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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.01.2009
Aktenzeichen: 5 E 1213/08
Rechtsgebiete: PolG NRW
Vorschriften:
PolG NRW § 34 | |
PolG NRW § 34 Abs. 2 | |
PolG NRW § 34 Abs. 2 Satz 1 | |
PolG NRW § 34 Abs. 2 Satz 4 |
2. Nach übermäßig langer Folgenlosigkeit (hier: mehr als drei Jahre) eines Verstoßes gegen eine Ordnungspflicht ist der Einsatz der besonders einschneidenden Ersatzzwangshaft unverhältnismäßig.
Tatbestand:
Gegen die Vollstreckungsschuldnerin war ein Zwangsgeld festgesetzt worden, weil sie als Drogenkonsumentin gegen ein für die Dauer von drei Monaten verhängtes Aufenthaltsverbot verstoßen hatte. Nachdem das Zwangsgeld in einem Zeitraum von mehr als drei Jahren nicht beigetrieben werden konnte, beantragte der Vollstreckungsgläubiger die Anordnung der Ersatzzwangshaft gegen die Vollstreckungsschuldnerin. Das VG lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.
Gründe:
Die begehrte Anordnung einer Ersatzzwangshaft ist unter Heranziehung der vom Verwaltungsgericht angeführten Senatsrechtsprechung schon deshalb unangemessen, weil die Vollstreckungsschuldnerin nicht als Händlerin von Betäubungsmitteln, sondern als Drogenkonsumentin in Erscheinung getreten ist.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18.12.1996 - 5 E 1035/95 -, NVwZ-RR 1997, 763, und vom 20.4.1999 - 5 E 251/99 -, NVwZ-RR 1999, 802.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Anordnung der Ersatzzwangshaft aufgrund ihrer Funktion als Beugemittel nach Erledigung der Grundverfügung (hier: dreimonatiges Aufenthaltsverbot) mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen in Betracht kommt, etwa zum Schutz von Leben und Gesundheit Dritter. Zugleich schließt sie eine Durchsetzung von Aufenthaltsverboten während ihrer bis zu drei Monate andauernden Geltungszeit auch gegenüber zahlungsunfähigen Drogenkonsumenten nicht aus. Zur Zahlung eines festgesetzten Zwangsgeldes kann im Interesse eines effizienten Verwaltungsvollzugs eine sehr kurze Frist gesetzt werden. Denn eine realistische Aussicht, den Aufenthalt dort zu unterbinden, wo alltäglicher Drogenhandel stattfindet, besteht nur, wenn der Verstoß gegen ein ausgesprochenes Aufenthaltsverbot kurzfristig spürbare Folgen nach sich zieht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.7.1995 - 5 B 1353/95 -.
Im Übrigen verlangen weder Wortlaut noch Sinn des nordrhein-westfälischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes den Nachweis der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes in einer bestimmten Form.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20.1.2000 - 5 E 33/00 - und vom 20.4.1999, a.a.O.
Nach Außerkrafttreten des Aufenthaltsverbots besteht dagegen grundsätzlich keine Veranlassung mehr, seine Einhaltung gegenüber Drogenkonsumenten durch freiheitsentziehende Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Das schließt eine wirksame Gefahrenabwehr selbst dann nicht aus, wenn sich Konsumenten von Betäubungsmitteln trotz zeitnah durchgesetzter Zwangsmaßnahmen nicht davon abhalten lassen, wiederholt gegen ein Aufenthaltsverbot für den Bereich einer "offenen Drogenszene" zu verstoßen und sich dort auch weiterhin regelmäßig aufzuhalten. In derartigen Fällen können die Voraussetzungen für die erneute Verhängung eines Aufenthaltsverbots unmittelbar im Anschluss an die Geltungsdauer der alten Verfügung vorliegen. Zur Durchsetzung einer verlängerten und damit der Sache nach fortdauernden Ordnungspflicht kann eine Ersatzzwangshaft als äußerstes Mittel angeordnet werden.
Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 20.4.1999, a.a.O.
§ 34 Abs. 2 Satz 4 PolG NRW steht einem solchen Vorgehen nicht entgegen. Danach darf ein längerfristiges Aufenthaltsverbot die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten. Diese zeitliche Vorgabe begrenzt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur die Dauer einer einzelnen Anordnung. Das Grundrecht der Freizügigkeit darf nicht weiter eingeschränkt werden, als dies zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Damit schließt die Regelung eine erneute Anordnung oder Verlängerung eines Aufenthaltsverbots nicht aus, wenn sich die Gefahr, die bekämpft werden soll, durch das Verhalten des Betroffenen aktualisiert hat und deshalb die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Satz 1 PolG NRW wiederum vorliegen. Allein diese Auslegung ermöglicht erforderlichenfalls eine sachgerechte fortdauernde Kriminalitätsbekämpfung, die der Senat in seinem genannten Beschluss vom 20.4.1999 schon vor Einführung einer Spezialermächtigung für zulässig erachtet hat. In den Gesetzesmaterialien finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelungen in § 34 Abs. 2 PolG NRW hieran etwas ändern sollten. Vielmehr sollten die Befugnisse der Polizei gerade erweitert werden, weil die bisherige Vorschrift des § 34 PolG NRW in zeitlicher und räumlicher Hinsicht als zu eng gefasst angesehen wurde.
Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/2854, S. 1, 52 und 58.
Ungeachtet dessen erweist sich die beantragte Anordnung einer Ersatzzwangshaft auch deshalb als unangemessen, weil die Geltungsdauer des Aufenthaltsverbots bereits vor mehr als drei Jahren abgelaufen ist. Nach Erledigung der Grundverfügung dient die Ersatzzwangshaft ohnehin nur noch dazu, einer Entwertung der Androhung des Zwangsgelds als Beugemittel zu begegnen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.12.1996, a.a.O.
Dieser verbliebene Zweck rechtfertigt nach mehrjähriger Folgenlosigkeit eines Verstoßes gegen die Ordnungspflicht nicht mehr den Einsatz der besonders einschneidenden Ersatzzwangshaft. Um die Wirkung des Zwangsgelds als Beugemittel zu erhalten und hieran anknüpfend nötigenfalls die Ersatzzwangshaft erwirken zu können, hätte es dem Vollstreckungsgläubiger oblegen, das Zwangsgeld gegenüber der Vollstreckungsschuldnerin zeitnah beizutreiben bzw. abzuklären, ob es uneinbringlich ist. Wenn sich die Vollstreckungsbehörde wie hier gleichwohl mit der Beitreibung eines festgesetzten Zwangsgeldes übermäßig viel Zeit lässt, trägt eine dennoch erfolgende Anordnung der Ersatzzwangshaft nicht hinreichend dem besonderen Grundrechtseingriff Rechnung, der in einer Freiheitsentziehung liegt.
Ende der Entscheidung
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