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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.06.2009
Aktenzeichen: 5 B 464/09
Rechtsgebiete: OBG NRW, OWiG
Vorschriften:
OBG NRW § 14 | |
OWiG § 119 | |
OWiG § 120 |
2. Ist auf einem Kleinlastwagen aufdringliche und damit ordnungswidrige Werbung für ein Erotik-Portal angebracht, so ist die ordnungsbehördliche Anordnung, das Fahrzeug aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, solange die Werbung auf ihm angebracht ist, bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
Tatbestand:
Der Antragsteller betreibt ein Erotik-Portal in Internet und wirbt dafür mit einem Kleinlastwagen, auf dem neben der Internetadresse großformatige Abbildungen weitgehend entblößter Frauen aufgebracht sind. Der Antragsgegner gab dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, seinen Kleinlastwagen aus dem öffentlichen Straßenraum und von anderen öffentlich einsehbaren Flächen zu entfernen, solange die Werbung darauf angebracht ist. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner gegen die Anordnung gerichteten Klage wiederherzustellen, blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers genügt die Vollziehungsanordnung in der angefochtenen Verfügung dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. In der Begründung einer Vollziehungsanordnung hat die Behörde schlüssig, konkret und substantiiert darzulegen, aufgrund welcher Erwägungen sie gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung als gegeben ansieht und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat. Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner genügt, indem er zum einen darauf hingewiesen hat, dass es zu erneuten "Meldungen" über die auf dem Fahrzeug des Antragstellers aufgebrachte Werbung gekommen ist, und indem er zum anderen auf die nicht mehr hinnehmbare Konfrontation einer unbegrenzten Zahl von Menschen mit der in Rede stehenden Werbung abgestellt hat.
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der für notwendig erachteten Maßnahmen fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Das VG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die angegriffene Ordnungsverfügung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ihre Rechtsgrundlage in § 14 OBG NRW findet. Die Verwendung des Kleinlastwagens des Antragstellers mit der derzeit darauf angebrachten Werbung im öffentlichen Straßenverkehr und auf anderen öffentlich einsehbaren Flächen verstößt gegen § 119 Abs. 1 und 3 OWiG.
Nach § 119 Abs. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer öffentlich in einer Weise, die geeignet ist, andere zu belästigen, oder in grob anstößiger Weise durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen oder durch das öffentliche Zugänglichmachen von Datenspeichern Gelegenheit zu sexuellen Handlungen anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt. Nach § 19 Abs. 3 OWiG handelt ferner ordnungswidrig, wer öffentlich Schriften, Ton- oder Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen oder Darstellungen sexuellen Inhalts an Orten ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, an denen dies grob anstößig wirkt. Eine Belästigung im Sinne des Absatzes 1 ist eine nicht nur geringfügige Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Eine grob anstößige Wirkung ist dann anzunehmen, wenn die jeweilige Handlung in einer Weise aufdringlich ist, dass sie auch - unter Berücksichtigung gewandelter gesellschaftlicher Wertungen bei der Beurteilung sexueller Verhaltensweisen - nicht mehr zumutbar erscheint.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.7.1987 - 9 A 2529/86 -, NJW 1988, 787, 789.
Die in Rede stehende Werbung ist nach diesen Maßstäben geeignet, andere mehr als nur geringfügig zu belästigen. Mit ihr wird zudem in grob anstößiger Weise durch Verbreitung von Abbildungen oder Darstellungen Gelegenheit zu sexuellen Handlungen angekündigt. Dass die Werbung dazu angetan ist, auf Dritte, insbesondere auf Kinder und Jugendliche belästigend und grob anstößig zu wirken, ergibt sich aus der besonderen Größe und Aufdringlichkeit der auf dem Fahrzeug angebrachten entwürdigenden Darstellungen. Den insoweit angeführten Erwägungen des Antragsgegners, die Werbung überschreite das gebotene Maß an Zurückhaltung und die abgebildeten Frauen würden zu einem beliebig austauschbaren Sexualobjekt herabgestuft, ist zuzustimmen. Die großformatige Abbildung auf der Hecktür des Fahrzeugs stellt bereits durch ihre Größe sowie die Perspektive und die Wahl des gezeigten Ausschnitts das Geschlechtliche in den Vordergrund und würdigt die dargestellte nahezu unbekleidete Frau zum Objekt geschlechtlicher Begierde herab. Die Abbildung zeigt das entblößte Gesäß einer Frau, das die Breite des Fahrzeugs etwa zu Zweidritteln ausfüllt; Kopf, Schultern und Beine der Frau sind abgeschnitten. Im Straßenverkehr werden mit dieser aufdringlichen Bebilderung Verkehrsteilnehmer konfrontiert, ohne sich dem - etwa an Ampeln oder in Staus - entziehen zu können. Dies geschieht - unter gleichzeitiger Verwirklichung des Tatbestands von § 119 Abs. 3 OWiG - auch an Orten, die eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität aufweisen und an denen die Bevölkerung auch unter den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen im allgemeinen nicht mit belästigenden Begleiterscheinungen der Prostitution rechnen muss.
Vgl. in diesem Zusammenhang zur weiterhin bestehenden Verfassungsmäßigkeit kommunaler Sperrbezirksverordnungen BVerfG, Beschluss vom 28.4.2009 - 1 BvR 224/07 -, juris, Rn. 16.
Die Ausführungen des Antragsgegners zu den seitlich auf dem Fahrzeug angebrachten Darstellungen mit jeweils einer nur spärlich bekleideten, maskierten Frau werden durch die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht entkräftet. Insbesondere ist die Abbildung nicht schon deshalb von der Allgemeinheit hinzunehmen, weil die Frau -wie der Antragsteller geltend macht - mit einem "Stringhöschen" bekleidet und die Brust von ihren Haaren verhängt ist. Entscheidend ist auch insoweit der Gesamteindruck der Darstellung, die durch die Angabe einer Internetadresse und den Zusatz "Erotik-Portal, K." in Verbindung mit einer die Fahrzeugseiten ausfüllenden, übergroßen Abbildung einer kaum bekleideten Frau in besonders aufdringlicher Weise erkennbar für Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen wirbt. Dabei lässt die tierähnliche Maske der Frau erkennen, dass es dem Antragsteller nicht lediglich um eine unbedenkliche Anonymität geht, sondern vor allem auch darum, sie als Objekt sexueller Begierde erscheinen zu lassen. Gerade daraus erhofft er sich die bezweckte Werbewirkung, die potentielle Kunden veranlassen soll, die beworbene Erotik-Seite einzusehen. Damit schafft die Abbildung zugleich für Kinder und Jugendliche, die Zugang zum Internet haben, einen erheblichen Anreiz, ihrer Neugier nachzugehen, was es mit einer in dieser auffälligen Weise beworbenen Internetseite auf sich haben mag.
Ob die vom Antragsteller angeführte weitere Werbung in ähnlicher Weise grob anstößig ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, weil sie nicht streitgegenständlich ist. Der erst im Laufe des Verfahrens gegebene Hinweis des Antragstellers auf den Bus einer "Erotic Lounge" mag dem Antragsgegner im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Anlass zur Prüfung geben, ob auch dagegen ordnungsrechtlich vorzugehen ist. Er führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden Ordnungsverfügung. Denn der Antragsteller zeigt damit keine Umstände auf, die auf eine gleichheitswidrige Verwaltungspraxis des Antragsgegners schließen lassen. Dessen ungeachtet hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass im Fall der Werbung für Dessous und ein Sonnenstudio der Tatbestand des § 119 Abs. 1 OWiG offensichtlich nicht einschlägig ist. Dasselbe gilt für die Werbung einer Bedachungsfirma. Selbst wenn diese Werbung ebenfalls grob anstößig und belästigend wäre, würde sie wegen des andersartigen Werbegegenstands nicht gegen § 119 Abs. 1 OWiG verstoßen. Danach kommt es entscheidend darauf an, ob die Gelegenheit zu sexuellen Handlungen beworben wird.
Zugleich verwirklicht die streitgegenständliche Werbung des Antragstellers den Tatbestand des § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, weil durch den Hinweis auf die Internetseite seines Erotik-Portals "Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen" angekündigt wird. Insoweit kommt es nicht auf eine belästigende Wirkung oder grobe Anstößigkeit an. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH setzt die Verbotsnorm allerdings eine konkrete Eignung der Werbung voraus, den Schutz der Allgemeinheit, vor allem denjenigen von Kindern und Jugendlichen, vor den mit der Prostitution generell verbundenen Gefahren und Belästigungen zu beeinträchtigen. Eine solche konkrete Beeinträchtigung von Rechtsgütern ist etwa anzunehmen, wenn die Werbung nach Aufmachung, Inhalt oder Umfang nicht in der gebotenen Zurückhaltung erfolgt oder nach der Art des Werbeträgers und seiner Verbreitung geeignet ist, die schutzwürdigen Rechtsgüter zu gefährden.
Vgl. BGH, Urteil vom 13.7.2006 - I ZR 241/03 -, NJW 2006, 3490, 3491 f.
Diese Voraussetzungen sind zwar bei Kleinanzeigen in Zeitungen, wie sie Gegenstand der Entscheidung des BGH waren, nicht gegeben. Sie liegen jedoch bei der im Streit stehenden großformatigen Fahrzeugwerbung des Antragstellers aus den oben angeführten Gründen im Hinblick auf die besondere Aufdringlichkeit der Werbung und ihre Verbreitungsart vor. Auch unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3983) verbleibt es nach dem unveränderten § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zumindest bei einem Verbot solcher Werbung für entgeltliche sexuelle Handlungen, die - wie hier - nicht in der gebotenen Zurückhaltung erfolgt. Das Prostitutionsgesetz hatte lediglich die Zielrichtung, die Rechtsstellung der Prostituierten - nicht die der Kunden, der Bordellbetreiber und anderer - vor allem im zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Bereich zu verbessern. Damit sollte aber nicht die Prostitution einschließlich ihrer negativen Begleiterscheinungen gefördert werden.
Vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 7.4.2008 - 1 Ss 178/07 -, juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 28.4.2009 - 1 BvR 224/07 -, juris, Rn. 20; Gesetzentwurf, BT-Drs. 14/5958, S. 4.
Bereits die Gesetzesbegründung zum Prostitutionsgesetz weist darauf hin, dass der Sittenwidrigkeitseinwand lediglich gegenüber dem Entgeltanspruch der Prostituierten nicht mehr erhoben werden kann. Ansprüchen auf sexuelle Leistungen gegenüber der Prostituierten soll dagegen weiter die Sittenwidrigkeit entgegen gehalten werden können, weil es insoweit an der Freiwilligkeit der Tätigkeit fehlt. Auch soll der Schutz von Minderjährigen gewährleistet bleiben.
Vgl. Gesetzentwurf, BT-Drs. 14/5958, S. 4 und 6; dazu ferner Ellenberger, in: Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 138 Rn. 52.
Die sinngemäße Anordnung, das Fahrzeug des Antragstellers solange aus dem öffentlichen Raum und von öffentlich einsehbaren Flächen zu entfernen, bis die auf ihm angebrachte Werbung beseitigt ist, stellt sich nach alledem nicht als unverhältnismäßig dar. Vielmehr ist der Antragsteller bereits ohne diese Anordnung rechtlich verpflichtet, diese Form der Werbung zu unterlassen, weil er damit die Tatbestände der §§ 119 und 120 OWiG erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn er nur durch diese Art von Werbung mit seinem Internetauftritt, dessen Vereinbarkeit mit § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG hier dahinstehen kann, konkurrenzfähig wäre.
Ende der Entscheidung
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