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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.02.2002
Aktenzeichen: 5 B 278/02
Rechtsgebiete: GG, PolG NRW


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 11 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 1
PolG NRW § 34a
Zur Interessenabwägung in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Wohnungsverweisung nach § 34a PolG NRW.
Tatbestand:

Die Beigeladene rief die Polizei zu Hilfe, weil der Antragsteller, ihr Lebensgefährte, sie körperlich misshandele und massiv bedrohe. Die Beamten des Antragsgegners verwiesen den Antragsteller daraufhin der Wohnung und sprachen ihm gegenüber ein zehntägiges Rückkehrverbot aus.

Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die polizeiliche Anordnung blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das VG hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die polizeiliche Anordnung über die Wohnungsverweisung und das Rückkehrverbot vom 12.2.2002 anzuordnen, zu Recht abgelehnt. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem gleichgerichteten Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung einerseits und dem Interesse des Antragstellers andererseits, vorläufig von der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung verschont zu bleiben, fällt zu Lasten des Antragstellers aus.

Der Senat geht mit dem VG davon aus, dass sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache nicht verlässlich beurteilen lassen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergeben sich auf Grund einer vorläufigen Bewertung keine durchgreifenden Bedenken gegen die der Verfügung zu Grunde gelegte Ermächtigung in § 34a Abs. 1 PolG i.d.F. von Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes vom 18.12.2001 (GV NRW S. 870). Die gesetzliche Regelung greift zwar nachhaltig in die durch Art. 13 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Grundrechtssphäre der regelungsbetroffenen Personen ein. Dieser Eingriff dürfte durch die Zielrichtung der gesetzlichen Regelung aber gerechtfertigt sein. § 34a PolG bezweckt, Opfern häuslicher Gewalt einen verbesserten Schutz vor Gewalttätigkeiten zu bieten, der den häufig erst mit zeitlicher Verzögerung erreichbaren zivilrechtlichen Rechtsschutz flankieren soll. Die Bestimmung dient damit dem Schutz der Grundrechte des Opfers auf Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 GG. Die Ausgestaltung der Vorschrift im Einzelnen, namentlich die normierten Eingriffsvoraussetzungen und die zeitliche Beschränkung der ermöglichten behördlichen Anordnungen, sind darauf angelegt, einen verhältnismäßigen Ausgleich der berührten Grundrechtssphären zu erzielen. Dass dieses Ziel verfehlt worden wäre, ist nicht ersichtlich.

Ob die in § 34a Abs. 1 PolG festgelegten Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten vorliegen, lässt sich mit Rücksicht auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht abschließend feststellen. Es sprechen aber gewichtige Anhaltspunkte für die Richtigkeit der polizeilichen Gefahrenprognose. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Polizei bei Gewalttaten, die sich im häuslichen Bereich und damit typischerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit abspielen, für ihre Beurteilung der Sachlage in besonderem Maße auf Feststellungen angewiesen ist, die sich bei den unmittelbar beteiligten Personen treffen lassen. Die Beigeladene hat den Antragsteller im Zusammenhang mit ihrer Strafanzeige vom 12.2.2002 schwer belastet. Sie hat sowohl auf aktuelle körperliche Übergriffe und Bedrohungen als auch auf schwer wiegende körperliche Misshandlungen in der Vergangenheit hingewiesen, die sich über einen Zeitraum von vielen Jahren erstreckt haben sollen. Dem steht die Erklärung des Antragstellers gegenüber, die Behauptungen der Beigeladenen seien haltlos und dienten nur dazu, ihn aus der Wohnung zu drängen. Für die Würdigung dieser gegensätzlichen Bekundungen ist zu berücksichtigen, dass zurückliegende Drohungen und körperliche Angriffe von der Tochter der Beigeladenen, die bis vor zwei Jahren im Haushalt des Antragstellers und der Beigeladenen lebte, ausdrücklich bestätigt worden sind. Das spricht, obwohl die polizeilichen Einsatzbeamten keine Spuren von Gewaltanwendung bei der Beigeladenen feststellen konnten, für die Richtigkeit der von ihr erhobenen Vorwürfe, zumal häusliche Gewalt oftmals kein einmaliges Vorkommnis, sondern im Gegenteil ein Seriendelikt mit Tendenz zur Steigerung darstellt (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drs. 13/1525 S. 11 zu Nr. 5 Abs. 1). Gewissheit über den Wahrheitsgehalt der von der Antragstellerin erhobenen Vorwürfe lässt sich bei summarischer Prüfung gleichwohl nicht gewinnen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die - freilich sehr knappe und allgemein gehaltene - Erklärung ihres Sohnes, der noch im Haushalt des Antragstellers und der Beigeladenen wohnt und schriftlich bekundet hat, dass der Antragsteller "sich ruhig verhält und meiner Mutter nichts tut".

Da die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache nicht abschließend beurteilt werden können, stützt sich der Senat für seine Entscheidung maßgeblich auf eine Abwägung der Folgen, die sich im Falle einer Stattgabe oder Zurückweisung der Beschwerde ergäben. Sollte sich nach Zurückweisung der Beschwerde die Unrichtigkeit der polizeilichen Gefahrenprognose herausstellen, so würde das bedeuten, dass der Antragsteller zu Unrecht gravierende Beeinträchtigungen seiner persönlichen Sphäre hätte hinnehmen müssen. Ihm wäre es dann verwehrt gewesen, die Wohnung, die seinen Lebensmittelpunkt bildet und in der sich seine persönliche Habe befindet, als Unterkunft zu nutzen. Dass damit erhebliche Unzuträglichkeiten auch über die Notwendigkeit, sich eine andere - provisorische - Bleibe zu suchen, hinaus verbunden sind, steht außer Frage. Dies gilt um so mehr, als die angegriffene Anordnung sich über die Wohnung hinaus auf das gesamte Haus erstreckt, in dem nahe Verwandte des Antragstellers wohnen. Das Gewicht dieser Beeinträchtigungen wird allerdings - worauf das VG bereits hingewiesen hat - deutlich dadurch relativiert, dass die Wohnungsverweisung sich nur auf einen begrenzten Zeitraum bezieht.

Würde der Beschwerde stattgegeben und realisierten sich dann die polizeilich prognostizierten Gefahren, so ergäben sich weitaus schwerer wiegende Konsequenzen. Mit Blick auf die von der Beigeladenen geschilderten früheren körperlichen Übergriffe und die massiven Bedrohungen, die der Antragsteller ausgesprochen haben soll, wären unter diesen Umständen schwere Beeinträchtigungen zumindest ihrer körperlichen Unversehrtheit in Rechnung zu stellen. Angesichts dessen muss das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs zurücktreten.

Ende der Entscheidung

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