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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.08.2008
Aktenzeichen: 6 A 2861/06
Rechtsgebiete: LBG NRW, BVO NRW


Vorschriften:

LBG NRW § 88
BVO NRW § 4
Eine Beihilfevorschrift, die die Beihilfefähigkeit von notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheitsfällen einschränkt, muss sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen, insbesondere dem Gebot eines vertretbaren Ausgleichs zwischen der Fürsorgepflicht und fiskalischen Erwägungen genügen. Der weitgehende Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Implantatbehandlungen durch § 4 Abs. 2 lit b) BVO NRW entspricht diesen Anforderungen nicht.
Tatbestand:

Der beihilfeberechtigte Kläger ließ eine durch einen Unfall entstandene Zahnlücke aufgrund ärztlicher Empfehlung und zur Schonung der gesunden Nachbarzähne mit einem Implantat versorgen. Seinen Antrag auf Beihilfe zu den hierdurch entstandenen Aufwendungen lehnte das beklagte Land unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 lit b) BVO NRW bis auf einen Pauschalbetrag von 125,00 Euro (50 % von 250,00 Euro) ab. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Die vom OVG NRW zugelassene Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von (...) zu den in dem angefochtenen Bescheid aufgeführten Aufwendungen für die Implantatversorgung gemäß § 88 Satz 1, 2 und 4 LBG i. V. m. dem Bestimmungen der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO -), hier anwendbar in der Fassung der neunzehnten Verordnung zur Änderung der BVO vom 12.12.2003 (GVBl. NRW. S. 756). Die Aufwendungen sind notwendig und angemessen (I.). Ihre Beihilfefähigkeit ist nicht durch § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO ausgeschlossen (II.) und in der Höhe nicht durch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BVO begrenzt (III.).

I. § 88 Satz 1 und 2 LBG verleiht den Beihilfeberechtigten unter anderem in Krankheitsfällen einen gesetzlichen, durch die §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 BVO konkretisierten Anspruch auf Beihilfe zu ihren notwendigen und angemessenen Aufwendungen. Die Aufwendungen des Klägers für die Implantatversorgung erfüllen diese Voraussetzungen. Die bei ihm entstandene Zahnlücke ist als von seinem Zahnarzt als behandlungsbedürftig erkanntes Leiden ein Krankheitsfall. Zu dessen Behandlung war die Versorgung mit einem Implantat notwendig. Ob Aufwendungen notwendig sind, bestimmt sich danach, ob sie medizinisch geboten sind. Dies richtet sich regelmäßig nach der Beurteilung des behandelnden Arztes (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.6.1995 - 2 C 15.94 -, NJW 1996, 801). Dass die Versorgung der Zahnlücke des Klägers mit einem Implantat medizinisch geboten war, folgt aus der dem Heil- und Kostenplan des Zahnarztes (...) zu Grunde liegenden Beurteilung und der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. (...). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO, und zwar ungeachtet der Frage nach der Wirksamkeit dieser Vorschrift. Zur Notwendigkeit von Aufwendungen im Sinne des § 88 Satz 2 und 4 LBG trifft § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO keine Regelung. Die Bestimmung stellt keinen abschließenden Katalog medizinischer Indikationen für eine Implantatversorgung auf, sondern greift aus der Vielzahl der Indikationen einige Fallgestaltungen heraus, auf die die Beihilfefähigkeit der Implantatversorgung unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit einer solchen Versorgung auch in anderen Fallgestaltungen begrenzt werden soll.

Die dem Kläger entstandenen Aufwendungen sind entgegen der im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung auch angemessen. Die Angemessenheit beurteilt sich bei zahnärztlichen Leistungen nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte, da zahnärztliche Hilfe in aller Regel nach Maßgabe dieser Gebührenordnung zu erlangen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.9.1995 - 2 C 33.94 -, NWVBl. 1996, 100). § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO ist für die Beurteilung der Angemessenheit ohne Relevanz. Denn der darin liegende Ausschluss von implantologischen Leistungen außerhalb des Bereichs der aufgeführten Indikationen kann nicht als nähere Regelung des Merkmals "angemessen" auf der Basis der Ermächtigung des § 88 Satz 4 LBG aufgefasst werden. Zur näheren Bestimmung der Angemessenheit darf der Verordnungsgeber auf der Grundlage von § 88 Satz 4 LBG Kriterien aufstellen, nach denen er die Beihilfefähigkeit notwendiger Aufwendungen quantitativ begrenzt. Bezugspunkt ist dabei nach der Vorgabe von § 88 Satz 2 LBG, der im Hinblick auf die Angemessenheit Inhalt, Zweck und Ausmaß dieser Ermächtigungsnorm festlegt, die einzelne Aufwendung. Ein vollständiger Ausschluss der Beihilfefähigkeit notwendiger Aufwendungen überschreitet diesen vorgegebenen Rahmen jedoch, weil er keine quantitative Regelung darstellt. Werden notwendige Aufwendungen - wie in § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO außerhalb des genannten Indikationsbereichs - in jedem Umfang für unangemessen erklärt, liegt darin bereits begrifflich keine Regelung der Angemessenheit mehr (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.10.2007 - 6 A 314/07 -, m. w. N.). Da die Kosten für die Implantatbehandlung gemäß der Gebührenordnung für Zahnärzte innerhalb des dort vorgesehenen Rahmens berechnet worden sind, sind die entsprechenden Aufwendungen des Klägers angemessen.

II. Die Beihilfefähigkeit dieser Aufwendungen ist nicht (wirksam) durch § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO ausgeschlossen.

1. Einer Anwendung dieser Vorschrift steht allerdings nicht entgegen, dass wegen eines Beginns der Implantatbehandlung noch im Jahr 2003 die bis zum 31. Dezember 2003 geltende Rechtslage maßgeblich wäre. (Wird ausgeführt.)

2. Nach § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO ist die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für implantologische Leistungen nach Abschnitt K des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Zahnärzte vom Vorliegen einer der nachfolgend genannten Indikationen abhängig. Im Fall des Klägers ist keine dieser Indikationen einschlägig. Indes folgt hieraus kein Ausschluss seines Anspruchs auf Bewilligung von Beihilfe zu den Aufwendungen für die Implantatversorgung, weil § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO gegen höherrangiges Recht verstößt.

Offen bleiben kann, ob die Vorschrift auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht. Da sie, wie ausgeführt, keine nähere Bestimmung der Notwendigkeit oder Angemessenheit der Aufwendungen i. S. v. § 88 Satz 2 und 4 LBG trifft, kommt als Ermächtigung nur § 88 Satz 5, 1. Halbsatz LBG in Betracht. Hiernach kann unabhängig von der Notwendigkeit und Angemessenheit der Kosten die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen u.a. bei zahnärztlichen Leistungen begrenzt werden. Ob in § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO eine solche Begrenzung gesehen werden kann (vgl. zu einer ähnlichen Problematik OVG NRW, Beschluss vom 24.9.2007 - 6 A 3868/05 -), bedarf keiner Entscheidung. Denn unabhängig hiervon ist § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO mit der in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht zu vereinbaren, weil die jedenfalls sehr weitgehende Begrenzung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Implantatbehandlungen unverhältnismäßig ist, insbesondere dem Gebot eines vertretbaren Ausgleichs zwischen der Fürsorgepflicht und fiskalischen Erwägungen nicht genügt.

a) Eine Beihilfevorschrift, die wie § 4 Abs 2 lit b) Satz 1 BVO die Beihilfefähigkeit von notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheitsfällen einschränkt, muss sich an diesem Gebot messen lassen. Es reicht nicht aus, dass die Einschränkung die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern unberührt lässt. Dies ergibt sich aus folgendem:

Die Gewährung von Beihilfen findet ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die als solche zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG gehört. Das Beihilfensystem in seiner gegenwärtigen Gestalt wird dadurch aber nicht verfassungsrechtlich garantiert. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle oder vergleichbare Belastungen Unterstützung gerade in Form von Beihilfen im Sinne der Beihilfevorschriften oder gar von Beihilfen in bestimmter Höhe zu gewähren, besteht nicht (BVerfG, Beschlüsse vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, 89, und vom 7.11.2002 - 2 BvR 1053/98 -, BVerfGE 106, 225; BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 - 2 C 36.02 -, BVerwGE 118, 277). Entscheidet sich der Dienstherr für ein Beihilfensystem, muss dieses allerdings den Anforderungen genügen, die dem Dienstherrn aus der Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten erwachsen. Die Fürsorgepflicht gebietet, für das Wohl und Wehe des Beamten und seiner Familienangehörigen zu sorgen und Schaden von ihnen abzuwenden. Hat sich der Dienstherr entschieden, seiner Fürsorgepflicht durch die Zahlung von Beihilfen nachzukommen, muss er mithin dafür Sorge tragen, dass der Beamte aus Anlass von Krankheits-, Geburts- und Todesfällen nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die für ihn unabwendbar sind und denen er sich nicht entziehen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 13.8.2005 - 1 A 801/04 -, RiA 2006, 282). Dem Dienstherrn steht bei der Konkretisierung des Fürsorgeprinzips durch die Beihilfevorschriften ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dabei fordert die Fürsorgepflicht nicht den Ausgleich jeglicher krankheitsbedingter Aufwendungen und auch nicht deren Erstattung in vollem Umfang. Insbesondere muss Beihilfe nicht für solche Behandlungen gewährt werden, die eine über das notwendige und angemessene Maß hinausgehende optimale medizinische Versorgung gewährleisten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, a. a. O.; BVerwG, Urteil vom 31.1.2002 - 2 C 1.01 -, DVBl. 2002, 1216). Bei der Wahrnehmung seines Gestaltungsspielraums hat der Dienstherr jedoch die Wertentscheidung des Art. 33 Abs. 5 GG zugunsten der Fürsorgepflicht ebenso wie das grundrechtsgleiche Recht, das diese Verfassungsnorm dem Beamten in Bezug auf die Fürsorgepflicht verleiht, angemessen zu berücksichtigen. Dem in der Norm enthaltenen Regelungsauftrag genügt es nicht, wenn sich der Dienstherr bei weitreichenden Begrenzungen der Beihilfe zu Aufwendungen im Krankheitsfall in Anlehnung an die (grundrechtsbezogene) Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG auf die Wahrung eines nur schwer bestimmbaren, sehr eng begrenzten Wesenskerns der Fürsorgepflicht und damit auf die Einhaltung einer äußersten Grenze beschränkt. Vielmehr ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als übergreifender Leitregel allen staatlichen Handelns Rechnung zu tragen. Dieser Grundsatz ergibt sich u. a. aus dem Rechtsstaatsprinzip und bindet jede staatliche Gewalt, sofern eine geschützte Rechtsposition des Bürgers beeinträchtigt wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 -, BVerfGE 76, 256 (in Bezug auf Art. 33 Abs. 5 GG), vom 4.2.1975 - 2 BvL 5/74 -, BVerfGE 38, 348, und vom 5.3.1968 - 1 BvR 579/67 -, BVerfGE 23, 127; Grzeszick, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Band III, Art. 20 Rdnr. 108, Stand: November 2006; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 8. Aufl. 2006, Art. 20 Rdnr. 81). Er begrenzt damit den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers, der - wie hier mit dem Ausschluss der Beihilfe zu notwendigen und angemessenen Aufwendungen im Krankheitsfall - nachteilig auf durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Rechtspositionen des Beamten einwirkt. Eine derartige Regelung muss einem legitimen Zweck dienen und sich als vertretbarer Ausgleich zwischen diesem Zweck und der Fürsorgepflicht darstellen (vgl. zum Erfordernis eines "Kompromisses" OVG NRW, Urteil vom 24.5.2006 - 1 A 3633/04 - und Beschluss vom 6.5.2004 - 1 A 1160/03 -).

b) Der weitgehende Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Implantatbehandlungen durch § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Die Regelung verfolgt allerdings einen legitimen Zweck. Sie beruht auf der - auch von der Zahnärzteschaft gesehenen - Notwendigkeit, einer durch die im Allgemeinen kostenintensivere Behandlungsart der Implantatversorgung bedingten Ausuferung der für die öffentlichen Kassen entstehenden Kosten angemessen entgegenzutreten. Maßgeblich ist dabei der Gesichtspunkt, dass neben der Einbringung von Implantaten regelmäßig die Möglichkeit einer kostengünstigeren Alternativversorgung auf "herkömmliche" Art und Weise, etwa mit einer Brücke, gegeben ist (vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.5.2006, a. a. O.). Dieser Zweck einer Vermeidung ausufernder Kosten ist vor dem Hintergrund des auch im Beihilferecht zu beachtenden Grundsatzes der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel legitim. Er steht jedoch im vorliegenden Zusammenhang unter der Einschränkung, dass die Gefahr einer Ausuferung der Kosten gerade auf den Mehraufwand zurückzuführen ist, der durch die Inanspruchnahme einer Implantatversorgung an Stelle einer "herkömmlichen" Versorgung von Zahnlücken hervorgerufen wird. Ein darüber hinausgehender Ausschluss von Kosten, die bei der medizinisch gebotenen Behandlung einer Zahnlücke unabhängig von der Art der Behandlung anfallen, würde durch den als legitim zu betrachtenden Zweck nicht mehr gedeckt.

Die Ausschlussregelung des § 4 Abs. 2 lit. b) Satz 1 BVO stellt sich in Ansehung des oben beschriebenen Ziels schon als nicht erforderlich, jedenfalls aber als nicht verhältnismäßig im engeren Sinne dar. Sie bringt dieses Ziel mit der Fürsorgepflicht nicht in einen vertretbaren Ausgleich, sondern stellt das Interesse an einer Kostenbegrenzung einseitig über die durch das Fürsorgeprinzip geschützten Interessen der Beihilfeberechtigten.

§ 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO beinhaltet mit seiner Beschränkung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine Implantatversorgung auf wenige sehr eng gefasste Indikationen einen völligen Ausschluss der Beihilfe auch und gerade in Fällen, in denen diese Aufwendungen notwendig und angemessen sind. Ein derartiger vollständiger Ausschluss ist jedoch nicht erforderlich, um den durch die Inanspruchnahme einer Implantatbehandlung an Stelle einer "herkömmlichen" Versorgung entstehenden (Mehr-) Aufwand zu vermeiden. Denn als milderes, gleich geeignetes Mittel bietet sich an, die Beihilfe für Implantatbehandlungen quantitativ auf die Kosten zu begrenzen, die bei einer konventionellen Versorgung der Zahnlücke ebenfalls anfallen würden. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität derartige Alternativbetrachtungen nicht tunlich sind. Die Systematik der Beihilfenverordnung belegt, dass der Dienstherr in anderen Fallgestaltungen an fiktiven Sachverhalten orientierte Obergrenzen als praktikables Mittel der Kostendämpfung verwendet. So finden sich namentlich in § 4 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3, Nr. 5 Sätze 5 und 6 und Nr. 6 Satz 5 sowie in § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BVO Regelungen, welche die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für bestimmte Leistungen auf die Höhe der Kosten beschränken, die im Falle einer anderen Leistung entstanden wären.

Auch der Grundsatz, dass zu fiktiven Aufwendungen eine Beihilfe nicht gewährt werden kann (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.5.2004, a. a. O., und Urteil vom 23.8.1993 - 12 A 1031/91 -; OVG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 4.6.2003 - 2 L 165/02 -),

steht einer kostenbegrenzenden Regelung im vorstehenden Sinne nicht entgegen, denn Beihilfe würde auf ihrer Grundlage zu tatsächlich entstandenen Aufwendungen einer Implantatbehandlung gewährt. Dass diese nur bis zu einer an fiktiven Aufwendungen orientierten Obergrenze beihilfefähig wären, macht sie nicht selbst zu fiktiven Aufwendungen.

Die Ausschlussregelung des § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO wird darüber hinaus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht gerecht. Die mit ihr einhergehende Beeinträchtigung der im Rahmen der Fürsorgepflicht zu berücksichtigenden Interessen der Beihilfeberechtigten steht außer Verhältnis zu dem mit der Vorschrift verfolgten Zweck der Kostenbegrenzung.

Mit der Fürsorgepflicht sind Lenkungsmaßnahmen unvereinbar, die den Beihilfeberechtigten dazu verleiten, von notwendigen medizinischen Behandlungen aus finanziellen Überlegungen abzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 - 2 C 36.02 -, a. a. O.). Die Fürsorgepflicht gebietet es, im Rahmen des Beihilferechts vor allem solche Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen, welche die Betroffenen möglichst gering belasten. Bei zahnärztlichen Behandlungen gehört dazu namentlich, die Substanz vorhandener gesunder Zähne nach Möglichkeit zu schonen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.5.2008 - 1 A 1171/07 -, ferner Urteil vom 24.5. 2006, a. a. O.; Nds. OVG, Beschluss vom 15.9.2006 - 2 LA 956/04 -, DÖD 2007, 34). Das Ziel der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel würde einseitig über die durch die Fürsorgepflicht geschützten Interessen gestellt, wenn ein Beihilfeberechtigter auf derartige Vorteile einer dem medizinischen Fortschritt entsprechenden Heilbehandlung nur aus Kostengründen verzichten müsste. Wird dem Beihilfeempfänger durch eine "moderne", aber kostenaufwändigere Heilbehandlung ein weitergehender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erspart oder werden andere gesundheitliche Nachteile vermieden, so müssen Fürsorgepflicht und fiskalische Erwägungen in einen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werdenden Ausgleich miteinander gebracht werden. Das zwingt den Dienstherrn, auch die kostenaufwändigere Heilbehandlung zu unterstützen, wenn die höheren Behandlungskosten noch in einem angemessenen Verhältnis zu der "herkömmlichen", aber kostengünstigeren Heilmethode stehen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 15.9.2006, a. a. O.). Damit wird das Fürsorgeprinzip nicht in der Weise überdehnt, dass Beihilfe auch für solche Behandlungen zu gewähren wäre, die eine über das notwendige und angemessene Maß hinausgehende optimale medizinische Versorgung gewährleisten (vgl. jedoch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.9.2003 - 4 S 1869/02 -). Denn die kostenaufwändigere Behandlung ist unter den genannten Voraussetzungen die notwendige und angemessene medizinische Versorgung. Die vollständige Verweigerung der Unterstützung für diese Behandlung ist nicht etwa deshalb unverhältnismäßig, weil sie dem Beihilfeberechtigten eine optimale medizinische Versorgung vorenthalten würde. Unverhältnismäßig ist sie vielmehr, weil sie ihn einem finanziellen Zwang aussetzt, eine mit weitergehenden Eingriffen in seine körperliche Unversehrtheit und gesundheitlichen Nachteilen verbundene Behandlung in Kauf zu nehmen. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dem Beamten sei es zuzumuten, durch den Abschluss einer privaten Zusatzversicherung derartige finanzielle Risiken abzuwenden (vgl. aber OVG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 4.6.2003, a. a. O.). Mit diesem Einwand könnte sich der Dienstherr der Bindung an die aus der Fürsorgepflicht folgenden Anforderungen, denen er durch seine Entscheidung für ein Beihilfensystem unterworfen ist, beliebig entziehen, da prinzipiell jedes Krankheitsrisiko durch eine private Vollversicherung abgedeckt werden kann.

Entgegen den genannten Vorgaben führt die Ausschlussregelung in § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO dazu, dass Beihilfeempfänger allein aus Kostengründen auf die Vorteile einer medizinisch notwendigen Implantatbehandlung verzichten müssen und in diesem Bereich vom medizinischen Fortschritt unter Zumutung weitergehender Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit ausgeschlossen werden. Die Vorschrift zwingt die Betroffenen, eine "herkömmliche" Versorgung mit Brücke oder Zahnprothese und damit insbesondere in den Fallgestaltungen der Einzelzahnlücke mit gesunden Nachbarzähnen sowie der einseitigen Freiendlücke bei Fehlen der Zähne acht, sieben und sechs erhebliche Eingriffe in gesunde Zahnsubstanz und weitere gesundheitliche Nachteile wie das erhöhte Risiko von Knochenabbau und Karies hinzunehmen. Denn die Entscheidung, trotz des völligen Ausschlusses der Beihilfefähigkeit der Implantatversorgung diese Behandlung in Anspruch zu nehmen, kann dem Beihilfeempfänger angesichts der Höhe der hierfür anfallenden Kosten nicht zugemutet werden. Diese Lenkungswirkung bedeutet nach dem eingangs genannten Maßstab eine Belastung der Beihilfeempfänger, die zu dem verfolgten Ziel der Kostenbegrenzung in einem nicht zu rechtfertigenden Missverhältnis steht.

Die Typisierungsbefugnis des Dienstherrn bei der Ausgestaltung der Beihilfevorschriften rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Dass Beihilfeberechtigte auch in den Fällen von einer Implantatbehandlung ausgeschlossen werden, in denen diese aus Gründen der Substanzschonung medizinisch notwendig und angemessen ist, stellt nicht lediglich eine Härte im Einzelfall dar, die aufgrund des pauschalierenden und typisierenden Charakters der Beihilfevorschriften hinzunehmen wäre. Wie nämlich die für die Rechtslage bis zum 31.12.2003 maßgebliche Nr. 5.5 der Verwaltungsverordnung zur Ausführung der BVO (VV) in der seinerzeit geltenden Fassung belegt, handelt es sich insbesondere bei den Fällen der Einzelzahnlücke mit gesunden Nachbarzähnen sowie der einseitigen Freiendlücke bei Fehlen der Zähne acht, sieben und sechs um regelmäßig vorkommende Fallgestaltungen, die dem Dienstherrn bekannt waren.

Der Dienstherr kann sich auch nicht auf eine veränderte Einschätzung der medizinischen Problematik dieser Sachverhalte durch die Zahnärzteschaft berufen. Zwar beruhen die in § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO aufgeführten Indikationen auf Stellungnahmen der Zahnärztekammern Nordrhein und Westfalen sowie der Bundeszahnärztekammer. Diese Stellungnahmen hatten nach der Darstellung des beklagten Landes indes Fallgestaltungen zum Gegenstand, in denen es keine Alternative zur Lösung der damit verbundenen zahnmedizinischen Probleme außerhalb adäquater Implantatversorgung gibt, diese mithin die einzige zahnmedizinisch mögliche Behandlung darstellt. § 4 Abs 2 lit b) Satz 1 BVO beschränkt sich mit der Orientierung an diesen Ausnahmefällen auf die Zielsetzung, den Wesensgehalt der Fürsorgepflicht unangetastet zu lassen. Wie ausgeführt, ist dieser Maßstab jedoch zu eng, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Begrenzung der Fürsorgepflicht zu genügen.

Im Übrigen spricht Nr. 11c) der VV (zu § 4 Abs. 2 lit b) BVO) dafür, dass der Dienstherr selbst die Unverhältnismäßigkeit des völligen Ausschlusses der Beihilfe zu einer notwendigen Implantatbehandlung erkannt hat. Durch die Bestimmung, dass Pauschalbeträge von derzeit 450,- € je Implantat als beihilfefähige Aufwendungen anzuerkennen seien, soll offenbar die übermäßige Belastung der Beihilfeempfänger abgemildert werden. Ein vertretbarer Ausgleich zwischen der Fürsorgepflicht und dem Zweck der Kostenbegrenzung ist mit dieser Verwaltungsvorschrift jedoch schon deshalb nicht zu erzielen, weil sie in § 4 Abs. 2 lit b) BVO keine Grundlage hat (vgl. dazu sogleich unter c).

c) Rechtsfolge der Unvereinbarkeit von § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist die Unwirksamkeit der Vorschrift. Eine verfassungskonforme, mit der Fürsorgepflicht vereinbare Auslegung der Norm ist nicht möglich. Insbesondere lässt sich die Vorschrift nicht so verstehen, dass sie außerhalb des Bereichs der genannten Indikationen Raum für eine Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für implantologische Leistungen - wenn auch nur im Umfang etwa der fiktiven Kosten der herkömmlichen Versorgung einer Zahnlücke - lässt. (Wird ausgeführt.)

III. Der Anspruch des Klägers auf Beihilfe zu seinen Aufwendungen für die Implantatbehandlung ist in der Höhe nicht durch § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 6 BVO begrenzt. Eine Versorgung mit einem Implantat ist keine Versorgung mit Zahnersatz im Sinne dieser Vorschrift. (Wird ausgeführt.)



Ende der Entscheidung

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