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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 01.04.2005
Aktenzeichen: 3 A 3243/02
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 11
BauGB § 131 Abs. 1
BauGB § 131 Abs. 3
BauGB § 133 Abs. 1
Zur Anwendung eines grundstücksbezogenen Artzuschlags auf ein Grundstück im beplanten Wohngebiet, dessen gewerblicher Verkehr nicht die mit Erschließungsbeiträgen abgerechnete Straße benutzt, sondern ausschließlich eine andere Straße (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 23.1.1998 - 8 C 12.96 -, DÖV 1998, 735).

Zur Frage der konkludenten Festsetzung eines Zu- und Abfahrtsverbotes in einem Bebauungsplan, der an zwei Straßen Einfahrtbereiche festsetzt für ein Grundstück, das von drei Straßen umgeben ist.


Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer des im beplanten Allgemeinen Wohngebiet gelegenen Flurstücks 297, das im Norden an die S-Straße und im Süden an die L-Straße grenzt. Auf dem Grundstück befinden sich ein Wohnhaus und die Gebäude und Freiflächen einer Bautischlerei. Die Tischlerei hat eine Zufahrt allein zur L-Straße; entlang der S-Straße befinden sich auf dem Grundstück ein Bretterzaun und eine durchgehende Strauchbepflanzung, die lediglich durch einen Fußweg zur S-Straße durchbrochen ist. Der Beklagte zog den Kläger zu einem Erschließungsbeitrag für die S-Straße heran, und zwar mit einem sog. grundstücksbezogenen Artzuschlag (Gewerbezuschlag). Das VG wies die Klage auf Aufhebung des Beitragsbescheides in Höhe des Gewerbezuschlags ab mit der Begründung, der Gewerbezuschlag werde dadurch überkompensiert, dass das Flurstück 684 mangels Erschließung durch die S-Straße aus der Beitragsberechnung auszuscheiden sei. Das OVG gab der Berufung des Klägers statt.

Gründe:

Entsprechend der vom Kläger verfochtenen und vom VG angedeuteten Auffassung ist die umstrittene Beitragsfestsetzung insoweit zu Unrecht erfolgt, als sie auf der Berechnung eines sog. grundstücksbezogenen Artzuschlages von 30 Prozentpunkten wegen überwiegender gewerblicher Nutzung des veranlagten Grundstücks beruht (§ 6 Abs. 7 EBS 1988). Während der sog. gebietsbezogene Artzuschlag - unabhängig von der vorhandenen Bebauung und Nutzung des Grundstücks - an die kraft Bauplanungsrechts gegebene Möglichkeit einer gewerblichen und damit verkehrsintensiveren Grundstücksnutzung anknüpft, greift ein in der Beitragssatzung normierter sog. grundstücksbezogener Artzuschlag regelmäßig ein, wenn ein im qualifiziert beplanten Wohngebiet gelegenes Grundstück tatsächlich gewerblich und somit intensiver als die übrigen Grundstücke genutzt wird. Ist ein solches Grundstück doppelt erschlossen, so ist es allerdings ohne Gewerbezuschlag zu veranlagen, wenn der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende, sondern in vollem Umfang ausschließlich über die andere Anbaustraße abgewickelt wird und ohne Veränderung der für die Gemeinde eindeutig erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück auch nur abgewickelt werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.1.1998 - 8 C 12.96 -, DÖV 1998, 735.

Das Grundstück des Klägers erfüllt die Voraussetzungen, unter denen hiernach trotz vorhandener gewerblicher Nutzung ausnahmsweise von der Erhebung eines satzungsgemäßen grundstücksbezogenen Artzuschlags abzusehen ist.

Nach dem Vorbringen des Klägers, das durch die vorliegenden Photographien bestätigt wird und dem der Beklagte nichts entgegengesetzt hat, wurde bei Entstehung der sachlichen Beitragspflichten im Jahre 2000 (und wird weiterhin) der gewerbliche Verkehr von und zu der auf dem Grundstück betriebenen Bautischlerei nicht über die S-Straße, sondern allein über die L-Straße abgewickelt. Ohne eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück, die für den Beklagten und die übrigen Beitragspflichtigen des Abrechnungsgebietes ohne weiteres erkennbar gewesen wäre, hätte der gewerbliche Verkehr vom Grundstück des Klägers auch nicht auf die S-Straße umgelenkt werden können. Zwar mag es nicht ausgeschlossen gewesen sein, den Plattenweg in der Nordwestecke des Grundstücks zu einer Zufahrt auszuweiten, ohne dadurch in auffälliger Weise in die Randbepflanzung des Grundstücks einzugreifen. Zu diesem Zweck hätte der gewerbliche Verkehr allerdings über den verhältnismäßig schmalen Grundstücksstreifen geführt werden müssen, der zwischen der Randbepflanzung an der S-Straße und den Stellplätzen für zwei Mulden und mehrere Personenwagen liegt. Zudem hätte eine derartige Zufahrt den gewerblichen Verkehr vom Grundstück des Klägers auf die nach Süden weisende (etwa 9 m lange und etwa 6 m breite) Ausbuchtung der S-Straße geleitet. Eine so gestaltete Verkehrsführung hätte nicht den Anforderungen entsprochen, die insoweit unter den Gesichtspunkten der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und der Rücksichtnahme auf den Wohngebietscharakter zu stellen sind. Die Anlegung einer Zufahrt zur S-Straße, die sowohl das betriebliche Interesse an einer möglichst geradlinigen Verbindung als auch die schutzwürdigen Interessen der Nachbarn an einer möglichst geringen Beeinträchtigung berücksichtigt, hätte hingegen vorausgesetzt, dass der bepflanzte Erdwall an der Nordseite des Grundstücks und der dessen ganze Nordgrenze verschließende Bretterzaun durchbrochen worden wären. All dies aber hätte eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück dargestellt, die weder der Gemeinde noch den übrigen Anliegern an der S-Straße hätte verborgen bleiben können.

Die Reduzierung des festgesetzten Erschließungsbeitrags, die sich demnach aus dem gebotenen Wegfall des Gewerbezuschlags ergibt, wird nicht dadurch kompensiert oder überkompensiert, dass das mit einem Verbrauchermarkt bebaute Flurstück 684 aus der Beitragsabrechnung auszuscheiden wäre. Vielmehr ist dieses Grundstück - entsprechend der vom Beklagten vorgenommenen Verteilung - mit einem Gewerbezuschlag und als zweigeschossig bebaubar anzusetzen. Der Annahme des VG, das Flurstück 684 werde durch die S-Straße nicht i.S. von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen, weil der Bebauungsplan einer Zufahrt an der Grundstücksseite zur S-Straße entgegenstehe, vermag der Senat aus folgenden Erwägungen nicht zu folgen:

Zu- und Abfahrtsverbote (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) sollen in erster Linie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der jeweiligen Straße dienen, die durch Verkehrsvorgänge von und zu "ihren" Anliegergrundstücken beeinträchtigt werden könnten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.3.1991 - 8 C 59.89 -, DVBl 1991, 593.

Schon diese "primäre Blickrichtung" (von der einzelnen Straße auf die Anliegergrundstücke, nicht vom einzelnen Anliegergrundstück her auf alle das Grundstück berührenden Straßen) spricht dagegen, die im Bebauungsplan getroffene Regelung der Einfahrtbereiche des Flurstücks 684 an der F-Straße und am N-Weg als abschließende Regelung für den Anschluss dieses Grundstücks an alle umgebenden Straßen und damit als Verbot einer Zufahrt von und zur S-Straße zu verstehen. Zwar mag die Absicht des Plangebers, die Nachbarschaft eines "betriebsamen" Grundstücks vor den hiervon ausgehenden Verkehrsbeeinträchtigungen zu schützen, die Anordnung eines Zu- und Abfahrtsverbotes für dieses Grundstück rechtfertigen. Die ausdrückliche Festsetzung eines solchen Verbotes wäre im Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplanes aber schon deswegen zu erwarten gewesen, weil sowohl dem Planverfasser als auch dem Rat die rechtliche Möglichkeit wohlbewusst war, ein Zufahrtsverbot ausdrücklich auszusprechen; das zeigen schon die im Text zum Bebauungsplan enthaltenen ergänzenden Bestimmungen für Zuwegungen und Zufahrten zur Kreisstraße. Für das Erfordernis einer ausdrücklichen Festsetzung sprechen auch die ambivalenten Folgen eines Zufahrtsverbotes: Ein solches Verbot schränkt die Position des betroffenen Grundstückseigentümers über das übliche Maß hinaus ein und ist zudem geeignet, Erschließungsbeitragslasten von dem betroffenen Grundstück auf die Nachbargrundstücke "abzuschieben".

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.3.1991, a.a.O. (betr. die Steigerung der Anforderungen an die Erschließung).

Die Ausführungen der Planbegründung zu Erschließungskosten lassen aber nicht erkennen, dass der Rat sich mit dem Problem einer "Kostenverlagerung" überhaupt befasst hätte; auch dies spricht gegen die Annahme, der Plangeber habe ein Zu- und Abfahrtsverbot an der S-Straße regeln wollen.

Die vom VG angeführte Begründung zur Zweiten Änderung des Bebauungsplans ergibt demgegenüber kein gewichtiges Argument für die Festsetzung eines Zu- und Abfahrtsverbotes. Der Umstand, dass dieser Änderungsplan ausdrücklich nicht die Grundzüge der Planung berühren will, spricht gegen die Annahme, durch diesen Änderungsplan sei erstmals eine Regelung über den Anschluss des Flurstücks 684 an die S-Straße getroffen worden; dieser Änderungsplan erscheint auch als grundsätzlich ungeeignet, für die Auslegung der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans zu dienen, weil der Änderungsplan erst nach Erlass des Ursprungsplanes "in die Welt gekommen" ist. Schließlich erbringt die Festsetzung der S-Straße als "Wohnstraße mit Parkmöglichkeiten" kein Argument, das im Sinne eines Zufahrtsverbotes den Ausschlag geben könnte. Das gilt schon deshalb, weil die Charakterisierung als "Wohnstraße" nach dem Bebauungsplan die Anlage von Stellplätzen und Garagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen mit Ausnahme der Vorgartenflächen zulässt, mithin grundsätzlich auch die Anlegung von Zufahrten nicht hindert. Überdies hat die im Nutzungsplan eingetragene Unterteilung der öffentlichen Verkehrsflächen sowie ihrer einzelnen Bestandteile nur nachrichtliche Bedeutung, lässt also die Möglichkeit offen, die S-Straße im Bereich des Flurstücks 684 so auszubauen, dass Lastkraftwagen ohne weiteres auch von dieser Straße aus auf das Grundstück fahren können.

Ist demnach anzunehmen, dass ein Zu- und Abfahrtsverbot an der S-Straße nicht besteht und dass demgemäß diese Straße all das an Erschließung erbringt, was sowohl zur gewerblichen als auch zur wohnlichen Nutzung des Flurstücks 684 allenfalls gefordert werden kann, so braucht der Senat nicht mehr auf die weitere Darlegung des VG einzugehen, die vorliegende Nutzungsfestsetzung für dieses Grundstück führe zu einer tatsächlichen und rechtlichen "Verklammerung" von (im Erdgeschoss allein zulässiger) gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung in der Weise, dass ihretwegen eine Auffahrmöglichkeit auch schon für ein Erschlossensein hinsichtlich der im ersten Obergeschoss zugelassenen Wohnnutzung zu fordern wäre. Ebenso kann offenbleiben, ob das Erschlossensein eines gewerblich zu nutzenden Grundstücks in einem allgemeinen Wohngebiet generell eine Auffahrmöglichkeit voraussetzt oder ob dies (zumindest) im vorliegenden Fall nach dem einschlägigen Bebauungsplan gefordert ist.

Der Beklagte hat bei der Verteilung, die der umstrittenen Beitragsfestsetzung zugrunde liegt, für das Flurstück 684 auch zu Recht einen Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung angesetzt und keine Eckermäßigung gewährt. Nach den Feststellungen des VG existierte nämlich bei Entstehung der Beitragspflicht eine etwa 2 m breite Lücke in der Randbepflanzung dieses Grundstücks, die von Fußgängern bei ihren Einkaufsgängen zum Verbrauchermarkt auch benutzt wurde. Da es sich hierbei um einen Verkehr handelt, wie er für einen Verbrauchermarkt typisch ist, kann mit Bezug auf das Flurstück 684 keine Rede davon sein, der mit der gewerblichen Tätigkeit typischerweise verbundene Verkehr unterbleibe gänzlich aus der Sicht der abzurechnenden Anliegerstraße.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.1.1998, a.a.O.; vgl. hingegen den vom Nds. OVG im Urteil vom 17.8.2000 - 9 L 4119/98 -, NVwZ-RR 2001, 399, entschiedenen Fall, in dem eine gewerbliche Nutzung von der abgerechneten Anlage her tatsächlich nicht stattfand.

Ende der Entscheidung

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