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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 08.10.2003
Aktenzeichen: 22d A 2782/03.O
Rechtsgebiete: BeamtVG, LBG NRW, DO NRW


Vorschriften:

BeamtVG § 60
LBG NRW § 45 Abs. 1 Satz 1
LBG NRW § 48 Abs. 1 Satz 1
DO NRW § 121
Zur Frage, ob die Feststellung des Verlustes der Versorgungsbezüge gemäß § 60 Satz 1 BeamtVG berechtigt ist, nachdem der Ruhestandsbeamte ursprünglich die vom Dienstherrn geforderte amtsärztliche Untersuchung zur Klärung der Dienstfähigkeit verweigert hat, nach einem erfolglos durchgeführten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aber einen vom Dienstherrn abgelehnten Antrag auf amtsärztliche Untersuchung gestellt hat.
Tatbestand:

Der Ruhestandsbeamte stand als Studienrat im Dienst des Landes. Er wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Der Ruhestandsbeamte weigerte sich, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, und folgte auch nicht der Aufforderung des Dienstherrn, zum Unterrichtsbeginn am 2.9.2002 eine Ernennungsurkunde entgegenzunehmen und den Dienst anzutreten. Er begründete seine Haltung damit, dass er weiterhin dienstunfähig sei und die Beseitigung der in seinem Fall verstrichenen 5-Jahres-Frist für eine Reaktivierung gegen seinen Willen eine unzulässige Rückwirkung entfalte. Nachdem er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfolglos geblieben war, beantragte der Ruhestandsbeamte eine amtsärztliche Untersuchung. Dies lehnte der Dienstherr ab und forderte den Ruhestandsbeamten erneut und ohne Erfolg auf, eine Ernennungsurkunde entgegenzunehmen und den Dienst anzutreten. Auf Veranlassung der Bezirksregierung stellte das Ministerium unter dem 10.3.2003 den Verlust der Versorgungsbezüge fest. Diese Entscheidung eröffnete die Bezirksregierung unter dem 13.3.2003 dem Ruhestandsbeamten.

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte der Ruhestandsbeamte in der Beschwerdeinstanz Erfolg.

Gründe:

Auszugehen ist zunächst davon, dass es sich bei dem Schreiben der Bezirksregierung vom 13.3.2003, soweit es den Entscheidungssatz zu 1. betrifft, nicht um eine Regelung dieser Behörde handelt. Dafür könnte zwar der Wortlaut des Entscheidungssatzes sprechen ("Hiermit stelle ich die Zahlung der Versorgungsbezüge Ihres Mandanten mit dem Ende des Monats ein, in dem ihm diese Verfügung zugestellt wird."). Das Subjekt dieses Satzes deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass die Bezirksregierung Urheberin der Verfügung sei. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Bezirksregierung lediglich eine Botenstellung eingenommen und dem Ruhestandsbeamten eine vom Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen getroffene Regelung eröffnet hat. Auf Seite 2 des Schreibens wird nämlich der Hintergrund dargestellt, der die Bezirksregierung veranlasst hat, das Ministerium um die Feststellung des Verlustes der Versorgungsbezüge (§ 60 BeamtVG) zu bitten. Die Ausführungen münden in den Satz: "Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 BeamtVG somit erfüllt waren, stellte das MSJK mit Erlass vom 10.3.2003 den Verlust der Versorgungsbezüge Ihres Mandanten fest." Dass die Bezirksregierung mit diesem Satz nicht lediglich eine Darstellung der Verwaltungsabläufe geben, sondern als Bote einen vom Ministerium erlassenen Verwaltungsakt bekanntgeben wollte, zeigt vor allem die auf §§ 60 BeamtVG, 121 DO NRW zielende Rechtsmittelbelehrung, die keinen Sinn gemacht hätte, wenn sich die Bezirksregierung mit dem Schreiben vom 13.3.2003 nicht zu § 60 BeamtVG hätte verhalten wollen, sondern eine eigene Regelung über die Einstellung der Zahlung von Versorgungsbezügen getroffen hätte, für die ohnehin das Landesamt für Besoldung und Versorgung zuständig gewesen wäre (vgl. § 1 der Versorgungszuständigkeitsverordnung idF vom 9.1.2001, GV NRW S. 28).

Ob die Bezirksregierung den sich aus einer Botenstellung ergebenden verfahrensrechtlichen Konsequenzen Rechnung getragen hat, braucht nicht entschieden zu werden. Bedenken rühren daher, dass die Entscheidung des Ministeriums nur in indirekter Rede bekanntgegeben worden ist und die bei einer Zustellung (vgl. dazu Tz. 60.01 BeamtVGVwV) erforderliche gegenständliche Vermittlung des zuzustellenden Schriftstücks - hier des feststellenden Erlasses des Ministeriums - bei dieser Form der Bekanntgabe nicht gewahrt ist. Eine weitere Erörterung erübrigt sich, weil der allein streitgegenständliche Feststellungsbescheid des Ministeriums in der Sache keinen Bestand haben kann.

Gemäß § 60 Satz 1 BeamtVG verliert der Ruhestandsbeamte, der entgegen den einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis schuldhaft nicht nachkommt, obwohl er auf die Folgen eines solchen Verhaltens schriftlich hingewiesen worden ist, für diese Zeit seine Versorgungsbezüge. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Dienstherr den Ruhestandsbeamten zu Recht erneut in das Beamtenverhältnis berufen will. Nähere Regelungen dazu enthält § 48 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW. Danach muss zu erwarten sein, dass der Beamte den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügt. Sofern diese Erwartung nicht berechtigt ist, ist ein gleichwohl geäußertes Reaktivierungsverlangen rechtswidrig und löst nicht die Folge des § 60 Satz 1 BeamtVG aus. Wenn im vorliegenden Fall der Ruhestandsbeamte seit dem fehlgeschlagenen Versuch einer Reaktivierung am 2.9.2002 tatsächlich dienstunfähig ist, ist somit für eine Verlustfeststellung kein Raum. Nichts anderes gilt, wenn man zugunsten des Ministeriums unterstellt, dass der Ruhestandsbeamte seit dem 2.9.2002, als er sich zur Aushändigung der Ernennungsurkunde in der Gesamtschule X. in einfinden sollte, den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügt. Auch in diesem Fall ist die Feststellung des Verlustes der Versorgungsbezüge durch den angefochtenen Erlass nicht berechtigt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Aufforderung zum Dienstantritt vom 8.8.2002 rechtmäßig ist und der Ruhestandsbeamte deshalb verpflichtet war und ist, einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis Folge zu leisten. Maßgebend ist, dass das Ministerium in dem Erlass vom 10.3.2003 keine auf den 2.9.2002 zurückwirkende Feststellung getroffen hat, nachdem der Ruhestandsbeamte die amtsärztliche Untersuchung am 17.7.2002 verweigert und hierdurch möglicherweise die in der Rechtsprechung aufgezeigten Folgen der Verweigerung ausgelöst hatte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.9.1997 - 2 C 33.96 -, ZBR 1998, 203, Beschluss vom 19.6.2000 - 1 DB 13.00 -, Buchholz 232 § 45 Nr. 5.

Das Ministerium hat in dem Erlass vom 10.3.2003 den Verlust der Versorgungsbezüge mit sofortiger Wirkung festgestellt. Der dem Ruhestandsbeamten durch die Bezirksregierung bekanntgegebene Inhalt des Erlasses weicht davon - im Einklang mit der angesprochenen Botenstellung - nicht ab, so dass die Feststellung mit der Zustellung des Schreibens der Bezirksregierung vom 13.3.2003 am 17.3.2003 wirksam geworden ist und - weil kein Endzeitpunkt gesetzt worden ist - noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats fortwirkt. Für einen am 17.3.2003 beginnenden Feststellungszeitraum fehlt es selbst bei einer hier unterstellten Dienstfähigkeit an einem Verschulden des Ruhestandsbeamten.

Bereits der Wortlaut des § 60 Satz 1 BeamtVG veranschaulicht, dass der Rechtsnachteil des Verlustes der Versorgungsbezüge nicht zeitlich unbeschränkt eintritt, wenn ein Ruhestandsbeamter einer Verpflichtung zu einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis zu einem zurückliegenden Zeitpunkt nicht Folge geleistet hat. Der Verlust der Versorgungsbezüge tritt nach § 60 Satz 1 BeamtVG nur für "diese Zeit", damit für einen Zeitraum ein, innerhalb dessen eine einmal zu Unrecht erklärte Weigerung andauert. Ein solches Verständnis der Norm entspricht auch deren Zweck, der dahin geht, dass der ein berechtigtes Reaktivierungsverlangen verweigernde Ruhestandsbeamte für die Dauer der Verweigerung den Anspruch auf Alimentation in Frage stellt. Außerdem handelt es sich bei dem Verlust der Versorgungsbezüge um ein finanzielles Druckmittel, das den Ruhestandsbeamten zur Einsicht führen soll. Nach einhelliger Meinung endet der Feststellungszeitraum damit nicht nur, wenn sich der Ruhestandsbeamte schließlich verspätet reaktivieren lässt - dann besteht ohnehin ein Anspruch auf Besoldung -, sondern auch, wenn sich nach dem Beginn des Feststellungszeitraumes der Gesundheitszustand des Ruhestandsbeamten verschlechtert und nicht mehr zu erwarten ist, dass er den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügt (vgl. dazu § 48 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW).

Brockhaus, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Teil D § 60 RdNr. 17.

Dieser Endzeitpunkt ist erforderlich, weil der Dienstherr ungeachtet einer zunächst unberechtigten Verweigerung des Ruhestandsbeamten die Statusänderung nicht mehr verlangen kann, wenn der Ruhestandsbeamte erneut dienstunfähig geworden ist und deshalb in den Ruhestand versetzt werden müsste (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW). Nichts anderes kann im Übrigen gelten, wenn der Ruhestandsbeamte erst später einer amtsärztlichen Untersuchung zustimmt, nachweislich aber schon im Zeitpunkt der beabsichtigten Reaktivierung dienstunfähig gewesen sein sollte. Auf den Gesundheitszustand zu dem vom Ruhestandsbeamten versäumten Zeitpunkt kann es nur für die Frage ankommen, ob es für die Dauer eines Feststellungszeitraumes bis zu der später durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung bei dem Verlust der Versorgungsbezüge bleiben kann.

Damit ist im vorliegenden Fall entscheidend, welche Bedeutung der Umstand besitzt, dass der Ruhestandsbeamte mit Schriftsatz vom 10.1.2003 ausdrücklich eine amtsärztliche Untersuchung beantragt hat, nachdem er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend die Weisungen, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen und zur erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis einzufinden, ohne Erfolg geblieben war (OVG NRW, Beschluss vom 2.1.2003 - 6 B 2110/02 -). Dieses Angebot schloss nicht aus, dass - das Vorliegen der Dienstfähigkeit am 2.9.2002 oder einer nicht entkräfteten Indizwirkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG unterstellt - seit dem 2.9.2002 die Voraussetzungen des § 60 BeamtVG erfüllt waren. Es änderte auch nichts daran, dass eine am 2.9.2002 unberechtigte Weigerung bei Eingang des Angebots am 10.1.2002 fortwirkte. Der Verschuldensbeitrag des Ruhestandsbeamten bei einer seit dem 2.9.2002 unterstellten Dienstfähigkeit endete jedoch spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der Dienstherr aufgrund des Angebots des Ruhestandsbeamten durch eine amtsärztliche Untersuchung über die nach wie vor ungeklärte Frage hätte Gewissheit gewinnen und den Ruhestandsbeamten erneut zum Dienstantritt hätte auffordern können. Der Umstand, dass zu Beginn des hier streitigen Feststellungszeitraumes die Reaktivierung unterblieben ist, beruht nicht mehr wesentlich auf einem Verschulden des Ruhestandsbeamten, sondern darauf, dass der Dienstherr trotz eines ernstzunehmenden Angebots des Ruhestandsbeamten seinerseits nichts unternommen hat, um durch eine amtsärztliche Untersuchung die Frage der Dienstfähigkeit zu klären und dem Ruhestandsbeamten zu verdeutlichen, dass er nicht mehr auf das privatärztliche Attest setzen konnte.

Vgl. zur Bewertung sich widersprechender privatärztlicher und amtsärztlicher Gutachten und zum Verschulden i.S.v. § 9 BBesG OVG NRW, Beschluss vom 5.7.2000 - 12d A 4949/98.O -.

Zu einer Reaktion des Dienstherrn bestand auch Anlass, weil ein Amtsarzt nicht aufgrund privater Initiative tätig wird, sondern eine Begutachtung von einem behördlichen oder gerichtlichen Auftrag abhängig macht. Dies ist dem Senat aus anderen Verfahren bekannt und von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nicht in Frage gestellt worden. Das vom Ruhestandsbeamten vorgelegte Attest vom 13.2.2003 zeigt auch, dass die vom Ruhestandsbeamten behauptete Fortdauer der 1994 eingetretenen Dienstunfähigkeit nicht offensichtlich vorgeschoben ist. Insbesondere lässt das politische Engagement des Ruhestandsbeamten, das den Dienstherrn bewogen hat, Zweifel am Fortbestand der Dienstunfähigkeit zu hegen, nicht auf eine offensichtlich gegebene Dienstfähigkeit schließen. Weil den Ruhestandsbeamten - anders als den aktiven Beamten - keine Pflicht zur Erhaltung der Gesundheit trifft, läßt sich ein aufreibendes politisches Engagement zu Lasten der Gesundheit durchaus mit einem Zustand der Dienstunfähigkeit vereinbaren. Ein Verschulden i.S.v. § 60 BeamtVG lässt sich folglich im streitgegenständlichen Feststellungszeitraum nicht mit dem Vorwurf begründen, der Ruhestandsbeamte baue in besserer Kenntnis der Verhältnisse Rechtspositionen auf, um eine aus anderen Gründen abgelehnte Reaktivierung zu verhindern oder mindestens hinauszuschieben.

Dass der Ruhestandsbeamte nach dem Eingang seines Antrags am 10.1.2003 bis zum 17.3.2003 längst hätte amtsärztlich untersucht werden können, zeigen die Daten anlässlich des fehlgeschlagenen Untersuchungsauftrags im Juli 2002.

Der Dienstherr kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Reaktivierungsverlangen vom 8.8.2002 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für rechtmäßig erachtet worden ist. Abgesehen davon, dass Beschlüssen nach § 123 VwGO eine nur eingeschränkte Rechtskraft zukommt, hat sich die Sachlage mit dem Antrag des Ruhestandsbeamten am 10.1.2003 entscheidungserheblich geändert.

Damit ist es ohne Belang, ob ein Ruhestandsbeamter eine amtsärztliche Untersuchung zur Klärung der Frage beanspruchen kann, ob die vom Gesetzgeber geforderte Prognose im Sinne der vom Dienstherrn beabsichtigten Reaktivierung berechtigt ist (vgl. § 48 Abs. 3 LBG NRW). Unterlässt der Dienstherr eine amtsärztliche Untersuchung, obwohl dazu nach Vorlage eines privatärztlichen Attestes Veranlassung besteht, geht er nicht nur das Risiko ein, dass sich im gerichtlichen Verfahren die Dienstunfähigkeit herausstellt (vgl. § 121 Abs. 4 Satz 1 DO NRW). Darüber hinaus kann es dem Ruhestandsbeamten, der ein ernstzunehmendes Angebot zur Mitwirkung an einer amtsärztlichen Untersuchung gemacht hat, nicht als Verschulden i.S.v. § 60 Satz 1 BeamtVG angelastet werden, wenn er im Vertrauen auf ein privatärztliches Attest die Reaktivierung ablehnt.

So wohl auch GKÖD, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, O § 60 RdNr. 9 (Seite 6 Mitte).

Ende der Entscheidung

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