigkeit vermindert war. Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit hat jedoch dann regelmäßig keine maßnahmemildernde Wirkung, wenn das Dienstvergehen in der Verletzung einer elementaren, selbstverständlichen und einfach zu befolgenden Dienstpflicht besteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. 02. 2003 - 1 D 13.02 -, DokBer B 2003, 219.

Um eine solche Pflicht handelt es sich bei der Pflicht eines Postzustellers, Sendungen nicht eigenmächtig von der Zustellung zurückzustellen oder gar zu vernichten. Alle zur Zustellung anstehenden Postsendungen auf den Zustellgang mitzunehmen, ist eine alltägliche Pflicht, deren Erfüllung keiner besonderen Anstrengung bedarf. Dies gilt hier umso mehr, als der Beklagte wiederholt nachdrücklich auf seine diesbezüglichen Pflichten hingewiesen worden ist. Auch der Versuch, sich durch eine falsche Reisekostenabrechnung auf Kosten des Dienstherrn zu bereichern, verletzt ein leicht einsehbares, elementares Verbot. Ebenso erfordert es keine besondere Anstrengung, Postwurfsendungen nicht verfrüht zuzustellen, Bargeldbeträge taggleich abzurechnen und auf entsprechende Aufforderung beim Vorgesetzten vorzusprechen.

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat auch nicht deshalb von der Höchstmaßnahme ab, weil zu Gunsten des Beklagten unterstellt wird, dass er bereits in den Jahren 2002 bis 2004, in die das Dienstvergehen fällt, dienstunfähig war. ... Auch die unterstellte (unerkannte) Dienstunfähigkeit lässt die Verfehlungen des Beklagten letztlich nicht in einem milderen Licht erscheinen. Der Beamte, der, obwohl er dienstunfähig ist, Dienst leistet, bleibt verpflichtet, nach den verfügbaren Kräften ordnungsgemäß zu arbeiten. Solange die Dienstunfähigkeit nicht gerade darin besteht, dass der Beamte schuldunfähig ist, darf er die Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben nicht renitent verweigern. Auch in diesem Zusammenhang geht der Senat aus den oben bereits genannten Gründen davon aus, dass es dem Beklagten trotz seiner Erkrankung noch möglich war, den Anforderungen des Dienstes gerecht zu werden und insbesondere die zuzustellenden Postsendungen nicht eigenmächtig zurückzustellen und keine falsche Reisekostenabrechung abzugeben. Auch wenn für ihn die Erfüllung der Dienstpflichten größere Anstrengung erforderte und mit höherer Stressbelastung verbunden war als bei anderen Postzustellern, konnte vom Beklagten erwartet werden, den alltäglichen und einfachen Pflichten korrekt nachzukommen.

Von der Höchstmaßnahme kann nicht unter dem Gesichtspunkt eines "Mitverschuldens" des Dienstherrn wegen unzureichender Dienstaufsicht abgesehen werden. Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte kann unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des "Mitverschuldens" als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorlagen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt wurden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. 01. 2007 - 1 D 15.05 -, Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 14.

Der Beklagte begründet seine Berufung damit, den Dienstherrn treffe ein "Mitverschulden", weil seine Vorgesetzten hätten bemerken müssen, dass er in Wahrheit schon dienstunfähig gewesen sei. Es trifft zwar zu, dass der Beklagte auffällig häufig seine Dienstpflichten verletzt und sich als unbelehrbar erwiesen hat. Daraus mussten seine Vorgesetzten aber nicht den Schluss ziehen, er sei dienstunfähig und könne den dienstlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Ihnen war nicht bekannt, dass der Beklagte eine frühkindliche Hirnschädigung erlitten hatte. Es ist - soweit ersichtlich - im Dienst auch nie zu Krampfanfällen oder Bewusstseinsstörungen gekommen, die es auch für einen Außenstehenden deutlich gemacht hätten, dass der Beklagte unter einer schwerwiegenden Krankheit litt. Der Beklagte hatte auch seinerseits nie geäußert, er sei krankheitsbedingt dienstunfähig. Sein Verhalten war auch nicht derart, dass sich der Schluss auf eine Dienstunfähigkeit aufdrängen musste. Allein der Umstand, dass es dem Beklagten möglicherweise schwerer fiel als anderen Zustellern, seine Pflichten zu erfüllen, und dass er möglicherweise stressanfälliger und leichter erregbar war als andere Kollegen, ließ nicht den Schluss zu, er sei überhaupt nicht mehr in der Lage gewesen, Dienst zu tun. Immerhin war der Beklagte auch nicht schuldunfähig, sondern konnte sein Verhalten noch steuern. Die Vorgesetzten hatten aufgrund des Verhaltens des Beklagten allenfalls Veranlassung, diesen nachdrücklich zu ermahnen, seine Pflichten zu erfüllen, und ihn intensiver zu kontrollieren, als dies bei zuverlässigen Bediensteten notwendig war. Dies ist auch geschehen. Die Verfehlungen des Beklagten sind nicht untätig hingenommen worden. Bereits am 21. 01. 2002 ist der Beklagte ermahnt worden, die Anweisungen des Innendienstes zu beachten. Ihm ist gesagt worden, dass er im Wiederholungsfall mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen müsse. Auch in der Folgezeit ist der Beklagte immer wieder ermahnt worden. Ihm ist mitgeteilt worden, dass ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden ist. Seine Arbeit wurde häufiger kontrolliert. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die Eigenverantwortung des Beklagten wegen unzureichender Dienstaufsicht erheblich gemindert war.

Ende der Entscheidung

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