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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.07.2009
Aktenzeichen: 5 A 982/07.A
Rechtsgebiete: AufenthG, VwVfG, AsylVfG 2007, QualifikationsRL


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
VwVfG § 51
AsylVfG 2007 § 28 Abs. 2
QualifikationsRL Art. 9
QualifikationsRL Art. 10
Derzeit sind im Iran auch solche zum Christentum konvertierte Muslime verfolgungsgefährdet, die - ohne eine missionierende Tätigkeit zu entfalten oder eine herausgehobene Leitungsfunktion inne zu haben - dort lediglich ihren christlichen Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen.
Tatbestand:

Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im Jahr 2000 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Ablehnung seines ersten Asylantrags wurde im Oktober 2001 bestandskräftig. Wenig später stellte er den ersten Folgeantrag, in dem er sich darauf berief, er habe sich am 9.1.2001 katholisch taufen lassen und müsse bei einer Rückkehr in den Iran mit schwersten Bestrafungen rechnen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Folgeantrag ab, weil der Kläger den Übertritt zum christlichen Glauben nicht bereits im Ausgangsverfahren geltend gemacht habe. Es führte weiter an, der Antrag könne auch in der Sache keinen Erfolg haben, weil der Glaubensübertritt allein grundsätzlich nicht zu einer individuellen staatlichen Verfolgung führe. Die Ablehnung wurde im Juli 2002 bestandskräftig.

Am 3.11.2006 stellte der Kläger einen weiteren Folgeantrag und berief sich auf eine zu seinen Gunsten geänderte Rechtslage. Er führte an, mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 liege das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Ferner legte er aktuelle pfarramtliche Zeugnisse über seinen regelmäßigen Gottesdienstbesuch und seine weiteren Aktivitäten in verschiedenen Kirchengemeinden vor.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte auch den zweiten Folgeantrag ab und führte im Wesentlichen aus: Nach dem Ergebnis der informatorischen Befragung des Klägers habe sich dieser lediglich im Bereich seiner Gemeinde religiös betätigt und nicht darüber hinaus gewirkt. Ihm könne eine entsprechende Glaubensausübung, die auch im Iran ungefährlich sei, bei einer Rückkehr dorthin zugemutet werden.

Die auf die Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie hilfsweise des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtete Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Das OVG hat die Revision zugelassen.

Gründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und darf wegen seiner inzwischen nicht mehr vom Islam, sondern von der christlichen Religion geprägten Lebensführung und der daraus resultierenden Verfolgungsgefahr nicht in den Iran abgeschoben werden.

1. Auf den erneuten Folgeantrag des Klägers ist eine neue Sachentscheidung hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu treffen. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Das ist hier der Fall.

Eine Änderung der Rechtslage zugunsten des Betroffenen und damit ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. VwVfG ist eingetreten mit dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährendes Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - im Folgenden: QualifikationsRL - am 10.10.2006 (Art. 38 QualifikationsRL) und damit nach dem Erlass des Ablehnungsbescheids vom 3.8.2001. Art. 10 Abs. 1 lit. b i. V. m. Art. 9 QualifikationsRL erweitert den bisher nach § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG zu gewährenden Schutz unter anderem um die Religionsausübung in der Öffentlichkeit (dazu sogleich unter 2.). Die dreimonatige Antragsfrist (§ 51 Abs. 3 VwVfG) hat der Kläger eingehalten. Er hat seinen Folgeantrag fristgemäß am 3.11.2006 gestellt und mit der Gefährdung durch seine Konversion zum Christentum sowie der geänderten Rechtslage begründet. Dass er seine bereits am 9.1.2001 erfolgte Konversion zum Christentum nicht schon im Ausgangsverfahren geltend gemacht hat, ist unschädlich, weil dieses Vorbringen nach der früheren Rechtslage ohnehin nicht zum Erfolg seines Flüchtlingsschutzbegehrens hätte führen können.

Überdies hat sich durch den Beschluss des iranischen Parlaments vom 9.9.2008 über den Entwurf eines Apostasiestrafgesetzes und die dadurch eingetretene Verfolgungsgefahr (dazu sogleich 3.) die Sachlage nachträglich im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. VwVfG zugunsten des Klägers geändert.

Vgl. zur Änderung der Rechtslage im Heimatstaat des Ausländers: Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz 1992 (Stand: Mai 2009), § 71 Rn. 177.

Diese im Laufe des Verfahrens eingetretenen neuen objektiven Umstände hat der Senat, der zur Spruchreifmachung verpflichtet ist, nach § 77 Abs. 1 AsylVfG zu berücksichtigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.2.1998 - 9 C 28.97 -, juris, Rn. 9 f. (= BVerwGE 106, 171), m. w. N.

2. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit u. a. wegen seiner Religion bedroht ist. Wann eine Verfolgung wegen der Religion droht, ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in seiner heute gültigen Fassung, die der Senat nach § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. AsylVfG zu Grunde zu legen hat. Danach sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der QualifikationsRL ergänzend anzuwenden. Es kann offen bleiben, ob die Pflicht zur (nur) "ergänzenden" Anwendung die QualifikationsRL vollständig umsetzt. Da die Umsetzungsfrist verstrichen ist, wäre die Richtlinie andernfalls unmittelbar anwendbar.

Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b QualifikationsRL umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Vor dem Inkrafttreten der QualifikationsRL war anerkannt, dass der unverzichtbare und unentziehbare Kern der Privatsphäre des glaubenden Menschen die religiöse Überzeugung als solche erfasst sowie die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf ("forum internum", "religiöses Existenzminimum").

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9.03 -, juris, Rn. 12-14 (= BVerwGE 120, 16), m. w. N. der Rechtsprechung des BVerfG.

Art. 10 Abs. 1 lit. b QualifikationsRL erweitert diesen Schutzbereich um die Religionsausübung in der Öffentlichkeit. Nach seinem klaren Wortlaut unterfällt ihm auch das offene Bekenntnis der persönlichen religiösen Überzeugung, wie es beispielsweise in dem Besuch von Gottesdiensten zum Ausdruck kommt, die in dem Sinne öffentlich sind, dass sie außerhalb einer - auch erweiterten - Hausgemeinschaft oder Hauskirche abgehalten werden.

Vgl. OVG Saarl., Urteil vom 26.6.2007 - 1 A 222/07 -, juris, Rn. 46 (= InfAuslR 2008, 183); Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, juris, Rn. 17-19 (= DÖV 2008, 164); Sächs. OVG, Urteil vom 3.4.2008 - A 2 B 36/06 -, juris, Rn. 35-39; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.5.2008 - A 10 S 72/08 -, juris, Rn. 113-115; ebenso Bundesamt, Entscheidungen Asyl 6/2009, S. 1 f.

Allerdings stellt nicht jede Beeinträchtigung der so verstandenen Ausübung der Religionsfreiheit eine Verfolgung im Sinne der Qualifikationsrichtlinie dar. Art. 9 Abs. 3 QualifikationsRL verlangt vielmehr eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 QualifikationsRL als Verfolgung geltenden Handlungen. Exemplarisch benennt Art. 9 Abs. 2 QualifikationsRL unter anderem: Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (lit. a); gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (lit. b); unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (lit. c).

Unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie ist es dem Glaubenswechsler nicht mehr zuzumuten, öffentlich praktizierten Riten der Glaubensgemeinschaft - etwa Gottesdiensten oder Prozessionen - fernzubleiben, um staatliche Sanktionen zu vermeiden. Der Glaubensangehörige ist nämlich auch verfolgt, wenn er zu unzumutbaren Ausweichhandlungen genötigt ist, um der staatlichen Repression zu entkommen. Das ist der Fall, wenn er sich einer Bestrafung nur entziehen kann, indem er seine Religionszugehörigkeit leugnet und wirkungsvoll versteckt hält.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91 -, juris, Rn. 13 (= DVBl. 1995, 559); OVG NRW, Beschluss vom 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A -, juris, Rn. 27 (= InfAuslR 2008, 411); Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, a. a. O., Rn. 19.

Art. 4 Abs. 3 QualifikationsRL verlangt, jeden Antrag individuell zu prüfen. Der Schutzsuchende wird nach Art. 2 lit. c) QualifikationsRL nur als Flüchtling anerkannt, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung (Art. 9, 10 QualifikationsRL) außerhalb seines Heimatlandes befindet. In welchem Grade die Verfolgung wahrscheinlich sein muss, richtet sich danach, ob der Schutzsuchende verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist.

Ist der Schutzsuchende unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm wegen seiner Nachfluchtgründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt. Dieser Maßstab entspricht im Wesentlichen dem von der Richtlinie vorausgesetzten und auch in der Flüchtlingsdefinition (Art. 2 lit. c QualifikationsRL) angelegten Maßstab.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.3.2007 - 1 C 21.06 -, juris, Rn. 24 (= BVerwGE 128, 199); OVG Saarl., Urteil vom 26.6.2007 - 1 A 222/07 -, a. a. O., Rn. 37; Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, a. a. O., Rn. 21; Sächs. OVG, Urteil vom 3.4.2008 - A 2 B 36/06 -, a. a. O., Rn. 28; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.5.2008 - A 10 S 72/08 -, a. a. O., Rn. 123-125.

Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris, Rn. 37 (= DVBl. 2008, 1255), und Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, juris, Rn. 17 (= NVwZ 1992, 582).

Beruft sich der Schutzsuchende auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht. Erst wenn der Glaubenswechsel die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise prägt, kann ihm nicht angesonnen werden, in seinem Heimatland auf die von Art. 10 Abs. 1 lit. b QualifikationsRL garantierten Rechte zu verzichten, nur um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9.03 -, a. a. O., Rn. 22; Hess. VGH, Urteil vom 26.7.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris, Rn. 20 (= NVwZ-RR 2008, 2008, nur Leitsatz); OVG Saarl., Urteil vom 26.6.2007 - 1 A 222/07 -, a. a. O., Rn. 57, 71; Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, a. a. O., Rn. 15.

Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist, lässt sich nicht allgemein beschreiben. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungs- und ggfs. gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Hat er eine christliche Religion angenommen, genügt es im Regelfall nicht, dass der Schutzsuchende lediglich formal zum Christentum übergetreten ist, indem er getauft wurde. Andererseits kann nicht verlangt werden, dass der Konvertierte so fest im Glauben steht, dass er bereit ist, in seinem Herkunftsland für den Glauben selbst schwere Menschenrechtsverletzungen hinzunehmen. Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition. Überdies wird regelmäßig nur dann anzunehmen sein, dass der Konvertit ernstlich gewillt ist, seine christliche Religion auch in seinem Heimatstaat auszuüben, wenn er seine Lebensführung bereits in Deutschland dauerhaft an den grundlegenden Geboten der neu angenommenen Konfession ausgerichtet hat.

3. Ob und unter welchen Umständen nach diesen Maßgaben einem zum Christentum konvertierten Moslem im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren drohen, beurteilt sich nach den im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats dort herrschenden Verhältnissen (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG). Auf sie schließt der Senat anhand der derzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel.

Aus ihnen ergibt sich, dass moslemische Apostaten, die sich dem Christentum zugewandt haben, im Iran weiterhin einer Verfolgungsgefahr unterliegen, wenn sie eine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position entfalten, die nach außen erkennbar und mit Erfolg ausgeübt wird.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 31.1.2005 - 5 A 343/05.A -, juris, Rn. 18, m. w. N. seiner früheren Rechtsprechung, und vom 20.7.2005 - 5 A 2542/05.A -.

Darüber hinaus sind im Iran derzeit aber auch zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die sich nicht in dieser Weise exponieren, sondern ihre Abkehr vom Islam lediglich dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres neu gewonnenen Glaubens an öffentlichen Riten wie Gottesdiensten, Prozessionen u. ä. teilnehmen wollen. Insofern befindet sich der Senat in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der jüngeren Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, a. a. O., Rn. 21; Sächs. OVG, Urteil vom 3.4.2008 - A 2 B 36/06 -, a. a. O., Rn. 46; Hess. VGH, Urteil vom 28.1.2009 - 6 A 1867/07.A -, juris, zu § 60 Abs. 7 AufenthG; offen gelassen: OVG Saarl., Urteil vom 26.6.2007 - 1 A 222/07 -, a. a. O., Rn. 83.

Bei zusammenfassender Würdigung der aktuellen Verhältnisse im Iran erscheint die Rückkehr dahin aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage eines Iraners, der vom Islam zum Christentum übergetreten ist, derzeit als unzumutbar, wenn er dort seinen christlichen Glauben auch außerhalb von Hausgemeinden praktizieren will.

Die Lage von zum Christentum konvertierten Muslimen war schon seit dem Jahr 2006 von einem Klima der Bedrohung, Einschüchterung und Ausgrenzung geprägt. Es spricht vieles dafür, dass Konvertierte deswegen bereits vor dem Beschluss des staatlichen Apostasieverbots einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt waren. Diese Frage kann allerdings offen bleiben. Für einfache Konvertiten, die ihren neu angenommenen Glauben nach außen zeigen wollen, ist jedenfalls inzwischen die schon angespannte Lage in eine Verfolgungsgefahr umgeschlagen. Für diese Bewertung gewinnt das am 9.9.2008 vom iranischen Parlament beschlossene strafbewehrte Apostasieverbot besonderes Gewicht. Hinzu tritt eine schon seit langem bestehende und weiterhin andauernde Ungewissheit darüber, wie in der Islamischen Republik Iran mit Konvertiten tatsächlich verfahren wird. In diese bereits äußerst gespannte Lage hinein hat nunmehr das Parlament in erster Lesung mit überwältigender Mehrheit den Entwurf eines Gesetzes gebilligt, das Apostasie mit der Todesstrafe bzw. lebenslanger Haft bedroht. In dem Parlamentsbeschluss bringt der Iran seinen Willen zum Ausdruck, in Zukunft den Glaubenswechsel nicht mehr nur als religiöse Entscheidung zu missbilligen, sondern ihn auch mit staatlicher Hoheitsmacht zu verfolgen.

Die Auskunftslage hinsichtlich der Situation religiöser Minderheiten im Iran, insbesondere von zum Christentum konvertierten Muslimen ist zwar bislang durchaus unterschiedlich. Nach der Mehrzahl der jüngeren deutschen und internationalen Stellungnahmen war die Lage für Konvertiten jedenfalls in den letzten beiden Jahren deutlich gefährlicher geworden. Diese Tendenz lässt auch der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amts erkennen, während nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht festzustellen ist, dass sich Konvertiten größeren Gefahren ausgesetzt sahen als früher. Die eher gegen eine Gefährdung sprechenden Quellen berücksichtigen bislang aber kaum die jüngere politische Entwicklung im Iran, die darauf gerichtet ist, das iranische Strafrecht in Glaubensfragen entscheidend zu verschärfen.

Ohne staatliches Apostasieverbot hat der Iran bislang Konvertierte - auch strafrechtlich - verfolgt, wenn sie missionierend oder sonst herausgehoben für das Christentum aufgetreten sind. Ab dem Inkrafttreten eines staatlichen Apostasiestraftatbestandes wird der iranische Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zumindest diejenigen Konvertierten der Strafverfolgung unterwerfen, die durch ihre Teilnahme an öffentlichen christlichen Riten wie Gottesdiensten oder Prozessionen ihre Missachtung des neu eingeführten gesetzlichen Verbots allgemein sichtbar ausdrücken. Die auf diese Weise deutlich zu erkennen gegebene Abkehr vom Islam fordert den iranischen Staat weit mehr heraus, dem von ihm gesetzten Recht auch tatsächliche Geltung zu verschaffen, als die auf Hausgemeinden beschränkte und nur im Verborgenen praktizierte Apostasie.

Aus den Erkenntnissen, die dem Senat vorliegen, ergibt sich im Einzelnen Folgendes:

Nach der Antwort der Bundesregierung vom 16.7.2008 auf eine Große Anfrage, BT-Drs. 16/10009 S. 7, war die Apostasie im Iran bislang nach den staatlichen Gesetzen straffrei. Sie war nur nach den religiösen Geboten untersagt. Inzwischen hat sich die Islamische Republik Iran jedoch angeschickt, die Abkehr vom islamischen Glauben als Tatbestand in das staatliche Strafgesetzbuch aufzunehmen und mit schwersten Strafen zu bedrohen.

Aus dem Bericht der deutschen Botschaft im Iran vom 6.10.2008 (530 IRN 061940) geht hervor, dass das iranische Parlament am 9.9.2008 mit einer Mehrheit von 196 zu 7 Stimmen in erster Lesung einen Gesetzentwurf beschlossen hat, durch den der Abfall vom islamischen Glauben in das iranische Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll. Männliche Apostaten müssen mit der Todesstrafe rechnen, weibliche Abtrünnige sollen zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Nach einer von der Botschaft als "vorläufig und frei" gekennzeichneten Übersetzung des Gesetzentwurfs heißt es im Fünften Abschnitt unter der Überschrift "Apostasie, Ketzerei und Zauberei" unter anderem:

"Art. 225-1 Jeder Muslim, der eindeutig verkündet, dass er oder sie den Islam verlassen hat und sich zum Unglauben bekennt, ist ein Apostat. (...)

Art. 225-4 Ein Fetri-Apostat ist jemand, bei dem zumindest ein Elternteil zum Zeitpunkt der Zeugung Moslem war, der sich selbst nach Erreichung seiner Volljährigkeit als Muslim bezeichnet und später den Islam verlässt. (...)

Art. 225-7 Die Bestrafung für einen Fetri-Apostaten ist der Tod. (...)

Art. 225-10 Die Strafe für abtrünnige Frauen ... ist lebenslängliche Haft. Während der Haft sollen der Verurteilten ... besonders erschwerte Lebensbedingungen auferlegt werden. ...

Art. 225-14 Die Beihilfe zu Straftaten dieses Kapitels ist ... mit bis zu 74 Peitschenhieben zu bestrafen".

Obwohl der Glaubensabfall nach dem Recht der Scharia bereits heute zu einer Verurteilung führen könne, geht die deutsche Botschaft von einer deutlichen Verschärfung der geltenden Rechtslage aus, weil die Apostasie erstmals durch kodifiziertes staatliches Recht unter Strafe gestellt werden solle. Es bestehe die Gefahr, dass die bislang geltende Direktive des Chefs der iranischen Judikative, Ayatollah Sharoudi, niemanden wegen Religionswechsels anzuklagen oder zu verurteilen, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes kurzfristig zurückgenommen werde.

Der Botschaftsbericht führt weiter aus, das bisher nur religiöse Apostasieverbot werde ausgeweitet. Anders als früher falle nach der vom Parlament angestrebten neuen Rechtslage sogar eine lediglich private Abkehr vom Islam unter den Apostasietatbestand. Auch wer die verpflichtende Wirkung der wichtigsten Glaubensprinzipien leugne, sei nach herrschender Meinung abtrünnig. Da es sich bei der Apostasie um ein Hadd-Delikt - göttlich gesetztes, schon immer geltendes Recht - handele, verhindere auch das Rückwirkungsverbot nicht, dass vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Konvertierte nach dieser Vorschrift bestraft würden.

Die deutsche Botschaft hält die Verabschiedung des Gesetzes für wahrscheinlich. Aus ihrer Sicht gibt es keine Gründe, aus denen der Gesetzentwurf bei der derzeitigen konservativen Zusammensetzung der beteiligten Verfassungsorgane scheitern könnte. Diese Erkenntnisse haben auch Niederschlag im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Lagebericht) des Auswärtigen Amtes vom 23.2.2009 gefunden (vgl. dort, S. 26).

In vergleichbarer Weise äußert sich der Sachverständige Dr. Jörn Thielmann vom Kompetenzzentrum Orient Okzident der Universität Mainz in seinem Gutachten vom 26.9.2008 an das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 2 B 48/07). Er vertritt mit Verweis auf das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Strafbarkeit der Apostasie die Auffassung, ein Konvertit habe im Falle seiner Rückkehr in den Iran mit Inhaftierung, körperlichen Übergriffen etc. durch iranische Sicherheitsorgane zu rechnen. Bislang sei das Risiko lediglich getaufter Konvertiten am geringsten gewesen. Es werde unter dem neuen Gesetz aber drastisch ansteigen. Dann sei jeder Konvertit, ob praktizierend oder nicht, von der Todesstrafe bedroht. Eine ganz ähnliche Einschätzung vertrat bereits zuvor der Sachverständige Uwe Brocks, Hamburg, in seiner Auskunft vom 5.6.2008 an den Hess. VGH (Az. 6 UE 1147/07.A).

Die Berichte des Bundesamts und frühere Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, die das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des Apostasiestraftatbestandes noch nicht schwerpunktmäßig berücksichtigen, zeichnen ein von den bisher genannten Quellen abweichendes Bild der Lage der zum Christentum konvertierten Muslime im Iran. Noch in seinem Lagebericht vom 18.3.2008 erwähnt das Auswärtige Amt diesen Punkt eher am Rande. Mitglieder religiöser Minderheiten, denen auch zum Christentum konvertierte Muslime angehörten, könnten zwar staatlichen Repressionen ausgesetzt seien. Sie würden jedoch nur wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgegrenzt. Selbst missionierenden Christen drohten keine darüber hinausgehenden Gefahren, sofern es sich nicht um Kirchenführer oder in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen handele (Lagebericht 2008, S. 20). Wegen Apostasie sei zuletzt im Jahr 2002 ein regimekritischer Hochschulprofessor zum Tode verurteilt worden. Das Urteil sei aber inzwischen in eine Haftstrafe umgewandelt worden. Die Vollstreckung der Todesstrafe wegen Apostasie sei in den letzten Jahren nicht mehr bekannt geworden (Lagebericht 2008, S. 31).

Im Lagebericht vom 23.2.2009 ist dagegen die Rede davon, in Einzelfällen sei es zu Übergriffen gegen konvertierte Muslime gekommen. Repressionen beträfen missionierende Christen unabhängig davon, ob diese zuvor konvertiert seien. Zugleich äußert das Auswärtige Amt die Befürchtung, es sei nicht zu erwarten, dass der Entwurf über die Bestrafung der Apostasie im Sinne der Menschenrechte "verbessert" werden könnte (Lagebericht 2009, S. 23 und 26).

Nach den Erkenntnissen des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamts von September 2008, die auf Gesprächen mit dem Leiter der assyrischen Pfingstkirche (Assembly of God) in Teheran, beruhen, solle der Entwurf des Apostasiestrafgesetzes lediglich zur Abschreckung potenzieller Konvertiten dienen. Er werde das Schicksal anderer Entwürfe teilen, die niemals verabschiedet worden seien. Der Geistliche habe weiter erklärt, die Situation der Christen habe sich nicht wesentlich verändert. Etwa drei Viertel seiner Gottesdienstbesucher seien Muslime oder ehemalige Muslime. Die Sicherheitskräfte seien bisher nicht gegen Gottesdienstbesucher vorgegangen; Personalienfeststellungen habe es nicht gegeben. Eine vergleichbare Lagebeschreibung lässt sich dem Sonderbericht: Christen in der islamischen Republik Iran des Bundesamts vom November 2008 entnehmen (vgl. S. 13 f., 25, 28). Der Bericht gibt aber auch Einschätzungen von Leitern iranischer christlicher Gemeinden wieder, die eine Verschärfung der Situation von Konvertiten beobachten (vgl. S. 17, 22 f.).

Die Auskünfte des Auswärtigen Amtes und die Erkenntnisse des Bundesamts können die verschiedenen - auch internationalen - Berichte nicht entkräften. Mithilfe zahlreicher Einzelfeststellungen zeichnen Letztere ein dichtes Bild der Lage der Christen im Iran. Jedenfalls für die jüngere Zeit gehen sie übereinstimmend davon aus, dass Muslime, die zum Christentum konvertiert sind, im Iran Gefahr laufen, wegen ihres Glaubenswechsels menschenrechtswidrig behandelt zu werden. Dementsprechend hat das Bundesamt ungeachtet der eigenen abweichenden Erkenntnisse in zahlreichen Fällen, die beim Senat anhängig waren, auf eine entsprechende Anfrage konvertierten Muslimen aus dem Iran den Flüchtlingsschutz zuerkannt. Die Quellen, auf denen die gegenteiligen Auskünfte und Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes und des Bundesamts beruhen, sind nicht so aussagekräftig, dass sie ein davon abweichendes Bild der tatsächlichen Lage im Iran vermitteln könnten. Soweit nach dem Sonderbericht des Bundesamts Vertreter christlicher Gemeinden eine Gefährdung von Konvertiten in Abrede stellen, sind diese Aussagen auch vor dem Hintergrund des traditionell guten Verhältnisses anerkannter Religionsgemeinschaften zum iranischen Staat zu würdigen, das durch abweichende Angaben in der Öffentlichkeit gefährdet würde.

Der Senat verweist beispielhaft auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.8.2008 an das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 2 B 48/07). Gestützt auf Rückfragen bei Kirchenführern und beim bisherigen Vorsitzenden des parlamentarischen Justizausschusses der Majlis erklärte das Auswärtige Amt zu dem Entwurf eines Apostasiestrafgesetzes, von dem seit Februar 2008 sogar international die Rede war, "es könne nicht davon ausgegangen werden, dass mit einer baldigen Beschlussfassung zu rechnen (sei). Diese Auffassung (werde) auch von der überwiegenden Mehrheit der Kirchenleitungen der christlichen Glaubensgemeinschaften in der Islamischen Republik Iran geteilt." Nicht einmal drei Wochen später beschloss das iranische Parlament in erster Lesung das Apostasiegesetz mit überwältigender Mehrheit.

Ist ein bestimmtes Verhalten im Heimatland des Schutzsuchenden mit Strafe bedroht, kommt es für die Beurteilung einer politischen Verfolgungsgefahr wegen befürchteter Bestrafung im Heimatstaat in erster Linie auf die konkrete Rechtspraxis des Verfolgerstaates und nicht auf die abstrakte Rechtslage an.

Vgl. BVerwG Beschluss vom 29.3.2000 - 9 B 128.00 -, juris, Rn. 8 (= Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 233), m. w. N. zu seiner früheren Rechtsprechung.

Solange - wie hier - wegen einer bevorstehenden grundlegenden Änderung der Rechtslage eine Rechtspraxis weder existiert noch sich hinreichend sicher abschätzen lässt, kann sie die Prognoseentscheidung nicht beeinflussen. Mit Blick auf das Schutzanliegen des Flüchtlingsrechts tritt vielmehr in solchen Fällen die zu erwartende Rechtslage weitgehend an die Stelle der sonst ausschlaggebenden Rechtspraxis. Die normalerweise eher im Hintergrund stehende abstrakte Rechtslage gewinnt umso mehr an Bedeutung, je schwerwiegender die nach ihr zukünftig zu besorgenden Maßnahmen ausfallen und je mehr der Heimatstaat des Ausländers das künftig strafbare Verhalten bereits früher zum Anlass staatlicher Sanktionen genommen hat. Danach ist die Rechtslage nach der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Verabschiedung des Apostasiegesetzes besonders bedeutsam. Der Glaubenswechsel soll mit den schwersten Strafen bedroht werden. Der Iran hat zudem bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er Konvertierte auch mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt.

Der Umstand, dass kaum Verurteilungen wegen Glaubensabfalls bekannt geworden sind, lässt nicht den Schluss zu, die Konversion sei in der Vergangenheit straffrei geblieben. In seinem Lagebericht teilt das Auswärtige Amt mit, dass im Iran häufig konstruierte oder vorgeschobene Straftaten anstelle des eigentlichen Tatgeschehens angeklagt und verurteilt würden (Lagebericht 2009, S. 26 f.). Den Auskünften und Erkenntnissen lässt sich nicht entnehmen, dass diese bei Oppositionellen offenbar nicht selten geübte Praxis bei Apostaten ausgeschlossen ist. Nach anderen Quellen ist vielmehr naheliegend, dass in Fällen des Glaubenswechsels ähnlich verfahren wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.1.2006 - 1 B 76.06 -, Beschlussabdruck, Rn. 4; siehe auch Amnesty International, Auskunft vom 7.7.2008 an das Verwaltungsgericht Mainz (3 K 640/06.MZ) sowie Barbara Svec, Schwerpunkt: Christen im Iran, Asylmagazin 4/2007, 10, 12, www.asyl.net unter Hinweis auf das Themenpapier "Christen und Christinnen im Iran" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 18.10.2005, S. 15 u. 17.

Daraus, dass in den letzten Jahren nur in Einzelfällen von Übergriffen berichtet worden ist und keine Verurteilungen wegen Glaubenswechsels mehr registriert worden sind, lässt sich aus einem weiteren Grund nicht mit der erforderlichen Gewissheit herleiten, künftig werde es wegen der Abkehr vom Islam nicht zu Bestrafungen kommen. Nach dem Botschaftsbericht vom 6.10.2008 gab es bislang kaum Anklagen und Verurteilungen wegen Apostasie, weil der oberste iranische Richter eine Nichtanwendung der entsprechenden religiösen Vorschriften im Strafverfahren angeordnet hatte. Der Bericht bezweifelt allerdings nachvollziehbar, dass das Nichtanwendungsgebot künftig aufrechterhalten wird, wenn die Apostasie auch nach staatlichem Recht strafbar ist. Soweit das Bundesamt sich die Auffassung des Leiters der Assembly of God zu eigen macht, der Gesetzentwurf diene nur der Abschreckung und werde ohnehin nicht verwirklicht, handelt es sich um eine nicht näher belegte Mutmaßung. Für deren Richtigkeit spricht angesichts des Parlamentsbeschlusses vom 9.9.2008 wenig.

Der Parlamentsbeschluss fällt in eine Zeit, für die der International Religious Freedom Report 2008 des U.S. Department of State vom 19.9.2008 (www.state.gov/g/drl/rls/irf/) feststellt, dass im Iran seit Juli 2007 die Achtung vor der Religionsfreiheit weiter geschwunden sei (wird ausgeführt). Von den meisten der geschilderten Maßnahmen des iranischen Staates gegen evangelikale Christen und Konvertiten hatte die Schweizerische Flüchtlingshilfe bereits in ihrem Themenpapier "Christen und Christinnen im Iran" vom 18.10.2005 berichtet. Das "Update Iran" vom 2.8.2006 hat diesbezüglich keine Verbesserungen festgestellt. Die amerikanischen und schweizerischen Angaben decken sich weitgehend mit denen des Country of Origin Information Report IRAN der britischen UK Border Agency (Home Office) vom 15.8.2008 (www.homeoffice.gov.uk) (wird ausgeführt).

Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e. V., bestätigt in seiner Auskunft vom 7.7.2008 an das VG Mainz (3 K 640/06.MZ), dass evangelikale Christen im Iran drangsaliert, festgenommen, verhört, ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, misshandelt und gefoltert sowie mitunter angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt worden seien. Die Organisation führt verschiedene Beispiele aus den letzten Jahren auf, in denen fast ausschließlich Konvertiten, die in unabhängigen freikirchlichen, evangelikalen Hausgemeinden ihren Glauben praktiziert hätten, Opfer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen sowie von nichtstaatlichen Übergriffen geworden seien. Für evangelikale Christen und Konvertiten sei es nicht möglich, ihre Religion ungehindert auszuüben, selbst wenn sie sich auf Zusammenkünfte in Hauskirchen beschränkten. Unter Berufung auf die Berichte des UN-Sonderberichterstatters für Religions- und Glaubensfreiheit aus den Jahren 2005 bis 2008 stellt die Organisation fest, dass sich die Lage der religiösen Minderheiten, insbesondere der evangelikalen Christen und Konvertiten seit dem Amtsantritt des Präsidenten Ahmadinejad verschlechtert habe. Abschließend werden unter Angabe von Einzelheiten zahlreiche Fälle mitgeteilt, in denen vorwiegend evangelikale Christen oder Konvertierte ohne erkennbaren Anlass festgenommen und teilweise misshandelt worden seien. Bis etwa zum Sommer des Jahres 2006 seien danach nur herausgehoben Tätige - etwa Prediger, Pfarrer oder Hausgemeindeleiter - Opfer der staatlichen Übergriffe geworden. Für die Zeit danach, insbesondere für das Jahr 2008, berichtet Amnesty International in verschiedenen Einzelberichten davon, dass über diesen Personenkreis hinaus auch einfache Gemeindemitglieder zum Ziel repressiver Behördenmaßnahmen geworden seien. Manche Konvertiten befänden sich zum Zeitpunkt der Abfassung des Berichts noch in Haft oder seien nur gegen Zahlung hoher Kautionen wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Zahlreiche ähnliche Berichte von Fällen, die sich bis Anfang 2007 ereignet haben, enthält die zusammenfassende Übersicht "Schwerpunkt: Christen im Iran" von Barbara Svec, Länderreferentin Iran in der Dokumentationsstelle für Herkunftsländer des österreichischen Roten Kreuzes ACCORD (Asylmagazin 4/2007, www.asyl.net).

4. Hiernach droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Iran eine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Der Senat geht unter Würdigung des gesamten Akteninhalts davon aus, dass der Kläger in Deutschland auf Grund einer echten Glaubensentscheidung vom Islam zum Christentum konvertiert ist und der christliche Glaube inzwischen seine religiöse Identität prägt (wird ausgeführt).

Danach steht zu erwarten, dass der Kläger auch im Iran seiner neu gewonnenen Glaubensüberzeugung folgen wird und öffentliche Gottesdienste besuchen will. Wird das Apostasiestrafgesetz - was mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist -endgültig verabschiedet, bringt sein Glaubenswechsel ihn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung einschließlich der Verhängung der Todesstrafe. Da der christliche Glaube inzwischen die religiöse Identität des Klägers prägt, ist es ihm nicht zuzumuten, diesen zu verheimlichen, zu verleugnen oder öffentliche Gottesdienste nicht mehr zu besuchen, um der drohenden Gefahr zu entgehen.

5. § 28 Abs. 2 AsylVfG steht der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegen. Diese Bestimmung schließt "in der Regel" die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur auf Grund von Nachfluchtgründen aus, die der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, juris, Rn. 14.

Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil der Kläger bereits im Januar 2001 getauft wurde, das Ausgangsverfahren jedoch erst im Oktober 2001 durch Klagerücknahme seinen Abschluss gefunden hat. Ungeachtet dessen beruht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rechtssinne nicht auf einem möglichen selbst geschaffenen Nachfluchtgrund in Form der Taufe, weil diese seinerzeit nicht geeignet war, eine beachtliche Verfolgungslage zu begründen. Dementsprechend liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erst auf Grund der vom Kläger nicht beeinflussbaren Änderung der Rechtslage zu seinen Gunsten vor. Diese ist zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Kläger seinen Glaubenswechsel längst vollzogen hatte und auch tatsächlich regelmäßig am christlichen Gemeindeleben teilnahm.

Abgesehen davon lässt sich eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Folgeverfahrens, der § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegenwirken soll, nicht feststellen. Der Senat geht davon aus, dass er sich auf Grund einer ernstlichen Gewissensentscheidung und nicht lediglich aus asyltaktischen Gründen vom Islam ab- und dem Christentum zugewandt hat. Hierfür spricht auch, dass sein Glaubensübertritt schon im Januar 2001 erfolgt ist, er diesen aber erst viele Monate später im Oktober 2001 erstmals in einem Asylverfahren geltend gemacht hat.

Ende der Entscheidung

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