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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 6 A 1474/04
Rechtsgebiete: BRL Pol vom 25.1.1996


Vorschriften:

BRL Pol vom 25.1.1996 (MBl. NRW. 1996, 278) Nr. 8.2.2.
Das Bestreben zur Einhaltung der Richtsätze für überdurchschnittliche Gesamturteile entbindet nicht von der Verpflichtung zur Erteilung einer im Einzelfall ergebnisrichtigen Beurteilung.
Tatbestand:

Der Kläger wurde 1995 zum Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) und 2005 zum Ersten Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 13 BBesO) ernannt. Seine dienstliche Regelbeurteilung für den Zeitraum 1.6.1999 bis zum 31.5.2002 schloss mit dem Beurteilungsergebnis "Die Leistung und Befähigung .... übertreffen die Anforderungen" (4 Punkte). Die Hauptmerkmale Leistungsverhalten und -ergebnis wurden jeweils mit 5 Punkten ("... übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße"), die Hauptmerkmale Sozialverhalten und Mitarbeiterführung jeweils mit 4 Punkten bewertet. Zuvor hatte der Erstbeurteiler das Gesamturteil "Die Leistung und Befähigung ... übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße" (5 Punkte) vorgeschlagen und die Hauptmerkmale Leistungsverhalten, Leistungsergebnis und Sozialverhalten jeweils mit 5 Punkten, das Hauptmerkmal Mitarbeiterführung mit 4 Punkten bewertet. Zur Begründung der Abweichung vom Erstbeurteilungsvorschlag hieß es in der Beurteilung:

"Auf Grund des in der Beurteilerbesprechung angelegten Beurteilungsmaßstabes zeigte sich im Quervergleich innerhalb der Vergleichsgruppe, dass das Sozialverhalten des PHK ... voll den Anforderungen entspricht.

Auf Grund des in der Beurteilerbesprechung angelegten Beurteilungsmaßstabes zeigte sich im Quervergleich innerhalb der Vergleichsgruppe (alle Angehörigen der Besoldungsgruppe A 12, die zum Stichtag 1.6.2002 eine Beurteilung erhalten), dass unter Berücksichtigung der abweichenden Endbeurteilung des Hauptmerkmals Sozialverhalten die Leistung und Befähigung des PHK ... die Anforderungen übertrifft."

Von 57 Beamten in der Vergleichsgruppe des Klägers waren in den Erstbeurteilungen 49,1 % mit den Spitzennoten 5 Punkte (10 Personen) und 4 Punkte (18 Personen) vorgeschlagen worden. Im Vorfeld der Beurteilerbesprechung fanden Maßstabsbesprechungen statt, nach deren Ergebnissen der Kläger noch mit 5 Punkten eingestuft worden war. In der Beurteilerbesprechung wurde zur Wahrung der Richtsätze gemäß Ziffer 8.2.2 BRL Pol vom 25.1.1996 (MBl. NRW. 1996, 278, in der Fassung der einschlägigen Änderungen) festgelegt, dass eine Beurteilung mit dem Ergebnis 5 Punkte die Beamten erhalten sollten, die eine höherwertige (A 13-fähige) Funktion im Beurteilungszeitraum mit Ergebnissen wahrgenommen hätten, die die Anforderungen in besonderem Maße übertroffen hätten. Eine Beurteilung mit dem Ergebnis 4 Punkte sollten die Beamten erhalten, die eine höherwertige Funktion (A 13-fähige Funktion) im Beurteilungszeitraum mit Ergebnissen wahrgenommen hätten, die die Anforderungen übertreffen, und diejenigen, die bei Wahrnehmung einer A 12-fähigen Funktion Konstanz in den Leistungen, die die Anforderungen übertreffen, gezeigt hätten. In Anwendung dieser Kriterien erhielten 5 von 15 Beamten, die einen A 13-fähigen Dienstposten bekleideten, eine Beurteilung mit 5 Punkten. 7 Beamte wurden mit 4 Punkten beurteilt; 2 von diesen bekleideten einen A 13-fähigen, 5 einen A 12-fähigen Dienstposten.

Der vom Kläger gegen die Beurteilung erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen. Das VG wies die hiergegen gerichtete Klage auf Neuerstellung der dienstlichen Beurteilung ab. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat einen Anspruch auf Aufhebung der ihm erteilten dienstlichen Beurteilung vom 8.7.2002 und auf eine erneute, rechtsfehlerfreie Beurteilung für den Zeitraum 1.6.1999 bis 31.5.2002. Der dem entgegenstehende Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung verletzt den Kläger in seinen Rechten und kann daher keinen Bestand haben. Die ihm erteilte Beurteilung ist rechtswidrig.

Dienstliche Beurteilungen sind von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt nachprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398 (1399).

Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen in Einklang stehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, a.a.O. (1399, m.w.N.).

Gemessen daran weist die für den Kläger auf der Grundlage der BRL Pol erstellte dienstliche Beurteilung materielle Beurteilungsfehler auf.

Der Kläger hat in dem hier maßgeblichen Beurteilungszeitraum einen amtsangemessenen (A 12-fähigen) Dienstposten wahrgenommen. Wie von Beklagtenseite eingehend dargelegt, war zwar eine höhere Funktionsbewertung des vom Kläger wahrgenommenen Dienstpostens länger in der Diskussion, erfolgte jedoch erst nach dem hier einschlägigen Beurteilungszeitraum, nachdem auf Grund organisatorischer Änderungen dem Kläger als Sachgebietsleiter VL 23 zusätzlich die Ausbildungsleitung übertragen worden ist. Dies stellt der Kläger auch nicht mehr in Abrede.

Die Vorgehensweise der Beurteilerkonferenz bezüglich der Vergabe der Spitzennoten sowie die vom Endbeurteiler vorgenommene Absenkung des Gesamturteils des Klägers von 5 Punkten auf 4 Punkte auf Grund der in dem Hauptmerkmal Sozialverhalten vorgenommenen Absenkung auf 4 Punkte hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zwar ist es rechtlich grundsätzlich unbedenklich, wenn der Dienstherr mit Blick auf die Einhaltung von festgelegten Richtwerten für Spitzennoten Notenabsenkungen vornimmt. Denn dienstliche Beurteilungen müssen zum einen hinlänglich differenziert sein. Eine allzu häufige Vergabe von Spitzennoten führt zur Nivellierung und kann das Beurteilungswesen unbrauchbar machen. Dem kann durch Richtsätze für die einzelnen Notenstufen entgegen gewirkt werden, vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2002 - 6 A 5645/00 -, DÖD 2003, 139 (140), wie dies hier in Nr. 8.2.2 BRL Pol vorgesehen ist. Dabei benötigen ggf. angewandte Richtsätze ihrerseits einen Bezugsrahmen in Gestalt von Vergleichsgruppen (vgl. Ziffer 8.2.1 BRL Pol). Zum anderen verlangt ein zweckorientiertes Beurteilungswesen die Zugrundelegung eines abstraktes Maßstabs; anderenfalls wären Beurteilungen als Mittel der Bestenauslese ungeeignet. Dieser Maßstab darf sich nach allgemeiner Auffassung nicht an der Funktion, also an dem Tätigkeitsbereich bzw. dem Dienstposten des Beamten, der von Fall zu Fall wechselt, orientieren; die Orientierung muss vielmehr am Statusamt bzw. den daraus abgeleiteten Anforderungen erfolgen. Die dienstliche Beurteilung hat demgemäß die fachliche Leistung des Beamten in Bezug auf sein Statusamt und im Vergleich zu den amtsgleichen Beamten seiner Laufbahn darzustellen. Diese - aus dem Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes) abgeleitete - Aussage hat im Kern Verfassungsrang und ist deshalb auch für den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht in jeder Hinsicht disponibel.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2002 - 6 A 5645/00 -, DÖD 2003, 140; Beschluss vom 11.1.2000 - 6 A 1316/97 -, DÖD 2001, 157; Bay. VGH, Urteil vom 8.4.1987 - Nr. 3 B 86.01404 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Entscheidungssammlung Ordner 5, ES/D I 2 Nr. 33.

Vorliegend hat der Dienstherr des Klägers in Beachtung der Ziffer 8.2.1 Satz 1 erster Spiegelstrich und Satz 2 BRL Pol rechtlich zutreffend eine am Statusamt der Besoldungsgruppe A 12 BBesO ausgerichtete Vergleichsgruppe mit 57 Beamtinnen und Beamten gebildet. Hingegen hält die in der Beurteilerkonferenz zur Einhaltung der Richtwerte nach Ziffer 8.2.2 BRL Pol praktizierte Vorgehensweise einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Erstbeurteilungsvorschläge (10 Personen - 17,5 % - mit einer 5-Punkte-Beurteilung, 18 Personen - 31,6 % - mit einer 4-Punkte-Beurteilung) wichen erheblich von den Richtsatzvorgaben der Ziffer 8.2.2 BRL Pol (10 % im 5-Punkte-Bereich, 20 % im 4-Punkte-Bereich) ab. Demnach war zur Einhaltung der Richtsätze eine Reduzierung auf 5-6 Personen im 5-Punkte-Bereich und auf 11-12 Personen im 4-Punkte-Bereich erforderlich. Indessen bilden diese Richtsätze nur einen Orientierungsrahmen. Der übergeordnete Grundsatz der Richtigkeit der Beurteilung im Einzelfall darf nicht verhindert werden (vgl. Ziffer 8.2.2 Satz 2 BRL Pol). Das kann u.U. zu einem tendenziellen Widerspruch dieser beiden Prinzipien führen. Demgemäß ist es Aufgabe des Beurteilers, im konkreten Anwendungsfall Richtsatzwahrung und Einzelfallgerechtigkeit miteinander in einen optimalen Ausgleich zu bringen. Dem genügt die Vorgehensweise im Streitfall nicht.

Dabei war der gedankliche Ansatz der Beurteilerkonferenz, unter Leistungsaspekten auf Grund der konkreten Verwendung der Beamten zwischen A 13-fähigen und A 12-fähigen Dienstposten weiter zu differenzieren, durchaus sachgerecht. Denn ein höher bewerteter Dienstposten stellt grundsätzlich höhere Anforderungen. Die weitere Vorgehensweise des beklagten Landes verhinderte jedoch zwangsläufig, dass Beamten mit einem A 12-fähigem Dienstposten eine 5-Punkte-Beurteilung zu Teil werden konnte. Das beklagte Land hat - ausweislich des Protokolls der Beurteilerbesprechung und der Angaben des Leitenden Regierungsdirektors in der mündlichen Verhandlung erster Instanz - zunächst allein die Beamten, die einen A 13-fähigen Dienstposten wahrgenommen und mit 5 Punkten vorgeschlagen waren, für die Spitzenwerte in Betracht gezogen. Diese Vorgehensweise hatte zur Folge, dass die Beamten mit A 12-fähigen Dienstposten für eine 5-Punkte-Beurteilung ausschieden, sobald das von der Beurteilerkonferenz auf 5 Personen festgelegte Richtsatzkontingent ausgeschöpft war, wie dies auch geschehen ist. Damit hat das beklagte Land zwar den Richtsatzvorgaben Geltung verschafft, jedoch unter Preisgabe der Einzelfallgerechtigkeit, weil dem Kläger eine Spitzenbeurteilung ohne Rücksicht auf sein individuelles Leistungs- und Befähigungsprofi zwangsläufig vorenthalten blieb. Die Ergebnisrichtigkeit im Einzelfall blieb dabei zu Lasten des Klägers auf der Strecke. Dies wird um so deutlicher, als nach den Angaben des Leitenden Regierungsdirektors in der mündlichen Verhandlung erster Instanz (wie auch nach den Angaben der Vertreter des beklagten Landes in der Berufungsverhandlung) der Kläger nach Meinung der Beurteilerkonferenz - gerade auch unter Berücksichtigung des von ihr gewählten Ansatzes, die Leistungen auf einem A 13-fähigen Dienstposten höher zu bewerten als auf einem amtsangemessenen A 12-fähigen Dienstposten - in den Hauptmerkmalen Leistungsverhalten und Leistungsergebnis gleichwohl "wirklich als herausragend zu beurteilen war".

Im Weiteren verstößt die Vorgehensweise des beklagten Landes auch gegen das Prinzip der Beurteilungswahrheit. Zwar mag die in der streitigen Beurteilung allein auf den Quervergleich abstellende Begründung, vgl. hierzu: OVG NRW, Urteil vom 13.2.2001 - 6 A 2966/00 -, NWVBl. 2002, 351 (352 f.), Beschluss vom 5.8.2004 - 6 B 1158/04 -, DÖD 2005, 61 f., unter "IV. Gesamturteil (Nr. 8 BRL Pol)" für sich allein betrachtet ausreichen können, um eine Absenkung des Hauptmerkmals Sozialverhalten auf 4 Punkte und in der Folge die Absenkung einer Gesamtbeurteilung von 5 auf 4 Punkte plausibel zu machen. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesamtumstände beruhte sie aber auf sachwidrigen Erwägungen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Aus dem Protokoll über die Beurteilerbesprechung, insbesondere den darin niedergelegten Kriterien zur Vermeidung einer Richtsatzüberschreitung (dort Ziffer 6 Nrn. 1 bis 3), und den Ausführungen des Vertreters des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu den für die Absenkung der Bewertung des Hauptmerkmals Sozialverhalten maßgeblichen Gründen erschließen sich die Erwägungen, die der Endbeurteiler im Streitfall angestellt hat. Zum einen war für ihn maßgebend, dass eine Grundlage für die Absenkung des Gesamturteils geschaffen werden sollte; letztere sollte wiederum erfolgen, um die Richtsatzvorgaben der Nr. 8.2.2 BRL Pol nicht zu überschreiten. Die Absenkung der Bewertung gerade des Hauptmerkmals Sozialverhalten war zum anderen darin begründet, dass eine Herabsetzung der durch den Erstbeurteiler für die Hauptmerkmale 1 und 2 vorgeschlagenen Benotungen vermieden werden sollte, weil der Kläger auch nach Meinung der Beurteilerkonferenz in diesen Hauptmerkmalen "wirklich als herausragend zu beurteilen war". Der Rückgriff auf das Hauptmerkmal Sozialverhalten erfolgte dabei in der Vorstellung, dass es sich um ein "mildes Hauptmerkmal" handelte, womit gemeint sein dürfte, dass es - nach Auffassung des Endbeurteilers - im Vergleich zu den anderen Hauptmerkmalen als weniger wichtig einzustufen war. Diese vom Dienstherrn für die Absenkung der Bewertung des Hauptmerkmals Sozialverhalten gegebene weitere Begründung legt offen, dass für die Herabstufung der Note weder der allgemeine Quervergleich noch eine das individuelle Qualifikationsprofil betreffende, vom Vorschlag des Erstbeurteilers abweichende Einschätzung des beim Kläger zu beobachtenden Sozialverhaltens ausschlaggebend waren. In Wahrheit ging es allein darum, die Beurteilung im Gesamtergebnis stimmig zu machen, ohne dem Kläger in den für bedeutsamer erachteten Hauptmerkmalen 1 und 2 zu nahe zu treten. Hieraus folgt, dass die schlechtere Bewertung des Sozialverhaltens nicht der wirklichen Auffassung des Endbeurteilers entsprach und deshalb dem Prinzip der Beurteilungswahrheit zuwider lief.

Ende der Entscheidung

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