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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 31.03.2004
Aktenzeichen: 3 A 4016/02
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 138
VwGO § 144 Abs. 4
Im Berufungszulassungsverfahren ist jedenfalls bei "partiellen" Gehörsverstößen fallbezogen zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

Der Zulassungsantrag ist abzulehnen und es ist in der Hauptsache "durchzuent- scheiden", wenn der Verfahrensmangel nach Überzeugung des Berufungsgerichts "mit Sicherheit" ohne Bedeutung für sein endgültiges Ergebnis in der Hauptsache ist.


Tatbestand:

Die Klägerin stellte in einem Baugebiet der beklagten Stadt u.a. die Regen- und die Schmutzwasserkanalisation her. Grundlage hierfür war ein mit der Stadt geschlossener "Erschließungsvertrag"; dieser sah eine Vorfinanzierung der Baukosten durch die Klägerin und deren Erstattung in der Weise vor, dass (mit Begrenzung auf die Höhe der Baukosten) fiktive Kanalanschlussbeiträge für die Eigengrundstücke der Klägerin auf den vorfinanzierten Betrag angerechnet und zudem die Kanalanschlussbeiträge an die Klägerin ausgekehrt werden sollten, die auf die "Fremdanlieger" der vorfinanzierten Kanäle entfielen. Die Beklagte erstattete der Klägerin mehrere von Fremdanliegern gezahlte Kanalanschlussbeiträge, lehnte aber weitere Zahlungen ab aufgrund einer Abrechnung, nach der die Klägerin an Abgeltungsbeträgen für ihre Eigengrundstücke und an Beiträgen der "Fremdanlieger" mehr erhalten hatte, als ihr nach dem Vertrag zustand. Die Klage auf Verpflichtung der Stadt zu weiterer Zahlung wegen eines Fremdanliegergrundstücks wurde vom VG abgewiesen. Auch der Zulassungsantrag der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Auch wenn das VG der Klägerin unzulässigerweise die Möglichkeit zu weiterem Vorbringen genommen haben sollte, kann nicht festgestellt werden, dass die angegriffene Entscheidung auf einem solchen Gehörsverstoß (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) beruht.

Die durch § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO insoweit gebotene Erheblichkeits- oder Kausalitätsprüfung ist (wie auch bei den anderen Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 VwGO) aus zwei Blickwinkeln vorzunehmen. Einmal ist zu prüfen, ob der Verfahrensmangel nach Maßgabe der Auffassung des VG ursächlich für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung gewesen sein kann. Zum anderen ist das Berufungsgericht zu der Prüfung befugt, ob der Verfahrensmangel nach Maßgabe seiner eigenen Rechtsauffassung für den Ausgang des von der Klägerin angestrebten Berufungsverfahrens von Bedeutung wäre.

Vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO (Stand: Januar 2003), § 124 Rn. 264, 265 und 269, m.w.N.

Eine andere Beurteilung ist nicht etwa deshalb geboten, weil die von der Klägerin behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs zu den in § 138 VwGO genannten absoluten Revisionsgründen zählt (§ 138 Nr. 3 VwGO) und der Einfluss der dort genannten Verfahrensmängel auf die Sachentscheidung unwiderleglich vermutet wird. Denn abgesehen von der Frage, ob die Beruhensfiktion des § 138 VwGO auf das Berufungszulassungsverfahren zu übertragen ist,

bejaht etwa von Seibert, a.a.O., § 124 Rn. 266, verneint (für die Versagung rechtlichen Gehörs) vom OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 3.8.1998 - 2 B 11508/98 -, DVBl. 1999, 118, offengelassen vom OVG NRW, Beschluss vom 3.4.1997 - 11 B 498/97 -, NVwZ-RR 1997, 759,

ist in der Rechtsprechung des BVerwG anerkannt, dass die Beruhensfiktion für die Gehörsrüge nur eingeschränkt gilt. Bezieht sich der Gehörsverstoß auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, auf die es für die Revisionsentscheidung ersichtlich nicht ankommt, so ist die Revision gemäß § 144 Abs. 4 VwGO trotz eines Gehörsverstoßes nicht zuzulassen; erfasst der gerügte Mangel hingegen den gesamten Streitstoff (das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. von § 108 Abs. 1 VwGO), so ist eine Feststellung, das angefochtene Urteil sei im Ergebnis richtig, nicht möglich.

Vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 16.3.1994 - 11 C 48.92 -, NVwZ 1994, 1095.

Sollte die Beruhensfiktion des § 138 VwGO auf das Berufungszulassungsverfahren zu übertragen sein, so wäre das Berufungsgericht nach Maßgabe dieser Differenzierung zwischen "totalen" und "partiellen" Gehörsverstößen bei den "partiellen" Verstößen nicht der in § 124 Abs. 2 Nr. 5 vorgesehenen fallbezogenen Prüfung enthoben, ob die Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1.8.2000 - 3 B 624/00 - sowie (mit generellem Ausschluss der Beruhensfiktion des § 138 VwGO) OVG Rh.-Pf., a.a.O., und Seibert, a.a.O, Rn. 268 f. mit 147 f. (ohne analoge Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO); vgl. ferner (mit analoger Anwendung des § 144 Satz 4 VwGO auf Gehörsverstöße) OVG NRW, Beschluss vom 7.4.1997 - 25 A 1460/97.A -, OVG M.-V., Beschluss vom 26.10.1999 - 2 O 379/98 - NordÖR 2000, 154, Bay. VGH, Beschluss vom 12.10.2000 - 19 ZB 00.31971 -, NVwZ-Beilage I 3/2001, 29, OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 3.7.2001 - 10 B 10646/01 -, InfAuslR 2001, 429.

Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass die durch § 124 Abs. 2 Nr. 5 vorgeschriebene "Beruhensprüfung" nicht dazu führen darf, dass bereits im Berufungszulassungsverfahren Tatsachen- und Rechtsfragen entschieden werden, die erst im Berufungsverfahren geklärt werden können. Den insoweit von der Klägerin vorgetragenen Bedenken wird jedoch durch die Anlegung eines strengen Entscheidungsmaßstabs Rechnung getragen. Denn das Berufungsgericht kann die ihm hiernach gestellte Frage, ob die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel "beruhen kann", füglich nur dann verneinen, wenn der Verfahrensfehler "mit Sicherheit" für das endgültige Ergebnis des Berufungsgerichts bedeutungslos ist.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13.6.1977 - 4 B 13.77 -, BVerwGE 54, 99, und vom 30.4.1990 - 5 ER 616.90 -, Buchholz 310 § 125 VwGO Nr. 9 (ein solcher Fehler rechtfertige nicht die Fortführung des Hauptsacheverfahrens) sowie OVG NRW, Beschluss vom 7.4.1997 - 25 A 1460/97.A -, Bay. VGH, Beschluss vom 12.10.2000, a.a.O., und OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 3.7.2001, a.a.O.

(Im weiteren wird ausgeführt, dass der Klägerin der hier erhobene Erstattungsanspruch nicht zustehe, dass weitere Zulassungsgründe nicht vorlägen und dass dem Hilfsantrag auf Vorlage der Sache an das BVerwG gemäß § 124b Satz 1 VwGO nicht zu entsprechen sei.)



Ende der Entscheidung

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