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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.07.2003
Aktenzeichen: 6 A 2419/00
Rechtsgebiete: GG, LBG NRW, ArbZV NRW


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
LBG NRW § 78 Abs. 1 Satz 1
ArbZV NRW § 2 Abs. 1 Satz 1
Die Erhöhung der wöchentlichen Pflichtstunden der Lehrer an Gesamtschulen von 23,5 auf 24,5 Unterrichtsstunden durch § 3 der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz vom 22. Mai 1997, GV NRW 88, ist als solche rechtmäßig.
Gründe:

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen die Erhöhung seiner wöchentlichen Pflichtstundenzahl. Er ist als Lehrer an einer Gesamtschule tätig. Durch § 3 der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz vom 22.5.1997, GV. NRW. S. 88, wurde die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden unter anderem für Lehrer an Gesamtschulen von 23,5 auf 24,5 heraufgesetzt. Der Kläger hält diese Erhöhung für rechtswidrig, da sie bei Gesamtschullehrern zu einer Überschreitung der für alle Beamten geltenden Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche führe. Das VG hat die Klage abgewiesen, weil die Pflichtstundenerhöhung nicht zu beanstanden sei. Der Kläger meint, das Urteil lasse die höchstrichterliche Rechtsprechung sowie aktuelle Arbeitszeitgutachten unberücksichtigt.

Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Insbesondere ergeben sich solche Zweifel nicht aus dem Vortrag des Klägers, das VG habe den Beschluss des BVerwG vom 28.12.1998 - 6 P 1.97 - nicht genügend berücksichtigt. In diesem Beschluss hat sich das BVerwG mit dem Mitbestimmungstatbestand des § 76 Abs. 2 Nr. 5 BPersVG und der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung" befasst. Das BVerwG hat die von ihm zu beurteilende Erhöhung der Pflichtstundenzahl (dort für Lehrkräfte an Realschulen von 25 auf 26 Stunden) als Maßnahme angesehen, die auf eine Erhöhung des Arbeitsergebnisses im Kernbereich der Tätigkeit der Lehrer gerichtet sei, und einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand bejaht. Dies hat jedoch keine Auswirkungen für das vorliegende Verfahren. Die personalvertretungsrechtliche Beurteilung lässt keinen Rückschluss auf die - hier allein im Streit stehende - dienstrechtliche Zulässigkeit der Pflichtstundenerhöhung zu.

Ernstliche Zweifel folgen auch nicht aus dem Antragsvorbringen bezogen auf die Erhebungen der Unternehmensberatungsgesellschaft X. Allein der Vortrag, dass nach den Erhebungen dieser Gesellschaft die Anzahl der erbrachten Stunden im Gesamtschulbereich mit 1.976 Stunden weitaus höher als die allgemeine Jahresarbeitszeit im öffentlichen Dienst (1.702 Stunden) liegen soll, führt für sich genommen nicht weiter. Der Kläger beruft sich damit auf gutachterliche Schlussfolgerungen, deren Ergebnisse ausweislich des Vorbringens des Beklagten von diesem nicht als valide akzeptiert, sondern einer Aufgabenkritik unterzogen werden. Eine kritiklose Zugrundelegung der vom Kläger ins Feld geführten Zahlen ist schon deshalb nicht möglich. Jedenfalls vermag allein der Hinweis auf das Untersuchungsergebnis der Gutachter die Rechtswidrigkeit der Pflichtstundenerhöhung nicht zu begründen. Denn dies wäre nicht zu vereinbaren mit den rechtlichen Vorgaben, an denen Regelungen der Lehrerarbeitszeit gemessen werden müssen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG ist geklärt, dass die Pflichtstundenregelung für Lehrer und für einzelne Lehrergruppen in die allgemeine beamtenrechtliche Arbeitszeitregelung eingebettet ist. Sie trägt dem besonderen Umstand Rechnung, dass die Arbeitszeit der Lehrer nur zu einem Teil, nämlich hinsichtlich der eigentlichen Unterrichtsstunden, exakt messbar ist, während die Arbeitszeit im Übrigen entsprechend den pädagogischen Aufgaben des Lehrers wegen der erforderlichen Unterrichtsvorbereitung, der Korrekturen, Elternbesprechungen, Konferenzen und dergleichen nicht im Einzelnen in messbarer und überprüfbarer Form bestimmt werden kann. Vielmehr ist insoweit nur eine - grob pauschalierende - Schätzung möglich. In diesem Rahmen konkretisiert der Dienstherr durch die Pflichtstundenregelung die für Lehrer geltende durchschnittliche Wochenarbeitszeit.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.12.1989 - 2 NB 2.89 -, RiA 1990, 194 f. und vom 29.1.1992 - 2 B 5.92 -; grundlegend: Urteil vom 15.6.1971 - 2 C 17.70 -, BVerwGE 38, 191 ff.

Wie das BVerwG weiter ausgeführt hat, muss bei dieser groben Schätzung die den Lehrern abverlangte Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der jährlichen Gesamtarbeitszeit im Rahmen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der übrigen Beamten bleiben.

Vgl. etwa Beschluss vom 14.12.1989 - 2 NB 2.89 -, a.a.O., 195 (dort zur 40-Stunden-Woche). Der rechtliche Ansatz des BVerwG enthält zwei keineswegs selbstverständliche Prämissen, die sich nicht nachteilig, sondern allein zu Gunsten der Lehrer auswirken können: Zum einen ist damit die rechtliche Forderung verbunden, die Arbeitszeit der Lehrer dürfe die wöchentliche Arbeitszeit der übrigen Beamten (derzeit 38,5-Stunden-Woche, vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW, § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZV NRW) im Großen und Ganzen nicht überschreiten.

Anders noch BVerwG, Urteil vom 15.6.1971 - 2 C 17.70 -, a.a.O., 197 : Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz verbiete nicht, die Pflichtstundenzahl der Lehrer abweichend von der allgemeinen Arbeitszeitregelung für Beamte festzusetzen, soweit dies durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sei.

Zum anderen liegt der genannten Rechtsprechung die tatsächliche Annahme zugrunde, dass eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Obergrenze darstellt, die im Allgemeinen nicht überschritten wird. Ob dies zutrifft, erscheint dem Senat indessen durchaus fragwürdig. Betrachtet man wesentliche Bereiche des höheren, aber auch Teile des gehobenen Dienstes, also die Laufbahngruppen, denen auch die Lehrer zugeordnet sind, so entspricht es der Lebenserfahrung, dass die regelmäßige Wochenarbeitszeit nicht selten von einer nennenswerten Anzahl der Beamten überschritten wird. Dem muss für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits aber nicht weiter nachgegangen werden. Zu Gunsten der Lehrer und damit auch des Klägers dieses Verfahrens geht der Senat bei den weiteren Überlegungen von dem rechtlichen und tatsächlichen Ansatz des BVerwG aus.

Für die Beantwortung der Frage, ob die verlangte Arbeitsleistung über den danach definierten Rahmen hinausgeht, kommt es nicht auf die Ansicht der Lehrer selbst darüber an, welcher Zeitaufwand zur Bewältigung ihrer Aufgaben notwendig und zweckmäßig ist. Entscheidend ist vielmehr die durch den Dienstherrn geforderte Arbeitsleistung. Er allein bestimmt, welcher Zeitaufwand zur Bewältigung der Aufgaben notwendig und zweckmäßig ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.1979 - 2 C 40.77 -, BVerwGE 59, 142 (147) und Beschluss vom 14.12.1989 - 2 NB 2.89 -, a.a.O., S. 195.

Dabei unterliegt es dem Gestaltungsspielraum des Dienstherrn, wie er das Verhältnis zwischen der Arbeitszeit für die Erledigung der Unterrichtsverpflichtung und derjenigen für die Erledigung der sonstigen Arbeiten eines Lehrers einschätzt. Der Dienstherr bestimmt somit, welche Anforderungen - insbesondere in zeitlicher, aber letztlich auch qualitativer Hinsicht - an die Vor- und Nachbereitung, Korrekturen, Elternbesprechungen, den Konferenzaufwand und den übrigen außerunterrichtlichen Arbeitsaufwand zu stellen sind. Diese Einschätzung des Dienstherrn ist nur in sehr engen Grenzen gerichtlich nachprüfbar. Sie darf nicht offensichtlich fehlsam, insbesondere nicht willkürlich sein.

Ob dies der Fall ist, hängt freilich von einer nicht nur rechtlichen, sondern auch tatsächlichen Würdigung und Abwägung der für die Entscheidung des Dienstherrn maßgebenden Umstände ab.

BVerwG, Beschluss vom 29.1.1992 - 2 B 5.92 -.

Dabei ist wiederum zu beachten, dass die Arbeitsbelastung der Lehrer in besonderem Maße von einer Vielzahl von Imponderabilien beeinflusst wird. Abgesehen von subjektiven Faktoren wie der persönlichen Befähigung und Berufs- und Lebenserfahrung sowie selbst gestellten Anforderungen jedes einzelnen Lehrers wirken sich auch andere Faktoren nachhaltig aus, beispielsweise eine Verminderung der Klassenstärken oder Änderungen bei Anrechnungs-, Ermäßigungs- oder Entlastungsstunden und dergleichen. Die Diskussion der Beteiligten über die Wirkung von Entlastungsmaßnahmen, die der Beklagte ins Feld geführt, der Kläger indessen bestritten hat, macht dies deutlich. Gerade weil auch solche subjektiven oder kaum messbaren Parameter das Ausmaß der Arbeitsbelastung mit bestimmen, kann nicht auf die Selbsteinschätzung der Lehrerschaft abgestellt werden.

Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die in der Rechtsprechung wiederholt geäußerten Bedenken, ohne weiteres solchen Arbeitszeitgutachten zu folgen, die sich in weitgehendem Maße Methoden wie der Selbstaufschreibung der Lehrer bedienen.

Jüngst etwa Saarl. OVG, Urteil vom 13.1.2003 - 1 N 2/02 -, zitiert nach juris, auch zu dem Gutachten der Unternehmensberatung X.; vgl. ferner Hess. VGH, Urteile vom 8.8.2000 - 1 N 4694/96 -, ESVGH 50, 297 ff., und vom 22.8.2000 - 1 N 2320/96 -, ZTR 2000, 577 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.8.1998 - 4 S 1411/97 -, zitiert nach juris.

Die hierin liegenden Unsicherheiten zeigen sich schon in dem von der Unternehmensberatung X. in ihrem Arbeitszeitgutachten tabellarisch zusammengestellten Zahlenwerk (vgl. Tabelle 11 des Untersuchungsberichtes Bd. I, S. 71). Die Spannbreite liegt danach für Gesamtschulen - bei einer durchschnittlichen Jahresarbeitszeit von 1.976 Stunden - zwischen 1.207 (Minimum) und 3.152 Stunden/Jahr (Maximum). Die sogenannte "Standardabweichung" (bei 67 % der befragten Lehrer) in dieser Schulform liegt bei immerhin 295 Stunden pro Jahr. Deshalb kann das von der Antragsschrift angeführte Gutachten von vornherein nur viel weniger ins Gewicht fallen als die Bewertung, die der Dienstherr über den Standard der außerunterrichtlichen Tätigkeit der Lehrer trifft bzw. konkret getroffen hat.

Unter Berücksichtigung dieses - sehr eingeschränkten - Prüfungsmaßstabes bestehen keine Anhaltspunkte für eine offensichtlich fehlerhafte oder gar willkürliche Einschätzung und Bewertung der außerunterrichtlichen Arbeitszeit der an Gesamtschulen tätigen Lehrer durch das beklagte Land. Die Festlegung des Standards ist insoweit, wie bereits ausgeführt, allein Sache des Dienstherrn. Seine dahingehende Entscheidung mag rechtspolitisch angreifbar sein. Rechtlich fassbare Mängel der aufgezeigten Art lassen sich indessen dem Antragsvorbringen des Klägers jedenfalls nicht entnehmen. Es sei hinzugefügt, dass sie für den Senat auch aus sonstigen Umständen nicht erkennbar sind. Im Gegenteil zeigen die Berechnungen der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung,

vgl. zusätzlich OVG Rh.-Pf., Urteil vom 13.9.1996 - 2 A 12980/95. OVG -; Schütz, ES/BI 2.4 Nr. 39,

die auf die Relation zwischen reiner Unterrichtszeit und dem Aufwand für Vor- und Nachbereitung abstellt, dass bei einer Unterrichtsverpflichtung in dem hier streitigen Umfang für die außerunterrichtliche Tätigkeit mindestens ebenso viel Arbeitszeit verbleibt. Hieraus wird ohne weiteres sichtbar, dass von einer offensichtlich fehlerhaften oder willkürlichen Bewertung durch den Dienstherrn nicht die Rede sein kann.

Danach verbleibt im wesentlichen nur die Frage, ob die durchgängige Gleichbehandlung aller Lehrer einer Schulform untereinander - ohne Rücksicht auf deren Fächerkombination und ohne Rücksicht auf sonstigen Belastung etwa in Gestalt erhöhten außerunterrichtlichen Vor- und Nachbereitungsaufwandes - zu rechtfertigen ist. Diese Frage kann indessen nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung sein. Der Kläger hat diesen Punkt mit seinem Zulassungsantrag nicht angesprochen, sondern lediglich die "Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Lehrern anderer Schulformen" gerügt. Weshalb in dieser Ungleichbehandlung ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegen und deshalb ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründet sein sollen, hat er nicht näher dargelegt. Eine Zulassung der Berufung kann darauf folglich schon aus prozessualen Gründen nicht gestützt werden.

Mit der von der Antragsschrift aufgeworfenen Frage, "ob die Pflichtstundenerhöhung rechtmäßig oder rechtswidrig ist", wird schließlich auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht hinreichend dargelegt. Hierdurch wird nicht, wie es erforderlich wäre, hinreichend konkret eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufgeworfen, die im Interesse einheitlicher Rechtsanwendung oder der Weiterentwicklung der Rechtsordnung in dem angestrebten Berufungsverfahren klärungsfähig und klärungsbedürftig wäre.

Ende der Entscheidung

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