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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 01.06.2006
Aktenzeichen: 3 A 2169/03
Rechtsgebiete: BauGB, BBauG, FlG
Vorschriften:
BauGB § 128 | |
BauGB § 130 | |
BauGB § 131 | |
BauGB § 133 | |
BauGB § 242 | |
BBauG § 180 | |
FlG § 15 |
Die Regelung des § 128 Abs. 3 Nr. 2 BBauG/BauGB, wonach nur die Kosten für Überbreiten der Fahrbahnen der Ortsdurchfahrten klassifizierter Straßen in den beitragsfähigen Erschließungsaufwand eingestellt werden dürfen, findet keine Anwendung, wenn eine Fahrbahn schon unter der Geltung des Preußischen Fluchtliniengesetzes technisch hergestellt und beitragsmäßig abgerechnet worden ist (vgl. § 180 Abs. 3 BBauG).
Gründe:
Bei der Beitragserhebung für die Straßenentwässerungseinrichtungen der I.Straße ist nicht deren ca. 1615 m lange Teilstrecke von der L.Straße bis zur Straße W. zugrunde zu legen, was der Beklagte angenommen und das VG gebilligt hat, sondern eine etwa 500 m kürzere Teilstrecke von der L.Straße bis in Höhe des Hauses I.Straße Nr. 215...
Für diesen ca. 1100 m langen Abrechnungsraum hat nach Ausbaumaßnahmen in den Jahren 1926 bis 1928, die u.a. die Fahrbahn und die Bürgersteige betrafen, die Stadtverordnetenversammlung der Stadt X. am 26.11.1931 eine Beitragserhebung nach § 15 des Gesetzes betreffend die Anlegung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2.7.1875, GS 1875 S. 561 (Fluchtliniengesetz, FlG) mit der Maßgabe beschlossen, dass die Kosten für die Pflasterung der Fahrbahn und die Grunderwerbskosten von den Anliegern eingezogen werden sollten, während die Einziehung der Bürgersteigkosten erst nach deren endgültiger Befestigung erfolgen sollte. Diese Entscheidung, die Ausbaukosten zunächst für Teileinrichtungen einer Erschließungsstraße einzuziehen, stellt sich als Kostenspaltung dar, die heute als Institut in § 127 BauGB geregelt ist, aber auch schon unter der Geltung des Fluchtliniengesetzes zugelassen war; sie beinhaltete zugleich die Entscheidung, die I.Straße (nur) bis zum Haus Nr. 215, d.h. als Straßenteil (gleichbedeutend einem Abschnitt im Sinne des heutigen § 130 Abs. 1 Satz 1 BauGB) abzurechnen, da zum fraglichen Zeitpunkt die ehemalige Ortsgrenze zwischen der Stadt F. und der Gemeinde D., die der Straße aus Rechtsgründen ein Ende gesetzt hätte, infolge kommunaler Neugliederung bereits aufgehoben war. Diese Festlegung des Abrechnungsraums durch die Stadtverordnetenversammlung, die in einem von dem Anlieger C. gegen die Stadt X. geführten Musterprozess überprüft und nicht beanstandet wurde (Urteile des Bezirksverwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20.9.1935 und des Pr. OVG vom 14.1.1936), ist präjudiziell für die spätere beitragsmäßige Abrechnung weiterer Teileinrichtungen der I.Straße; die Stadt war in der Folge an den einmal gewählten Abrechnungsraum gebunden.
Das BVerwG hat unter der Geltung des Bundesbaugesetzes entschieden, dass die Gemeinden verpflichtet sind, den einmal festgelegten Abschnitt einer Erschließungsanlage, für den sie nach merkmalsgerechter Fertigstellung einer Teileinrichtung und Entstehung sachlicher Beitragspflichten im Wege der Kostenspaltung (Teil-)Beiträge der Anlieger eingezogen haben, bei der Abrechnung weiterer Teileinrichtungen unverändert beizubehalten. Dabei hat das Gericht maßgeblich auf § 130 Abs. 2 Satz 1 BBauG und das mit der Schaffung des neuen Erschließungsbeitragsrechts verbundene Ziel abgestellt, die Grundlagen der Beitragspflicht für die Pflichtigen durchsichtiger zu machen, und angenommen, dass Letzteres nur gewährleistet sei, wenn eine Verschiedenheit des Kreises der Beitragspflichtigen für Teileinrichtungen in ein- und derselben Straßenstrecke ausgeschlossen sei; damit werde zugleich den beiden vom Gesetz mit der Zulassung der Abschnittsbildung verfolgten Zwecken besser gedient, nämlich einerseits den Gemeinden die Refinanzierung von Straßenbaumaßnahmen zu ermöglichen, ohne die Herstellung der gesamten Anlage abwarten zu müssen, und andererseits die Kosten eines streckenweise unterschiedlichen Ausbaus, soweit mit unterschiedlichen Vorteilen für die Anlieger verbunden, auch dementsprechend unterschiedlich auf die mehr oder weniger begünstigten Anlieger verteilen zu können.
BVerwG, Urteil vom 4.10.1974 - IV C 9.73 -, KStZ 1975, 68; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 20 Rn. 5.
Diese Erwägungen trafen auf die Abrechnung des Teils einer Straße nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FlG in gleicher Weise zu. Auch in einer solchen Konstellation dürfen die Gemeinden von dem einmal gewählten Abrechnungsraum auch unter der Geltung des Bundesbaugesetzes bzw. des Baugesetzbuchs nicht mehr abweichen. Das hat das OVG Berlin in einem vergleichbaren Fall entschieden, vgl. das Urteil vom 4.9.2003 - 5 B 7.02 -, OVGE 25, S. 45 ff.
Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung im Grundsatz an. Soweit § 15 Abs. 2 FlG eine Kostenberechnung für die "gesamte Straßenanlage" vorsieht, ist dies nicht als Verbot einer Beitragserhebung für Straßenteile - d.s. Straßenstrecken, die eine gewisse Ausdehnung und Selbständigkeit und insoweit eine eigene Bedeutung als Straße haben, vgl. v. Strauß und Torney/Saß, Straßen- und Baufluchtengesetz vom 2. Juli 1875, Kommentar, § 15 Bem. 13c -, zu verstehen, vgl. v. Strauß und Torney/Saß, a.a.O., § 15 Bem. 4g, und Germershausen/Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, 4. Aufl., Erster Bd., S. 625, sondern bringt nur zum Ausdruck, dass eine Straße bei der Beitragsabrechnung nicht willkürlich in Teilstrecken zerrissen werden soll.
Vgl. v. Strauß und Torney/Saß, a.a.O., § 15 Bem. 13d.
Die Kostenspaltung für Teileinrichtungen war ebenfalls bereits unter dem Fluchtliniengesetz anerkannt. Die Gemeinden durften auch die Kostenspaltung mit einer Teilstreckenabrechnung verbinden. Es entsprach schließlich gleichermaßen der Intention des Fluchtliniengesetzes, die Beitragserhebung für die Pflichtigen überschaubar und nachvollziehbar zu gestalten. Gerade deswegen wurde es für nicht zulässig gehalten, "die Veranlagung stückweise nach der fortschreitenden Herstellung der Straße vorzunehmen und dadurch dem Anlieger anfänglich die Übersicht, wie viel er im ganzen zahlen soll, vorzuenthalten ...".
Vgl. v. Strauß und Torney/Saß, a.a.O., § 15 Bem. 13d.
Sollte den Gemeinden während der Geltung des Fluchtliniengesetzes, womöglich in Ausnahmefällen, die Befugnis zugestanden haben, ihre Entscheidung über den Abrechnungsraum noch bis zur Herstellung der vollständigen Straßenanlage zu ändern, vgl. v. Strauß und Torney/Saß, a.a.O., § 15 Bem. 8, würde sich dies auf die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht auswirken können, weil die Stadt X. von einer solchen etwaigen Änderungsbefugnis jedenfalls keinen Gebrauch gemacht hat. Denn wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen ergibt, hat die Stadt denselben Abrechnungsraum (von D.Straße/L.Straße bis Haus Nr. 215) noch bei der Beitragserhebung für die Teileinrichtungen Fahrbahn und Beleuchtung aufgrund des Kostenspaltungsbeschlusses vom 4.2.1958 und der Beitragsliste vom 6.12.1963 zugrunde gelegt und aufgrund desselben Kostenspaltungsbeschlusses und aufgrund der Beitragsliste vom 22.10.1963 die unmittelbar anschließende Strecke der I.Straße von Haus Nr. 215 bis zur K.Straße zur Abrechnung gestellt. Allein auf das faktische Festhalten am vormaligen Abrechnungsraum kommt es an; die Wirksamkeit des Kostenspaltungsbeschlusses vom 4.2.1958, die der Senat in einem vom Beklagten auszugsweise zu den Akten gereichten Urteil, vom 18.5.1981 - 3 A 255/81 -, verneint hat, spielt demgegenüber im hier erörterten Zusammenhang keine Rolle.
Die Wahl des falschen Abrechnungsraums hat die Beitragserhebung für die Straßenentwässerung zunächst teilweise rechtswidrig gemacht mit der Folge, dass der angefochtene Beitragsbescheid teilweise hätte aufgehoben werden müssen. Der Fehler ist aber behoben, seitdem der Beklagte den Beitrag für den richtigen, durch die frühere Teilstreckenfestlegung vorgegebenen Abrechnungsraum neu berechnet und die streitbefangene Forderung demgemäß herabgesetzt hat.
Die danach verbleibende Beitragsfestlegung ist nicht zu beanstanden, so dass es an einer Rechtsverletzung des Klägers fehlt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). ...
Im Ergebnis ist dem VG auch insoweit zu folgen, als es eine Aufwandreduzierung nach § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB im vorliegenden Falle für nicht geboten hält. Nach dieser Bestimmung umfaßt der Erschließungsaufwand nicht die Kosten für Fahrbahnen der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen sowie von Landstraßen I. und II. Ordnung, soweit die Fahrbahnen dieser Straßen keine größere Breite als ihre anschließenden freien Strecken erfordern; es sind mit anderen Worten also nur die Kosten der "Überbreiten" dieser Fahrbahnen beitragsfähig. Zu anderen Teileinrichtungen, namentlich der Straßenentwässerung, verhält sich § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB dem Wortlaut nach nicht. Das schließt allerdings nicht zwangsläufig aus, dass sich die Kostenbegrenzung für die Fahrbahnen auch auf andere Teileinrichtungen - quasi annexmäßig - auswirken kann.
Vgl. dazu Driehaus, a.a.O., § 13 Rn. 87, und Vogel, Kohlhammer Kommentar zum BauGB, Std. April 1999, § 128 Rn. 82 (jeweils verneinend) sowie Förster, Kohlhammer Kommentar zum BBauG, Std. Januar 1982, § 128 Rn. 61 (bejahend).
Denn eine solche Annexwirkung ist etwa dann in Betracht zu ziehen, wenn Kosten für die Straßenentwässerung aufgrund der einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung nach einem Einheitssatz je qm Verkehrsfläche bemessen werden und ihr Umfang insofern von der Flächengröße der Fahrbahn mitbestimmt wird. Der Senat braucht der angeschnittenen Frage im vorliegenden Fall nicht weiter nachzugehen, weil § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB hier jedenfalls deshalb keine Anwendung findet, weil die Fahrbahn der I.Straße (im maßgebenden Abrechnungsraum) bereits in den Jahren 1926 bis 1928 technisch fertiggestellt worden ist und die Straße zu diesem Zeitpunkt ausweislich der Straßenakten keine Ortsdurchfahrt einer klassifizierten Straße, sondern eine in der Anlegung befindliche Gemeindestraße war. Das BVerwG hat mit Urteil vom 9.3.1990 - 8 C 76.88 -, DVBl. 1990, 785, entschieden, dass eine Straße im Zeitpunkt der technischen Fertigstellung ihrer Fahrbahn eine Bundes- oder Landstraße gewesen sein muss, um die Kostenbegrenzung nach § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB auszulösen. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Sie überzeugt insbesondere in der hier vorliegenden Fallkonstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Fahrbahn noch unter der Geltung des Fluchtliniengesetzes fertiggestellt worden ist. Denn dieses Gesetz enthielt eine § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB vergleichbare Regelung nicht. Außerdem wurde, als das Fluchtliniengesetz durch das Bundesbaugesetz abgelöst wurde, in Letzterem eine Sonderregelung für unbebaute Grundstücke an Ortsdurchfahrten getroffen, die - mangels Baufalls - nach altem Recht nicht beitragspflichtig geworden waren und erst nach der Anknüpfung der Beitragspflicht an eine Bebauungsmöglichkeit im neuen Recht beitragspflichtig wurden. Für diese Grundstücke ist in § 180 Abs. 3 BBauG bestimmt, dass § 128 Abs. 3 Nr. 2 BBauG nicht anzuwenden ist. Damit wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass die unbebauten Grundstücke gegenüber den bereits bebauten Grundstücken an diesen Ortsdurchfahrten bevorzugt behandelt würden.
Vgl. Ernst in: Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Bd. 3, Std. 1. Januar 2006, § 242 Rn. 9.
Findet die Kostenbegrenzungsregelung des § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB aber hiernach nicht einmal auf die (im Geltungsbereich des Fluchtliniengesetzes hergestellten) Fahrbahnen selbst Anwendung, so scheidet auch eine Erstreckung der Kostenbegrenzung von Fahrbahnen auf weitere Teileinrichtungen wie die Straßenentwässerung aus. ...
Ende der Entscheidung
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