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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 11.03.2009
Aktenzeichen: 6 A 2615/05
Rechtsgebiete: LBG NRW


Vorschriften:

LBG NRW § 45
LBG NRW § 194
Ein Beamter ist dienstunfähig, wenn er seinen Dienstpflichten infolge gesundheitlicher Mängel nur unter Umständen nachkommen kann, die mit den dienstlichen Anforderungen nicht vereinbar sind, und hierdurch der ordnungsgemäße Ablauf der Dienstgeschäfte unzumutbar beeinträchtigt wird.
Tatbestand:

Der Kläger stand als Polizeibeamter bei einem Polizeipräsidium im Dienst des beklagten Landes. Aufgrund einer psychischen Erkrankung verrichtete er seit Ende 1997 keinen Dienst mehr. Mit polizeiärztlichem Gesundheitszeugnis vom 19.10.1999 wurde auf der Grundlage eines fachärztlichen und eines fachärztlich-psychiatrischen Zusatzgutachtens festgestellt, der Kläger sei polizeidienstunfähig. Eine Eignung für die allgemeine innere Verwaltung sei unter Einschränkungen zu bejahen. Unter anderem sei die Anbindung an eine feste Bezugsperson oder eine kleine Arbeitsgruppe mit regelmäßigen Kritikgesprächen für die Dauer eines Jahres dringend notwendig. Die Eingliederungsphase solle polizeiärztlich kontinuierlich begleitet werden. Der Kläger dürfe für zunächst ein Jahr keine Nachtarbeit und für zunächst sechs Monate keine Arbeit an Wochenenden verrichten. Gleiches gelte für Arbeiten in Zeiten personeller Engpässe und unter erhöhtem Zeitdruck. Bis zur ausreichenden Behandlung der Gesundheitsstörung scheide ein Einsatz mit Publikumsverkehr sowie alleinverantwortliche menschenbetreuende und gefahrgeneigte Tätigkeit aus. Amtsärztliche Gutachten vom 5.4.2001 und 9.2.2004 trafen gleichlautende Feststellungen.

Das beklagte Land schloss eine Verwendung des Klägers im Polizeidienst und in der allgemeinen Verwaltung mit den genannten Einschränkungen aus. Mit Bescheid vom 5.8.2002 versetzte es den Kläger in den Ruhestand. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg. Gründe:

Das beklagte Land war nach § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW berechtigt, den Kläger in den Ruhestand zu versetzen.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er dienstunfähig ist. Das gilt auch für Polizeivollzugsbeamte, für die § 194 Abs. 1 Halbsatz 1 LBG NRW eine besondere Polizeidienstunfähigkeit definiert. Diese orientiert sich an den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für sämtliche Ämter der Laufbahn "Polizeivollzugsdienst" und setzt die Einsetzbarkeit des Polizeibeamten zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder seinem statusrechtlichen Amt entsprechenden Funktion voraus.

Nach diesen Maßgaben war und ist der Kläger polizeidienstunfähig. (Wird ausgeführt.)

§ 194 Abs. 1 Halbsatz 2 LBG NRW, der bezogen auf den Halbsatz 1 lediglich eine Rechtsfolgenbeschränkung normiert (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.11.2006 - 6 B 2086/06 -, m. w. N.), steht der Zurruhesetzung des Klägers nicht entgegen. Hiernach kann ein polizeidienstunfähiger Beamter im Polizeivollzugsdienst belassen werden, wenn die von dem Beamten auszuübende Funktion die Polizeidienstfähigkeit auf Dauer nicht mehr uneingeschränkt erfordert. Die Vorschrift ermöglicht es dem Dienstherrn, einen solchen Beamten für eine Verwendung auf Dienstposten vorzusehen, bei denen die besondere gesundheitliche Belastbarkeit entbehrlich ist. Voraussetzung hierfür ist, dass der Betroffene allgemein dienstfähig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.3.2005 - 2 C 4.04 -, ZBR 2005, 308; Brockhaus, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Stand: Februar 2009, § 194 Rdnr. 30).

Die Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzung eines Beamten beurteilt sich danach, ob die zuständige Behörde im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nach den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnissen annehmen durfte, dass der Betroffene dauernd dienstunfähig ist. Dies haben die Verwaltungsgerichte im Streitfall selbst festzustellen. Sie sind dabei nicht auf die Prüfung der Gründe beschränkt, aus denen der Dienstherr den Beamten in den Ruhestand versetzt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1997 - 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267; OVG NRW, Urteil vom 15.4.1997 - 6 A 726/94 -).

Der Kläger war im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 20.2.2003 allgemein dienstunfähig. Nach § 45 Abs. 1 LBG NRW in der seinerzeit maßgeblichen Fassung war der Beamte allgemein dienstunfähig, wenn er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig war. Hiernach ist nicht allein auf die Person des Beamten sowie Art und Ausmaß seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung abzustellen. Vielmehr sind die Auswirkungen seiner Erkrankung auf seine Fähigkeit, seine Dienstpflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb entscheidend. Aus diesem Grund stellt die ärztliche Begutachtung nicht das einzige und allein ausschlaggebende Beweismittel für die Klärung der Dienstunfähigkeit dar. Es ist nicht Sache des begutachtenden Arztes, die Dienstpflichten des jeweiligen Beamten zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.1966 - VI C 56.63 -, ZBR 1967, 148, und vom 16.10.1997 - 2 C 7.97 -, a. a. O.).

Dass dem Beamten die Fähigkeit zur Dienstleistung vollständig verloren gegangen ist, ist für die Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht erforderlich. Er ist auch dann dienstunfähig, wenn er seinen Dienstpflichten infolge der gesundheitlichen Mängel nur unter Umständen nachkommen kann, die mit den dienstlichen Anforderungen nicht vereinbar sind, und hierdurch der ordnungsgemäße Ablauf der Dienstgeschäfte unzumutbar beeinträchtigt wird. Dauernde Dienstunfähigkeit ist gegeben, wenn eine Besserung der gesundheitlichen Einschränkungen des Beamten in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1966 - VI C 56.63 -, a. a. O.; Brockhaus, a. a. O., § 45 Rdnr. 40).

Nach diesen Maßstäben war der Kläger wegen der Einschränkungen, denen seine Verwendung im allgemeinen Verwaltungsdienst nach dem fachärztlichen Gutachten des Dr. U. vom 23.8.1999, dem polizeiärztlichen Gesundheitszeugnis vom 19.10.1999 und dem amtsärztlichen Gutachten vom 5.4.2001 unterlag, im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 20.2.2003 allgemein dienstunfähig. Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Feststellungen sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ihre rechtliche Bewertung obliegt dem Dienstvorgesetzten und - im Rahmen der nachfolgenden Anfechtungsklage - den Verwaltungsgerichten. Das VG hat die ärztlichen Feststellungen dahin gewürdigt, dass der Kläger der fachgerechten psychiatrischen Betreuung durch einen psychiatrisch erfahrenen Vorgesetzten bedurft hätte. Ob das zutrifft, kann offen bleiben. Denn unabhängig hiervon war die Belastbarkeit des Klägers in einem mit den dienstlichen Anforderungen nicht vereinbaren Ausmaß reduziert. Ihm durften keine Arbeiten in Zeiten personeller Engpässe und unter erhöhtem Zeit- und Termindruck zugemutet werden. Eine alleinverantwortliche menschenbetreuende Tätigkeit sowie ein Einsatz mit Publikumsverkehr waren ausgeschlossen. Der Kläger hätte der Anbindung an eine feste Bezugsperson oder eine kleine Arbeitsgruppe mit regelmäßigen Kritikgesprächen sowie der langsamen und behutsamen Heranführung an ein neues Aufgabenfeld bedurft. Das Aufgabengebiet hätte zudem überschaubar und geschlossen sein müssen und keine wesentlichen Schnittstellen mit anderen Bereichen aufweisen dürfen.

Unter diesen Bedingungen hätte der Kläger auf keinem seinem Amt im abstrakt-funktionellen Sinne entsprechenden Dienstposten in der allgemeinen Verwaltung seine Dienstpflichten erfüllen können. Jeder derartige Dienstposten erfordert ein Mindestmaß an Verantwortlichkeit und Effizienz bei der Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben, das bei dem Kläger nicht gewährleistet war. Die genannten Einschränkungen waren vielmehr in ihrer Gesamtheit so vielfältig und weitreichend, dass sie eine selbständige und produktive Tätigkeit des Klägers praktisch ausschlossen. Sein Einsatz hätte eine enge, zeit- und personalintensive Anleitung, Führung und Kontrolle durch einen Vorgesetzten oder Mitarbeiter erforderlich gemacht. Dadurch wäre in erheblichem Maße Arbeitskraft gebunden worden, die für eine reibungslose Erfüllung der öffentlichen Aufgaben nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Die hieraus resultierende Beeinträchtigung des Dienstbetriebs war dem beklagten Land nicht zumutbar.

Eine Besserung dieses Zustands war auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Soweit die amts- und fachärztlichen Empfehlungen eine Eingliederungsphase von sechs Monaten bzw. einem Jahr befürworteten, folgt hieraus entgegen der Auffassung des Klägers nichts Gegenteiliges. Für die Hoffnung, seine Defizite könnten nur vorübergehender Natur und nach der Eingliederungsphase behoben sein, boten die Gutachten keinen genügenden Anhalt. Vielmehr stand einer derartigen Aussicht die in dem polizeiärztlichen Gesundheitszeugnis vom 19.10.1999 enthaltene Feststellung entgegen, Erfolg versprechende Behandlungsmaßnahmen gebe es nicht, weil die Erkrankung des Klägers chronisch und unkontrollierbar sei. Nach dem fachärztlichen Gutachten des Dr. U. vom 23.8.1999 war die Möglichkeit einer Eingliederung des Klägers ganz ungewiss und jedenfalls zeitlich nicht absehbar. Sie hing nach den abschließenden Ausführungen des Gutachters zur Frage der allgemeinen Dienstfähigkeit von einer ausreichenden Behandlung der Gesundheitsstörung des Klägers ab. Ein solcher Behandlungserfolg war nach der Einschätzung des Dr. U., der ein Scheitern ambulant-therapeutischer Maßnahmen für möglich hielt und für diesen Fall eine stationäre Psychotherapie des Klägers empfahl, völlig offen. Dass diese Ungewissheit im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides nach wie vor bestand, wird durch die amtsärztlichen Gutachten vom 5.4.2001 und vom 9.4.2004 bestätigt. Die hierin getroffenen Aussagen stimmten im Kern mit den in den früheren Gutachten getroffenen Feststellungen überein. Die Formulierung, die Einschränkungen für eine Verwendung des Klägers sollten "zunächst" für einen Zeitraum von sechs Monaten gelten, verdeutlicht, dass eine Verbesserung nach wie vor nicht hinreichend absehbar war.

Auch § 194 Abs. 3 LBG NRW hinderte die Zurruhesetzung des Klägers nicht. Die Regelung ist als Sollvorschrift gefasst und verpflichtet den Dienstherrn, das Beamtenverhältnis eines polizeidienstunfähigen Polizeivollzugsbeamten in der Regel durch Versetzung in ein Amt einer anderen Laufbahn fortzusetzen, falls nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen. Ein derartiger Grund folgt hier aus der allgemeinen Dienstunfähigkeit des Klägers. Ist der Beamte aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert, die Dienstpflichten eines anderen seinem Amt im abstrakt-funktionellen Sinne entsprechenden Amtes zu erfüllen, kommt ein Laufbahnwechsel nicht in Betracht (vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.4.1997 - 6 A 726/94 -; Brockhaus, a. a. O., § 194 Rdnr. 45).

Aus den gleichen Gründen stand auch § 45 Abs. 3 LBG NRW der Zurruhesetzung des Klägers nicht entgegen. Nach der gemäß § 194 Abs. 3 Satz 3 LBG NRW auf polizeidienstunfähige Polizeivollzugsbeamte anwendbaren Regelung soll von der Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen - auf ein konkretes Amt bezogener - Dienstunfähigkeit abgesehen werden, wenn ihm ein anderes seinem Amt im abstrakt-funktionellen Sinne entsprechendes Amt übertragen werden kann. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger aufgrund seiner allgemeinen Dienstunfähigkeit nicht.

Ende der Entscheidung

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