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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 16.04.2008
Aktenzeichen: 6 A 2242/05
Rechtsgebiete: BVO NRW


Vorschriften:

BVO NRW § 4 Nr. 1 Satz 2
BVO NRW § 4 Nr. 1 Satz 3
Aufwendungen für eine ayurvedische Panchakarma-Therapie zur Behandlung chronischer Kopf- und Schulter-Nacken-Schmerzen sind nach § 4 Nr. 1 Sätze 2 und 3 BVO NRW nicht beihilfefähig.
Tatbestand:

Die Klägerin begehrte die Gewährung einer Beihilfe für eine ayurvedische Behandlung, die sie wegen chronischer Kopf- und Schulter-Nacken-Schmerzen erhalten hatte. Das beklagte Land leistete lediglich auf einen Teilbetrag der in Rechnung gestellten Aufwendungen eine Beihilfe. Die weitergehenden Aufwendungen seien nicht beihilfefähig, weil die angewandte Therapie zur Behandlung der Erkrankungen der Klägerin nicht wissenschaftlich anerkannt sei. Die Klage blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass das beklagte Land über ihren Antrag vom 20.6.2001 auf Gewährung einer Beihilfe auf die Rechnung des Arztes U. vom 7.6.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet. Das beklagte Land hat die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die von dem Arzt U. durchgeführte Behandlung zu Recht abgelehnt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Eine Beihilfe zu den notwendigen Aufwendungen für eine ärztliche Behandlung kann die Klägerin gemäß § 4 Nr. 1 Satz 2 BVO NRW vom 27.3.1975 (GV. NRW. S. 332) in der Fassung der Sechzehnten Verordnung zur Änderung der Beihilfenverordnung vom 16.12.1999 (GV. NRW. S. 673) grundsätzlich nur dann beanspruchen, wenn sie durch eine wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlung entstanden sind. Die ayurvedische Behandlung der Klägerin, die nach dem Gutachten des Sachverständigen als Panchakarma-Therapie einzuordnen ist, kann - bezogen auf die von dem Arzt U. diagnostizierte Erkrankung "Myalgie Nacken-Schulter-Bereich, Cephalgien" - nicht als wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlung angesehen werden.

Eine Behandlungsmethode ist wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Mehrheit in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit für wirksam und geeignet gehalten wird.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.6.1995 - 2 C 15/94 -, DÖV 1996, 37, und vom 18.6.1998 - 2 C 24/97 -, NJW 1998, 3436.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist es erforderlich, dass eine Heilbehandlung von den Wissenschaftlern, die in dem durch die zu behandelnde Krankheit gekennzeichneten Fachbereich tätig sind, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als für eine Behandlung der Krankheit wirksam angesehen wird. Diese Überzeugung muss nicht in jedem Fall in der Fachwelt uneingeschränkt und einhellig geteilt werden. Es muss jedoch eine weitgehende Zustimmung der im Fachbereich tätigen Wissenschaftler bestehen. Nicht genügend ist es danach, dass eine Heilbehandlung lediglich von einer - wenn auch gewichtigen - Minderheit für wirksam gehalten wird oder dass in einer oder gegebenenfalls sogar mehreren Studien die Wirksamkeit und Geeignetheit einer Behandlungsmethode bejaht wird, solange sich die überwiegende Mehrheit der Fachwissenschaftler dieser Auffassung nicht anschließt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.3.1995 - 6 A 3871/93 -, Schütz, Beamtenrecht, ES/C IV 2 Nr. 91 m.w.N., Beschlüsse vom 28.1.2000 - 6 A 1317/99 - und vom 29.9.2003 - 6 A 1184/00 -.

Diese Anforderungen für eine wissenschaftliche Anerkennung erfüllt die Panchakarma-Therapie bezogen auf die genannten Erkrankungen der Klägerin nicht. Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 20.2.2008, das er in der mündlichen Verhandlung vom 16.4.2008 bekräftigt und näher erläutert hat. Danach fehlt es in den maßgeblichen medizinischen Fachbereichen an einer Anerkennung der Wirksamkeit und Geeignetheit der Panchakarma-Therapie für Behandlungen von chronischen Schmerzsyndromen im Schulter- und Nackenbereich.

Allerdings ist die Wirksamkeit der Panchakarma-Therapie nach den Feststellungen des Sachverständigen (auch) für die Behandlung solcher Erkrankungen im ayurvedischen System und in der dort etablierten Medizin sowie in der bislang international etablierten universitären komplementären Medizin anerkannt. Die Akzeptanz in Bereichen, in denen sie traditionell praktiziert wird, genügt jedoch nicht, um von einer wissenschaftlichen Anerkennung der Panchakarma-Therapie ausgehen zu können. Nach den eingangs erläuterten Voraussetzungen ist es außerdem erforderlich, dass auch die Wissenschaftler des Fachbereichs, dem die zu behandelnde Krankheit zuzuordnen ist, der Wirksamkeit der Heilbehandlung weitgehend zustimmen. Das ist nach den Feststellungen des Sachverständigen hinsichtlich der Panchakarma-Therapie nicht der Fall. Er hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass nach heutigem Verständnis die Behandlung der Erkrankungen der Klägerin in erster Linie im Rahmen der Schmerztherapie erfolge und deshalb vor allem dem Facharzt für Anästhesie obliege. Die Wirksamkeit der Panchakarma-Therapie zur Behandlung chronischer Schmerzerkrankungen sei in diesem fachärztlichen Bereich - jedenfalls in den Vereinigten Staaten und in Europa - nicht wissenschaftlich anerkannt. Das entspricht den Ausführungen in seinem schriftlichen Gutachten, wonach sich die Anerkennung im Wesentlichen auf Länder beschränke, in denen Ayurveda ethnomedizinisch etabliert sei.

Gemäß § 4 Nr. 1 Satz 3 BVO NRW können auch Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlungen auf Grund des Gutachtens eines Amts- oder Vertrauensarztes (-zahnarztes) für beihilfefähig erklärt werden, wenn wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind.

Nicht jede wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlung ist danach beihilfefähig. Vielmehr muss die Aussicht bestehen, dass die Heilbehandlung nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich anerkannt werden kann, und die begründete Erwartung auf wissenschaftliche Anerkennung gerechtfertigt sein. Für eine solche begründete Erwartung ist es zumindest erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.6.1995 und vom 18.6.1998, a.a.O.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Aus den schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen und dessen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung, denen der Senat folgt, ergibt sich, dass die begründete Erwartung einer wissenschaftlichen Anerkennung der Panchakarma-Therapie bezogen auf das Krankheitsbild der Klägerin nicht besteht. Es fehlt schon an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bestätigen, dass diese Therapie geeignet ist, die bei der Klägerin vorliegende chronische Schmerzerkrankung im Kopf, Schulter- und Nackenbereich zu heilen oder Leidensfolgen zu lindern, und dass sie mithin zur Behandlung dieser Erkrankung wirksam eingesetzt werden kann.

Zwar liegen nach den Ausführungen des Sachverständigen Studien vor, in denen auch die Wirksamkeit der Panchakarma-Therapie bei der Behandlung von muskulo-skelettalen Erkrankungen und Schmerzsyndromen untersucht worden ist. Abgesehen davon, dass es sich hierbei nur um vereinzelte Studien handelt, lässt sich mit ihnen der erforderliche Wirksamkeitsnachweis nicht führen, weil sie nach Einschätzung des Sachverständigen nicht - wie erforderlich - den modernen wissenschaftlichen Standards entsprechen. Der Sachverständige hat dargelegt, dass diese Studien keinesfalls den Anforderungen des aktuellen Ansatzes der "Evidence-Based Medicine" genügten und bislang keine diesem Ansatz entsprechenden Studiendaten vorlägen. Solche Studien befänden sich zwar in Planung, doch seien Resultate erst in den nächsten Jahren zu erwarten. Vor diesem Hintergrund könne aus heutiger Sicht nicht festgelegt werden, welche Indikationen und Verfahren des Ayurveda nach der laufenden medizinischen Evaluationsphase in die konventionelle klinische Medizin eingegliedert, welche Inhalte des Ayurveda also im Sinne der "Evidence-Based Medicine" Bestand haben würden. Damit hat der Sachverständige dargelegt, dass die Wirksamkeit der Panchakarma-Therapie für die Behandlung chronischer Schmerzerkrankungen einer modernen Standards entsprechenden wissenschaftlichen Überprüfung im Grundsatz zwar zugänglich ist, eine solche Überprüfung aber noch ansteht. Ob sich die Panchakarma-Therapie als solche und zudem gerade für die Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen in einer modernen wissenschaftlichen Standards genügenden Weise als wirksam erweisen wird, kann danach bestenfalls als offen bezeichnet werden.

Einen Anspruch auf Anerkennung der Aufwendungen für die durchgeführte Panchakarma-Therapie als beihilfefähig kann die Klägerin auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten herleiten. Zwar hat das beklagte Land die Aufwendungen für entsprechende Behandlungen in den Jahren 1998 und 1999 als beihilfefähig betrachtet. Daraus ergibt sich aber kein Anspruch der Klägerin, dass die Aufwendungen für die streitgegenständliche Behandlung entgegen den Voraussetzungen der BVO NRW ebenfalls als beihilfefähig behandelt werden. Aus Vertrauensschutzgesichtspunkten, deren Heranziehung das Rechtsstaatsprinzip nach den Umständen des Einzelfalles gebietet, kann sich grundsätzlich kein Anspruch auf Beibehaltung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis ergeben mit der Folge, dass bei gleicher Sachlage künftig wieder in gleicher Weise falsch entschieden werden müsste. Dass hier ausnahmsweise eine andere Betrachtung gerechtfertigt wäre, ist nicht ersichtlich.

Ungeachtet dessen konnte die Klägerin aufgrund der Gewährung der Beihilfe in den Jahren 1998 und 1999 auch nicht darauf vertrauen, dass das beklagte Land die Aufwendungen für entsprechende Behandlungen in der Zukunft stets als beihilfefähig ansehen werde. Einen solchen Erklärungsgehalt hatten diese Entscheidungen - für die Klägerin erkennbar - nicht, da sie lediglich die Beihilfefähigkeit der für die konkret durchgeführte Behandlung angefallenen Aufwendungen betrafen. Mit ihnen wurde weder ausdrücklich noch konkludent eine Grundentscheidung für künftige Fälle getroffen.

Ende der Entscheidung

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