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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: 5 E 112/02
Rechtsgebiete: VereinsG, StPO


Vorschriften:

VereinsG § 4 Abs. 4
StPO § 94
Zur Bezeichnung der beschlagnahmefähigen Beweismittel in einem verwaltungsgerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, der im Rahmen vereinsrechtlicher Ermittlungsverfahren ergeht.
Tatbestand:

Im Rahmen vereinsrechtlicher Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Verbot des "Kalifatstaats" erließ das VG auf Antrag der Bezirksregierung einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss gegen die als eingetragener Verein firmierende "Islamische Gemeinde Essen und Umgebung" (im Folgenden: Antragsgegner). Die gegen den Beschluss des VG eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Gründe:

Die Beschwerde ist gemäß § 88 VwGO hinsichtlich der bereits vollzogenen Durchsuchungsanordnung als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Anordnung (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) auszulegen, vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 30.4.1997 - 2 BvR 817/90, 728/92, 802 u. 1065/95 -, BVerfGE 96, 27 (41), Kammerbeschluss vom 15.7.1998 - 2 BvR 446/98 -, NJW 1999, 273 f.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.5.2002 - 1 S 10/02 -; OVG Schl.-H., Beschluss vom 3.3.1994 - 4 M 142/93 -, InfAuslR 1994, 210 ff.; hinsichtlich der Beschlagnahmeanordnung verfolgt sie deren Aufhebung.

Die mit diesem Inhalt zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung des VG ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für diese Anordnung ist § 4 Abs. 4 VereinsG i.V.m. §§ 94 ff. StPO. Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG kann die Durchsuchung der Räume des Vereins sowie der Räume, der Sachen und der Person eines Mitglieds oder Hintermannes des Vereins angeordnet werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG führen wird. Hinreichende Anhaltspunkte in diesem Sinn waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung - vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.8.1994 - 5 E 59/94 -, NWVBl. 1995, 69, vom 29.8.1994 - 5 E 859/94 -, DÖV 1995, 339 f., und vom 29.6.1993 - 5 E 83/93 - gegeben. So firmierte der in der Nr. 12 der Anlage 1 zum Ermittlungsersuchen des BMI vom 6.12.2001 namentlich bezeichnete Antragsgegner ausweislich zweier, außen an den Vereinsräumen angebrachter Kunststoffschilder (Größe: 2,50 m x 0,5 m bzw. 1,80 m x 0,58 m) als "HILAFET DEVLETI, ESSEN SUBESI" (Kalifatstaat, Essen Zweigstelle), bzw. als "MESCIDI AKSA, HILAFET DEVLETI, ESSEN SUBESI" (Kleine Moschee, Kalifatstaat, Essen Zweigstelle). Diese Umstände begründeten hinreichende, konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Antragsgegner eine Teilorganisation des Kalifatstaats ist und dass die angeordnete Durchsuchung bei ihm zur Auffindung von Beweismitteln führen werde, die gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG i.V.m. §§ 94, 99 ff. StPO für diejenigen vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren von Bedeutung sein können, die gegen die bereits verbotenen Organisationen und gegen die noch nicht verbotenen, als Teilorganisationen des Kalifatstaates jedoch verdächtigten Organisationen geführt werden. Dass die beschlagnahmten Gegenstände als Beweismittel offenkundig ausscheiden, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners war eine konkrete Bezeichung der Beweismittel in dem Beschluss des VG nicht erforderlich. Für strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist anerkannt, dass unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit Beweismittel dann ihrem Inhalt nach zu kennzeichnen sind, wenn solche Kennzeichnungen - und sei es auch nur annäherungsweise, etwa in Form beispielhafter Angaben - möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind.

Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 26.5.1976 - 2 BvR 294/76 -, BVerfGE 42, 212 (220).

Ob diese Anforderungen auf vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren, die nicht an einen begrenzten individuellen Tatvorwurf anknüpfen, sondern der Aufklärung der mit der vereinsrechtlichen Organisationsform begründeten besonderen Gefahrenlage dienen, vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.1988 - 1 A 89.83 -, BVerwGE 80, 299 ff., generell übertragen werden können, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls war im vorliegenden Fall nach den genannten Maßstäben ein Absehen von einer weitergehenden Kennzeichung der beschlagnahmefähigen Beweismittel gerechtfertigt. Vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren, die - wie hier - der Vorbereitung bzw. Untermauerung des Verbots eines gegen die verfasssungsmäßige Ordnung gerichteten Vereins und seiner Teilorganisationen dienen, erfordern regelmäßig die Möglichkeit eines umfassenden Zugriffs auf sämtliche potenziell geeignete Beweismittel. Eine nähere - auch nur schlagwortartige - Bestimmung und Aufzählung aller in derartigen Fällen in Betracht zu ziehenden Beweismittel über die ohnehin geltende Evidenzgrenze hinaus, vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 25.8.1994, a.a.O., ist im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht möglich. Bei einer Beschränkung auf die in den zu durchsuchenden Räumen vermuteten Beweismittel, wäre der sofortige Zugriff auf andere potenziell geeignete Beweismittel von dem Beschluss nicht mehr gedeckt, was dem Zweck des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens zuwiderliefe.

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