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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.03.2009
Aktenzeichen: 5 A 924/07
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 58 Abs. 2
Eine Rechtsmittelbelehrung ist im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig, wenn sie auf den Fristlauf ab "Bekanntgabe" hinweist, der Bescheid aber aufgrund behördlicher Anordnung mittels Einschreiben zugestellt wird. Das gilt auch dann, wenn die Frist im Einzelfall bei allen denkbaren Fristberechnungen an demselben Tag endet.
Tatbestand:

Der Kläger ist Mitglied des beklagten Versorgungswerks der Rechtsanwälte und entrichtet an dieses einkommensbezogene Beiträge. Sein Beitrag für das Geschäftsjahr 2004 wurde vorbehaltlich eines Einkommensnachweises durch Vorlage des Einkommensteuerbescheids vorläufig festgesetzt. Da der Kläger den Einkommensbescheid nicht vorlegte, setzte der Beklage den Beitrag des Klägers mit Bescheid vom 25.10.2004 auf den Regelpflichtbeitrag in Höhe von monatlich 1.004,25 € fest. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung - soweit hier von Interesse - lautet: "Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben". Der Bescheid wurde entsprechend der Anordnung im Adressfeld mit Einschreiben gegen Rückschein dem Kläger übersandt. Die Mutter des Klägers bestätigte im Rückschein den Empfang des Bescheids unter dem 27.10.2004.

Am 4.4.2005 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein und kündigte an, den Einkommensnachweis werde er nachreichen. Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers als verfristet zurück. Im Klageverfahren legte der Kläger den Einkommensnachweis vor. Die Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg. Auf die Berufung des Klägers hob das OVG mit Beschluss nach § 130 a Satz 1 VwGO den angefochtenen Beitragsbescheid insoweit auf, als er materiell-rechtlich eine zu hohe Beitragsforderung festsetzte.

Gründe:

Die Klage hat Erfolg.

1. Sie ist zulässig. Das Vorverfahren ist ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Kläger hat gegen den Beitragsbescheid vom 25.10.2004 am 4.4.2005 fristgerecht Widerspruch erhoben. Der Widerspruch konnte gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung eingelegt werden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig ist.

Fehlerhaft ist eine Rechtsbehelfsbelehrung dann, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Mindestangaben nicht enthält oder wenn diesen Angaben ein unzutreffender oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der sich generell eignet, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.1990 - 8 C 70.88 -, NJW 1991, 508.

Die hier zu beurteilende Rechtsmittelbelehrung ist irreführend. Sie belehrt darüber, dass die Widerspruchsfrist mit der "Bekanntgabe" des Bescheids beginne. Diese Formulierung war geeignet, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren, weil der Bescheid auf behördliche Anordnung per Einschreiben mit Rückschein zugestellt wurde. Zwar ist der Widerspruch gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Mit der Anordnung der Bekanntgabe durch Zustellung unterliegt die Bekanntgabe jedoch in gleicher Weise den Regelungen des Zustellungsrechts wie in den Fällen, in denen die Zustellung gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. § 1 Abs. 2 LZG NRW).

Dazu auch Sadler, VwZG, 6. Aufl. 2006, § 1 Rn. 14 f.

Die Rechtsbehelfsbelehrung weist hierauf nicht hin, sondern belässt es bei der allgemeinen Formulierung "Bekanntgabe" anstatt "Zustellung". Zwar erfolgte die Bekanntgabe im konkreten Fall gerade im Wege der Zustellung (§ 41 Abs. 5 VwVfG NRW). Auch ist es nicht erforderlich, in einer Rechtsbehelfsbelehrung auf sämtliche Modalitäten einer Fristberechnung hinzuweisen.

BVerwG, Urteil vom 14.6.1983 - 6 C 162.81 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 132; BayVGH, Beschluss vom 2.2. 1977 - 685 VII 76 -, BayVBl. 1977, 341.

Das Risiko einer Falschberechnung kann dem Empfänger aber nur insoweit zugemutet werden, als ihm die für die Fristberechnung notwendigen Fakten, insbesondere der Anfangszeitpunkt der Frist, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften angegeben werden und er anhand dieser Angaben die Frist berechnen kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.7.1972 - XI B 518/70 -, NJW 1973, 165, 166.

Diesen Anforderungen wird die hier in Rede stehende Rechtsbehelfsbelehrung nicht gerecht. Indem sie nicht auf die tatsächlich eingeleitete Zustellung hinwies, die wegen ihrer behördlichen Anordnung für den Lauf der Widerspruchsfrist maßgeblich war, konnte die Belehrung einen Irrtum des Adressaten über den Beginn der Rechtsbehelfsfrist hervorrufen und dadurch die rechtzeitige Widerspruchserhebung unzumutbar erschweren. Anders als bei der Zustellung mit Zustellungsurkunde oder gegen Empfangsbekenntnis ist die Zustellung durch Einschreiben zumindest nach der hier noch maßgeblichen Regelung in § 4 Abs. 1 VwZG in der bis zum 31.1.2006 geltenden Fassung (im Folgenden: VwZG a. F.) aus Sicht des Empfängers nicht zweifelsfrei stets zugleich die Bekanntgabe. Nach dieser Vorschrift wird die Zustellung am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post fingiert. Demgegenüber ist für den Adressaten unklar, ob die Bekanntgabe, auf die die Rechtsbehelfsbelehrung hinweist, davon abweichend schon im Zeitpunkt des Zugangs im Sinne des entsprechend anwendbaren § 130 BGB erfolgt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.2. 1994 - 4 B 212.93 -, Buchholz 316 § 41 Nr. 2; von diesem Bekanntgabezeitpunkt geht das BVerwG auch aus in seinem Urteil vom 27.4.1990 - 8 C 70.88 -, NJW 1991, 508, und seinem Beschluss vom 31.5.2006 - 6 B 65.05 -, NVwZ 1006, 943; so auch OVG NRW, Beschluss vom 25.7.1972 - XI B 518/70 -, NJW 1973, 165.

Die Unklarheit wird nicht dadurch bereinigt, dass ein Adressat durch den Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Regelungen über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, insbesondere auf § 41 Abs. 2 VwVfG NRW, stoßen und wegen der dort geregelten Fiktion, die § 4 Abs. 1 VwZG a. F. entspricht, zufällig den Fristablauf der Sache nach zutreffend ermitteln könnte. Denn § 41 Abs. 2 VwVfG NRW gilt nur für die Bekanntgabe mit einfacher Post im allgemeinen Briefverkehr und ist gerade wegen der gewählten Bekanntgabeform der Zustellung nicht anwendbar.

Vgl. Hennecke, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 41 Rn. 18; zu weiteren möglichen Unklarheiten in diesem Zusammenhang BSG, Urteil vom 6.12.1996 - 13 RJ 19/96 -, NVwZ 1998, 109 und VG Oldenburg, Gerichtsbescheid vom 10.9.2008 - 7 A 533/07 -, juris, Rn. 28.

Da der Begriff "Zustellung" weder im Bescheid noch in der Rechtsbehelfsbelehrung erscheint, wird der Empfänger dagegen den Hinweis in § 41 Abs. 5 VwVfG NRW auf die besonderen Vorschriften über die Bekanntgabe mittels Zustellung nicht ohne Weiteres für einschlägig halten.

Diese Unklarheiten für den Empfänger können sich auf die Einlegung des Rechtsbehelfs auswirken. Eine Frist, die möglicherweise ab Zugang des Bescheids läuft, kann bei der gebotenen generellen Betrachtung früher ablaufen als diejenige Frist, die von dem fiktiven Zustellungszeitpunkt an rechnet. Dementsprechend kann die irreführende Formulierung dazu führen, dass zum Ende der Frist die Einlegung eines Widerspruchs in der durch die Rechtsbehelfsbelehrung ausgelösten fehlerhaften Vorstellung unterbleibt, die Frist sei bereits abgelaufen, obwohl sie in Wirklichkeit noch läuft.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.2.2000 - 14 A 4921/99 -, NVwZ 2001, 212.

Unerheblich ist, ob über den Fristablauf im Einzelfall nur deshalb kein Zweifel entstehen kann, weil die Frist - etwa wegen der Berücksichtigung von Sonnabenden, Sonn- und Feiertagen - bei allen denkbaren Fristberechnungen an demselben Tag endet. Für die Fehlerhaftigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kommt es allein auf die generelle Eignung an, durch einen möglichen Irrtum die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Ob eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist, kann deshalb nicht davon abhängen, ob im konkreten Fall Zustellung und Bekanntgabe überhaupt auseinander fallen und inwieweit sich dies gegebenenfalls auf die Fristberechnung auswirkt.

Ähnlich OVG NRW, Beschluss vom 25.7.1972 - XI B 518/70 -, NJW 1973, 165, 166.

2. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Beitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er für das Jahr 2004 einen monatlichen Beitrag von mehr als 401,96 € festsetzt. Er hat gemäß § 30 Abs. 2 der Satzung des Beklagten einen Beitrag gemäß dem Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2004 von 19,5 % zu zahlen, weil das für den Beitrag des Jahres 2004 maßgebliche Einkommen des Klägers im Jahr 2002 die Beitragsbemessungsgrenze nicht erreichte. Bei einem durch Vorlage des Einkommensteuerbescheids nachgewiesenen zu versteuernden Einkommen von 24.736,-- € ergibt sich nach der zutreffenden Berechnung im Gerichtsbescheid vom 22.8.2006 ein monatlicher Beitrag von 401,96 €.

Ende der Entscheidung

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