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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: 6 A 2171/02
Rechtsgebiete: LBG


Vorschriften:

LBG § 84
LBG § 84 Abs. 1 Satz 1
Zum Umfang der Organisationspflichten eines beamteten Universitätsprofessors im Rahmen seiner Dienstaufgaben als Direktor einer Universitätsklinik.
Tatbestand:

Der Beklagte steht als beamteter Universitätsprofessor im Dienst des Klägers. Er ist Direktor der Kinderklinik eines Universitätsklinikums. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz nach § 84 LBG wegen eines (angeblichen) das Kind betreffenden Behandlungsfehlers in Form eines Organisationsverschuldens. Das Kind wurde nach seiner Geburt künstlich beatmet, zum Teil mit reinem Sauerstoff. Nach seiner Verlegung auf die Früh- und Neugeborenenstation des Universitätsklinikums wurden bei ihm durch beratend hinzugezogene Augenärzte insgesamt vier augenärztliche Kontrolluntersuchungen zur Früherkennung einer etwaigen retrolentalen Fibroplasie (RLF) durchgeführt. Anlässlich des vierten augenärztlichen Konsiliums vom 21.1.1988 empfahl der untersuchende Augenarzt eine Kontrolle in drei Wochen. Der betreffende Konsiliumsbericht wurde durch die Stationsärztin abgezeichnet. Am 19.2.1988 wurde das Kind zusammen mit seiner Zwillingsschwester in die Obhut seiner Eltern entlassen, ohne dass die konsiliarärztlich empfohlene weitere augenärztliche Kontrolluntersuchung stattgefunden hatte. Etwa zwei Monate nach der Entlassung, die durch die Stationsärztin durchgeführt worden war, bemerkten die Eltern, dass das Kind auf optische Reize nicht reagierte. Im Rahmen anschließender augenärztlicher Untersuchungen wurden eine Frühgeborenenretinopathie an beiden Augen sowie (vollständige) Blindheit festgestellt. In der Folgezeit machte das Kind gegenüber dem Träger des Universitätsklinikums sowie der Stationsärztin einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gerichtlich geltend. Seine Eltern trugen u. a. vor, anlässlich seiner Entlassung nicht ausreichend über die Notwendigkeit einer zeitnahen augenärztlichen Kontrolluntersuchung belehrt worden zu sein. Das Landgericht verurteilte den Träger des Universitätsklinikums und die Stationsärztin als Gesamtschuldner zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die hiergegen gerichtete Berufung der Stationsärztin hatte Erfolg, die Berufung des Trägers des Universitätsklinikums wurde mit (rechtskräftigem) Urteil des OLG Köln vom 28.9.1995 - 5 U 174/94 - zurückgewiesen. Nachdem Verhandlungen über eine Schadensfreistellung des Klinikträgers gescheitert waren, erhob der Kläger Klage mit dem Ziel einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 107.890,96 EUR nebst 4 v. H. Zinsen ab dem 1.1.1996. Das VG gab der Klage im Wesentlichen statt. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Dem Kläger steht der geltend gemachte Regressanspruch nach § 84 Abs. 1 Satz 1 LBG nicht zu. Nach dieser Vorschrift hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgabe er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Der Rückgriffsanspruch des Dienstherrn setzt danach eine Dienstpflichtverletzung des Beamten, Verschulden in Form von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit sowie einen durch die Dienstpflichtverletzung verursachten Schaden des Dienstherrn voraus. Diese Haftungsvoraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Beklagten im Zusammenhang mit der Behandlung des Kindes eine Dienstpflichtverletzung vorzuwerfen ist. Jedenfalls scheitert aber ein Rückgriffsanspruch des Klägers daran, dass die - als gegeben unterstellte - Pflichtverletzung seitens des Beklagten zumindest nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen worden ist.

Rechtliche Grundlage für die Annahme von Dienstpflichten, die der Beklagte

- durch Unterlassen - verletzt haben könnte, ist, worauf auch das VG zutreffend abgestellt hat, § 44 Abs. 1 des (damals geltenden) Gesetzes über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.11.1979

- GV. NRW. S. 926 -. Nach Satz 1 dieser Vorschrift trägt der Leiter der Abteilung für die Behandlung der Patienten der Abteilung und für die der Krankenversorgung dienenden Untersuchungen und sonstigen Dienstleistungen seiner Abteilung die ärztliche und fachliche Verantwortung unbeschadet der Verantwortung der von ihm mit den Aufgaben der Krankenversorgung betrauten Bediensteten. Er ist auf dem Gebiet der Krankenversorgung gegenüber allen Bediensteten in der Abteilung weisungsbefugt (Satz 2). Er ist verpflichtet, im Interesse der Gewährleistung einer bestmöglichen Versorgung der Patienten mit anderen Abteilungen zusammenzuarbeiten (Satz 3). Die dem Abteilungsleiter danach obliegenden Pflichten sind vor allem solche organisatorischer Art. Er ist für eine sachgerechte Organisation des Umgangs mit den Patienten verantwortlich. Organisationspflichten bestehen dabei auch hinsichtlich der Verabredung und Überwachung von Patiententerminen sowie bezüglich der Aufklärung der Patienten. Darüber hinaus hat der leitende Arzt insbesondere für die Überwachung des nachgeordneten Personals zu sorgen, geeignete Kontrollverfahren vorzusehen und bei Auswahl und Einsatz der Mitarbeiter auf deren Qualifikation zu achten. Ihn trifft ferner die Pflicht, die Mitarbeiter über typische Fehler und Gefahren zu belehren und sie anzuleiten.

Vgl. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 102 Rdnr. 1 ff.

Anknüpfungspunkte für mögliche Verletzungen von Dienstpflichten im vorgenannten Sinne und insoweit dem Beklagten anzulastendes Verschulden ergeben sich aus den Urteilen des LG und des OLG. Nach Auffassung beider Gerichte liegt ein Behandlungsfehler zum einen darin, dass entgegen der in dem konsiliarärztlichen Befundbericht vom 21.1.1988 gegebenen Empfehlung eine augenärztliche Kontrolluntersuchung bei dem Kind nicht innerhalb von 3 Wochen nach dem 21.1.1988 durchgeführt worden ist. Zum anderen sei eine fehlerhafte Behandlung darin zu sehen, dass die Eltern des Kindes anlässlich der Entlassung nicht ausreichend über die Notwendigkeit einer zeitnahen augenärztlichen Kontrolluntersuchung belehrt worden seien. Das OLG rügt ferner das Fehlen klarer Anweisungen sowohl zur Sicherung der fristgerechten ophtalmologischen Kontrolle als auch zur Führung überforderter Eltern frühgeborener Zwillingskinder hinsichtlich wichtigster ambulanter Kontrolluntersuchungen. Hierin liege ein schwerer Behandlungsfehler in Form eines Organisationsverschuldens.

Sowohl die Versäumung der konsiliarärztlich empfohlenen Frist zur Kontrolluntersuchung als auch die unzureichende Instruktion der Eltern anlässlich der Entlassung des Kindes können lediglich als Behandlungsfehler der mit der ärztlichen Versorgung betrauten Stationsärztin bzw. weiterer an der Heilbehandlung des Kindes beteiligter Kinderärzte der Früh- und Neugeborenenstation eingestuft werden. Eine Dienstpflichtverletzung des Beklagten ist insoweit hingegen nicht gegeben, da er mit der Therapie des Kindes nicht persönlich befasst war. Bezüglich seiner Person kann eine Pflichtverletzung allenfalls unter dem Gesichtspunkt ihm anzulastender organisatorischer Mängel zu bejahen sein.

Soweit das OLG solche Mängel bejaht hat, ist der Senat daran bei der Beurteilung des hier streitigen Regressanspruchs nicht gebunden. Das folgt schon daraus, dass der Beklagte an dem Verfahren vor dem OLG nicht beteiligt war und die für ihn nachteiligen Feststellungen des OLG ihm gegenüber nicht in Rechtskraft erwachsen sind.

Das OLG hat seine Beanstandung, es habe an klaren Anweisungen zur Sicherung der fristgerechten Durchführung - konsiliarärztlich empfohlener - ophtalmologischer Kontrollen gefehlt, nicht näher begründet. Der Senat vermag dem OLG in diesem Punkt auch im Ergebnis nicht beizutreten. Er lässt sich dabei von den folgenden Erwägungen leiten:

Zur Sicherstellung der fristgerechten Vornahme einer durch einen Konsiliararzt vorgeschlagenen Kontrolluntersuchung der streitgegenständlichen Art bestanden zum Zeitpunkt der Behandlung des Kindes organisatorische Vorgaben in Form eines formalisierten Verfahrens. Diese Vorgaben erstreckten sich zum einen auf die Umsetzung einer angeordneten Untersuchung. ... Vorgesehen war danach die Vormerkung der notwendigen Maßnahmen im Krankenblatt für einen bestimmten Termin, die Hinzusetzung der Bezeichnung "a" (für angemeldet) nach Bestätigung des Termins durch die Konsiliarärzte sowie die Hinzufügung eines "Hakens" nach Durchführung und schriftlicher Dokumentierung der Untersuchung. Ferner wurde der Termin auf einer Tafel im Stationszimmer vermerkt. Aber auch hinsichtlich der Anordnung bzw. Einleitung der konsiliarisch vorgeschlagenen Untersuchungsmaßnahme bestand insoweit ein formalisiertes Verfahren, als der Befundbericht der Konsiliarärzte jeweils durch den verantwortlichen Stationsarzt abgezeichnet wurde. Dass diese Verfahrensweise vorliegend keinen verbindlichen Charakter hatte, sondern in das Belieben der Stationsärzte gestellt war, ist weder durch den Kläger behauptet worden noch sonst erkennbar. Sie entsprach allgemeiner Übung: Danach übernimmt der verantwortliche Stationsarzt, der üblicherweise den Befundbericht abzeichnet, als approbierter Arzt die volle Verantwortung, dass die sich aus dem Befundbericht ergebenden Konsequenzen vollständig gezogen werden. Das Erfordernis der Abzeichnung des Befundberichts soll in formalisierter Weise sicherstellen, dass der verantwortliche Stationsarzt die vorgeschlagenen Behandlungsmaßnahmen zur Kenntnis nimmt und gleichzeitig - gegebenenfalls nach Rücksprache - eine Entscheidung über ihre Umsetzung trifft sowie diese anschließend ausführt, sofern er nicht ausnahmsweise aus besonderen Gründen davon absieht, dem fachärztlichen Behandlungsvorschlag zu folgen.

Der Beklagte war rechtlich nicht gehalten, durch weitere organisatorische Maßnahmen die fristgerechte Verwirklichung einer konsiliarärztlichen Behandlungsempfehlung der streitbefangenen Art sicherzustellen. Darauf abzielende Maßnahmen sind weder durch den Kläger noch in dem Urteil des OLG benannt worden. In Betracht kamen allenfalls ein genereller Hinweis darauf, dass entsprechende Behandlungsvorschläge - auch hinsichtlich der in ihnen bestimmten Fristen - strikt zu beachten sind, sowie auf die Einhaltung der Fristen gerichtete Kontrollmaßnahmen.

Eine Hinweispflicht im vorgenannten Sinne ist zu verneinen. Dass von einem Therapievorschlag, wie er in dem Befundbericht vom 21.1.1988 niedergelegt ist, nicht ohne besonderen Grund abgewichen werden durfte, drängte sich geradezu auf, und zwar auch einem noch unerfahrenen Arzt.

Vgl. zu den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht einer am Anfang ihrer Facharztausbildung stehenden Assistenzärztin: BGH, Urteil vom 26.4.1988 - VI ZR 246/86 -, NJW 1988, 2298 (2299 f.).

Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Therapieempfehlung, was offenkundig ist, von einem Arzt stammte, der gerade wegen seiner Spezialkenntnisse zu Rate gezogen worden war. Vor diesem Hintergrund stellte sich das Erfordernis, dem Vorschlag im Regelfall, d. h. soweit nicht eine Abweichung aus besonderen Gründen gerechtfertigt war, strikt zu folgen, als Selbstverständlichkeit dar. Im Hinblick darauf kann es nicht überzeugen, dass hierauf seitens des Beklagten nochmals gesondert hätte hingewiesen werden müssen.

Ebensowenig kann eine Verpflichtung des Beklagten bejaht werden, Kontrollmaßnahmen mit dem Ziel zu organisieren, dass Untersuchungen, die durch Konsiliarärzte vorgeschlagen werden, auch tatsächlich seitens des Stationsarztes eingeleitet werden. Bei der in Rede stehenden Veranlassung der Kontrolluntersuchung - in Form der Anforderung eines entsprechenden Konsiliums - handelt es sich um einen Vorgang, der einen einfachen Willensentschluss voraussetzt und weder mit besonderen Schwierigkeiten noch entsprechenden potentiellen Fehlerquellen behaftet ist. Er kann im Einzelfall, wie etwa im Falle des Kindes, zwar überaus wichtig sein, zählt aber dennoch zu den - einfachen - Routineangelegenheiten, die in ähnlicher Form im Krankenhausalltag in der Regel viele Male anfallen. Überwachungsmaßnahmen hinsichtlich derartiger Vorgänge wären mit einem erheblichen - zusätzlichen - organisatorischen Aufwand verbunden, der seinerseits sogar Fehlerquellen in sich bergen könnte. Angesichts dessen ist es lebensfremd, dem Beklagten Kontrollpflichten mit dem besagten Inhalt aufzuerlegen. Dahingehende Überlegungen stellt auch der Kläger mit Recht nicht an. Im Übrigen gab es für den Beklagten keinen konkreten Anlass, Kontrollmaßnahmen im Bereich der Anordnung und Umsetzung konsiliarärztlich empfohlener Untersuchungen sicherzustellen. Vielmehr waren nach den Darlegungen des Beklagten, denen der Kläger nicht entgegengetreten ist, die von ersterem bei seinem Amtsantritt eingeführten organisatorischen Vorgaben zum hier maßgeblichen Zeitpunkt bereits mehrere Jahre praktiziert worden, ohne dass es zu einem dem Fall des Kindes vergleichbaren Vorfall gekommen wäre. Diese Gegebenheiten sprechen gegen die Annahme, es habe von der Person des Beklagten aus gesehen im maßgeblichen Zeitpunkt des streitbefangenen Geschehens nahe gelegen, Überwachungsregelungen der in Rede stehenden Art vorzusehen. Auch in Bezug auf die Person der Stationsärztin lag - jedenfalls - bis zum Beginn des Jahres 1988 keine Auffälligkeit vor, die es für den Beklagten hätte als offenkundig erscheinen lassen müssen, dass die ärztliche Tätigkeit gerade dieser Mitarbeiterin einer besonderen Überwachung bedurfte. Zu verweisen ist insoweit nicht zuletzt auch auf das Schreiben des Rektors der Hochschule B vom 1.2.1991, in dem ausgeführt wird, die Stationsärztin habe während der gesamten Zeit ihrer Beschäftigung in den medizinischen Einrichtungen der Hochschule nie Anlass zu irgendwelchen Beanstandungen gegeben. Sie könne als äußerst qualifizierte Ärztin bezeichnet werden, die ihre Arbeiten stets mit großer Umsicht, fachlicher Kompetenz und Gewissenhaftigkeit erledigt habe.

Das OLG hat weiter beanstandet, dass der Beklagte keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen habe, um eine schriftliche Unterrichtung zwecks "Führung überforderter Eltern frühgeborener Zwillingskinder hinsichtlich wichtigster ambulanter Kontrolluntersuchungen" sicherzustellen.

Der Senat hat auch in Hinsicht auf diesen rechtlichen Ansatz zur Bejahung eines Organisationsverschuldens erhebliche Zweifel, sieht jedoch im vorliegenden Regressverfahren keinen Anlass zu einer abschließenden Stellungnahme. Die Zweifel des Senats gründen sich vor allem auf folgende Überlegungen:

Es ist schon fraglich, ob es im Zusammenhang mit der aus Anlass einer Entlassung erforderlichen Belehrung der Eltern frühgeborener Kinder über nach der Entlassung notwendige Kontrolluntersuchungen überhaupt organisatorischer Vorkehrungen des Beklagten bedurfte. Dabei ist zu bedenken, dass sich nicht nur einem Facharzt, sondern auch einem Berufsanfänger hätte aufdrängen müssen, dass die Sicherstellung einer lückenlosen ambulanten Nachsorge durch hinreichend deutliche Belehrungen unbedingt geboten war, zumal dann, wenn ein entsprechender, in einem augenärztlichen Konsilium vorgeschlagener Kontrolltermin bereits längerfristig überschritten war. Selbst für einen Laien wäre eine solche Notwendigkeit unmittelbar einsichtig gewesen. Vor diesem Hintergrund gilt im vorliegenden Zusammenhang bezüglich einer Organisationspflicht des Beklagten nichts anderes als für das Erfordernis, einem konsiliarärztlichen Behandlungsvorschlag in der Regel zu folgen, d. h. es handelte sich um eine Selbstverständlichkeit, auf die der Beklagte nicht eigens aufmerksam machen musste.

Eine andere Einschätzung dürfte auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer schriftlichen Belehrung gerechtfertigt sein, auf den das OLG und ihm folgend das VG maßgeblich abgestellt haben. Es leuchtet nicht ohne weiteres ein, dass eine ordnungsgemäße Sicherheitsaufklärung nur in schriftlicher Form erfolgen konnte und es geboten war, zum Zwecke ihrer Durchführung entsprechende Formulare zur Verfügung zu stellen. Denn bei einer schriftlichen Belehrung ist keineswegs schlechthin eine höhere Gewähr dafür gegeben, dass sie von den Adressaten auch gelesen wird. Vielmehr kann auch und gerade ein Schriftstück in Vergessenheit geraten, insbesondere dann, wenn, wie bei einem längeren Krankenhausaufenthalt nicht unüblich, dem Betroffenen mehrere Belehrungsschreiben ausgehändigt werden. Demgegenüber wird ein mündlich Belehrter unmittelbar mit dem Inhalt der Belehrung konfrontiert mit der Folge, dass sie ihm jedenfalls bei entsprechender Nachdrücklichkeit im Regelfall auch geraume Zeit im Gedächtnis bleiben wird.

Eine formularmäßige Information begründet zudem die Gefahr, dass aufgrund ihrer Form die Wichtigkeit ihres Inhalts nicht hinreichend erkannt wird. Dagegen kann sich bei einem mündlichen Hinweis der Hinweisgeber unmittelbar ein Bild davon machen, ob der Adressat die Information verstanden und verinnerlicht hat. Er kann sich insoweit jeweils auch leicht auf die individuellen Verhältnisse seines Gegenübers einstellen und die Sicherheitsaufklärung entsprechend flexibel und einzelfallbezogen gestalten. Dies ist bei einer schriftlichen Belehrung kaum in gleicher Weise möglich, insbesondere nicht bei einer solchen in formularmäßiger Form. Vielmehr besteht vor allem bei Letzterer die Gefahr, dass Besonderheiten des konkreten Einzelfalles übersehen werden. Gerade der vorliegende Behandlungsfall, der zahlreiche Eigentümlichkeiten aufweist (insbesondere: Zwillings- und Frühgeburt, Nichtvorhandensein eines nachbehandelnden Kinderarztes zum Zeitpunkt der Entlassung, Gesundheitsbeeinträchtigungen bei beiden Kindern), lässt sich aufgrund seines Ausnahmecharakters schwerlich mit einer generellen Weisung bewältigen.

Der Inhalt der hier in Rede stehenden Belehrung war ferner nicht kompliziert oder schwer verständlich, so dass sich in dieser Hinsicht eine - gegebenenfalls auch zusätzliche bzw. ergänzende - schriftliche Information ebenfalls nicht von vornherein aufdrängte. Es bedurfte vor allem nicht der Darlegung und Erläuterung komplexer medizinischer Gegebenheiten. Vielmehr beschränkte sich die erforderliche Information in ihrem Kern auf den Hinweis, dass nach der Entlassung mit höchster zeitlicher Dringlichkeit eine augenärztliche Kontrolluntersuchung des Augenhintergrundes durchzuführen war, da ansonsten eine Netzhautablösung und Erblindung drohten.

Nicht überzeugend ist schließlich das - für die Unverzichtbarkeit einer schriftlichen Belehrung angeführte - Argument des VG, werde der vorläufige Arztbericht den Eltern mitgegeben, so sei es, wenn die Eltern noch keinen Kinderarzt hätten, allein von deren weiterem Vorgehen abhängig, wann ein nachbehandelnder Kinderarzt den vorläufigen Arztbericht erhalte. Bei einer schriftlichen Belehrung verhält es sich nämlich insoweit nicht anders als bei einer mündlichen Instruktion: Auch hier hängt es von den Eltern ab, wann der vorläufige Arztbrief seinen Adressaten erreicht.

Im Hinblick darauf, dass aus den vorstehend aufgezeigten Gründen überhaupt zweifelhaft ist, ob der Beklagte gehalten war, durch organisatorische Maßnahmen auf eine schriftliche Belehrung hinzuwirken und diesbezügliche Belehrungsformulare zur Verfügung zu stellen, liegt auch die Annahme einer entsprechenden speziell auf die Person von Berufsanfängern bezogenen Pflicht nicht nahe. Aus diesem Grunde ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Relevanz, dass das OLG angenommen hat, ein schriftliches Belehrungserfordernis habe sich der Stationsärztin aufgrund ihrer mangelnden Berufserfahrung nicht aufdrängen müssen.

Ob trotz alledem organisatorische Defizite letztlich bejaht werden können, bedarf keiner abschließenden Beantwortung. Auch bei Annahme einer Dienstpflichtverletzung fehlt es jedenfalls an dem von § 84 Abs. 1 Satz 1 LBG vorausgesetzten qualifizierten Verschulden des Beklagten. Dabei kann ein vorsätzlich pflichtwidriges Verhalten von vornherein ausgeschlossen werden. Ernsthafte Anhaltspunkte für eine mit Absicht, direktem Vorsatz oder mit Eventualvorsatz begangene Pflichtverletzung sind nicht erkennbar. Aber auch ein Verschulden des Beklagten in Form grober Fahrlässigkeit ist nicht gegeben. Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem, und zwar nicht erst nachträglich, sondern schon im Augenblick der Sorgfaltsverletzung hätte einleuchten müssen, wenn er nur die einfachsten und ganz nahe liegenden Erwägungen angestellt hätte. Es muss sich von der Person des Schädigers aus gesehen um ein schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten handeln, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.11.1997 - 6 A 1822/95 -; Urteil vom 10.8.1995 - 6 A 4064/93 -; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Stand: 1/05, § 84 Rdnr. 45.

Ein derartiges Maß an fahrlässigem Verhalten wäre dem Beklagten auch im Falle der Annahme einer Pflichtwidrigkeit der oben erläuterten Art nicht vorzuwerfen. Wie oben schon ausgeführt worden ist, sprechen gewichtige Gründe für die Annahme, dass eine - nachdrückliche - mündliche Belehrung der Eltern möglicherweise sogar wirkungsvoller, in jedem Falle wohl aber nicht weniger effektiv als eine schriftliche Information ist. Hiervon ausgehend musste eine Pflicht des Klinikleiters, eine schriftliche Entlassungsaufklärung anzuordnen und diesbezügliche Formulare zur Verfügung zu stellen, dem Beklagten nicht bei einfachsten und ganz nahe liegenden Erwägungen einleuchten. Soweit in der vom Beklagten geleiteten Klinik nunmehr die Eltern verpflichtet werden, bei der Entlassung den Erhalt der noch ausstehenden Nachsorgetermine durch ihre Unterschrift zu bestätigen, rechtfertigt das keine andere Einschätzung. Denn diese Verfahrensweise bezweckt in erster Linie, wie der Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, eine haftungsrechtliche Absicherung der Klinik durch schriftliche Dokumentation.

Ende der Entscheidung

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