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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 21.06.2004
Aktenzeichen: 4 A 151/01
Rechtsgebiete: HeimG, HeimPersV


Vorschriften:

HeimG § 3 Abs. 2 Nr. 2
HeimG § 17 Abs. 1
HeimPersV § 5
HeimPersV § 6 Satz 1
§ 5 Abs. 1 HeimPersV steht einem flexiblen Einsatz von Fachkräften nicht entgegen, so dass nicht jederzeit für betreuende Tätigkeiten eine Fachkraft je Hilfskraft eingesetzt werden muss.

Die sog. Fachkraftquote bezieht sich auf die nach Vollzeitkräften berechnete Anzahl der mit betreuenden Tätigkeiten befassten Beschäftigten eines Heims.


Tatbestand:

Die Klägerin - eine Heimbetreiberin - wandte sich gegen die Anordnung der Heimaufsicht (Beklagte), nach der sie gehalten war, in den Tagschichten den Einsatz von Fach- und Hilfskräften bei der Ausführung betreuender Tätigkeiten in der Weise vorzunehmen, dass grundsätzlich jederzeit die Anzahl der Fachkräfte derjenigen der Hilfskräfte zumindest entspricht (1:1 Besetzung). Das VG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hob der Senat die Anordnung der Heimaufsicht auf. Die Revision wurde zugelassen.

Gründe:

Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung aus dem Jahre 1999 war zunächst § 12 Abs. 1 HeimG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.4.1990 (BGBl. I S. 763), zuletzt geändert durch das Zweite Änderungsgesetz vom 3.2.1997 (BGBl. I S. 158). Danach konnten gegenüber den Trägern von Heimen Anordnungen erlassen werden, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohner erforderlich waren, wenn festgestellte Mängel nicht abgestellt wurden. Bei der Anordnung der Beklagten, den Dienstplan so zu gestalten, dass in den Tagschichten jederzeit an jedem Tag im Jahr gewährleistet ist, dass betreuende Tätigkeiten durch den überwiegenden Einsatz von Fachkräften im Sinne der §§ 5 ff. der Verordnung über personelle Anforderungen für Heime vom 19.7.1993 (BGBl. I S. 1205 (HeimPersV)) sichergestellt wird, handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, so dass zwischenzeitliche Gesetzesänderungen zu berücksichtigen sind. Ermächtigungsgrundlage ist nunmehr § 17 Abs. 1 der Bekanntmachung der Neufassung des Heimgesetzes vom 5.11.2001 (BGBl. I S. 2970), der im Wesentlichen dem bisherigen § 12 HeimG a.F. entspricht.

Vgl. Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/5399 S. 32.

Die Verfügung der Beklagten ist rechtswidrig, weil sie nicht von § 5 Abs. 1 HeimPersV, auf die die Beklagte in ihrer Anordnung verweist, gedeckt ist.

Dass allerdings bei Verstößen gegen die nach dem Heimgesetz erlassenen Verordnungen, also auch bei Nichteinhaltung der Anforderungen des § 5 Abs. 1 HeimPersV, eine Anordnung gegen den Heimträger gerechtfertigt sein kann, ist nicht zweifelhaft, vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 20.6. 2001 - 22 CS 01.966 -,<juris>; Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 9. Auflage, § 17 Rn. 1, und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Klägerin kann jedoch nach § 5 Abs. 1 HeimPersV nicht verpflichtet werden - und das war der eigentliche Anlass für die Anordnung der Beklagten, wie sich aus der Begründung des Widerspruchsbescheids ergibt - den tatsächlichen Personaleinsatz und damit die konkrete Ausgestaltung der Dienstpläne in der von der Beklagten verlangten Art vorzunehmen.

Der von der Beklagten und dem VG vertretenen Auffassung, der in § 5 Abs. 1 Satz 2 HeimPersV normierten Fachkraftquote sei zu entnehmen, dass - jedenfalls in den Tagschichten - grundsätzlich jederzeit die Anzahl der mit betreuenden Tätigkeiten befassten Fachkräfte die der ebenso tätigen Hilfskräfte zumindest entsprechen müsse, - insoweit hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihre Anordnung klargestellt -, folgt der Senat nicht. Nach seinem Verständnis steht § 5 Abs. 1 HeimPersV, der auf das gesamte Heim und nicht auf Teilbereiche wie Station oder Wohnbereich bezogen ist, einem flexiblen Einsatz der Fachkräfte nicht entgegen, wobei eine Fachkraft als solche grundsätzlich nur ausgerichtet auf eine Tätigkeit entsprechend ihrer Berufsausbildung (vgl. § 6 Satz 1 HeimPersV) angesehen werden kann. Es ist deshalb zulässig, dass zu Zeiten, in denen vornehmlich betreuende Tätigkeiten "geringerer Schwierigkeit" anfallen, die Anzahl der tätigen Hilfskräfte die der tätigen Fachkräfte übersteigt. Allerdings muss auch zu diesen Zeiten eine ausreichende Kontrolle der Hilfskräfte und eine angemessene Qualität der Betreuung (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 HeimG n.F.) gewährleistet sein.

Auszugehen ist zunächst von § 5 Abs. 1 Satz 1 HeimPersV, mit dem ein Grundsatz für die Umsetzung betreuender Tätigkeiten in einem Heim aufgestellt wird. Danach dürfen betreuende Tätigkeiten nur durch Fachkräfte oder unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden (sog. Fachkraftpostulat). Die Wortwahl "unter angemessener Beteiligung" spricht dafür, dass damit nicht eine Tätigkeit der Fachkraft im Sinne einer ständigen Anwesenheit im unmittelbaren Umfeld einer Hilfskraft gemeint ist. Denn dann hätte es nahe gelegen zu verlangen, dass Hilfskräfte betreuende Tätigkeiten nur zusammen mit Fachkräften ausführen dürfen. Betreuende Tätigkeiten können deshalb auch dann unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden, wenn diese lediglich für entsprechende Arbeitsleistungen von Hilfskräften verantwortlich sind, sie diese etwa anleiten, ihre Arbeit überwachen und für eventuelle Fragen zur Verfügung stehen. Mit dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 1 HeimPersV ist somit vereinbar, dass eine Fachkraft im Sinne einer Beteiligung bei der Wahrnehmung betreuender Tätigkeiten für mehrere Hilfskräfte "zuständig" ist. Begrenzt wird die Anzahl der Hilfskräfte durch die Forderung, dass die Beteiligung der Fachkräfte "angemessen" sein muss. Auch diese Formulierung schließt nicht aus, dass (nur) eine Fachkraft für die betreuende Tätigkeit mehrerer Hilfskräfte zuständig ist. Angemessen ist die Beteiligung dann, wenn das Fachwissen der Fachkraft für Art und Weise des Dienstleistungsvollzugs prägend ist.

Dahlem/Giese/Igl/Klie, Das Heimgesetz, HeimPersV § 5 Rn. 5; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 12.4.2000 - 22 CS 99.3761 -, <juris>, der eine angemessene Beteiligung auch bei ständiger Rufbereitschaft der Pflegefachkraft als gegeben erachtet.

Eine angemessene Beteiligung ist allerdings dann nicht mehr gewährleistet, wenn die Fachkraft angesichts der Anzahl der ihr an die Seite gestellten Hilfskräfte überfordert wäre, die Einhaltung des notwendigen Qualitätsstandards zu gewährleisten. Dass sich dies allein bei einer 1:1 Besetzung der anwesenden Kräfte bewerkstelligen lässt, ist nicht zu ersehen. Das Spektrum der betreuenden Tätigkeiten ist sehr weit. Betreuende Tätigkeiten umfassen alle Formen von Hilfen für Bewohner, soweit es sich nicht um die reine Gebrauchsüberlassung des Wohn- und Schlafplatzes und die Verpflegung als solche handelt.

Vgl. Begründung in BR-Drucks. 204/93, insoweit abgedruckt bei Dahlem/Giese/Igl/Klie, Das Heimgesetz, HeimPersV § 5 Rn. 2.

Insoweit überzeugt der Hinweis der Klägerin, dass zu bestimmten Tageszeiten vermehrt betreuende Tätigkeiten zu erbringen sind, die nach ihrem Anforderungsprofil nicht eine Fachkraftausbildung erfordern und die von einer Hilfskraft ohne weiteres genau so gut wie durch eine Fachkraft ausgeführt werden können. Für solche Zeiten gleichwohl eine 1:1 Besetzung zu verlangen, entspricht nicht den Anforderungen in der Praxis und verursacht unnötige Kosten.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wiedemann, NJW 1993, 2981, wonach in der Diskussion um einen Mindestpersonalschlüssel im Pflegebereich Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger Jahre ein Verhältnis von 1:4 oder 1:3 in Erwägung gezogen worden ist.

Die Forderung der Beklagten wird auch nicht durch § 5 Abs. 1 Satz 2 HeimPersV gedeckt. Danach muss mindestens jeder zweite weitere Beschäftigte eine Fachkraft sein, wenn mehr als 20 nicht pflegebedürftige oder mehr als 4 pflegebedürftige Bewohner zu betreuen sind (Fachkraftquote).

Diese Quote bestimmt nach Ansicht des Senats nicht das Verhältnis derjenigen Arbeitskräfte, die bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum tatsächlich mit der Wahrnehmung betreuender Tätigkeiten befasst sind. Sie betrifft vielmehr den Anteil von Fach- und Hilfskräften an der nach Vollzeitkräften berechneten Zahl der Beschäftigten, die der Heimträger zur Wahrnehmung betreuender Tätigkeiten eingestellt hat, und sichert auf diese Art und Weise einen Personalbestand, der eine angemessene Beteiligung von Fachkräften i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 HeimPersV ermöglicht. Nur dieses Verständnis erlaubt nämlich den - wie dargetan - gebotenen flexiblen Einsatz von Fach- und Hilfskräften in wechselnden, jeweils (i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 HeimPersV) angemessenen Anteilen und entspricht daher am ehesten dem Zweck der Verordnung, verhältnismäßige Anforderungen an die "fachliche Absicherung" der Betreuung vorzugeben.

Die Wortwahl "hierbei" eingangs von § 5 Abs. 1 Satz 2 HeimPersV - worauf die Beklagte abstellt - ändert nichts an dem vorstehend erläuterten Verständnis der Fachkraftquote. Diese Formulierung verleiht nach Auffassung des Senats lediglich dem beschriebenen funktionellen Zusammenhang der Sätze 1 und 2 des § 5 Abs. 1 HeimPersV Ausdruck.

Für diese Sicht spricht ferner, dass § 11 Abs. 2 Nr. 2 HeimG n.F. (= § 6 Nr. 3 HeimG a.F.) hinsichtlich der Anforderungen an den Betrieb eines Heims von einer ausreichenden Zahl der "Beschäftigten" spricht und damit offensichtlich auf die Personalausstattung umgerechnet nach Vollzeitkräften, nicht aber auf den punktuell gesehenen konkreten Einsatz vor Ort abstellt. Nach der - allerdings Leistungsrecht beinhaltenden und Pflegeheime betreffenden - Vorschrift des § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI ist lediglich erforderlich, dass unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegekraft gepflegt wird. Der Standard der Pflege nach dem Heimgesetz (vgl. auch die Definition der Pflegebedürftigkeit in § 5 Abs. 3 HeimPersV), die insbesondere dann, wenn die Bewohner wie im Falle des Heims der Klägerin ganz überwiegend pflegebedürftig i.S. des § 14 SGB XI sind, den wesentlichen Teil der betreuenden Tätigkeit ausmacht, ist dem Pflegestandard nach SGB XI grundsätzlich gleichzustellen.

Vgl. Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/5399 S. 26, insoweit abgedruckt bei Dahlem/Giese/Igl/Klie, a.a.O., § 11 HeimG Rn. 11.

Soweit ein Heimträger als Sozialleistungserbringer die in den Vereinbarungen mit den Pflegekassen bzw. Sozialhilfeträgern enthaltenen, ihn bindenden Vorgaben für die Personalausstattung des Heims erfüllt, hat das für die heimgesetzliche Beurteilung der ausreichenden Zahl von betreuenden Beschäftigten "indizielle Bedeutung".

Dahlem/Giese/Igl/Klie, a.a.O., § 11 HeimG Rn. 25; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.3.2001 - 8 S 301/01 -, <juris>.

Eine weitere Überlegung spricht für das vorstehend wiedergegebene Verständnis der Fachkraftquote. Die Forderung der Beklagten lässt sich zum einen durch eine Aufstockung der (Pflege-)Fachkräfte umsetzen; sie lässt sich ggfs. aber auch dadurch realisieren, dass Hilfskräfte entlassen werden. Dass Letzteres zu Lasten der Betreuung der Heimbewohner ginge, liegt auf der Hand, und kann von keiner Seite gewollt sein. Die Möglichkeit, durch einen Abzug von Hilfskräften die Fachkraftquote zu erhöhen, beruht darauf, dass auf die Ermächtigung zur Festsetzung eines Personalschlüssels im Sinne einer Mindestausstattung durch den Gesetzgeber verzichtet worden ist und ein Heimträger, der mit einem äußerst niedrigem Personalschlüssel sein Heim betreibt, auch weniger Fachkräfte beschäftigen muss.

Vgl. Wiedemann, NJW 1993, 2981.

Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Klärung, ob die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung auch ohne Antrag aus dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes hätte prüfen müssen, ob ein Abweichen von der Fachkraftquote, so wie sie diese versteht, nach § 5 Abs. 2 HeimPersV geboten war. Ob es sich dabei um ein "Korrektiv" handelt, das regelmäßig gegeben ist, wenn ein Heim über mehr Personal verfügt, als für eine Betreuung der Heimbewohner an sich erforderlich ist, so VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.3.2001, a.a.O., Bay. VGH, Beschluss vom 12.4., a.a.O., kann deshalb dahinstehen.

Ferner kann offen bleiben, ob - wie die Klägerin andeutet - die Rechtsgrundlage zum Erlass der Heimpersonalverordnung in § 3 HeimG (a.F.) bzw. § 3 Abs. 2 Nr. 2 HeimG (n.F.) die Regelung der Fachkraftquote in § 5 Abs. 1 Satz 2 HeimPersV nicht deckt.

Vgl. dazu Dahlem/Giese/Igl/Klie, a.a.O., HeimPersV § 5 Rn. 4.

Ende der Entscheidung

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