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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: 6 A 2566/04
Rechtsgebiete: LBG NRW


Vorschriften:

LBG NRW § 78e Abs. 1
LBG NRW § 78e Abs. 3
LBG NRW § 78e Abs. 4
Ein Urlaub aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nach Vollendung des 50. Lebensjahres darf auch im Zusammenhang mit einem vorangegangenen Urlaub aus familienpolitischen Gründen grundsätzlich nicht die Dauer von 15 Jahren überschreiten. Eine Überschreitung dieser Höchstgrenze ist ausnahmsweise möglich, wenn eine Rückkehr in die Beschäftigung unzumutbar ist. Je länger die Höchstgrenze überschritten werden soll, desto gewichtiger und dauerhafter müssen die hierfür streitenden persönlichen Belange des Beamten sein.
Tatbestand:

Die im Jahre 1953 geborene Klägerin ist Fachlehrerin für Kurzschrift, Maschinenschreiben und Textverarbeitung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Sie war vom 1.2.1991 bis zum 31.1.2003 gemäß § 85a Abs. 1 Nr. 2 LBG NRW aus familienpolitischen Gründen ohne Dienstbezüge beurlaubt. Kurz vor Ablauf dieser Beurlaubung hatte sie beantragt, ihr für die Zeit ab dem Erreichen des 50. Lebensjahres (im März 2003) bis zum Eintritt in den Ruhestand (voraussichtlich im März 2018) erneut Urlaub ohne Dienstbezüge - nunmehr aus arbeitsmarktpolitischen Gründen im Sinne des § 78e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 LBG NRW - zu bewilligen. Der Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, dass beide Urlaube zusammengenommen die sich aus § 78e Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ergebende Höchstgrenze von 15 Jahren überstiegen. Klage und Berufung blieben für die Klägerin erfolglos.

Gründe:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung des von ihr beantragten Urlaubs.

Einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für dieses Begehren ist § 78e Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 1 LBG in der zum Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Entscheidung geltenden Fassung.

Danach kann Beamten mit Dienstbezügen in Bereichen, in denen wegen der Arbeitsmarktsituation ein außergewöhnlicher Bewerberüberhang besteht und deshalb ein dringendes öffentliches Interesse daran gegeben ist, verstärkt Bewerber im öffentlichen Dienst zu beschäftigen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres auf Antrag, der sich auf die Zeit bis zum Beginn des Ruhestandes erstrecken muss, Urlaub ohne Dienstbezüge bewilligt werden, wenn dienstliche Belange nicht entgegenstehen.

Es ist nach Ansicht des Senats schon fraglich, ob im Tätigkeitsbereich der Klägerin überhaupt von einem außergewöhnlichen Bewerberüberhang und einem daraus folgenden dringenden öffentlichen Beschäftigungsinteresse gesprochen werden kann; darüber hinaus wäre von Belang, ob einem Urlaub der Klägerin nicht auch dienstliche Belange entgegenstünden. Im Einzelnen können diese - vom Beklagten bisher nicht geprüften - Fragen jedoch dahin stehen.

Denn dem von der Klägerin begehrten Urlaub steht jedenfalls § 78e Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 2 LBG entgegen. Nach diesen Vorschriften darf ein Urlaub aus arbeitsmarktpolitischen Gründen auch im Zusammenhang mit einem Urlaub aus familienpolitischen Gründen die Dauer von 15 Jahren nicht überschreiten.

Die Klägerin war vom 1.2.1991 bis zum 31.1.2003, also für insgesamt 12 Jahre, aus familienpolitischen Gründen beurlaubt. Seit dem 1.2.2003 ist sie wieder im Dienst. Der nunmehr von ihr beantragte Urlaub aus arbeitsmarktpolitischen Gründen beliefe sich, vom Tag der berufungsgerichtlichen Entscheidung an gerechnet, erneut auf ca. 12 Jahre. Auch wenn dieser weitere Urlaub wegen des zwischenzeitlich wiederaufgenommenen Dienstes zeitlich nicht (mehr) unmittelbar an den ersten Urlaub aus familienpolitischen Gründen anschließt, stünden beide Urlaube doch im Sinne des § 78e Abs. 3 Satz 1 LBG miteinander "im Zusammenhang". Das folgt schon daraus, dass die Klägerin den Antrag auf Urlaub aus arbeitsmarktpolitischen Gründen noch während ihres früheren Urlaubs mit dem Ziel gestellt hat, diesen Urlaub annähernd nahtlos fortsetzen zu können. Im Übrigen würde die Auslegung, dass nur zeitlich unmittelbar zusammenhängende Urlaube die Höchstgrenze nicht übersteigen dürfen, zu sachwidrigen Ergebnissen führen. Denn sie würde es dem Beamten erlauben, durch kurzzeitige Wiedereintritte in den Dienst die Höchstgrenzenregelung unschwer zu umgehen.

Der Urlaub aus arbeitsmarktpolitischen Gründen würde "im Zusammenhang" mit dem bereits in Anspruch genommenen Urlaub aus familienpolitischen Gründen im Falle der Klägerin noch ca. 24 Jahre betragen. Er läge damit deutlich über der Höchstgrenze von 15 Jahren.

Allerdings findet nach § 78e Abs. 3 Satz 4 LBG die Höchstgrenze des § 78e Abs. 3 Satz 1 LBG keine Anwendung, wenn es dem Beamten nicht mehr zuzumuten ist, zur Voll- oder Teilzeitbeschäftigung zurückzukehren. Entgegen der Ansicht des VG fallen auch Fallgestaltungen wie die vorliegende, in denen gemäß § 78e Abs. 4 LBG Urlaub ab der Vollendung des 50. Lebensjahres begehrt wird, in den Anwendungsbereich des § 78e Abs. 3 Satz 4 LBG. § 78e Abs. 4 LBG nimmt zwar ausdrücklich nur § 78e Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 LBG in Bezug. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die übrigen Regelungen des § 78e LBG keine Geltung beanspruchen sollen. Wortsinn des § 78e Abs. 4 LBG und begriffliche Systematik des § 78e LBG zeigen vielmehr, dass die von § 78 Abs. 4 LBG ausdrücklich in Bezug genommenen beiden Vorschriften modifiziert, alle übrigen Vorschriften des § 78e LBG hingegen unverändert gelten sollen. Auch der Sache nach gibt es gute Gründe dafür, dass die in den Absätzen 1 bis 3 des § 78e LBG getroffenen Regelungen grundsätzlich auch für Beurlaubungen nach Absatz 4 Anwendung finden. So wäre es schlechterdings nicht nachvollziehbar, wenn für Beurlaubungen nach § 78e Abs. 4 etwa die Erklärungspflicht bezüglich Nebentätigkeiten gemäß § 78e Abs. 2 oder die Möglichkeit der Verlängerung der Beurlaubungen für Beamte im Schul- und Hochschuldienst gemäß § 78e Abs. 3 Satz 2 LBG nicht gelten sollten. Die vom VG gewählte Auslegung des § 78e Abs. 4 LBG lässt sich auch nicht damit begründen, dass es für den von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis keiner Härtefallregelung bedürfe, weil diese Beamten ohnehin nicht mehr in den aktiven Dienst zurückkehren würden. Diese Erwägung würde nämlich in gleicher Weise auch für den von § 78e Abs. 1 Nr. 2 LBG erfassten Personenkreis (Beamte ab Vollendung des 55. Lebensjahres) gelten.

Im Streitfall liegen jedoch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 78e Abs. 3 Satz 4 LBG nicht vor. Es ist der Klägerin nicht unzumutbar, zumindest zur Teilzeitbeschäftigung zurückzukehren.

Wie das VG zutreffend ausgeführt hat, ist bei der Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr zur Beschäftigung das persönliche Interesse des Beamten an einer Verlängerung des Urlaubs über die Höchstgrenze hinaus gegen das öffentliche Interesse an der Erbringung der vollen Dienstleistung des Beamten abzuwägen. Beide Gesichtspunkte lassen sich auch auf hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums (Fürsorgepflicht des Dienstherrn - Hingabepflicht des Beamten) und damit auf Verfassungsrecht (Artikel 33 Abs. 5 GG) stützen.

Das VG hat angenommen, die Härtefallregelung des § 78e Abs. 3 Satz 4 LBG erlaube nur ein "maßvolles" Überschreiten der Höchsturlaubsdauer. Für eine solche einschränkende Auslegung gibt der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhaltspunkt. Aus dem Tatbestandsmerkmal "nicht mehr zuzumuten" lässt sich allerdings eine Aussage für das Abwägungsergebnis ableiten, die die vom VG befürworteten Einschränkungen im Ergebnis und mit gewissen Modifikationen stützt: Je länger die Urlaubshöchstgrenze überschritten werden soll, desto gewichtiger müssen die hierfür streitenden persönlichen Belange des Beamten sein. Außerdem muss anzunehmen sein, dass dieses Interesse für den gesamten Zeitraum bis zum Eintritt in den Ruhestand einer Beschäftigung des Beamten entgegenstehen würde. Hierzu ist eine Prognose anzustellen. Im Falle einer Überschreitung der Urlaubshöchstgrenze um ca. 9 Jahre, wie sie die Klägerin jetzt noch anstrebt, muss das persönliche Interesse des Beamten ganz besonders ausgeprägt und dauerhaft sein, um die mit der Nichterbringung des Dienstes über diesen langen Zeitraum eintretende Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses zu überwiegen.

Ein solches besonders ausgeprägtes und dauerhaftes persönliches Interesse liegt bei der Klägerin nicht vor.

Als persönliche Gründe, die die Einhaltung der Urlaubshöchstgrenze des § 78e Abs. 3 Satz 1 LBG unzumutbar machen können, reichen Erschwernisse, die allgemein mit einer Rückkehr in den Dienst nach langem Urlaub und in höherem Alter verbunden sind, nicht aus.

Vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, Kommentar zum BBG, Stand: März 2006, Rn. 2, 10 zu § 72e.

Nötig sind vielmehr besondere Schwierigkeiten, etwa durch zusätzliche mehrjährige Belastung bei Kindererziehung oder Pflege.

Vgl. BT-Drs. 13/5057, S. 64; Battis, BBG, 3. Aufl. 2004, Rn. 7 zu § 72e.

Ein persönlicher Grund, der einen Wiedereintritt in den Dienst unzumutbar machen kann, könnte möglicherweise auch dann vorliegen, wenn der Beamte nach Wiedereintritt in das Beschäftigungsverhältnis dauerhaft bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand nicht amtsangemessen beschäftigt werden könnte. Zugleich mag ein solcher Umstand das öffentliche Interesse an einer Weiterbeschäftigung dieses Beamten vermindern.

Die von der Klägerin vorgetragenen familiären Belastungen und die derzeitigen Schwierigkeiten, sie nach Wegfall ihrer Unterrichtsfächer noch als Fachlehrerin einzusetzen, sind zwar nicht von der Hand zu weisen. Sie machen jedoch - auch zusammengenommen - eine Wiederaufnahme der Beschäftigung zumindest im Teilzeitverhältnis für die Klägerin nicht unzumutbar.

Familiär ist die Klägerin nach dem Tod ihrer pflegebedürftig gewesenen Eltern im Wesentlichen noch dadurch belastet, dass ihr Sohn bis heute besonderer Betreuung bedarf. Es ist jedoch nicht hinreichend ersichtlich bzw. durch die tatsächlichen Verhältnisse seit dem 1.2.2003 tendenziell sogar widerlegt, dass diese Belastungen einer Rückkehr der Klägerin zumindest in die Teilzeitbeschäftigung entgegenstehen. Darüber hinaus ist nicht sicher, dass diese Belastungen bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand andauern werden. Auch die neu hinzugekommene Erkrankung des Sohnes führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung; wie aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ersichtlich, muss ihr Sohn wegen dieser Erkrankung (Skoliose) einmal wöchentlich zur Krankengymnastik gebracht werden.

Auch der Umstand, dass es derzeit (noch) Schwierigkeiten bereitet, die Klägerin als Fachlehrerin einzusetzen, macht eine Rückkehr in die Beschäftigung nicht unzumutbar. Allerdings hat die Klägerin wie andere Beamte auch einen Anspruch auf amts-angemessene, d.h. ihrer Rechtsstellung im statusrechtlichen, abstrakt-funktionellen Sinne entsprechende Beschäftigung.

Vgl. hierzu nur BVerwG, Urteil vom 27.2.1992 - 2 C 45.89 -, DÖD 1993, 279.

Eine amts- bzw. laufbahngemäße, der erworbenen Befähigung entsprechende Verwendung eines Lehrers setzt voraus, dass dieser jedenfalls überwiegend regulären Unterricht selbständig erteilt. Dies hat zur Folge, dass eine Beschäftigung, die dem nicht Rechnung trägt, nicht mehr amtsgemäß ist.

Vgl. den Beschluss des Senats vom 7.6.2001 - 6 B 1577/00 -, RiA 2003, 43.

Die Klägerin ist jedoch nicht Lehrerin, sondern Fachlehrerin. In § 2 Abs. 1 und 2 der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrer und Lehrerinnen, Schulleiter und Schulleiterinnen an öffentlichen Schulen (ADO) vom 20.9.1992 (GABl. NRW. I S. 235) werden beide Berufe ausdrücklich nicht gleichgestellt. Selbständiges Unterrichten ist nach § 2 Abs. 1 ADO Wesensmerkmal der Tätigkeit eines Lehrers. Für einen Fachlehrer gilt dies nur mit Einschränkungen. Ein Fachlehrer wird, wie die Klägerin mit Schriftsatz vom 21.1.2004 selbst ausgeführt hat, vornehmlich für fachpraktische Unterweisungen zur Entlastung von wissenschaftlich vorgebildeten Lehrern eingesetzt. Dass die Klägerin nach dem Wegfall ihrer Unterrichtsfächer zumindest in einer solchen unterstützenden Weise (etwa zur Entlastung der Lehrkräfte im neuen Fach Informationswirtschaft) im Lehrbetrieb tätig werden könnte, erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen; eine solche unterstützende Tätigkeit wäre möglicherweise auch amtsangemessen. Im Einzelnen kann dies jedoch dahinstehen. Denn der Klägerin verbleibt bis zu ihrem Eintritt in den regulären Ruhestand noch eine Zeit von ca. 12 Jahren. Unzumutbar wäre der Klägerin eine Beschäftigung vor diesem Hintergrund - wie bereits ausgeführt - allenfalls dann, wenn von vornherein ersichtlich wäre, dass sie auch während der noch vor ihr liegenden Dienstzeit nicht mehr amtsangemessen eingesetzt werden könnte. Eine solche Prognose kann jedoch aus heutiger Sicht nicht abgegeben werden. Wie der Beklagte mit Schriftsatz vom 20.2.2004 mitgeteilt hat, werden derzeit zwar keine für die Klägerin geeigneten Weiterqualifizierungsmaßnahmen mehr angeboten. Ob dies auch für die nächsten 12 Jahre gilt, steht aber naturgemäß nicht fest. Im Übrigen kommt nach Auskunft der Schulleiterin möglicherweise auch eine Nachqualifizierung der Klägerin mit Hilfe von Kolleginnen in Frage. Es kann jedenfalls nicht schon heute die abschließende Feststellung getroffen werden, dass für einen amtsangemessenen Einsatz der Klägerin in den nächsten 12 Jahren - z.B. auch an anderen Schulen des Beklagten - keinerlei Perspektiven bestehen.

Ist nach alledem davon auszugehen, dass die Klägerin, wenn nicht schon heute, so doch zumindest perspektivisch in den nächsten 12 Jahren amtsangemessen eingesetzt werden kann und deswegen eine Dienstausübung auch unter diesem Gesichtspunkt zumutbar ist, kann die Frage unbeantwortet bleiben, ob die Klägerin schon während ihrer Beurlaubung aus familienpolitischen Gründen an einer Qualifizierungsmaßnahme hätte teilnehmen können und ob ihr dies bejahendenfalls bei der Frage der Zumutbarkeit ebenfalls hätte entgegengehalten werden können.

Ende der Entscheidung

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