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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.01.2002
Aktenzeichen: 5 B 12/02
Rechtsgebiete: GG, VersammlG, StGB
Vorschriften:
GG Art. 5 | |
GG Art. 8 | |
VersammlG § 15 Abs. 1 | |
StGB § 86 Abs. 1 Nr. 4 | |
StGB § 130 Abs. 3 |
Tatbestand:
Mit sofort vollziehbarer Verbotsverfügung untersagte der Antragsgegner eine unter dem Motto "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" angemeldete Neonazi-Demonstration an der Wewelsburg. Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung ab. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Gründe:
Es spricht nach summarischer Prüfung alles dafür, dass die angegriffene Verbotsverfügung rechtmäßig ist. Von der Versammlung geht nach aktueller Sachlage eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus, die die erlassene Verbotsverfügung gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG rechtfertigt.
1. Der Antragsgegner ist in seiner Verbotsverfügung zutreffend davon ausgegangen, dass die geplante Versammlung wegen Verstoßes gegen strafrechtliche Bestimmungen - auch - die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet. Der vom Antragsteller gewählte Ort Wewelsburg diente in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Kult- und Terrorstätte der SS und der Waffen-SS. Die Wewelsburg selbst wurde ab 1934 zu einem Zentrum der NS-Ideologie und einer Weihestätte für tote SS-Angehörige ausgebaut. Zur Durchführung der notwendigen Arbeiten wurde im Jahre 1939 ein Kommando des Konzentrationslagers Sachsenhausen nach Wewelsburg verlegt. Nach dem Anstieg der Häftlingszahlen wurde das Lager im Jahre 1941 zum selbstständigen Konzentrationslager "Niederhagen" erhoben. Von den insgesamt 3900 KZ-Häftlingen, die in das Wewelsburger Lager verbracht wurden, kamen mindestens 1285 Häftlinge, deren Sterbeurkunden erhalten sind, durch willkürliche Tötungen, Unterernährung und unmenschliche Haftbedingungen ums Leben.
Vgl. Dokumentation der Gedenkstätten für NS-Opfer in Deutschland, "Wewelsburg 1933 - 45, Kult- und Terrorstätte der SS", http://www.topographie.de/ gedenkstaettenforum/uebersicht/d-31.htm.
Die bewusste Auswahl dieses symbolträchtigen Versammlungsortes und das die KZ-Opfer und ihre Hinterbliebenen verhöhnende Versammlungsmotto "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" lassen auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zur Notwendigkeit der Auslegung gegebenenfalls mehrdeutiger Meinungsäußerungen, vgl. dazu BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 24.3.2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, 2069, 2074, nur den Schluss darauf zu, dass der Antragsteller durch seine Einladung zu der betreffenden Versammlung per Internet und durch die Versammlung selbst Propagandamittel verbreitet bzw. verbreiten will, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen - hier der SS und der Waffen-SS - fortzusetzen. Derartige Handlungen sind nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar und gefährden unmittelbar die öffentliche Sicherheit. Nach Auffassung der Senats erfüllen die im Internet verbreitete Einladung zu der geplanten Versammlung und die geplante Versammlung selbst darüber hinaus den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB. Die Glorifizierung des "Ruhms und der Ehre der Waffen-SS" in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Konzentrationslagers, in dem unter dem Terror des NS-Regimes mehr als 1000 KZ-Häftlinge den Tod fanden, kann angesichts der örtlichen Gesamtumstände nur als konkludente Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der dort begangenen Verbrechen verstanden werden.
Die Einlassung des Antragstellers, Wachmannschaften des Konzentrationslagers Niederhagen seien von der sog. allgemeinen SS, nicht aber von der Waffen-SS gestellt worden, rechtfertigt keine andere Bewertung. Zum einen stellt die vom Antragsteller bewusst gewählte räumliche Nähe zu einem ehemaligen KZ in Verbindung mit dem fraglichen Motto eine untrennbare Verknüpfung zu den im Lager von SS-Verbänden begangenen Gräueltaten her, mögen diese nun von Angehörigen der sog. allgemeinen SS oder aber von Mitgliedern der Waffen-SS begangen worden sein. Zum anderen ignoriert die fragliche Einlassung des Antragstellers die geschichtlichen Gegebenheiten. Die SS-Wachmannschaften der Konzentrationslager erhielten im Jahre 1936 allgemein die Bezeichnung "SS-Totenkopfverbände". Sog. SS-Verfügungstruppen und SS-Totenkopfverbände bildeten zusammen die bewaffneten Verbände der SS. Die bewaffneten Verbände der SS wurden ab Ende 1939 allgemein als "Waffen-SS" bezeichnet, von denen bestimmte Verbände auch in den Konzentrationslagern eingesetzt wurden.
Vgl. auch Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1984, S. 430.
Zwischen den Wachmannschaften der Konzentrationslager und den Kampfverbänden der Waffen-SS erfolgte zudem laufend ein Personalaustausch, wobei die Rotation zwischen Lager- und Frontdienst in beide Richtungen einen entscheidenden Anteil daran hatte, das im Krieg entfesselte Gewaltpotenzial in die Konzentrationslager zu tragen und damit das dortige Terrorregime weiter zu vergrößern.
Vgl. Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann (Hrsg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Göttingen 1998; vgl. auch die Dokumentation der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (http://www.flossenbuerg.de/ infozentrum/flbg_13.htm), in der die Wachmannschaften der Konzentrationslager als Keimzelle der Waffen-SS und der Wachdienst in den Lagern als wichtiger Bestandteil der Ausbildung bezeichnet werden.
Zur Einstufung der Waffen-SS als verbrecherische Organisation durch das Nürnberger Internationale Militärtribunal führte ferner nicht nur ihre Beteiligung am Völkermord in den besetzten Gebieten, sondern ausdrücklich auch die vom Internationalen Militärtribunal festgestellte Befehlsgewalt der Waffen-SS über die Mannschaften der Konzentrationslager, nachdem die SS-Totenkopfverbände in ihr aufgegangen waren.
Internationales Militärtribunal, XXII, S. 587, zitiert nach Heinze/Schilling, Die Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, 1952, Rz. 1283.
Der Umstand, dass die Verbände der Waffen-SS nicht nur aus Freiwilligen bestanden, veranlasste das Nürnberger Internationale Militärtribunal nicht dazu, den verbrecherischen Charakter der Waffen-SS als Organisation zu verneinen, sondern nur dazu, die zwangsweise eingezogenen Mitglieder dieser Verbände nicht als Angehörige dieser verbrecherischen Organisation zu behandeln.
Internationales Militärtribunal, VI, 16 203 f., zitiert nach Heinze/Schilling, Die Rechtsprechung der Nürnberger Militärtribunale, 1952, Rz. 1288.
Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der vom Antragsteller bewusst gewählten Nähe zu einem ehemaligen Konzentrationslager ist es ausgeschlossen, das Versammlungsmotto "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" in einem anderen, dem Antragsteller günstigeren Sinne auszulegen.
2. Unabhängig davon konnte die geplante Versammlung auch wegen unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ordnung gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG rechtmäßig verboten werden.
Vgl. zum Verbot neonazistischer Versammlungen unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung im Einzelnen OVG NRW, Beschlüsse vom 23.3.2001 - 5 B 395/01 -, NJW 2001, 2111; vom 12.4.2001 - 5 B 492/01 -, NJW 2001, 2113; vom 30.4.2001 - 5 B 585/01 -, NJW 2001, 2114; Senatsbeschluss vom 29.6.2001 - 5 B 832/01 - sowie Battis/Grigoleit, NJW 2001, 2051 ff. in kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG; vgl. ferner von Roetteken, Kritische Justiz 2001, 330 ff., der unter Heranziehung von Art. 1, 9 Abs. 2, 26 S. 1 GG und des von Deutschland ratifizierten Internationalen Übereinkommens vom 7.3.1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, BGBl. II 1969, S. 961, neonazistischen Versammlungen generell das in Art. 8 Abs. 1 GG genannte Merkmal der Friedlichkeit abspricht.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Beschluss des VG und in der Verbotsverfügung des Antragsgegners Bezug. In Übereinstimmung damit ist die angefochtene Verbotsverfügung rechtmäßig, weil von der vom Antragsteller unter dem Motto "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" beabsichtigten Versammlung in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Konzentrationslagers und einer Kultstätte der SS eine nicht hinnehmbare Provokationswirkung und eine Verhöhnung der KZ-Opfer und ihrer Hinterbliebenen ausgehen würde.
Ende der Entscheidung
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