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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.08.2008
Aktenzeichen: 6 A 2445/05
Rechtsgebiete: EGV, MVergV


Vorschriften:

EGV Art. 141
MVergV § 4
Das gemeinschaftsrechtliche Gebot der Entgeltgleichheit wird verletzt, wenn bei gleicher Arbeit und gleicher Anzahl von Stunden, die aufgrund eines Beamtenverhältnisses geleistet wird, die den Vollzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung höher ist als die den Teilzeitbeschäftigten gezahlte und diese Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Unter diesen Voraussetzungen haben auch männliche teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte einen Anspruch auf anteilige Besoldung für zusätzlich zum Teilzeitdeputat geleistete Unterrichtsstunden.


Tatbestand:

Der Kläger war als Studienrat mit 22 Pflichtstunden teilzeitbeschäftigt. Über dieses Pflichtstundenmaß hinaus leistete er auf Anordnung der Schulleitung in den Monaten Februar und März 2003 zusätzliche Unterrichtsstunden, die ihm mit dem in der Mehrarbeitsvergütungsverordnung vorgesehenen Stundensatz vergütet wurden. Seinen Antrag, ihm darüber hinaus eine zeitanteilige Besoldung aus seiner Besoldungsgruppe zu gewähren, lehnte das beklagte Land ab. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte in erster und zweiter Instanz im Wesentlichen Erfolg.

Gründe:

Das beklagte Land ist verpflichtet, dem Kläger für die fünf in den Monaten Februar und März 2003 zusätzlich geleisteten Unterrichtsstunden eine weitere Vergütung unter Zugrundelegung des Stundensatzes zu zahlen, der sich in dem jeweiligen Monat für einen gleich alten vollzeitbeschäftigten Inhaber eines Lehramtes derselben Besoldungsgruppe an einem Gymnasium als Besoldung je Unterrichtsstunde errechnet. Der Anspruch auf anteilige Besoldung folgt aus den Regelungen des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV, die zusammen mit der Richtlinie 75/117/EWG das gemeinschaftsrechtliche Gebot der Entgeltgleichheit enthalten. Dieses Gebot, das eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, gilt auch im Verhältnis zwischen öffentlichen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und für die den deutschen Beamten aufgrund des Dienstverhältnisses gewährten Vergütungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.3.2008 - 2 C 128/07 -, und EuGH, Urteil vom 6.12.2007 - C-300/06 -).

Eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts ist beispielsweise anzunehmen, wenn eine Entgeltregelung zwar formal nicht an das Geschlecht anknüpft, durch die Regelung aber erheblich mehr Angehörige des einen Geschlechts tatsächlich nachteilig betroffen werden als des anderen. Dies kann etwa bei nachteiligen Regelungen für Teilzeitbeschäftigte gelten, wenn in der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zur Gruppe der Vollzeitbeschäftigten der Anteil des einen Geschlechts erheblich überwiegt. Unter diesen Voraussetzungen liegt eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts immer dann vor, wenn bei gleicher Arbeit und gleicher Anzahl von Stunden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet wird, die den Vollzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung höher ist als die den Teilzeitbeschäftigten gezahlte und diese Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2007, a.a.O., vom 15.12.1994 - Rs. C-399/92 u.a. -, Slg. 1994 I-5727, und vom 13.5.1986 - Rs. 170/74 -, NJW 1986, 3020).

Die Prüfung einer Ungleichbehandlung beschränkt sich nicht auf einen gesonderten Vergleich der Entgeltbestandteile Besoldung und Mehrarbeitsvergütung. Entscheidender Vergleichsmaßstab ist vielmehr die Vergütung für die insgesamt geleisteten Unterrichtsstunden. Die Ungleichbehandlung endet erst dann, wenn der teilzeitbeschäftigte Lehrer soviel Mehrarbeit leistet, dass deren Umfang auch die reguläre Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Lehrers überschreitet (vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2007, a.a.O., Rdnr. 31; BVerwG, Urteil vom 13.3.2008, a.a.O).

Nach diesen Grundsätzen sind die hier streitigen zusätzlich geleisteten Unterrichtsstunden nicht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 MVergV, sondern im Wege anteiliger Besoldung zu vergüten. Die Arbeitszeit des Klägers überschritt in den Monaten Februar und März 2003 unter Einschluss der fünf streitbetroffenen Unterrichtsstunden die reguläre Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Lehrers nicht.

Der Senat geht davon aus, dass in der Gruppe der teilzeitbeschäftigten beamteten Lehrkräfte Frauen proportional deutlich stärker vertreten sind als in der Gruppe der vollzeitbeschäftigten beamteten Lehrer. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und entspricht der Lebenserfahrung.

Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung bei der Vergütung teilzeitbeschäftigter Lehrer gegenüber vollzeitbeschäftigten Lehrkräften ist nicht erkennbar.

Bei der Prüfung, ob eine mittelbare Schlechterstellung des einen Geschlechts gerechtfertigt ist, ist eine Abwägung vorzunehmen. Dabei sind das Interesse an der Gleichbehandlung und der Zweck der Maßnahme, die faktisch das eine Geschlecht stärker betrifft, einander gegenüberzustellen und zu gewichten (vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.6.2003 - 6 A 4424/01 -, NWVBl. 2004, 104).

Dem Interesse an der Gleichbehandlung steht hier kein gleich gewichtiger Zweck gegenüber. Er ergibt sich insbesondere nicht aus den vom beklagten Land geltend gemachten Gründen der Verwaltungsvereinfachung. Die individuelle Berechnung des für die anteilige Besoldung jeweils maßgeblichen Stundensatzes erfordert keinen wesentlichen Verwaltungsaufwand. Er geht über den Aufwand nicht hinaus, der beispielsweise mit der Berechnung der Besoldung bei erstmaliger Bewilligung oder Änderung des Umfangs von Teilzeitbeschäftigung einhergeht. In beiden Fällen muss die Anzahl der insgesamt geleisteten Unterrichtsstunden lediglich ins Verhältnis zu der Pflichtstundenzahl eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Lehrers gesetzt werden. Selbst wenn ein Interesse an der Vermeidung eines höheren Verwaltungsaufwands unterstellt würde, ließe sich damit der Umfang der Schlechterstellung von teilzeitbeschäftigten Lehrkräften - die anteilige Besoldung je Unterrichtsstunde beträgt im Verhältnis zur Mehrarbeitsvergütung etwa 150 % - nicht rechtfertigen.

Der ferner angeführte Gesichtspunkt der Rechtsklarheit rechtfertigt die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht. Weshalb die Gewährung einer anteiligen Besoldung für zusätzlich zum Teilzeitdeputat geleistete Unterrichtsstunden zu Unklarheiten führen soll, hat das beklagte Land weder substantiiert vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.

Der Kläger kann eine anteilige Besoldung für die hier in Streit stehenden Unterrichtsstunden beanspruchen, obwohl er nicht dem durch § 4 MVergV mittelbar benachteiligten Geschlecht angehört. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts hat unmittelbar zur Folge, dass die Arbeitnehmer des benachteiligten Geschlechts einen Anspruch auf das Entgelt gegen ihren Arbeitgeber haben, das dieser dem bevorzugten Geschlecht gewährt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 7.2.1991 - Rs. C - 184/89 -, Slg. 1991, I-297, und Urteil vom 27.6.1990 - Rs. C-33/89 -, Slg. 1990, I-2591; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 30.6.2003, a.a.O.).

Das führt dazu, dass die benachteiligten Arbeitnehmer des nicht diskriminierten Geschlechts ebenfalls einen Anspruch auf Gewährung des höheren Entgelts haben, da sie sonst ihrerseits gegenüber den Arbeitnehmern des zunächst benachteiligten Geschlechts unmittelbar ungleich behandelt würden (vgl. Krebber in: Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 3. Aufl. 2007, Art. 141 EGV, Rdnr. 68).



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